Oktopus Paul: Niederschlag leider nicht möglich

Bei Reuters schreckt uns eine geradezu sensationelle Meldung auf: „Arbeitgeber machen Front gegen hohe Tarifabschlüsse“. Wer hätte das gedacht!? Das muss jetzt aber in allen deutschen Mainstream-Medien herausposaunt und wiedergekäut werden, weil man draußen im Lande vielleicht der irrigen Meinung sein könnte, das Kapital und seine Charaktermasken würden ganz regelwidrig freiwillig ihren Profil schmälern, was Adam Smith, Karl Marx, Joseph Schumpeter, Milton Friedman und Ernest Mandel verhüten mögen.

Wir hatten schon durchgenommen, dass sich deutsche Medien oft von Lobby- und Interessengruppen missbrauchen und instrumentalisieren lassen, weil die betreffenden Schreiberlinge schlicht zu doof sind, um das zu merken, oder der Chef vom Dienst gerade nicht hinguckt und eine Volontärin poppt, oder weil man gern selbst Politiker sein möchte, da man dann näher an den Fleisch-und Geldtöpfen säße. Oder man begnügt sich mit dem eigenene gesunden Menschenverstand, der oft genug nur das gesunde Volksempfinden ist, auch bekannt als „Rübe ab“ oder „löschen und sperren“.

So auch hier. Reuters hätte, anstatt das Gefasel des Artikels als Journalismus auszugeben, eine Pressemeldung der Kapitalistenverbände publizieren können, garniert mit ein paar leicht umformulierten Phrasen aus dem Wetterbericht. Nur leichte Bewölkung an der Lohnfront. Niederschlag (durch Streiks wegen der korrupten und zahnlosen deutschen Gewerkschaften) leider nicht möglich.

„Arbeitsmarktexperten gehen davon aus, dass nach Jahren stagnierender Einkommen die Löhne vor allem wegen des Fehlens von Nachwuchs künftig stärker steigen werden.“ Das ist ja mal eine lustige Theorie, wie der Kapitalismus an sich funktioniere. Der Satz erinnert mich an den Telepolis-Artikel: „Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vs. Oktopus Paul. Zweimal jährlich berichten alle Medien über die aktuellen Konjunkturprognosen – eine Analyse zeigt, dass diese nicht besser als der Zufall sind.“

Warum steigen eigentlich die Löhne? Dazu müsste man sich erst einmal verständigen, was der „Lohn“ ist. „Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letzterer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden.“ – „In der Zeit, in der der Unternehmer über den Arbeiter frei verfügt, hält er ihn dazu an, möglichst viele Waren für ihn zu produzieren. Die Differenz des Wertes dieser Waren zu dem verausgabten Arbeitslohn, der Mehrwert stellt den Gewinn des Unternehmers dar. Der Gewinn hat seinen Grund also gerade in der Abweichung des Lohns vom Wert der verrichteten Arbeit.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 558.)

Ganz schon kompliziert und anstrengend, gelle? Man hat den Eindruck, dass Marx beim Schreiben wenigstens nachgedacht hat, während die „Arbeitmarktexperten“ (auch bekannt als Lobbyisten des Kapitals) statt der These, die Löhne stiegen durch das „Fehlen von Nachwuchs“, im Kaffeesatz hätten lesen können.

By the way: Welchen Nachwuchs meinen die eigentlich? Dass das Proletariat weniger Kinder in die Welt setzt oder dass sich die industrielle Reserverarmee verringert? Letzteres machte Sinn, da die Höhe der Löhne nichts mit dem Wert der geschaffenen Produkte zu tun hat, sondern mit der Kampfkraft der „Arbeitnehmer“, ob sie denjenigen, denen sie ihre Arbeitskraft verkaufen (also geben) und die ihre Arbeit nehmen – also die Kapitalisten (die die wahren „Arbeitnehmer“ sind) -, zwingen, ihnen mehr Lohn zu geben. (Verdammt, schon wieder so ein schwerer Satz, und das am Sonntag… aber hier schreibe ich, ich kann nicht anders.)

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Kommentare

4 Kommentare zu “Oktopus Paul: Niederschlag leider nicht möglich”

  1. ...der mit der Mütze denkt. am August 1st, 2010 4:46 pm

    Der Ball ist rund – und ich freue mich schon auf die „Expropriation der Expropriateure“(Marx, nicht für Sekundär-Literatur-Leser). Bis dahin warte ich darauf, auch in Kommentaren wirkungsvolle Links setzen zu können, von mir aus auch rechts oder in die Mitte(des Textes). Ja, ich lerne schnell.

    Fünf? Aber gern, ich sitz ja schon. Dein Schüler, letzte Reihe(links, von Lehrerpult aus gesehen)

  2. Marxismus-Tutorial – Der Schockwellenreiter am August 2nd, 2010 12:15 pm

    […] bei Burks gibt es eine kurze Einführung in den Marxismus: Oktopus Paul: Niederschlag leider nicht möglich. Lesebefehl! [Burks' […]

  3. Ja gut, aber … » Qualitätsjournalismus am August 2nd, 2010 2:09 pm

    […] Den ganzen Artikel lesen » Oktopus Paul: Niederschlag leider nicht möglich […]

  4. linuxprofi am August 4th, 2010 9:05 am

    Selber Schuld wenn die Schafe sich so scheren lassen. Dann muss auch mal die Knete am Hindukusch verteidigt oder fuer ein Euro gearbeitet werden. Eventuell mal des Prinzen Ehre wieder gerettet werden (http://tinyurl.com/8una4). Scheint ja kaum einen zu stoeren. Aber die Zukunft sieht ja so aus: http://tinyurl.com/23pzqlb. Da muss dann auch keiner hin, oder eventuell doch?

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