Potemkin läßt grüßen

Alles Wirkliche sei vernünftig, meinte der deutsche Philosoph Hegel im letzten Jahrhundert. Damals gab es den Verfassungsschutz noch nicht, eine wirklich überflüssige Behörde mit gefährlichen Wirkungen auf Journalisten und Politiker.

Die Medien werden auf den VS ungern verzichten wollen: Wen sollte man sonst zum Beispiel zum Thema Rechtsextremismus interviewen? Die Journalisten sich gegenseitig? Und von wem sonst sollten sich die Politiker Meinungen zuarbeiten lassen? Der Ruf nach dem Verfassungsschutz, um Neonazis, Drogendealer, Sekten, Russenmafia, organisierte Kriminalität (Zutreffendes bitte ankreuzen) auszuspionieren, ist Wortgeklingel, wenn Politiker zeigen wollen, daß man hart durchgreift.

Doch in Wahrheit hat der VS nicht mehr, sondern weniger Ahnung als die Journalisten. Das kann gar nicht anders sein: Die Behörde beobachtet jene, die sie für die Feinde der Demokratie hält, hat aber keine polizeilichen Befugnisse, darf also zum Beispiel weder Wohnungen durchsuchen noch Briefe öffnen. Und was wann und wie genau beobachtet wird, ist eine Frage der politischen Opportunität: Die militante Naziszene wurde erst nach Mölln und Solingen, Hoyerswerda und Rostock genauer beobachtet. Noch ein Jahr zuvor hatte der VS in seinen Berichten Entwarnung gegeben.

So bleiben der Behörde an Informationsquellen die Zeitungen, Observationen und Spitzelberichte. Die Verfassungsschützer informieren sich also vornehmlich bei den Journalisten, die über Neonazis schreiben, und werden im Gegenzug von denen zum Thema Rechtsextremismus befragt.

Und die Spitzel? Seitdem es den VS gibt, reiht sich ein Skandal an den anderen. Wozu die Behörde trotz der formal vorhandenen parlamentarischen Kontrolle fähig ist, zeigte sich spätestens 1978: Die Verfassungsschützer sprengten ein Loch in die Mauer der Justizvollzugsanstalt Celle, um eine versuchte Gefangenenbefreiung vorzutäuschen. Der damalige Abgeordnete Jürgen Trittin sprach im Landtag von einem „Lockspitzelsystem“, mit dem „keine Straftaten verhindert oder aufgeklärt, sondern versucht wurde, Dritte zu Straftaten anzustiften“.

Genau das passierte auch in der neofaschistischen Szene. Die Neonazi-Partei „Nationalistische Front“ wurde 1983 mit Geldern aufgebaut, die der Verfassungsschutz dem V-Mann Norbert Schnelle zahlte, der sich nur zum Schein hatte anwerben lassen. Ein V-Mann des niedersächsischen Landesamtes, Hans-Dieter Lepzien, baute höchstpersönlich die Bomben, die Neonazis 1977 vor Justizgebäuden plazierten. Der V- Mann Werner Gottwald orderte Maschinenpistolen, Handgranaten und Plastiksprengstoff für die rechte Szene.

1993 bezahlte der VS den V- Mann Michael Wobbe dafür, Sicherheitschef der NF zu sein und in deren Namen Neonazi-Kameradschaften aufzubauen. Mehrere Jugendliche wurden in Füssen verurteilt, weil Wobbe sie aufgehetzt, geschult und sie nach getaner „Arbeit“ verpfiffen hatte, gemäß seiner Aufgabe. Der Solinger V- Mann Bernd Schmitt integrierte Jugendliche in die rechte Szene und bildete sie in seiner Kampfsportschule aus, was ohne ihn nicht geschehen wäre. Während der nordrhein-westfälische VS den Spitzel Schmitt für „nachrichtenehrlich“ hielt, wurde bekannt, daß der sich seine Kampfsporttitel zusammengelogen hatte. Und Wobbe informierte das niedersächsische Landesamt darüber, daß die NF schon Wochen vor ihrem Verbot Bescheid wußte und alle verfänglichen Materialien auslagern konnte. Das hinderte den damaligen Innenminister Seiters nicht daran, mit großem Getöse und fernsehgerecht das Hauptquartier der Nazipartei stürmen zu lassen. Potemkin läßt grüßen.

