Kapitalismus verstehen lernen

„Die Logik [des kapitalistischen Systems] ist, daß reale Produktionsprozesse, reale Ressourcen und menschliche Fähigkeiten nur eingesetzt weden, wenn sie dem Verwertungselbstzweck, aus einem Euro zwei zu machen, genügen können. Wenn nicht, dann wird stillgelegt. Dann werden intakte, auch lebensnotwenige Produktionen stillgelegt.“ (Robert Kurz, in: in: Hermann L. Gremliza (Hg.): „No way out? 14 Versuche, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen“, S. 17)

„Das einzige voll entwickelte Marktsystem, wo Märkte nicht nur Nischenerscheinungen sind, sondern die gesamte Produktion und Distribution beherrschen, ist das kapitalistische. Es gibt kein nicht-kapitalistisches, voll entwickeltes Martksystem. Insofern haben wie dann entweder den kapitalistischen Markt, oder wir haben etwa anderes. Aber nicht so einen netten kleinen Markt, der irgendetwas Positives beibehält und das Negative losgeworden ist. (Michael Heinrich, in. ebd., S. 48)

image_pdfimage_print

Frischer Fisch aus Charlotteville

charlottevillecharlottevillecharlottevillecharlottevillecharlottevillecharlottevillecharlottevillecharlotteville

Die Fotos habe ich 1982 in Charlotteville an der Man-O-War-Bay auf Tobago (Republic of Trinidad and Tobago, Kleine Antillen) gemacht – der idyllischste Ort, in dem ich jemals war. Hotels gab es nicht, nur einige private Zimmer, Die würdevolle Dame mit Handtasche war unsere Wirtin Miss Nicholson. Der Thunfisch, den ich mit meinem Coleman-Benzinofen zubereite, schwomm zwei Stunden vorher noch im Meer. Die Blondine unten am Strand ist meine damalige Reisebegleiterin.

image_pdfimage_print

Die soziale Marktwirtschaft, wie wir sie alle lieben und verehren

Zona crítica (der spanischen Journalistin und Bloggerin Olga Rodríguez, übersetzt von und via Walter Beutler):

– Der Elendsindex erreicht laut Angaben von dieser Woche in unserem Land [Spanien] bereits 26,4%. Das sind 15,5% mehr als noch vor fünf Jahren.
– Die Ungleichheit zwischen den Einkommen spanischer Familien steigt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist so gross wie noch nie.
– Weltweit besitzt 1% der Bevölkerung 43% des gesamten Reichtums. 10% kontrollieren 83% des Reichtums.
– Laut einem diese Woche veröffentlichten Berichts des Tax Justice Network schleuste die globale ökonomische Elite zwischen 2005 und 2010 mindestens 16,7 Billionen Euro am Fiskus vorbei. (Eine pessimistischere Schätzung geht von 25,6 Billionen Euro aus.)
– Etwa 6,3 Billionen dieser unversteuerten Gelder gehören 92’000 Personen, das heisst 0,001% der Weltbevölkerung. Das bedeutet gemäss diesem Bericht, dass die Ungleichheit sehr viel grösser ist, als die üblichen Berechnungen zeigen.
– Laut Zahlen, die diese Woche vom Forschungszentrum des amerikanischen Kongresses veröffentlicht wurden, besass im Jahr 2010 die Hälfte der Bevölkerung der Vereinigten Staaten gerade mal 1,1% des Reichtums des Landes. Im Jahr 2007 waren es 2,5%. Auch dies bestätigt, dass die Armen immer ärmer werden. Laut demselben Bericht besassen im Jahr 2010 die reichsten zehn Prozent 74,5% des Reichtums.

image_pdfimage_print

Das Ministerium für Wahrheit informiert: Die Industrielle Reservearmee heisst jetzt „atypisch Beschäftigte“

Spiegel online: „Mitten in der Euro-Krise können sich die Deutschen über steigende Löhne freuen. Laut Statistischem Bundesamt legten die Tarifverdienste im Frühjahr so stark zu wie zuletzt Anfang 2010. Zudem haben immer mehr Menschen Vollzeitjobs.“

Ach? Was lasen wir denn neulich beim Statistischen Bundesamt? „11 % der Beschäftigten verdienten 2010 weniger als 8,50 Euro je Stunde“.

