Im Krieg

violence
extreme violence; among indigenous people, jungle –no animals –ar 3:2 –s 750

Gerade angefangen zu lesen: Pierre Clastres‘Archäologie der Gewalt.

Entgegen der Auffassung, daß Staatenbildung den notwendigen Endpunkt der Entwicklung menschcher Gesellschaften darstellt, entwickelt Clastres die These, dass manche Stammesgesellschaften Gewalt nach außen systematisch praktizieren, gerade um zu verhindern, dass sich in ihrem Inneren das „kalte Monster des Staates« erhebt — und dass sie einen personalisierten Träger der Gewalt im Inneren zugleich nicht kennen. Seine ebenso überraschende wie radikale Erkenntnis: die primitive Gesellschaft ist eine Gesellschaft im permanenten Kriegszustand. Die aktiv ausgelebte Feindschaft gegenüber anderen Gruppen verhindert die politische Fusion und garantiert die Autonomie der (Klein-)Gruppe und ihren Fortbestand in ungeteilter Totalität. Der Staat hingegen wirkt seit jeher als Vereinheitlichungsmaschine zur Unterdrückung kleinteiliger Gruppen und zur Tilgung jeglicher Differenz.

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Das verspricht eine spannende Lektüre zu werden…

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Einen Steifen verpassen

ursula andress

Auf die Frage, warum sie für den Playboy strippe, sagte Ursula Andress: »Weil ich schön bin.« Es liegt eine gewisse Art boshaften feministischen Triumphalismus darin, chancenlosen Männern vor Augen zu führen, was sie nicht haben können, und den mag man sogar bewundernswert finden. Doch verhält es sich nicht mehr ganz so einfach, wenn das schwammige Wort »Empowerment« ins Spiel kommt. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass das einzige, was man »empowered«, wenn man seine Titten öffentlich zur Schau stellt, Erektionen sind. Glaubt bloß nicht, dass ihr das Patriarchat erschreckt, wenn ihr jemandem einen Steifen verpasst, wie es einige der dümmeren Millennial-Mädchen tun. (Julie Burchill: Willkommen bei den Woke-Tribunalen: Wie #Identität fortschrittliche Politik zerstört)

Woke Bros.

woke tribule „In den letzten Jahren haben sich die klügeren Feministinnen vor den Woke Bros. in Acht genommen: vor Männern nämlich, die sich als Feministen aufspielen, um Frauen in Sicherheit zu wiegen, sich dann aber wie unverbesserliche Widerlinge verhalten.

Im liberalen Hollywood konnte sich eine Kreatur wie Harvey Weinstein im Verborgenen halten, weil er für feministische Zwecke spendete, Clinton unterstützte und Obamas jugendlicher Tochter einen Praktikantenjob gab.

Wahrscheinlich waren die Suffragetten die ersten Feministinnen, die zu dem Schluss kamen, dass schwächliche Männer ihnen ebenso feind sein konnten wie offensichtlichere Macho-Typen, obwohl sie nicht einmal die nützlichen Eigenschaften traditioneller Männlichkeit besaßen.“ (Julie Burchill: Willkommen bei den Woke-Tribunalen: Wie #Idenität fortschrittliche Politik zerstört)

Der Kaiser ist nackt und trägt Damenunterwäsche

tagespost Ausriss

Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich mal eine Zeitung zustimmend zitieren würde, die sich auf Leser spezialisiert hat, die eine spezielle Form höherer Wesen verehren. Hier die katholische Tagespost und ein Artikel der rechtseinschlägig bekannten Birgit Kelle:

Es ist eine Farce, die sich gerade in Deutschland abspielt.

Der Kaiser ist nicht nackt, er trägt jetzt Damenunterwäsche und behauptet eine Frau zu sein. Irgendwann werden wir auf diese Episode der Geschichte zurückblicken und uns fragen, wie es passieren konnte, dass damals eine Handvoll Männer mit einem Fetisch für Damenkleidung und einem Hang zum Exhibitionismus nicht nur echte Transmenschen mit einer leidvollen Geschichte ins Lächerliche ziehen konnten, sondern ein ganzes Land dabei brav applaudierte, als gäbe es kein Morgen, während es sich gegenseitig seine neue Lieblingspronomen zurief.

Ich kenne die Antwort: Feigheit und Opportunismus. Man möchte um’s Verrecken zu den gefühlt Guten gehören und nimmt dafür jeden Irrsinn in Kauf. Christian Andersens Kunstmärchen „Der Kaiser ist nackt“ verkündet eine ewige Wahrheit.

Gegenwärtige Vergnügen für kurzlebige, schwache Geschöpfe

constantinople

Mit großem Vergnügen habe ich jetzt Lady Montagus Briefe aus dem Orient gelesen. Mary Wortley Montagu (1689-1762) war eine außergewöhnliche Frau, hoch gebildet, witzig, neugierig, kosmopolitisch, und gehörte zur intellektuellen Elite Europas im 18. Jahrhundert.

Ich finde das Gefühl seltsam, wenn man sich vorstellt, man könnte mit jemandem, der vor zweieinhalb Jahrhunderten gelebt hat, heute ohne Probleme diskutieren. Das denke ich auch zum Beispiel über den scharfsinnigen Lichtenberg. Was unterscheidet uns von denen? Sind wir gebildeter, wissen wir mehr über die wichtigen Dinge?

