Sozialdemokratie 2.0 und andere klapprigen Rosinanten

kool door

Screenshot: „Zur Kritik an Theorie und Praxis des Kommunistischen Bundes Westdeutschland“ (KBW) (1979)

Ich prophezeie etwas, insbesondere die Zukunft betreffend. Die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser können mich gern in zehn Jahren noch einmal darauf ansprechen. Jeremy Corbyn wird scheitern, Podemos und Pablo Iglesias Turrión werden scheitern, Bernie Sanders wird scheitern, Alexis Tsipras ist gescheitert, Yanis Varoufakis und sein DIEM25 werden natürlich auch scheitern.

Warum? Das hat Rosa Luxemburg in „Sozialreform oder Revolution?“ schon 1899 erklärt.
Wir haben gesehen, der Bernsteinsche Sozialismus läuft auf den Plan hinaus, die Arbeiter an dem gesellschaftlichen Reichtum teilnehmen zu lassen, die Armen in Reiche zu verwandeln. Wie soll das bewerkstelligt werden? In seinen Aufsätzen »Probleme des Sozialismus« in der »Neuen Zeit« ließ Bernstein nur kaum verständliche Fingerzeige durchblicken, in seinem Buche gibt er über diese Frage vollen Aufschluß: sein Sozialismus soll auf zwei Wegen, durch Gewerkschaften oder, wie Bernstein es nennt, wirtschaftliche Demokratie, und durch Genossenschaften verwirklicht werden. Durch die ersteren will er dem industriellen, durch die letzteren dem kaufmännischen Profit an den Kragen. (Natürlich hat Bernstein immer noch unrecht. Quod erat demonstrandum.)

Luxemburgs Text ist sehr schwer zu lesen und total verschwurbelt und müsste auch der heutigen Zeit angepasst werden. Aber alles, was sie über die reformistische Rolle der Gewerkschaften sagt, stimmt. Man müsste noch die heutigen populären Sprechblasen von „gerechtem Lohn, „fairem Preis“ und „fairem Handel“ ergänzen.

Da sind wir glücklich bei dem Prinzip der Gerechtigkeit angelangt, bei diesem alten, seit Jahrtausenden von allen Weltverbesserern in Ermangelung sicherer geschichtlicher Beförderungsmittel gerittenen Renner, bei der klapprigen Rosinante, auf der alle Don Quichottes der Geschichte zur großen Weltreform hinausritten, um schließlich nichts andres heimzubringen als ein blaues Auge. (…)
Die Ausbildung der Weltwirtschaft und die Verschärfung und Verallgemeinerung des Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkte haben den Militarismus (…) als Werkzeuge der Weltpolitik zum tonangebenden Moment ebenso des äußeren wie des inneren Lebens der Großstaaten gemacht. Ist aber die Weltpolitik und der Militarismus eine aufsteigende Tendenz der heutigen Phase, so muß sich folgerichtig die bürgerliche Demokratie auf absteigender Linie bewegen.

Demokratie aka „unsere westlichen Werte“ ist ein Vehikel des Kapitals, die Untertanen einigermaßen bei Laune zu halten und ihnen die Illusion zu vermitteln, sie hätten etwas zu sagen. Da kann man als Machiavellist nur laut losprusten.

Die oben genannten Politiker wollen den Kapitalismus reformieren, ohne ihn in Frage zu stellen. Wie soll das gehen? Nicht, dass ich ein Rezept hätte, in der aktuellen Situation etwas wirklich Revolutionäres empfehlen zu können! Es ist nur klar, dass die aktuelle Krise des Kapitalismus weltweit (inklusive China) normal, vorhersehbar und nicht unegwöhnlich ist, dass sie aber nicht automatisch zum Zusammenbruch führen wird, und dass alle, die den kapitalismus nur reformieren und seine schlimmsten Auswüchse reformieren wollen, die klapprige Rosiante auf dem Holzweg reiten – mit dem Nachteil: Die Jugend folgt falschen Versprechungen und wird leider enttäuscht werden. Aber das hatte wir ja auch schon oft.

