Commentarii de revolutio Arabico [Update]

Lybia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Tarabulus, aliam Fessan, tertiam qui ipsorum lingua Barqah, nostra Cyrenaica appellantur.

Wer jetzt an Caesar denkt, ist zwar gebildet und hat etwas über libysche Geografie gelernt, aber das hilft uns nicht viel weiter. Ich fühle mich durch die Medien, was die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen engeht, nicht hinreichend informiert. Deshalb habe ich mich heute selbst umgeschaut, um mir ein Bild zu machen.

Die drei Landesteile, die seit 1951 den Staat Libyen ausmachen, sind sehr unterschiedlich; eine gemeinsame historische Tradition existiert wohl kaum. Der Südwesten ist ungefähr doppelt so groß die Deutschland, hat aber weniger Einwohner als Dortmund. Im gesamten an Ägypten grenzenden Osten, der Kyrenaika, leben etwa halb so viel Einwohner wie in Berlin.

Der Fessan im Westen Libyens wurde in der Geschichte von den geheimnisvollen Garamanten besiedelt, von denen die heutigen Berber vermutlich abstammen. Die Berber, die klassischen Bewohner der Sahara-Wüste, zu denen auch die nomadischen Tuareg gehören, verteilen sich auf fünf Staaten (ein Vergleich mit den Kurden liegt nahe). Man darf getrost bezweifeln, dass diese Völker für eine Revolution in Libyien zu gewinnen sind, da ihre Interessen, neben dem Karawanenhandel, eher darauf gerichtet sind, ökonomisch zu überleben und etwa am Rohstoffabbau im Niger teilzuhaben.

Der Norden des Landes, also im wesentlichen der Küstenstreifen Tripolitanien und dessen Hinterland, die ehemaligen phönizischen Kolonien und das spätere Karthago, wurde arabisiert. Hier kann Landwirtschaft betrieben werden; Erdöl und Erdgas kommen nur hier vor, vor allem in der Großen Syrte.

Der Osten Libyens ist auch kulturell und historisch anders: Weniger die Küste, sondern vielmehr das Landesinnere um die Kufra-Oasen prägen die Traditionen, etwa der Sanussiya-Orden, zu dem auch der Nationalheld Omar Mukhtar gehörte. Dieser Orden war auch eine islamische Erneuerungsbewegung in der Tradition des Sufismus; der ist aber theologisch weitaus toleranter als etwa die Wahabiten, die heute in Saudi-Arabien den Ton angeben. Die Sufis predigen zwar die Askese, sind aber eher spirituell statt dogmatisch ausgerichtet. Der Sanussiya-Orden finanzierte sich, bevor die Kolonialmächte Italien und Frankreich ihm seine ökonomische Basis entzogen, durch den Sklavenhandel zwischen Schwarzafrika, vor allem dem Sudan, und den Küsten Ägyptens und Libyens. Die europäische „Ausländer raus“-Organisation Frontex konzentiert heute im Südosten Libyiens Flüchtlinge in Lagern; Italien stellt dafür das Geld bereit.

Gute Journalisten stellen nur zwei Fragen, um das Wesentliche beschreiben zu können: Wo kommt die Kohle her? Und wo geht sie hin? In Libyen hat Gaddafi die Berber alimentiert, weil er ihre traditionelle Aufsässigkeit gegenüber seinen Nachbarstaaten als „Drohgebärde“ benutzen konnte. Die halbnomadischen Wüstenbewohner werden sich nur einem Aufstand anschließen, wenn zu erkennen wäre, dass die Nachfolger der Gaddafi-Clique ihnen ähnlich wohlgesinnt wären.

Die Kyrenaika hingegen will etwas vom Kuchen abhaben; ihre Bewohner, die historisch stark mit Ägypten verbandelt sind, wurden vernachlässigt und haben daher die stärkste Motivation für einem Umsturz. Das sagt aber nicht viel. Es kommt darauf an, wie Tripolitanien reagiert; den Rest Libyiens muss Gaddafi nicht berücksichtigen, selbst wenn der zeitweilig in den Händen Aufständischer wäre.

Wer – wie ich – jedem Umsturz, richtet er sich von unten nach oben, sympathisierend gegenübersteht, wundert sich: Plötzlich gibt es in Arabien „Volkskomitees“, eine Art Räterepublik, ohne dass man vorher etwas von einer Guerilla oder einer im Geheimen operierenden Organisation gehört hätte, wie etwa die erfolgreiche Sandinistische Befreiungsbewegung in Nicaragua oder die Tupamaros in Uruguay. Es handelt sich um eine klassische bewaffnete Märzrevolution 1848 forderten genau das, was die Volksmassen in Tunesien, Ägypten und auch in Libyen heute wollen – demokratischen Wahlen, Pressefreiheit und den Sturz der Tyrannen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Die Revolutionäre hoffen, dass der Kapitalismus für alle da ist. Wie das gehen soll, hat noch niemand verraten. Zur Zeit lebt der arabische Umsturz vom Prinzip Hoffnung, dass jeder eine Chance hätte, wenn nur die Wirtschaft nicht mehr in den Klauen einer korrupten Familienclique wäre. Diese Hoffnung ist zwar fromm, aber naiv.