„Ich wohne an einem Ort, der vom Turm zu Babel eine rechte Vorstellung gibt: in Pera spricht man türkisch, griechisch, hebräisch, armenisch, arabisch, persisch, russisch, slowenisch, walachisch, deutsch, holländisch, französisch, englisch, italienisch, ungarisch, und, was das schlimmste ist, lady montagues werden zehn dieser Sprachen in meinem eigenen Hause gesprochen. Meine Stallknechte sind Araber, meine Bedienten Franzosen, Engländer und Deutsche, meine Amme eine Armenierin, meine Hausmädchen Russinnen, ein halbes Dutzend andere Bediente Griechen, mein Haushofmeister ein Italiener, meine Janitscharen Türken, so dass ich diese Vermischung von Lauten in einem fort höre. Bei den Eingeborenen bringt das hier eine seltsame Wirkung hervor, denn sie lernen diese Sprachen alle zur gleichen Zeit, ohne eine einzige genug innezuhaben, um darin zu lesen oder zu schreiben. Man findet hier wenig Männer, Weiber oder selbst Kinder, die nicht in fünf oder sechs Sprachen eine ganze Reihe Wörter wissen, Ich kenne selbst Kinder von drei oder vier Jahren, die italienisch, französisch, griechisch, türkisch und russisch reden. Letzteres lernen sie von ihren Ammen, die größtenteils aus diesem Lande sind, Dies scheint Ihnen unglaublich? Das ist es auch nach meiner Meinung, eines der seltsamsten Dinge eines Landes, und es vermindert das Verdienst unserer Damen sehr, die sich für außerordentliche Genies ausgeben, wenn sie in dem Ruf einer ganz seichten Kenntnis vom Französischen oder Italienischen stehen.“

Constantinople

„Fast bin ich der Meinung, dass sie [die Türken] einen richtigeren Begriff vom Leben haben. Sie verbringen es im Garten, bei Musik, Wein und Leckerbissen, indes wir unser Gehirn mit politischen Entwürfen martern oder einer Wissenschaft nachgrübeln, die wir nie erfassen können, oder, wenn wir auch dahin gelangen, können wir die anderen nicht dazu überreden, denselben Wert darauf zu lesen wie wir. Gewiss, was wir fühlen und sehen, ist eigentlich unser Eigenes, wenn man das überhaupt von etwas sagen kann. Allein die Güter des Ruhmes, die Torheit des Lobes werden mühselig erkauft, und wenn man sie hat, bleiben sie immer eine arme Belohnung für Zeitverlust und Gesundheit. Wir sterben oder werden alt, ehe wir die Früchte unserer Arbeit ernten können. Venn man darüber nachdenkt, was für kurzlebige, schwache Geschöpfe die Menschen sind, gibt es dann für sie irgendein wohltätigeres Studium als das des gegenwärtigen Vergnügens?“

Workspace in burning daylight

workspace

Da ich jetzt drei Wochen Frühschicht vor mir habe dergestalt, dass ich um 4.20 Uhr aufstehen muss, macht es nichts, das schon an einem Sonntag zu trainieren und sich um sieben aus dem Bett zu bewegen. Mein Schreibtisch sieht dann heimelig aus, zumal der Bauch mit heißem Kaffee gefüllt ist. Ich muss manchmal an eines meiner Lieblingsbücher aus der Jugendzeit denken, das ich mit 14 von meinen Großeltern geschenkt bekommen habe: Jack Londons Lockruf des Goldes. Das Buch habe ich unzählige Male gelesen.

„Der Raum hatte durch sein Kommen gleichsam eine andere Atmosphäre erhalten. Er schien ihn ganz mit seiner Lebensfreude zu füllen. Wer von der Straße hereinkam, spürte es sofort, und als Antwort auf alle Fragen deuteten die Barkeeper nur nach hinten und erklärten: »Burning Daylight ist losgelassen.« Und die Leute blieben, und das Geschäft blühte. Das Spiel kam in Gang, bald waren alle Tische besetzt, und das Klirren des Jetons und das eintönige Surren der Roulettkugel übertönte gebieterisch den heiseren Lärm von Männerstimmen, Flüchen und schwerfälligem Lachen.

Wenige kannten Elam Harnish unter einem anderen Namen als Burning Daylight – den Namen, den man ihm in der ersten Zeit des Landes gegeben hatte, weil er seine Kameraden mit den Worten »Das Tageslicht brennt« aus den Betten zu jagen pflegte. Von den Pionieren in jener fernen arktischen Wildnis, wo alle Männer Pioniere waren, wurde er zu den ältesten gezählt.“

Das Buch ist Pflichtlektüre für Pubertierende heranwachsende Männer. Auch Abenteurer des Schienenstrangs hat mir besser gefallen als der „Seewolf“. Später habe ich dann alles andere von London gelesen.

Mehr Stoff

bücher
Die Links gehen zur Großbourgeoisie

Julie Burchill: „Willkommen bei den Woke-Tribunalen: Wie #Identität fortschrittliche Politik zerstört“, 2023.