Die deutschen Mainstream-Medien übernehmen nicht nur die Propaganda des Kapitals bruch- und kritiklos, sondern auch deren Sprachregelungen.

Das Ministerium für Wahrheit informiert: „Billigarbeiter“, die wir aus der wissenschaftlichen Literatur auch als „industrielle Reservearmee“ kennen, heißen jetzt laut Manager-Magazin (quod erat demonstrandum) und Spiegel online „atypisch Beschäftige“.

image_pdfimage_print

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Post von einem Leser:
„… oder so ähnlich. Heute (natürlich in der Mittagspause, wo ‚die Internetnutzung in geringem Umfang toleriert wird‘) festgestellt, dass Dein Blog geblockt wird. [Großer Konzern] mit Sitz in Ludwigshafen.“

Meine Frage: „Pornografie oder Extremismus oder Gewalt oder mal was Neues? :) Gruss Burks“

Die Antwort: „‚risk for the security of your PC‘ scheint mir neu :) Wir werden alle störben.“

image_pdfimage_print

Dois Rios

solimoes

Wo habe ich dieses Foto (1980) gemacht? Das ist nicht so schwer herauszufinden… (Google-Maps-Link auf 20 Kilometer genau – bitte mit tinyurl.com)

image_pdfimage_print

Das Ministerium für Wahrheit informiert

ip-adresser

Der Spruch des Tages! „Speicherung der IP-Adresse“ heisst bei Spiegel online jetzt „Datenschutz“.

image_pdfimage_print

Der grosse Markteingriff, Newton und das Abstrakte

kapitalismus

Die Europäische Zentralbank will in den Markt eingreifen und marode Staatsanleihen kaufen. Oha! Was sagt denn die Glaubensgemeinschaft des „freien“ Marktes“ dazu? Schafft die EZB jetzt den Kapitalismus ab, droht gar Stamokap am Horizont oder geben die Apologeten der freiheitlich-demokratischen soziale Marktordnung klammheimlich zu, dass der Markt irgendetwas verkehrt gemacht hat?

Um diese Frage zu klären, müssen wir kurz diskutieren, warum die Pharaonen keine Dampfmaschinen hatten und die alten Römer keine Taschenlampenbatterien. So albern sich das anhört – aber das ist ungeheuer kompliziert zu beantworten.

Die Kategorie des Fortschritts ist primär eine soziale Kategorie. (…) Soziologisch betrachtet ist die neuzeitliche Wissenschaft eine kulturelle Innovation, die (…) schrittweise in die Gesellschaft integriert wird. (…) … es ist zweifellos klar, daß die wissenschaftlichen Leistungen Galileis (1564-1642) und Newtons (1643-1727) ohne Parallele sind. Galilei schafft ein geschlossenes System der Kinematik, in dem im Prinzip alle mechanischen Bewegungen auf die präziseste Weise, d.i. mathematisch, bestimmt sind. Newton ergänzt diese System um den dynamischen Teil und schafft damit die klassische Mechanik. (…) es ist also genau das 17. Jh., das einen scharfen Schnitt zwischen die kulturellen Prozesse des westlichen Europa und die der anderen Kulturen legt,…“ (Wolfgang Kron: Zur soziologischen Interpretation der neuzeitlichen Wissenschaft, in: Edgar Zilsel: Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft, Frankfurt a.M. 1976)

Man kann also nicht einfach behaupten, die Ägypter und Römer hätten einfach nur lange genug nachdenken müssen, dann wären sie schon drauf gekommen, wie das herzustellen sei. Und warum war die Menschheit erst im 17. Jahrhundert in der Lage, die Mechanik theoretisch zu formulieren, obwohl die alten Mayas sogar den Kegelumlauf der Erdachse auf Grund der Präzession der Erde ausrechnen könnten, ein Zeitraum, der immerhin rund 25000 Jahre beträgt?