Und wie stark wären die Nazis ohne die vom Staat finanzierten Spitzel? Das alles sind keine Ausrutscher, es hat System. Ein V- Mann bekommt mehr Geld, je mehr und je bessere Informationen er liefert. Mehr Informationen bekommt ein Spitzel, wenn er in der Hierarchie der braunen Szene aufsteigt. Ein guter Spitzel ist ein guter Nazi. Wenn das System der V-Männer irgendeinen Sinn ergäbe, wüßte der VS mehr über die Pläne der militanten Rechten als die Journalisten. Doch das ist nicht der Fall: Noch nie ist eine gewalttätige Aktion verhindert worden, weil der Verfassungsschutz gewarnt hätte.

Der Berliner Verfassungsschutz hatte noch nicht einmal einen blassen Schimmer davon, daß mit Kai Diesner ein potentieller Killer in der Stadt herumlief, obwohl der seit einem halben Jahrzehnt politisch aktiv war. Mag sein, daß man so etwas nicht ahnen kann. Wenn man aber nichts vorhersehen kann, wenn die Behörde konspirative Gruppen wie Diesners „Weißen Arischen Widerstand“ nicht ausspähen kann, wozu dann eine große Behörde?

Offenbar verdankt die ihre Existenz nur der Tatsache, daß die Experten Zeitungsmeldungen ausschneiden und sie fein säuberlich geordnet den Politikern vorlegen, damit die bei öffentlichen Auftritten intellektuell gewappnet sind. Die öffentlichen Auftritte der Experten des VS kann man getrost vergessen: Zwar wirkt in Deutschland eine Behörde immer seriös, ganz gleich, was deren Sprecher zu sagen haben, mehr als wackliges Zahlenmaterial hat der VS zum Thema Verfassungsfeinde meist nicht zu bieten. Das könnte die Polizei auch liefern.

Gibt es irgend etwas, wozu der Verfassungsschutz nützlich ist? Sollen die Landesämter in direkte Konkurrenz zur Sozialarbeit treten, indem, wie in Brandenburg, die Gelder der Behörde direkt an Jugendclubs fließen? Ist das Motto „sponsored by Verfassungsschutz“ eine neue Art vertrauensbildender Maßnahme, um die Verfassung vor ihren jugendlichen Feinden zu schützen?

Man muß, will man die überflüssige Behörde auflösen, keine Arbeitsplätze vernichten. Die Behörde könnte den Landeskriminalämtern bzw. dem Staatsschutz zugeordnet werden und verfügte dann auch über rechtliche und technische Mittel, sich sachkundig zu machen. Niemand müßte mehr Spitzel motivieren, etwas „anzuleiern“, um dem jeweiligen V-Mann- Führer zu imponieren und die Honorare abzusichern.

Der Verfassungsschutz muß abgewickelt werden. Er kann dem Dilemma nicht entrinnen, an dem auch die Quantenphysik sich die Zähne ausbeißt: Das beobachtete Objekt verändert sich durch den Akt des Beobachtens. Oder mit Hegel: Alles, was ist, ist wert, daß es zugrunde geht.

Diesen Kommentar habe ich am 15.03.97 für die taz geschrieben. Man kann ihn heute wieder veröffentlichen. Es hat sich nichts geändert, und es wird sich auch nichts ändern. Der öffentliche Diskurs zum Thema „Rechtsextremismus“ benutzt seit 20 Jahren immer dieselben sinnfreien Textbausteine. Also verschont mich mit dem Gefasel.