Christian Frevel: Geschichte Israels. „Dieses Studienbuch stellt die „Geschichte Israels“ von den Anfängen bis zum Bar-Kochba-Aufstand 132-135 n. Chr. dar.“ Ich bin mal gespannt, ob Frevel so frevelhaft argumentiert wie Israel Finkelstein in „Keine Posaunen vor Jericho: Die archäologische Wahrheit über die Bibel“. Das wird ein interessanter Vergleich. Das Buch soll das Standardwerk zum Thema sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein „Studienbuch Theologie“ wie Finkelstein, der Archäologe ist, behauptet, dass es weder den Exodus aus Ägypten noch eine „Eroberung“ Kanaans noch ein Königreich Davids gegeben habe. Dann könnten die Theologen ja gleich einpacken und den Beruf wechseln.

Alexandre Simon Stefan: „Die Trajanssäule“, 2020. Das Buch ist sauteuer, steht aber schon seit Jahren auf meine Wunschliste. Ich hatte noch Geld von meinem geplanten Reisebudget übrig und musste es mir selbst schenken. Es ist auch das einzige Buch, das die Bilder (2500 Figuren!) im Original zeigt und wissenschaftlich einordnet. Man müsste ansonsten nach Rom reisen und eine Drohne fliegen lassen, was vermutlich nicht erlaubt ist. (Das Buch wiegt 3 Kilo und 200 Gramm.)

Evening Vibes

Kann mir jemand sagen, welches Stück da abgespielt wird? (Tel Aviv, Oktober 2023)

German journalists love this stuff

tuvia teenenbom
Screenshot aus „Catch The Jew!: Eye-opening education“ (Kindle-Version)

Aus Tuvia Tenenboms „Catch The Jew!: Eye-opening education“ – Tenenbom interviewt den arabischen „Palästinenserführer“ Jibhril Rajoub, der für Arafat gearbeitet hat, Chef des Geheimdienstes Palestinian Preventive Security war und auch Präsident der Palestinian Football Association ist. Die Pointe: Rajoub weiß nicht, dass Tenenbom Jude ist, sondern denkt, der sei ein deutscher Journalist mit dem Namen „Tobi“.

„I was and will remain devoted to the cause of the Palestinian people,“ he says in the clearest of language, adding: „Equal rights for women is for me a commitment. I am trying. I hope that the other side [Israel] understands the dimension of what we’re doing and opens a bridge” for both of them to walk on.

Bullshit. I know it, he knows it, but he has to say this. How did we get into equal rights for women here? Part of the bullshit. German journalists love this stuff, and so he feeds it to me.

France is perfume. Germany is Mercedes. The USA is McDonald’s. What is Palestine?

„It’s enough that Christ was born here in Palestine, it’s enough that we have al-Aqsa, it’s enough that Palestine is sacred for three religions: Judaism, Christianity, and Islam.

Jibril, enjoying his game, keeps at it. There were many wars in Europe, he says, but in this place Christ was born, and he „spread love and peace.“

More bullshit. Jibril is no Christian, and to Muslims Jesus was a prophet, no Christ, but Jibril knows that a good European Christian like me would be impressed by it, and so he says it.

He, the Master of Masters really believes me that I’m a German Christian. I’m good!

Schöne, nackte Weibsbilder in verschiedenen Stellungen

Jean-Léon Gérôme
Bilder: Jean-Léon Gérôme (1824-1904): Frauen im Harem-Bad

„Die niedrigen Sofas waren mit Kissen und reichen Teppichen bedeckt, auf welchen die Damen saßen. Die erhöhten Sofas hinter ihnen sind für ihre Sklavinnen, doch alle ohne Unterschied des Ranges in ihrer Kleidung, alle waren im Stande der Natur, das heißt in klaren Worten mutternackend, keine Schönheit, keine Ungestalt verdeckt. Und doch sah ich nicht das geringste üppige Lächeln oder eine ungesittete Stellung. Sie bewegten sich, sie wandelten mit eben der majestätischen Anmut, die Milton unser aller Stammmutter beilegt. Viele waren mit solchem Ebenmaß gebaut, wie je eine Göttin durch den Pinsel eines Guido [Reni] oder Tizian gemalt worden ist. Die meisten mit blendend weißer Haut, von nichts als ihren schönen Haaren geziert, die in viele Zöpfe zerteilt über ihre Schultern herunterhingen und entweder mit Perlen oder mit Bändern durchflochten waren, vollkommene Bilder der Grazien.

Jean-Léon Gérôme

Hier ward ich von der Wahrheit einer Beobachtung überzeugt, die ich oft gemacht habe: dass, wenn es Mode wäre, nackend zu gehen, man schwerlich auf das Gesicht achten würde. Ich bemerkte, dass die Damen mit der zartesten Haut und schönsten Leibesgestalt auch den größten Anteil an meiner Bewunderung hatten, obschon ihre Gesichter bisweilen weniger schön waren als die ihrer Gesellschafterinnen. Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, war ich boshaft genug, im geheimen zu wünschen, dass Mr. Jervas hier unsichtbar zugegen sein könnte. Es würde, bilde ich mir ein, seiner Kunst sehr förderlich gewesen sein, so viele schöne, nackte Weibsbilder in verschiedenen Stellungen zu sehen, einige im Gespräch, einige bei der Arbeit, wieder andere Kaffee oder Sorbet trinkend und viele nachlässig auf Kissen hingestreckt, während ihre Sklavinnen (im allgemeinen reizende Mädchen von siebzehn oder achtzehn Jahren) sich beschäftigen, ihre Haare phantasiereich und zierlich zu flechten.