Jetzt wird es kosmologisch. Wir fragen uns in Wahrheit, ob die Menschheit sich irgendwo hinentwickelt, immer höher, größer, weiter, besser, schöner, reicher, intelligenter, immer mehr Wachsstum. In der Philosophie nennt man so etwas teleologisch, also die Idee, alles sei einem großen Zweck untergeordnet, machte also einen „Sinn“. Das ist natürlich religiöse Denke, und ein Zen-Meister würde sowieso vor Lachen vom Balkon fallen.

Nicht anders argumentieren aber unsere Wirtschaftsexperten, Volkswirtschafts-Professoren und andere Hobby-Astrologen. Der „Markt“ sei schon seit dem Neolithikum dagewesen, seitdem jemand die Klaue eines Säbelzahntigers gegen einen Faustkeil tauschte, „Wachstum“ gehe bis zum Sankt Nimmerleinstag weiter, obwohl wir nicht so recht wissen, wie immer mehr Leute immer mehr Produkte kaufen sollen und trotzdem immer mehr Geld verdienen, und wenn die Menschen nur rational dächten, würden wir auch noch in 5000 Jahren, wenn Perry Rhodan und Meister Joda die Weltherrschaft übernommen haben, den „freien Markt“ und vom Kapitalismus verherrlichen. Sagt mal, Leute, ist soweit noch alles klar in eurem Oberstübchen? Geht’s noch?

Was unterscheidet eigentlich die altägyptische und altrömische Ökonomie von der heutigen? Märkte existierten auch dort, oder? Sogar ohne Publikumsjoker weiß jedes Kind, dass es in der Antike (und nicht nur dort) nur wenig Lohnarbeit, dafür aber um so mehr Sklavenarbeit gab, obwohl sogar im römischen Imperium der Anteil freier Bauern an der Produktion überwog. Sklaven wurden vor allem in Latifundien (wieso ist der deutsche Wikipedia-Eintrag so ein Mist?) eingesetzt. Sklaven waren keine Menschen, sondern Objekte – wie Tiere im bürgerlichen Gesetzbuch. Offenbar war aber die Organisation gesellschaftlicher Arbeit (aka die Produktionsverhältnisse) mit menschlichen Tieren nicht besonders effektiv, denn die Römer waren noch nicht einmal in der Lage, die Dreifelderwirtschaft einzuführen, die im 12. Jahrhundert in Mitteleuropa zu einem ungeheuren Produktionsschub und zum Bevölkerungsanstieg führte.

Also wieder die Frage nach der real nicht existierenden altägyptischen Dampfmaschine und der römischen Taschenlampenbatterie. Die philosphisch vorgebildeten Leserinnen und auch sonst intellektuell anspruchsvollen Leser werden schon gemerkt habe, dass Burks jetzt zwei wissenschaftliche Begriffe unterjubeln bzw. einführen will, mit Hilfe derer man gar trefflich die Welt interpretieren und verstehen kann:

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse (der Wikipedia-Eintrag ist ein Schmarrn), die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. (Quelle)

Also dieser „Überbau“, der hat es in sich – der ist fast so unangenehm wie diese pöhsen Trojaner, die – wenn man deutschen Medien glaubt -, so unangefragt auf meinen Rechner beamen. Der“ Überbau“ scheint es irgendwie verhindert zu haben, dass die Pharaonen Dampfmaschinen benutzten und die alten Römer Taschenlampen, obwohl sie mit Fußbodenheizungen offenbar keine Probleme hatten. Oder waren des jetzt die „Produktivkräfte“?

Um mit der Frage gleich ins Haus zu fallen: Wie und unter welchen Umständen und warum entsteht überhapt abstraktes Denken? Das eben wird vorausgesetzt, wenn wir jemals auf die Idee kämen, uns mit der Marxschen Werttheorie zu beschäftigen – was ich ja schon angekündigt habe. (Ich meine nicht die Fähigkeit der geschätzten Leserinnen und werten Leser abstrakt zu denken, sondern die, eine Theorie der Ware im Kapitalismus, des Gebrauchswerts und des Tauschwerts und was daraus alles folgt, entwickeln zu können. Das Theorem des Pythagoras ist ja auch nicht vom Himmel gefallen.)

