Unter Überhobenen

Marx

Karl Marx an Friedrich Engels vom 30. Juli 1862, MEW 30, S. 259

„Die moralische Selbstüberhebung jener Schicht, die sich selbst als links definiert, aber verständnislos und verächtlich auf Menschen herabblickt, die in nichtakademischen Berufen unser aller Wohlleben sichern, aber andere Lebensentwürfe und eine andere Weltsicht haben, für die Frauen Frauen sind und nicht Menschen, die menstruieren, die heimatverbunden sind und sprechen wollen, wie sie es gelernt haben.

Mit heiligem Zorn schreibt Wagenknecht von der Empathielosigkeit und dem Hochmut dieser elitären Minderheit, die sich in den Medien, Universitäten und Parteien etabliert hat und wie eine Dampfwalze über die Bedürfnisse, die Sprache und Lebensformen der Mehrheit hinwegrollt.

Gegnerschaften haben sich zu Feindschaften ausgewachsen, Gender- und Identitätspolitik sind zur Obsession geworden, und wer meint, darin eine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu erkennen, gilt den linken Identitären als rückwärtsgewandt, reaktionär, eben als rechts.“ (Monika Maron hinter der Paywall der Welt)

Ich halte diese Minderheit nicht unbedingt für elitär, sondern nur für opportunistisch und feige. An den Universitäten sitzt die Mittelklasse – und fast nur die. Warum nutzen die meisten Gewerkschaftsfunktionäre gegenderte Sprache, ohne ihre Mitglieder gefragt zu haben? Warum fast alle Medien? Weil sie nichts falsch machen wollen, weil sie ab Werk nicht die Eier den Mut haben, gegen den gefühlten Mainstream zu schwimmen. Weil ihnen der Mumm fehlt, in einer Menschenmenge zu rufen: „Der Kaiser ist nackt.“

Ich hatte 2014 schon etwas zum Thema geschrieben – die Links zeigen Irrsinn im Detail:

Wie Fefe berichtet, wollen Studenten der Berliner Humboldt-Universität Hegel, Rousseau und Kant nicht mehr behandeln.

Schon in den ersten Sitzungen kam die Frage auf, wieso wir denn Texte aus der Antike lesen sollten, also aus einer Zeit, in der Frauen unterdrückt und Menschen versklavt wurden.

Das Deutsch des Grauens spricht schon für sich: „…die Kolonialisierung unterstützte die Versklavung, Ausbeutung, Unterdrückung, Misshandlung und Ermordung von Menschen“. Ung, ung ung ung.“

image_pdfimage_print

Kommentare

12 Kommentare zu “Unter Überhobenen”

  1. Wolf-Dieter Busch am Juni 15th, 2021 1:19 pm

    Das Grauen des „ung“ tritt zurück hinter dem Grauen der fehlgerichteten Denkleistung.

  2. Wolf-Dieter Busch am Juni 15th, 2021 1:24 pm

    Lieber Burkhard, diese Fehlleistungen beim sprachlich sauberen Stil sind nicht im Vergleich zu den grammatischen Konstrukten des linken Straßenpublikums in den Siebzigern. Da fehlte nichts. Kein Attribut, kein Missstand, kein gar nix. Außer Kommata.

    Verglichen mit den Siebzigern sind wir – sprachlich – auf der Insel der Glückseligen.

  3. André Dreilich am Juni 15th, 2021 2:07 pm

    Ein gewisser Burks hat unter „Deutsch des Grauens“ vor geraumer Zeit geschrieben, dass ung-Worte erstens fast immer ersetzt werden können und dass zweitens der ungfreie Ersatz meist die bessere Wahl ist. Das habe ich mir verinnerlicht. Wenn ich von Kunden gelieferte Texte bearbeite, stelle ich immer wieder fest: Recht hat er, der Burks.