Jean-Léon Gérôme

Kurz, dies ist der Frauenzimmer Kaffeehaus, wo alle Stadtneuigkeiten erzählt, Verleumdungen ersonnen werden usf. Sie machen sich diesen Zeitvertreib gewöhnlich einmal in der Woche und bleiben zum wenigsten vier oder fünf Stunden beisamen, ohne sich zu erkälten, wenn sie plötzlich aus dem heißen Bad in den kühlen Raum treten, was mich in Erstaunen setzte.“

Aus: Lady Mary Montagu: Briefe aus dem Orient, verfasst 1784

Unter Superhackerinnen

verblendung

Neulich spülte mir der Netflix-Algorithmus Verblendung in die Timeline (oder wie auch immer man das bei Netflix nennt). Ich kannte weder Stieg Larssons Bücher noch die Filmversion des Themas aus dem Jahr 2009.

Ich glaube nicht, dass es mehr als ein halbes Dutzend Journalisten gibt, die so sind wie „Mikael Blomkvist“, der von Daniel Craig gespielt wird. Die „Hackerin Lisbeth Salander“ (Rooney Mara) gibt es überhaupt nicht. Das ist ein urbaner Mythos und fiktiver Sozialcharakter, der sich verselbständig hat und Teil der Alltagskultur wurde wie Dornröschen oder Schneewittchen.

Der Film ist spannend und gut und kann empfohlen werden, obwohl einige Details unlogisch oder haarsträubend absurd sind (Superhackerinnen kontrollieren aus der Ferne meinen Browserverlauf!). Man muss schon froh sein, dass „Hacken“ nicht mehr nur bedeutet, Passwörter erraten zu können.

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Interessant ist die Frage, was genau identifiziert eine Frau als „Hackerin“ in einem Film? Ein Regisseur muss den Geschmack und die Erwartungen des Publikums kennen bzw. vorhersehen. Das bedeutet zum Beispiel: eine Hackerin darf nicht wie Anja Hayduk oder gar wie Ricarda Lang aussehen. Warum nicht?

Weibliche Hacker im Film sind immer sexuell attraktiv, männliche fast nie. Warum? „Hackerinnen“ müssen Sex haben, sonst wird der Plot langweilig. „Hacker“ aka Nerds (Vgl. die Nerds Gary Larsons – ich muss mich übrigens jedes Mal bei den unsterblichen „Cow Tools“ und den Artikeln darüber kaputtlachen) nicht, höchstens mit Milfs. (Ich bin nicht so bewandert in Filmgeschichte und lasse mich gern eines Besseren belehren.)

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Nächste Frage: Warum sind weibliche Hacker immer Punks oder Goths oder Emos oder eine Mischung aus allem? (Das normale Publikum, vor allem in den USA, könnte das ohnehin nicht unterscheiden. Wenn eine Frau kurze, schwarze Haar hat und irgendeinen Metall-Popel im Gesicht, fällt sie automatisch in die Pr0n-Kategorie „Emo“.) Was haben ehemalige Jugendmoden mit Hacken zu tun? Warum sehen Hackerinnen nicht aus wie Schachspielerinnen beim Damengambit?

Es gibt nicht viele Optionen, gesellschaftliche Außenseiter ikonografisch darzustellen, dass jeder gleich kapiert, was gemeint ist. Früher hatte man Schillers Räuber, Zigeunerbarone oder Hippies. Da heute alle gleichermaßen Funktionskleidung tragen, muss das „Außenseiterische“ mit Elementen irgendeiner Jugendkultur aufgepeppt werden. Ein Hacker trägt nie Vokuhila und fährt auch keinen Opel Manta. Hacker sehen nie aus wie Arbeiter.

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Der Hacker als Sozialcharakter ist der Magier des Informationszeitalters, ein Mythos, der sich beim näheren Hinschauen als bloße Projektion entlarvt, wie es in der Natur des Mythos liegt. Zauberer aller Zeiten und Völker mussten immer anders aussehen als ihr Publikum. Was sie tun, bleibt dem Normalsterblichen schleierhaft.

Deshalb können Autoren von Drehbüchern und Regisseure den „Hackern“ übermenschliche Fähigkeiten andichten, und niemand findet das lächerlich. So auch hier. Konten fremder Personen einsehen, sich deren Geld überweisen, fremde Rechner permanent „onlinedurchsuchen“ oder Telefonzellen in den Bergen Afghanistan live abhören (wie der CIA in „Homeland“) – alles kein Problem. Ich weiß, was dein Browser tut, immer und überall.