Was wiederum vorausgesetzt wird, um die These zu verifizieren, man könne mit der marxistischen Lehre von der Ökonomie wunderbar erklären, warum es eine „Euro-Krise“, „Schulden-Krise“ gibt und ob was tun kann und wie das alles enden wird (ja was eigentlich ist „krisenhaft“ und wer hat die Schulden warum bei wem?).

To speak frankly (im Englischen hört sich das viel klarer an): Ich halte die „Wirtschaftsexperten“ und bürgerlichen Volkswirtschaftler fast allesamt für Scharlatane und interessegeleitete Esoteriker, deren Abstraktionsniveau und wissenschaftliches Instrumentarium, ökonomische Vorgänge im Kapitalismus zu erklären, nicht weiter entwickelt sind als das der katholischen Kirche im Mittelalter. Die sagen noch nicht einmal, welcher „volkswirtschaftlichen“ Schule – von denen es viele gibt wie schon zu Marx‘ Zeiten und die sich zum Teil diametral widersprechen – sie angehören. Mal kommt dieses in Mode, mal jenes, mal soll es der Markt radikal „richten“ wie unter Maggy Thatcher, mal soll der Staat wieder eingreifen zum großen Markteingriff. Wenn Chemiker so argumentierten, wäre vermutlich schon die halbe Welt entweder vergiftet oder weggesprengt worden. Und wenn ein Physiker oder Biologe so vage herumfaselte, würde er aus jedem Proseminar an der Uni geworfen.

Es ist sogar noch schlimmer: Das Wissen und die Methoden, die Gesetze des Kapitalismus nachzuvollziehen und zu begreifen und anderen zu erläutern, sind ja da. Sie ignorieren es. Aber man erwartet ja auch nicht vom Papst, dass er beweist, dass die Atheisten Recht haben und dass Götter nur Projektionen des Allzumenschlichen sind.

Da brüllt und schäumt jetzt das Kapitalismus-affine Publikum: Gesetze? Welche Gesetze? In der Wirtschaft?! Zu viele Variablen – die freidemokratische supersoziale Martkwirtschaft ist doch wie das Wetter: Einfach langfristig beobachten und sich je nach zu vermutender Witterung passend kleiden.

Nein, so ist es nicht. Ein Biologe würde kühl antworten: Wirtschaft ist kein Feuilleton, sondern Teil der Evolution, wie der Homo sapiens höchstderoselbst, und natürlich gibt es auch dort Gesetze, wie die Naturgesetze – also Phänomene, die man mit geeigneten wissenschaftlichen Methoden beoabachten und interpretieren kann. Zwar kann man auch in der Biologie oder in der Physik nicht vorhersagen, wann warum ein einzelnes Blatt vom Baum fällt, aber man weiss doch, was ein Wald ist und wie lange Bäume ungefähr leben und was passierte, wenn man ihn abfackelte. Doch welche Methoden sind geeignet? Doch nicht die, die „Wachstum“ und „Markt“ Und „Kapitalimus“ aka „soziale Marktwrtschaft“ wie Fetische oder Mumien der Ahnen singend und beschwörend vor sich her tragen und jeden, der das kopfschüttelnd kritisiert, ins soziale Abseits stoßen!

Übrigens streiten zwei Marxistische Schulen darüber, welche materiellen Voraussetzungen vorliegen müssen, damit abstraktes Denken möglich ist. In den Ländern des so genannten autoriären Staats“sozialismus“ wurde so etwas Anspruchsvolles oder gar ein wissenschaftlicher Streit nicht erlaubt; die Partei hatte immer recht und mochten die Parteibonzen auch intellektuell so einfach gestrickt sein wie ein Dackdecker aus dem Saarland. Die eine Schule, zu der etwa der britische Altphilologe George Derwent Thomson, der Philosoph und Soziologe Alfred Sohn-Rethel und Rudolf Wolfgang Müller („Geld und Geist. Zur Entstehungsgeschichte von Identitätsbewußtsein und Rationalität seit der Antike“) gehören, meint, dass in der ‚Realabstraktion des Warentausches‘ die „entscheidende Bedingung für den Erwerb formal-abstrakten Denkens“ liege. Um diese Abstraktion geht es übrigen in den ersten Kapiteln im Marxschen „Kapital“, das die Wertlehre darlegt.