  4. Godwin am Juni 15th, 2021 3:29 pm

    Was immer und immer wieder interessant ist, ist der Umstand, dass die Auseinandersetzung darüber was eine linke Partei soll und sollte von Leuten geführt wird, die der Partei NICHT angehören, ihr NICHT nahe stehen, ihr NICHT wohlwollend gesinnt sind…

    DarübeR, dass die Auseinandersetzung nicht in der Partei stattfindet, kann man die Haare raufen.
    Aber es stellvertretend den hyänenhaften Feinden zu überlassen stellt m.E. KEINE Alternative dar…

  5. Elias am Juni 15th, 2021 3:34 pm

    »Verglichen mit den Siebzigern sind wir – sprachlich – auf der Insel der Glückseligen«

    Mitnichten sind wir das. Die Bleiwüsten der Linken in den Siebzigern waren schlimm, in der Tat, aber sie haben nicht den Sprachgebrauch der Bourgeoisie geprägt. Es ist erstaunlich, dass Menschen, die sich »links« verorten, nicht aufmerksam und nachdenklich werden, wenn ihre sprachlichen Beglückungsideen in der CDU, der SPD und der Vollkorn-CDU (bekannt als Die Grünen) gern aufgenommen werden. Ich lebe zum Beispiel in einer Stadt, in der die Stadtverwaltung genderneutral schreiben muss.

    Andere Schreibregeln und Wörter sind ja auch viel billiger für die Herrschenden und Besitzenden als eine andere Gesellschaft. Sie lassen alles beim Alten. Das ist die gleiche bürgerliche Blenderei, mit der hier in meiner wunderschönen Stadt gerade ganz viel »Infrastruktur für Radfahrende« geschaffen wird, indem man massenhaft rote Farbe auf die Straßen kippt. Ohne weitere bauliche Maßnahmen, versteht sich.

    Aber immerhin sieht man nach den Unfällen das Blut nicht mehr.

  6. Die Anmerkung am Juni 15th, 2021 3:51 pm

    https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/be/18/18473.pdf

    Franz Kerker (AfD) wollte im April 2019 die Karl-Marx-Allee wegen Paul Lafargue umbenennen lassen, hat mit der Karl-Marx-Straße offenbar keine Probleme oder keine Ahnung, daß es die gibt.
    —–
    Die Karl-Marx-Allee, die sich über die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte erstreckt, erhielt 1961 Ihren Namen und löste damit den damaligen Straßennamen „Stalinallee“ ab.

    Für die Umbenennung der Karl-Marx-Allee liegt aktuell kein Antrag vor. Daher wurden Notwendigkeit und Möglichkeit einer Umbenennung noch nicht geprüft.

    Die Gründe, wann eine Straße umbenannt werden kann, sind im Berliner Straßengesetz und seiner Ausführungsvorschrift klar efiniert.

  7. Die Anmerkung am Juni 15th, 2021 4:14 pm

    Der ‚jüdische Nigger‘ Lassalle. Marginalie zu einem Brief von Karl Marx
    Hund, Wulf D.
    In: Sozial.Geschichte Online / Heft 24 / 2018

    Doch tatsächlich sind die hier formulierten Diskriminierungen mehr als ein Ausbruch bloßer Idiosynkrasie. Sie zeugen von unkritisch benutzten rassistischen Stereotypen und enthalten Hinweise darauf, warum sich Marx nie ernsthaft mit einer Kritik des Rassismus befasst hat.

    Die von ihm gewählten Formulierungen sind nämlich auf mehreren Ebenen angesiedelt. Zu ihnen gehört neben konkretem Anlass und persönlichem Kontext auch das zeitgenössische rassistische Wissen. Es verband nicht zuletzt die Stigmatisierung von Juden mit deren angeblich unheilvoller Rolle in der Geldwirtschaft und die Diskriminierung von Schwarzen mit der ihnen vom Fortschrittsdenken zugeschriebenen zurückgebliebenen Entwicklung.
    —–
    Ich finde es immer wieder spannend, wie man mit der moralischen Entrüstung des Jahres 2018 die Privatkorrespondenz von 1863 entschlüsseln kann. Habe ich noch nie verstanden wie das geht. Das kann aber daran liegen, daß ich kein professoraler Soziologe und Gutbürger bin.