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Kommentare

7 Kommentare zu “Sozialdemokratie 2.0 und andere klapprigen Rosinanten”

  1. Martin Däniken am April 2nd, 2016 7:42 pm

    Wie den Menschen klug (und unabhängig) im Denken wie im Handeln
    wenn er seine Wahrnehmung in Bezug auf das eigene Geschick für makellos oder gar nicht verbessern möchte…
    Der Mensch ist so dumm sich für intelligent zuhalten?!
    Und begierig diesen Zustand nicht zuverändern.
    Es gibt einige wenige die sich damit nicht zufrieden geben-aber ob diese wenige einen Multiplikationsefffekkt generieren können…
    Und man sollte nicht so auf die grossen Parteien schielen,es gibt lokal (fast)immer vernünftige kluge Leute!
    Man sieht ja nur Störche,Petry-Jünger und Drumpfodemagogen ;-)

  2. Godwin am April 2nd, 2016 10:05 pm

    Der Screenshot ist putzig.
    Kaum mehr zu glauben dass man mal wirklich so geredet hat…

    Die große aller Fragen lautet nun aber: wieso soll der „Kapitalismus“ aka „die kapitalistische Produktionsweise“ überhaupt in Frage gestellt werden? Im Grunde dreht sich doch alles nur darum wer sich wie den Mehrwert in Form des Gewinns aneignet. Die Erzeugung des Mehrwerts – die Produktionsweise an sich – stand doch nie zur Debatte.
    Die abzusehende technische Entwicklung wird ohnehin bald wieder eine grundlegende Transformation der gesellschaflichen Verhältnisse notwendig machen. Da wird man dann auch aushandeln müssen ob sich das dann noch „Kapitalismus “ oder sonstige nennt.

    Bourdieu hat ohnehin in umfangreichen Studien gezeigt dass alle „Überwindungsfantasien“ quatsch sind.
    Selbst Marx meinte schon immer dass alle Veränderungaus dem bestehenden heraus geschehen müsse. Alles andere sei „Don Quichotterie“
    Gewissermaßen offenbart sich olle Rosa selbst als Vulgärmarxistischen…

  3. LordPiccolo am April 3rd, 2016 12:03 am

    Und was soll danach kommen?
    Oder als Alternative zu Bernie (der übrigens auch von amerikanischen Marxisten unterstützt wird) und co.?
    Däumchen drehen bis zur „Weltrevolution“?
    Oder wenigstens die Lebensverhältnisse der Sub-Alternen etwas verbessern, was allerdings in der Tat den Hauptwiderspruch nicht aufhebt?

    Soll ich für dich einen Artikel von Ingar Solty mit dem Titel „Warum gibt es in den USA Sozialismus?“ aus der Zeitschrift „Sozialismus“ einscannen und schicken?

    Denn deine Kritik erinnert mich an Trotzkisten in den USA, die Sanders vehement ablehnen, und in einigen deutschen Hörsälen, die das bereits zitierte Werk von der Rosa verteilen, um für die Weltrevolution zu werben.

  4. admin am April 3rd, 2016 1:11 am

    Man kann das kleinste Übel wählen, aber man sollte nicht enttäuscht sein, dass es nicht wirklich hilft, sondern dass alles wieder von vor losgeht.

  5. LordPiccolo am April 3rd, 2016 3:03 am

    Du hast vollkommen Recht, dass ein gesunder Schuss Pessimismus dazu gehört. Schließlich ist die Wahlurne ein Teil der bürgerlichen Demokratie und dort stellt sich nun einmal der Kommunismus nicht zur Wahl.

    Allerdings hat Godwin auch Recht. Durch Zugeständnisse und Innovationen HEUTE und durch die Aufdeckung der Strukturen und die damit verbundenen Widersprüche und die Elimination dieser durch Alternativen, lassen sich Veränderungen herbeiführen.

    Durch das Verfassen von klugen Aufsätzen (die Kritik ist nicht nur an dich, sondern auch an mich selber gerichtet), können wir sehr lange warten :/

  6. ... der Trittbrettschreiber am April 3rd, 2016 9:12 am

    „… sondern dass alles wieder von vor losgeht.“

    https://youtu.be/Pwi68z5HuqM

  7. Martin Däniken am April 3rd, 2016 5:58 pm

    Wählen wir das was wir kennen…die Stabilität und das ewig gleiche Geseiere?!
    Oder weil der Mensch ein Bewgungswesen ist,zulange auf der Stelle laufen macht ihn weich im Keks und empfänglich für Schwachmatentum,ändern wir alles?!

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