Die andere – und in der Wissenschaft vergessene – Schule wird etwa vertreten durch Wolfgang Lefèvre, einen Weggefährten Rudi Dutschkes. Ich hatte als junger Student die Ehre und das Vergnügen, zu einem philosophischen Oberseminar Lefèvre eingeladen zu werden, das der Vorbereitung seiner Dissertation diente. Ich fühle mich dieser Denkrichtung zugehörig. Wir haben uns damals den Kopf zerbrochen, warum ausgerechnet im 17. Jahrhundert ein Newton die Mechanik entwickelte und nicht später oder früher. (Ich war damals zuständig für die Wirtschaft im Feudalismus und musste zum Glück Newton nicht lesen.) Kurz gesagt: Wir meinten im Gegensatz zu Sohn-Rethel, dass nur der Arbeitsprozess selbst abstraktes Denken ermögliche.

Da aber alle Leser dieses Blogs ohnehin schon weggezappt sind, wenn Opa aus dem Krieg erzählt Burks Anekdoten aus seinem Philosophie-Studium zum Besten gibt, will ich das nicht weiter ausführen. Es läse ja doch niemand.

Ich versichere aber glaubhaft, dass das obige verbal Gerüttelte und Geschüttelte etwas mit den nicht vorhandenen altägpytischen und römischen Dampfmaschinen und Taschenlampenbatterien sowie der Marxschen Wertlehre und der Wissenschaft von den Gesetzen des Kapitalismus und der „Schulden-Krise“ Griechenlands zu tun hat. Aber davon mehr in Kürze.

image_pdfimage_print

Christian Worch ist ausgestiegen

Der Neonazi Christian Worch ist ausgestiegen. Worch gilt als einer der Drahtzieher des militanten braunen Milieus. Der gelernte Notargehilfe ist seit einem Vierteljahrhundert aktiv. Worch organisierte nicht nur unzählige neonazistische Aufmärsche und andere Aktionen, sondern schrieb in seiner Freizeit Fantasy-Romane. Er definierte sich „bis zu einem gewissen erträglichen Maße liberal“ und „nicht im eigentlichen Sinne als Rassisten.“ In den letzten Jahren litt er unter Ischias und massiven psychosomatisch bedingten Schlafstörungen.

Über Christian Friedrich Worch sind unzählige Artikel geschrieben worden. Seine Online-Kaderakte listet detailliert auf, wo er sich in den letzten Jahren aus welchem Grund herumgetrieben und wem er vermutlich die Hand geschüttelt hat. Worch hat mit Gerhard Schröder etwas gemeinsam: Er ist ist ohne den leiblichen Vater aufgewachsen. Typisch für eine derartige Biografie ist die Hybris, die eigenen Grenzen und Fähigkeiten nicht realistisch einschätzen zu können. Sein Adoptivvater war Truppenarzt bei der Waffen-SS, er wurde verurteilt, weil er dem Kriegsverbrecher Klaus Barbie zur Flucht verholfen hatte. Später brannte dieser Herr, der nach dem Krieg in Hamburg weiter als Arzt praktizierte, mit einer Bildhauerin nach Italien durch. Der kleine Christian war damals sechs Jahre alt. Er wohnte bei seiner Mutter bis zu deren Tod 1990 – in Hamburgs Nobelviertel Pöseldorf. Der spätere Neonazi-Anführer mochte es immer besonders gern, wenn er unbelehrbaren Altnazis und „Vaterfiguren“ der rechten Szene zuhören konnte, wenn die von ihren Kriegsverbrechen schwärmten.

Worch, dem ein Gericht bescheinigte, er sei der Typ des „völlig uneinsichtigen und unbelehrbaren Überzeugungstäters“, ganz bescheiden über sich: „höchstens ein Prozent der Menschheit befindet sich auf meinem intellektuellen Niveau.“ Seine wenigen Stories – wie „Quadratur des Kreises“ und „Weltenwanderer“ – unter den Pseudonymen „Friedrich Könning“ und „Martin Neumann“ sind eher triviale Fantasy. Der Neonazi-Aktivist hat sich als Fan des deutschen Autors Hans Joachim Alpers geoutet, der das Genre „Shadowrun“ auch in Deutschland vertritt.