PS. Wenn metallene Gesichtspopel oder die „Punk“-Frisur Teil der Attitude sein sollen, dann legt man so etwas nicht einfach ab – weil das zur Person „gehört“. Das aber macht unsere Heldin, die irgendwann eine blonde Perücke trägt und „normal“ aussieht, weil sie sich verkleiden muss. Danach klemmt sie sich wieder alles in die Haut. Nein, so funktioniert das vielleicht bei Thurn und Taxis, aber nicht bei Superhackerinnen…

WSKI oder: Die Wolf-Schneider-Simulation

KI
Created by Midjourney/Burks

Die Qualitätsmedien berichteten: „Die Reporterfabrik in Hamburg hat ein KI-Modell entwickelt, das Wolf Schneider simuliert.“ Die Idee ist gut. Ich habe mir mit „Deutsch für Profis“ das Schreiben beigebracht. Kaum jemand hält sich aber an die Regeln, die ich gut und vernünftig finde. Man ahnt: Das ist für Kaltduscher und für Leute, die E-Mails nicht in HTML lesen und dem Browser Javascript verbieten und alles verschlüsseln, was nicht bei drei auf dem nächsten Baum ist. Das wird also nicht funktionieren. Wolf Schneider hätte auch keine Gendersprache erlaubt, denn die macht Texte weniger verständlich.

Ich verschaffte mir einen Account und probierte es sofort aus.

Gestert zitierte ich die Junge Welt: „Wolodimir Selenskij, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Abgeordnete haben im Rahmen eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten im Parlament in Ottawa am Freitag (Ortszeit) einen ehemaligen SS-Angehörigen geehrt.“

Ein Satz mit 26 Wörtern und alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. Das muss man ja auch erst mal hinkriegen. Warum alles falsch? Der Leser fragt zuerst: Wer tat was? Hier: Zwei Premiers – und nicht etwa Klein Erna – ehren einen SS-Mann. Ist ganz einfach: A macht B. Das Gemachte, also das Ehren, kommt bei der „Jungen Welt“ aber erst nach 25 Wörtern, währenddessen die ungeduldig wartenden Rezipienten schon weggezappt sind und die Simultan-Dolmetscher mit den Füßen scharren und Grimassen schneiden. Der Satz muss also zerschlagen werden, und die Reihenfolge der token Elemente kräftig gerührt und geschüttelt.

Die Künstliche Intelligenz macht es aber nicht besser, sondern noch schlechter: Wolodimir Selenskij, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Abgeordnete haben im Rahmen eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten im Parlament in Ottawa am Freitag (Ortszeit) einen ehemaligen SS-Angehörigen geehrt. So einen Satz hätte Wolf Schneider nie erlaubt, begründet wie oben.

Mein Vorschlag: Der ukrainische und der kanadische Premier ehren einen SS-Mann. Dann kann der Rest – Ort, Zeit, Titel, Anlass, das Wetter – hinterherhoppeln.

wsKI
Ersetzen Sie alles Ungs außer „Rechtschreibung“!

Also ein Selbstversuch – ich zitiere mich: Diese marginalisierten pseudointellellektuellen Sesselfurzer an deutschen Universitäten, die sich „links“ fühlen, weil sie Sternchen in unschuldige Wörter pressen, aber den tendenziellen Fall der Profitrate nicht von der asiatischen Produktionsweise unterscheiden können und den Warenfetisch für eine sexuelle Vorliebe halten, sind mir ein Gräuel.

Die KI macht daraus: Diese Personen an deutschen Universitäten, die sich als „links“ bezeichnen, aber nicht in der Lage sind, den tendenziellen Fall der Profitrate von der asiatischen Produktionsweise zu unterscheiden und den Warenfetisch mit einer sexuellen Vorliebe verwechseln, finde ich äußerst problematisch.

Nein. Nein. Nein. „Äußerst (Superlativ?!) problematisch finden“ ist bei Strafe des Stundenlangamprangerstehens verboten, weil sinnfreies Bläh- und Furzdeutsch laut Wolf Schneider. „Gräuel“? Sehr, wenn nicht sogar „äußerst“ gehobenes Deutsch mit biblischem Zungenschlag – kriegt ein Algorithmus nicht hin. Und warum unterschlägt die KI mein schönes „Sesselfurzer“? Oder – ich ahne es! – bekommt die KI bei Zitaten aus Wendekreis des Krebses einen Nervenzusammenbruch der „äußerst“ üblen Art?

Ich donquijote (du nix verstehen, KI?) gegen den Mainstream an und behaupte, dass künstliche Intelligenz zu dumm ist, um Sprache zu verstehen und interessanten literarischen Stil zu imitieren. Da hilft auch nicht, wenn man Wolf Schneider verfüttert.

KI
Created by Midjourney/Burks

Unter Bipoclern

kolonial
Screenshot Website LWL-Museum Zeche Zollern

„Jeden Samstag von 10 – 14 Uhr ist die Ausstellungswerkstatt für „Black, Indigenous and People of Color“ (BIPoC) reserviert.“ So liest man bei Was ist kolonial.

