Einige Fragen und ein Hinweis an linke Parteifunktionäre
Wer gutes Deutsch lernen will, kann auch Bertold Brecht lesen. Hier ein Auszug aus „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Hinweis für Parteifunktionäre der „Linken“: Es taucht kein Wort auf, dass mit -ung endet. Auch wenn ihr das für unmöglich haltet – aber so redet und schreibt man, wenn man dem Volk auf’s Maul schaut.
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon –
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
Die Maurer?
Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie?
Über wen triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm?
Was lese ich hingegen im Parteiprogramm der „Linken“? „Aushöhlung der Demokratie – Die Möglichkeit demokratischer Einflussnahme und Mitgestaltung“.
Unfassbar. Wer redet so? Ja, Parteifunktionäre eben.
Man stelle sich vor, das Kommunistische Manifest hätte so begonnen: „Die Kommunisten sind gegen die Aushöhlung der Demokratie und für die Möglichkeit demokratischer Einflussnahme und Mitgestaltung“ – hätte das auch nur ein Mensch gelesen?
Kommentare
7 Kommentare zu “Einige Fragen und ein Hinweis an linke Parteifunktionäre”
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Och, ich finde, „Befreiung“ und „Forderung“ sind schon prima Wörter für eine „Bewegung“.
Wer befreit wen und wer fordert was? Wozu braucht man da ein ung?
@flatter
eine „Bewegung“ bewegt sich nicht(mehr).
Prozess wurde Institution (lat. institutio,
„Einrichtung“).
Wer sich eingerichtet hat, hat kaum Gründe mehr, sich zu bewegen.
Ihr seid also nicht der Ansicht, es könnte sich unter Umständen als sinnvoll erweisen, das, was man fordert, als „Forderung(en)“ zu Bezeichnen? Ist die Beschreibung einer Veränderung durch Aufhebung bestehnder Zustände als „Bewegung“ falsch? Was ist (formal) nicht in Ordnung an dem Satz: „Freiheit ist nur möglich im Kampf um Befreiung“?
Sind Substantive mit einem mir noch unbekannten Makel behaftet? Was seid ihr denn für Sprachpäpste?
Ich bin nur einer.
Es geht darum, ob etwas verständlich ist und prägnant. Nur darum. Nominalstil dokumentiert meistens mangelnde Prägnanz: Es fehlt, wer was tut.
z. B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Verst%C3%A4ndlichkeitskonzept
Dass der Text der PdL scheiße ist, stimmt ja zweifellos, aber ich bin gegen holzschnittartige Vereinfachungen und unnötige Tabus. Der kritisierte Text hat wahrlich noch andere Schwächen als ein -ung. Verständlichkeit und hinreichende Komplexität, die dem Gegenstand der Erörterung gerecht wird, müssen in jedem Text austariert werden. Mit simplen Formeln kommt man dem m.E. nicht bei.
;-)… Entschuldigung, Meinung ist Haltung.