Worch erklärt sich seine weltanschauliche Verblendung zum Teil durch die Faszination, die die militärischen Erfolge Israels im Yom Kippur-Krieg auslösten. „Denn wie hat der Judenstaat es geschafft, sich mit drei Millionen Menschen gegen hundert Millionen Araber siegreich durchzusetzen?“ Und durch ein paar Mitschüler, die erfolglos versuchten, ihm marxistische Ideen schmackhaft zu machen. Damals habe er über die Macht von Ideen gelernt nachzudenken. Worchs politische Vorstellungen waren seitdem immer relativ vage. Passend zu seiner unrealistischen Selbsteinschätzung redete er meistens von „echter Handlungsfreiheit“ für Deutschland und davon, dass es keine „negativ besetzte Sonderrolle“ mehr spielen solle. Vermutlich meint er mehr sich selbst als sein Land.

Das alles erklärt natürlich gar nichts. Warum jemand wie politisch denkt und welche Probleme der Kindheit er vielleicht damit bewältigt, würde sich nur einem Psychotherapeuten erschliessen. Worch ist wirtschaftlich unabhängig und könnte sich auf eine Insel in der Karibik zurückziehen, wo man ihn nicht kennt und wo er vielleicht seine unglückliche Ehe aufarbeiten könnte. Warum er das nicht schon längst gemacht hat, sondern sich den Stress antat, als prominenter Neonazis ständig festgenommen und sonstwie traktiert zu werden, weiss niemand. Man kann vermuten, dass er sich als typischer Einzelgänger, zu dem er sich auch literarisch stilisierte, dort sein gesellschaftliches Prestige holte, wo das am leichtesten war: bei den braunen „Kameraden“, für die schon ein ordentlicher Hauptsatz eine intellektuelle Leistung ist. Insofern glich sein Verhalten – im psychologischen Sinne – dem Horst Mahlers.

Worch wurde in der letzten Woche kurz vor Mitternacht beobachtet, wie er aus einem Auto ausstieg. Experten vom Verfassungsschutz, die davon in der Zeitung lasen, meinen erkennen zu können, wo sein Motiv für diese Handlung zu suchen ist: Worch sei ausgestiegen – so ein hochrangiger Geheimdienstler -, um in seine Wohnung zu gehen, da er wegen seiner Ischias-Beschwerden ungern im Auto übernachtet.

Zuerst veröffentlicht am 1.4.2003 auf burks.de.

image_pdfimage_print

LKA Thüringen hat etwas zu verbergen

Welt online und MDR: Das Landeskriminalamt Thüringen findet seine eigenen Akten über eine Sonderkommission gegen „rechte Gewalt“ nicht mehr. Die Kommission sollte in den Jahren 2000 und 2001 zu der Nazi-terrorgruppe „Thüringer Heimatschutz“ ermitteln. Zu den Mitgliedern der Organisation gehörten auch die drei Neonazis, die später die Zwickauer Terrorzelle bildeten.

image_pdfimage_print

HTML-E-Mails

e-mail

Nein, ich lese meine E-Mail nicht in HTML, und die Pappnasen, die das Publikum dazu erziehen wollen, sollte man mit Fratzenbuch-Zwangsmitgliedschaft und Phishing mit nicht unter fünf Jahren bestrafen.

image_pdfimage_print

Kapitalismus, wie wir ihn alle lieben

Der frühere Barclays-Investmentchef Jerry del Missier erhält eine Abfindung von fast neun Millionen Pfund. Der Manager steht im Zentrum des Skandals um gefälschte Zinssätze.