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Kommentare

10 Kommentare zu “Potemkin läßt grüßen”

  1. ninjaturkey am November 15th, 2011 4:37 pm

    (sorry, ich schon wieder)

    »…Diesen Kommentar habe ich am 15.03.97 für die taz geschrieben. Man kann ihn heute wieder veröffentlichen…«

    Habe gestern zufällig mal wieder „Super oder normal“ von 1981 (!) von Erich Rauschenbach gelesen. Das hätte er genau so gut letzte Woche veröffentlichen können und jede Pointe säße.

    Soll uns das etwas über unseren „intellektuellen“ Widerstand sagen?

  2. hh am November 15th, 2011 7:32 pm

    VS- eine Installation der Siegermächte und wo sollten die devoten Nazis sonst unterkommen ?
    Schnüffelgroup sophisticated until today.

    Dass die Kanzlerin vom Blatt abliest ist allen klar.
    Dass der Schrieb frisch aus U.S.A. vom CIA gefaxt wurde den wenigsten.

    Dabei kann man sich ja kundig machen, wie man verarscht wird.
    UND nebenbei fernsehen, was immer da laufen mag in
    den Wohnstuben.

    Gehlen und Co hatten eine feine Zeit.

  3. esox am November 15th, 2011 10:30 pm

    f. küppersbusch hat auch mal vor nem jahrzehnt gefordert, einfach mit der mehrheit der v-maenner die aufloesung der npd zu beschliessen.

  4. Michael am November 16th, 2011 3:29 am

    Es könnte übrigens sein, daß Hegel das Zitat hier geguttenbergt hat:

    „Ich bin der Geist, der stets verneint!
    Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
    Ist wert, daß es zugrunde geht;
    Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.
    So ist denn alles, was ihr Sünde,
    Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
    Mein eigentliches Element.“

    (Mephisto in Goethes Faust I, 2. Studierzimmerszene)

    Mephisto war eh immer meine Lieblingsfigur in diesem Werk. :)

  5. Brösel am November 16th, 2011 9:34 am

    Es sieht wohl so aus als wenn der VS von der rechten Szene geführt wurde. Soviel V-Leute und nichts relevantes wurde gemeldet.
    Es wird Zeit das die Puschenleute beim VS gehen, am besten alle. Die Geheimdienste Kooperieren mit der Exekutive. Schön aber können so nicht missliebige Leute enorme Schwierigkeiten bereitet werden? Ich erinnere an die Internetseite kawum. Ich bezweifle das eine Staatsanwaltschaft diese Seite von sich aus gefunden hat. Aber durch V-Leute über den VS zum LKA ist ein Weg der nie bekannt werden wird.
    Deshalb ist dieses System der V-Leute und der VS abzuschaffen. Er ist überflüssig wie ein Kropf.

    Wenn jemand ein Link auf kawum setzen will sollte er es tun.

  6. altautonomer am November 16th, 2011 10:23 am

    Danke für diesen hochinformativen Text. Da ich schon lange nicht mehr in autonomen Zusammenhängen stecke, ist Vieles für mich neu …….und ehrlichermassen überraschend.

    Darf man daraus kopieren oder damit argumentieren?

  7. Wolfgang T. am November 16th, 2011 11:23 am

    Polizeigewerkschafter stellt Verfassungsschutz infrage
    Vorsitzender Wendt kritisiert Methoden der „Riesenbehörde“
    bei dradio

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1605542/

    Er fordert auch die olle Kamel Vorratsdatenspeicherung

  8. admin am November 16th, 2011 12:53 pm

    Wendt will Polizei und Geheimdienst zusammenführen. Das hatten wit auch schon mal.

  9. fk am November 16th, 2011 11:15 pm

    also, dass jemand der so differenzierte, nüchterne und informative texte schreibt, gleichzeitig immer noch hoffnungen in eine piratenpartei steckt, das erstaunt mich doch jedes mal erneut.

    nichts desto trotz, danke für den beitrag. da scheint ja doch noch ein funken intelligenz im internetz der globalisierten banalitäten vorhanden zu sein. es lebe das prinzip hoffnung!

    hgfk

  10. Die Politik & der Terror am November 20th, 2011 2:35 pm

    […] […]

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