    Falls jemand die zeit für die knapp 30 Seiten Text hat, ich wäre über eine Mitteilung zum intellektuellen Gehalt erfreut. Beim Überflug habe ich keinen entdecken können.

  8. Herbert Eisenbeiß am Juni 15th, 2021 6:10 pm

    Solche Studenten, die sich fragen wieso sie überhaupt so altes Zeug lernen müssen, gibt’s auch in Physik.

    Da gingen in einem Erstsemester – Mechanik – mal eine Abordnung zu dem Prof hin und fragten den, ob sie echt so altes Zeug lernen müssten und wieso man nicht gleich mit dem aktuellen anfangen würde.

    Dann machte er in der nächsten Sitzung eine Probeklausur mit einigen Standardaufgaben der Mechanik, und sie alle versagten.

    Darauf sagte der Prof dann zu denen bei der Präsentation der Ergebnisse: „Wie wollen Sie die moderne Physik begreifen, wenn Sie nicht mal die aus dem 16. und 17. Jahrhundert begreifen?“ Danach war dann Ruhe.

  9. Otto Ritter am Juni 15th, 2021 8:36 pm

    Ich denke daß ein gewisser Hr. Sorros (Philantrop!?) hinter der weitgehenden Verblödung der sogenannten /akademischen Linken/ steckt. Den er fördert systematisch alles was sich einer vorgeblichen linken Befreiung widmet aber sich in eine Entfesslung der kapitalen Klasse bzw. der Wiedererrichtung der /gleichen!/ Monarchie umwandeln lässt.
    Die angeblichen 3 Mrd. Taler hat er m.m.n. nicht bei Spekulationen gegen die Bank of England !gewonnen, sonder die sind ihm auf diese Weise elegant überwiesen worden um ein langfristiges Werk der Denunziation jeglich genuin marxistischen Gedankens zu vollbringen.
    Habe die Ehre
    Otto Ritter
    links unten auf Ihrem BT-Wahlzettel in FH-XBerg

  10. Corsin am Juni 15th, 2021 10:52 pm

    @Herbert Eisenbeiß

    Machen wir uns nichts vor: wir leben in einer Zeit vergleichbar der späteren Römischen Kaiserzeit, in der die Esoterik die Wissenschaft ablöste.

    Zwischen den exakten Karten der augustäischen Zeit und den folgenden kindisch wirkenden christlichen OT-Karten liegen nur wenige Jahrhunderte.

    Heute geht es natürlich viel schneller.

  11. flurdab am Juni 16th, 2021 7:32 am

    Karl Marx, voll auf meiner Linie.
    Es gibt eben Vorbehalte und Vorurteile, jeder nutzt diese.
    „Rassismus“ ist im Menschen angelegt.
    Schön das es politische Strömungen/ Thinktanks gibt, die dieses für sich nutzbringend anwenden können.
    Kapitalismus -> Wichstum, Wichstum, Wichstum

  12. Struppi am Juni 21st, 2021 10:41 am

    Mir graut es ebenfalls bei soviel Selbstüberschätzung in Verbindung mit einer völligen Ignoranz gegenüber der Geschichte. Frag mich aber immer öfters, ob wir (Ü40 jährigen) hier nicht einfach den immer währenden Generationswechsel erleben. Das dieser nicht grundsätzlich etwas Gutes bedeutet könnte man auch Wissen wenn man die Geschichte betrachtet, aber diese Wechsel sind unvermeidlich und immer mit solchen Debatten verbunden.

    Oder kurz gesagt: da müssen wir durch.

    Auf der anderen Seite sagt mein verschwörungstheoretisches Inneres das diese Umbrüche durch gut funktionierende PR gesteuert und gewollt sind. Dann müsste es aber auch definierte Ziele geben. Die kennen am ehsten Mitarbeiter von Scholz, Edelman oder anderen PR Agenturen, aber die werden es uns nicht sagen.

Schreibe einen Kommentar