Wie stellen die fest, ob man „weiß“ ist? Per racial profiling natürlich. Oder wäre ich in Essen indigenous, weil meine Vorfahren (matriarchale Linie) aus Dortmund stammen? Und wie katalogisieren die mich, wenn ich frisch vom Paddeln komme – als Redneck? Farbigen? Dunkelhäutigen Kaukasier? Fragen über Fragen…

Da fällt mir Lichtenberg ein: „Grade das Gegenteil tun, heißt auch nachahmen, es heißt nämlich, das Gegenteil nachahmen.“

Stillwater

stillwater

Ich habe mir – getrieben von der Logik der Algorithmen – Stillwater angesehen. Matt Damon als Hautdarsteller bedeutet, dass der Film nicht total beschissen ist. Die Rezensionen wie etwa im Tagesspiegel oder in der Süddeutschen referieren den Plot als „Vater, der Tochter aus Knast holen will“ („abgehalfterten Arbeiter, der versucht, seine Tochter aus einem französischen Gefängnis zu holen“). Zum Glück habe ich vorher nichts gelesen, sonst hätte mich gleich gähnend abgewendet. Nicht ohne meine Tochter usw..

Von Oklahoma nach Marseille? Warum nicht nach Neukölln oder Paris? Man ahnt: Der Held darf die Sprache nicht sprechen, weil das alles noch schwieriger macht (dann doch lieber gleich Kaldoaivi ödemarksområde!), und es muss irgendwie in den „Vorstädten“ spielen, damit der Held sich dort à la Vin Diesel fast und furious durchprügeln muss, um die wahren Täter zu finden. Aber nein, es ist ganz anders.

Was ich denke, worum es in „Stillwater“ (den Ort in Oklahoma gibt es wirklich) geht, taucht in gar keiner Rezension auf, noch nicht einmal in Ansätzen. Es spielt auch keine Rolle, ob irgendwie Amanda Knox inspiriert hat. Warum, so unsere erste Frage, muss es ein Arbeiter sein bei der „Mischung aus Sozialdrama und Krimi, vor allem aber das Porträt eines Mannes, der wieder Tritt zu fassen versucht im Leben“? Warum kein Lehrer oder Finanzbeamter?

Bill Baker (Matt Demon) ist auch kein klassischer Redneck, wie uns die Süddeutsche einreden will.…wird der Begriff Redneck auch verwendet, um Menschen ganz allgemein als eifernde konservative Reaktionäre zu bezeichnen, die der Moderne ablehnend gegenüberstehen. (…) Vorrangig bezeichnet er jedoch Weiße der Arbeiterschicht und/oder der ländlichen Bevölkerung, die über wenig Bildung verfügen und liberale Ansichten ablehnen.

Damit kommen wir der Sache schon näher. Bill Baker ist ein einfacher [wie nennt man denn die „nicht einfachen“ Arbeiter?] Bauarbeiter, zu seinem Job gehört das Demolieren. Früher hat er auf Erdölfeldern gearbeitet. Matt Demon stammt aber aus dem reichen Bilderungsbürgertum. Wie soll der wissen, wie sich ein Arbeiter verhält? Natürlich weiß er es, dazu ist er ein Schauspieler. Aber erkennt das auch der Rezipient des Films – und woran?

Jetzt müssen wir uns einen Helm aufsetzen, weil wir beinahe von Klischees erschlagen werden. „Arbeiter“ bedeutet: Immer ein Basecap mit Hooligan-Sonnenbrille tragen. Das ist nicht „liberal“. Holzfällerhemd ist gesetzt. Proleten können mit Theater nichts anfangen, erkennen aber, wie Bill Baker, dass Schauspieler dort nur komisch und „unnatürlich“ herumstehen. Proleten wählen Trump, aber – Vorsicht! Pointe! – Bill Baker ist vorbestraft und darf gar nicht wählen.

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Virginie (Camille Cottin) und ihre Tochter Maya (Lilou Siauvaud)

Proleten sind manchmal körperlich gewalttätig oder wissen, wie es geht, ungebildet und fromm und essen nur Burger. Spätestens hier merkt man, dass es darum geht, einen bestimmten Sozialcharakter zu entwickeln. So etwas funktioniert am besten, wenn der mit seinem genauen Gegenteil konfrontiert wird: Frankreich, gut essen und trinken, Schauspielerin, redet nicht mit Rassisten, traut sich nicht in die Banlieues, die fest in der Hand arabischstämmiger Clans Männer sind. Kann keine Toiletten reparieren und ruft einen Elektriker (der nie kommt), wenn eine Birne kaputt ist. Hat männliche Freunde, die einen Dutt tragen, auch sonst total hipstermäßig aussehen und ununterbrochen dummes Zeug faseln. Und schon haben wir Bill Bakers temporäre französische Freundin Virginie (Camille Cottin).

Das ungleiche Paar erzieht jeweils allein. Bill Bakers Tochter Allison (Abigail Breslin, Typ girl next door mit dem Mut zur Hässlichkeit) hat angeblich ihre Freundin umgebracht. Vattern war immer auf Montage und hat sich nicht um sie gekümmert. Der Rezipient kriegt die Botschaft per Holzhammer auf den Kopf geliefert. Die Tochter ist auch noch Lesbe. Das kommt davon, raunt das Publikum. Die heutigen Rednecks denken aber modern, so verlangt es Hollywood, und tolerieren das, auch wenn sie Tischgebete sprechen.

Virginies kleine Tochter Maya (Lilou Siauvaud) hingegen ist clever, hübsch und niedlich, und findet einen „echten Mann“ mangels sonstiger Vaterfigur klasse. Das ahnt man schon bei der ersten Begegnung. Dramaturgisch ist das keine faustdicke Überraschung.