Und jetzt zu etwas ganz anderem. Elf Prozent der Beschäftigten in Deutschland verdienten 2010 weniger als 8,50 Euro je Stunde.

image_pdfimage_print

Who to Follow

schlömer

image_pdfimage_print

The Dirty Tricks of Alternative Medicine

The Quackometer: „Drug manufactures finance a journalist who pillories critics of their products. For any conventional pharmaceutical company this would be regarded as a scandal. But the globules manufacturers see no problem in that, rather a ‚constructive dialogue'“.

image_pdfimage_print

Kapitalistischer Normalbetrieb

„Die Reduktion der Kapitalismuskritik auf die Banken (…) adelt die kapitalistische Ausbeutung in Fabriken und teil den Kapitalismus unwissenschaftlich in einen bösen raffenden und guten schaffenden. (…) Fast schon revolutionär wäre es, wenn das System nicht nur wegen seiner Krisen kritsiert würde, sondern wegen seines Normalbetriebs.“ ((Rainer Trampert: Das neue Akkumulationsmodell, in: Hermann L. Gremliza (Hg.): „No way out? 14 Versuche, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen“, S. 147)

image_pdfimage_print

トロイの木馬は現在、日本人である

Toroinomokuba wa genzai, nihonjindearu

Japanisches Finanzministerium: „Die Trojaner sind vermutlich als Anhänge von E-Mails in das Ministerium gelangt und wurden nicht von Antiviren-Software erkannt.“ (laut Heise)

Ach. „Vermutlich“. Die Trojaner mal wieder. Machen einfach, was sie wollen, die pöhsen. Sollte man das nicht verbieten, am besten auf Japanisch?

image_pdfimage_print

Kein Rechtsanspruch auf Demokratie

„Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ (Angela Merkel, 16. Juni 2005)

image_pdfimage_print

Das deutsche Wahlrecht ist verfassungswidrig

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht ist natürlich online verfügbar; ich frage mich, warum die Pappnasen in den „Online“-Redaktionen deutscher Medien nicht in der Lage sind, diese zu verlinken. (Ausnahme z.B: Welt Online)

Die Bildung der Ländersitzkontingente nach der Wählerzahl gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG ermöglicht den Effekt des negativen Stimmgewichts und verletzt deshalb die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien.
a) In dem vom Gesetzgeber geschaffenen System der mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl sind Überhangmandate (§ 6 Abs. 5 BWG) nur in einem Umfang hinnehmbar, der den Grundcharakter der Wahl als einer Verhältniswahl nicht aufhebt.
b) Die Grundsätze der Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien sind bei einem Anfall von Überhangmandaten im Umfang von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke verletzt.

Wieder eine Watsche. Die („Union und FDP hatten das neue Wahlrecht gegen den Willen der Opposition beschlossen. SPD, Grüne und mehr als 3000 Bürger klagten daraufhin in Karlsruhe.“) werden trotzdem weitermachen.

„‚Trotz einer großzügig bemessenen, dreijährigen Frist für den Wahlgesetzgeber, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, ist das Ergebnis – das ist übereinstimmende Auffassung im Senat – ernüchternd‘, sagte Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle nun. ‚Angesichts der Vorgeschichte des neuen Wahlrechts sieht der Senat keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren.'“

„Ernüchternd“ kann man auch übersetzen mit „epic fail“.

image_pdfimage_print

Und ewig grüsst das Botnetz

Ein Artikel von mir in der taz über Botnetze. Da dort die Links fehlen und mir mein Original und auch meine Überschrift besser gefallen als das, was in der taz zu lesen ist, hier mein Text:

Das drittgrößte Botnetz der Welt wurde abgeschaltet. Das verkündete Atif Mushtaq, ein IT-Experte von FireEye – das britische Unternehmen verkauft Firmen Sicherheitssoftware gegen „Cyberkriminalität“. Das so genannte Grum-Net soll für rund die Hälfte des weltweiten Aufkommens unerwünschter E-Mail-Werbung (Spam) verantwortlich gewesen sein.