Die eisenen ökononomischen Gesetze der so genannten „Marktwirtschaft“ – die schleichende Enteignung unabhängiger Kleinbauern (zugunsten staatlich subventionierter kapitalistischer Großbetriebe), der „tendenzielle Fall der Profitrate, die ungehinderte Fluktuation der Ware Arbeitskraft und das Entstehen einer industriellen Reservearmee (aus ehemaligen Bauern und/oder Einwanderern/Flüchtlingen), die das Proletariat in Schach und die Löhne niedrig hält – das alles steht Arabien noch bevor. „Diese Enteignung vollzieht sich durch das Spiel der inneren Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot.“ (Karl Marx, Kapital I, MEW 23, 790)

Ein Gespenst geht um in Arabien – das Gespenst des Kommunismus (oder wie auch immer man das heute nennen mag). Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen -und heimlichen – Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, die Europäische Union, die USA, Israel, Saudi-Arabien, die Ex-Kolonialmächte Italien und Frankreich, die Noch-Machthaber in Marokko, Algerien, Syrien und den Golfstaaten.

Die Revolution in Libyen wird auch Gadaffi nicht aufhalten können. Aber die Revolution fängt danach erst an. Bei den Wahlen im Herbst in Ägypten und deren Ausgang sprechen wir uns wieder. Jede Wette, dass diejenigen, die heute die wirtschaftliche Macht am Nil innehaben, auch nach den Wahlen immer noch fest im Sattel sitzen werden.

Update
SpOff: „Tunesiens Hauptstadt versinkt erneut im Chaos“ – „…mit der Aufarbeitung der Vergangenheit ist zögerlich begonnen worden. Das ging vielen Demonstranten nicht schnell genug. Sie sind der Ansicht, dass immer noch die gleiche Clique an der Macht sei – und sich für die Bürger nicht viel geändert habe.“ Meine Rede – die Revolution beginnt erst.
SpOff: „Experten fürchten die Spaltung Libyens“ – der Artikel scheint wie von mir (vgl. obne) abgeschrieben, nur das er seine Quellen verschweigt.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Commentarii de revolutio Arabico [Update]”

  1. lepus am Februar 25th, 2011 7:20 pm

    Prima Recherche, danke für die Arbeit.
    Auch prima Schlußfolgerungen – nur das Gespenst bleibt für mich im Grab. Wer zum Teufel sieht es denn umgehen?
    Zitat: „Die Revolutionäre hoffen, dass der Kapitalismus für alle da ist. Wie das gehen soll, hat noch niemand verraten.“

    Wohl war, erlaubt aber nicht den Schluß, dass das Gegenteil den Gang entdeckt hätte.

    Conclusio (auch andere können Latein ;-)):

    Lieber ein Kapitalismus im Stand als ein Sozialismus im Trab.

    Schönes Wochenende!

  2. Serdar am Februar 26th, 2011 7:28 am

    die drei solltest du vielleicht deinem blogroll hinzufügen:

    http://arabistikwwu.blogspot.com/

    http://al-samidoun.blogspot.com/

    http://www.alsharq.de/

  3. admin am Februar 26th, 2011 3:22 pm

    done. Sehr interessant übrigens auch http://www.egyptworkersolidarity.org/

  4. flatter am Februar 27th, 2011 1:27 am

    Ein sehr interessanter Artikel dazu findet sich hier. Ich hoffe, das morgen einmal in einem eigenen zu verwursten.

  5. admin am Februar 27th, 2011 3:05 am

    Ja, sehr interessant. So etwas würde in deutschen Medien nie publiziert.
    „The political economy of the Mubarak regime was shaped by many currents in Egypt’s own history, but its broad outlines were by no means unique. Similar stories can be told throughout the rest of the Middle East, Latin America, Asia, Europe and Africa. Everywhere neoliberalism has been tried, the results are similar: living up to the utopian ideal is impossible; formal measures of economic activity mask huge disparities in the fortunes of the rich and poor; elites become „masters of the universe,“ using force to defend their prerogatives, and manipulating the economy to their advantage, but never living in anything resembling the heavily marketised worlds that are imposed on the poor.“

  6. Tamaziɣt oder: Babylonien : Burks' Blog am November 18th, 2019 12:10 am

    […] die Berber hatte ich hier schon gebloggt. Kāhina kannt ich nicht, habe aber mit Entzücken darüber […]

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