Könnte man das auch anders machen – und warum nicht? In etwa: Bill Bakers Tochter ist eine bildschöne Blondine, und Virginies Tochter ist eine verzogenes und verlogenes Gör? Nein? Oder: Bill Baker ist ein französischer kommunistischer Arbeiter, der nach Oklahoma reist, weil seine Tochter ihren Freund ermordet haben soll, und trifft dort auf eine adipöse Farbige, bei der er wohnt, die eine ebenso verfettete Tochter mit Fastfood großzieht und Tischgebete spricht und Trump wählt?

Wenn man weiß, was nicht geht und warum, erkennt man auch die Moral von der Geschicht‘. Gesetzt: Töchter des Proletariats sind nicht attraktiv, und wenn doch, dann geht es um Sex. Fette Frauen, zumal Farbige, dürfen nur in Komödien mitspielen, in der alle Charaktere Karikaturen sind und über die die Mittelklasse, die auf keinen Fall Trump wählt, lachen darf – und nur die.

Arbeiter können Dinge, an denen Mittelklassemädels scheitern, weil man zuhause dafür Personal hatte oder das Geld, um Handwerker zu bezahlen. Sie können ihre Klasse nicht verlassen und sozial aufsteigen. Aber das versuchen sie gar nicht erst. Zurück in Oklahoma, ist für Bill Baker und seine Tochter alles wie vorher, außer den Erfahrungen, die sie gemacht haben.
Als beide eines Morgens auf der Veranda vor seinem Haus sitzen und Allison meint, es habe sich in Stillwater nichts verändert, sagt Bill: „Nein, Ally. Finde ich nicht. Alles sieht für mich anders aus. Ich kann kaum noch etwas wiedererkennen.“

Das stimmt eben nicht. Matt Demon spielt her nur den Plot des klassischen Entwicklungsromans herunter: Zentral ist dabei ein „fiktiv-biografisches Erzählen“, das je nach Subgenre entweder die harmonische Auflösung von (Identitäts-)Konflikten, die Desillusionierung des naiven Protagonisten oder die Illustration pädagogischer Konzepte zum Ziel haben kann [Im Gegensatz zu Wikipedia: Diese literarische Gattung gibt es erst seit der Entdeckung des bürgerlichen Individuums im 18. Jahrhundert und mitnichten im Feudalismus – das ist eine Projektion moderner Interpreten.]

Welches pädagogische Rezept? Außen (Ökonomie) bleibt alles beim Alten, nur Innen (Psychologie) entwickelt sich etwas. „Stillwater“ ist also ein klassischer Lehrfilm für die Mittelklasse: Er mahnt, wie schon Tacitus über die Germanen, dass die traditionellen Werte, die andere verkörpern (Germanen, das Proletariat) verkörpern (obwohl das schon seit Tacitus gelogen war), auch gut seien oder sogar besser, um mit dem Leben klarzukommen, ohne dass die Klassenschranken in Frage gestellt werden müssten. Überspitzt: Solange du Arbeiter bleibst und mir nicht zu nahe kommst, darfst du auch Burger essen und Tischgebete sprechen.

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Allison (Abigail Breslin

Die Kritiken auf Rotten Tomatoes ahnen irgendwie, dass man den Film nicht einfach als „Thriller“ nehmen kann, sondern dass die Klassenfrage eine Rolle spielt: „…when was the last time you saw a conservative blue-collar dad in a leading role?“

Dann gibt es natürlich noch die unvermeidlichen Woken: „It seems Marseilles’s immigrant population (…) are treated as mere casualties in Stillwater’s grand vision. If only that vision had some substance to it.“ Kann ja gar nicht sein, dass alle „Araber“ eines Films pöhse sind und auch gar nicht anders sein wollen oder nur als Staffage dienen…

Der Film lohnt sich allein wegen der ausnahmslos grandiosen Schauspieler.

Religion ist Wahrheit

Jesus
Jesus und Jünger, zeitgenössische Wandmalerei des Famulus, ca. 64 n. Christus, zur Zeit Kaiser Neros, Domus Aurea

„Ihr habt eine törichte Lehre angenommen, macht euch selbst einen Christus und geht darum jetzt in eurem Leichtsinn zugrunde.“ (Justin der Märtyrer († um 165) – Dialog mit dem Juden Tryphon)

Hier also das schon angekündigte Wort zum Sonntag. Um mich meditativ zu versenken und mental darauf vorzubereiten, las ich, wie zu erkennen war, Rudolf Augsteins „Jesus Menschensohn“, dessen erste Auflange schon 1972 erschien. Ein Rezensent schrieb im Vorwort der US-amerikanischen Ausgabe: „In Jesus Menschensohn sind viele schlechte Nachrichten, die aus der guten Nachricht aus Galiläa resultierten, mit kühler Eleganz beschrieben. Vor drei Jahrhunderten hätten sie dem Autor den Scheiterhaufen auf dem Campo dei Fiori in Rom beschert.“