Das Grum-Botnet wurde schon 2008 entdeckt und war spezialisiert auf E-Mails, die für pharmazeutische Produkte warben – fast immer für angebliche Potenzmittel. Botnetze sind von Malware infizierte Rechner, die von Spammern dazu benutzt werden, ungeheure Massen von E-Mails zu versenden oder die sogar in der Lage sind, Schadsoftware nachzuladen, damit der betroffenen Computer übernommen und missbraucht werden kann, ohne dass dessen Besitzer das merkt. Die zentralen Kommandoserver, die Befehle versenden, stehen oft in Ländern, die beim Kampf gegen Spam nicht unbedingt die Avantgarde bilden – beim Grum-Botnet etwa in Russland und Panama.

Botnetze können nur existieren, weil Server im Internet schlecht gewartet werden, weil private Nutzer sich nicht für Sicherheit interessieren oder sich auf den trügerischen Schutz von Anti-Viren-Software verlassen, und weil viel Software in Umlauf gelangt, deren Quellcode nicht offen („Open Source“) ist – die eine nützliche Funktion verspricht, in die aber auch eine Spionage- oder Schadfunktion eingebaut worden ist. Da sich die meisten privaten Nutzer kaum für Technik interessieren, gehört es zu den Standard-Funktionen der Malware, den Virenscanner des betroffenen Rechners zu umgehen oder abzuschalten.

Wie viele Computer Teil eines Botnetzes sind, kann niemand genau sagen – die Verlautbarungen der Anti-Viren-Software-Lobby suggerieren, dass ein Fünftel aller Rechner im Internet angeblich schon befallen seien. Das Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Nach Angaben von Vinton G. Cerf, einem der „Väter“ des Internet und „Google-Evangelist“, sollen es sogar ein Viertel aller Computer im Internet sein.

Die Sicherheitsfirma Symantec behauptete sogar, Cyberkriminalität wie Botnetze, Phishing-Attacken und der Versand trojanischer Pferde per E-Mail seien ein Exportschlager Deutschlands. Das kann an den im europäischen Durchschnitt schlechten oder gar nicht vorhandenen Internet-Kenntnissen der Nutzer liegen, an der hohen Verbreitung der für Malware-Attacken besondern empfänglichen mobilen Endgeräte wie Smartphones, und daran, dass so genannte „sozialen“ Netzwerke wie Facebook hierzulande beliebt sind. Diese sind indirekt besonders effektive Einfallstüre für schädliche Software, weil sie vom Nutzer verlagen und ihn dazu erziehen, die von Experten empfohlenen Sicherheits-Features – wie das Verbot „aktiver Inhalte“ – abzuschalten. Wer Datenspionage per default erlaubt, öffnet potentiell auch Einfallstore für bösartige Dateien, die den Rechner zum Teil eines Botnetzes machen können.

In den letzten Jahren häuften sich die Meldungen über „entscheidende Schläge“ gegen Botnetze – wie Srizbi, Rustock, Mega-D, Pushdo.A, Storm, and Waledac. Das Waladec-Botnetz sollte nach Angaben von Microsoft bis zu 1,5 Milliarden Spam-Mails täglich verschickt haben, das Rustock-Botnetz sogar bis zu rund 44,1 Milliarden. Obwohl diese Botnetze durch eine Kombination juristischer und technischer Aktionen lahmgelegt wurde, nahm die Zahl der unerwünschten Werbemails aber nicht signifikant ab.

Der Kampf gegen Spam ist ein Kampf gegen eine Hydra, die immer wieder nachwächst. Der Versand unerwünschter Werbung mit Hilfe eine Botnetzes ist ein erfolgreiches, effektives und kostengünstiges Geschäftsmodell. „Sie haben dreißig Trilliarden Dollar gewonnen – klicken sie hier!“ – „Ihr Konto wurde gesperrt und wenn sie nicht 100 Euro sofort überweisen, schalten wir ihren Rechner ab.“ Es gibt Leute, die tun alles, was man ihnen sagt. Da die menschliche Dummheit bekanntlich unendlich groß ist, wird es daher auch Botnetze unendlich lange geben.

image_pdfimage_print

Nach dem Joggen ist vor dem Joggen

burks

Meine ganz persönliche T-Shirt-Empfehlung sollte ja bekannt sein; auf dem obigen ist auch eine Maschinenpistole zu sehen.

image_pdfimage_print
image_pdfimage_print

Older entries