Vernunfthoheit staatlicher Organe [Update]

Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln (Maßregelvollzugsgesetz MVollzG) für verfassungswidrig erklärt.

Mehr zum Hintergrund gibt es auch bei Juris: „Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1999 aufgrund einer Verurteilung wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Gewalttaten im Maßregelvollzug. Die Maßregelvollzugsklinik kündigte ihm schriftlich die Behandlung ‚mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch gegen Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird‘, an. Den hiergegen gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei.“

Aus der Entscheidung: „Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in besonders schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein. Dem Gesetzgeber ist es nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe zuzulassen (…) sofern der Untergebrachte zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Soweit unter dieser Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis zur Zwangsbehandlung anzuerkennen ist, eröffnet dies keine ‚Vernunfthoheit‘ staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseite gesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint.“

Manchmal erfährt man erst durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in welchem Staat wir leben und was dort im Verborgenen gang und gäbe ist. Neuroleptika werden also zwangsweise verabreicht – „wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Gewalttaten“. „Eine zwangsweise medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen Zeitraum von sechs Monaten“ hatten alle Vorinstanzen für rechtmäßig erklärt. Mich gruselt es.

Update: Ein Leser wies mich auf diese Links hin:
http://www.die-bpe.de/forensik (als pdf: http://www.die-bpe.de/forensik/stellungnahme_scharmer.pdf
2.
Taz-Interview mit dem RA Schneider-Addae-Mensah:
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/kriminelle-in-weissen-kitteln/

image_pdfimage_print

Kommentare

Schreibe einen Kommentar