Das ist eine grandiose Empfehlung, die ich für meine Bücher auch gern bekommen hätte. Ich will das Buch nicht besprechen. Nur so viel: Jesus von Nazareth hat es gar nicht gegeben, und aus Nazareth war er auch nicht (sondern Nazoräer aka nasiräer oder nazrájja aka „die Bewahrer“- aber was kümmert die Religioten, wenn etwas falsch aus dem Aramäischen, Griechischen oder Hebräischen übersetzt wurde.) Herodes hat auch keine Babys ermorden lassen, und Bethlehem war nicht der Geburtsort des Messias. Wenn ich jetzt aufzählte, was noch alles im so genannten Neues Testament erlogen, erfunden oder falsch übersetzt wurde, wäre das Traktat so lang wie die Bibel selbst. Viele Theologen wissen das, aber wenn sie es sagten, wäre ihre berufliche Laufbahn ruiniert, so meint Augstein und zitiert viele Quellen dazu.

jesus
„Christus et discipuli eius“, unbekannter Künstler zur Zeit Kaiser Neros, Fresko im Casa dell’Ara massima, Pompeji

Es gibt nicht nur keine validen Quellen, sondern diejenigen, die Jesus erwähnen, widersprechen sich ständig. Eigentlich stimmt gar nichts an der angeblichen historischen Figur. Sobald die Katze aus dem Sack war, also die frommen Märchen später, oftmals Jahrhunderte später, wiedergekäut wurden, redigierten und retuschierten die Kirchenväter und ihre Epigonen viele Details, die nicht in den Kram passten. Oder die Theologen „einigten sich mehrheitlich“ auf irgendetwas, weil es keine Fakten gab, Christus „der Erlöser“ aber dringend existent sein musste.

Oder, wie Gerhard Möbus in seinem Buch »Die Christus-Frage in Goethes Leben und Werk« befand: »Die Mehrdeutigkeit seiner Äußerungen über das Christsein« ändert nichts daran, daß Goethes Grundüberzeugung (Möbus nennt es seine »Vorentscheidung«,) feststeht: »Daß das Christsein ein Irrtum ist, der mit Gewissen, Vernunft und Wirklichkeit unverträglich ist und der seine Anhänger in den Zustand der Lügenhaftigkeit und Unredlichkeit versetzt, wenn sie auf einer höheren Bewußtseinsstufe stehen.«

Jesus
Wandmalerei in Pompeji, Macellum, Tempera-Stil, Künstler unbekannt, Kopie einer Wandmalerei samt Inschrift auf einer Mauer in Galiläa: המשיח מנצרת, הנקרא כריסטוס

Wie kommt man gegen Mythen dieser Art an? Gar nicht. Man sollte auch nicht die Religion an sich beschimpfen, weil sie ein falsches Bewusstsein der Realität ist, eben ein „Seufzer der bedrängten Kreatur“, wie jemand mal sagte. „Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“

Angesichts der spärlichen Belege kann man fragen, ob denn der ganze Jesus nicht eine aus mehreren Figuren und Strömungen synthetisch in eins geflossene Erscheinung sei, in der Phantasie hellenistisch gebildeter Juden als eine personifizierte Heilserwartung des jüdischen Volkes unbewußt erschaffen.“ (Rudolf Augstein)

Full ack, Euer Ehren, aber wir ruinierten auch die Tourismusindustrie in Israel, insbesondere in Jerusalem. Bethlehem, Nazareth. Nur Potemkinsche Dörfer. Sagte da jemand Jericho?

Vor 13 Jahren schrieb ich: Ich wette, dass in deutschen Schulklassen immer noch die fromme Legende erzählt wird, es habe einen „Auszug Israels“ aus Ägypten oder gar die sprichwörtlichen „Posaunen vor Jericho“ gegeben. Seit Israel Finkelsteins (…) Buch „Keine Posaunen vor Jericho: Die archäologische Wahrheit über die Bibel“ wissen wir, dass alles das ein gut erfundenes Propaganda-Märchen ist. Das ist nicht Geschichte und Realität, sondern ein Mythos!

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Auszug der Israeliten aus Ägypten, Öl auf Leinwand, Jacques-Louis David im Auftrag Napoleons, heute im Louvee. Das Gemälde ist eine Kopie einer verloren gegangenen Wandmalerei aus der Zeit des Neuen Reiches (18. bis 20. Dynastie, etwa 1500–1000 v. Chr.. Die ursprüngliche Beschriftung war in Hieratisch.)

Die religiösen Zionisten Israels und andere Orthodoxe warten bekanntlich auch auf den Messias. Ob der jemals kommt? Man könnte das beschleunigen, indem man den Felsendom schon mal in die Luft sprengt, um Platz für den dritten Tempel zu schaffen, der dort stehen soll. Leider gibt es für den ersten Tempel keine archäologischen oder sonstigen überprüfbaren Quellen, nur fromme Geschichten, so dass man über die Zählung eins, zwei, drei trefflich streiten kann. Der Felsendom ist übrigens auch nicht die drittheiligste Stätte des Islam, auch das ist Bullshit-Bingo. Im 19. Jahrhundert war das Gebäude in einem jämmerlichen Zustand, und niemand kümmerte es.

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wie oben, aber Vatikanisches Geheimarchiv

Mohammed
Die Himmelfahrt Mohammeds, gemalt nach Augenzeugenberichten, frühes 8. Jahrhundert (Kopie). Titel auf dem verloren gegangenen Original: araǧa bi-rasūli ʾllāh ilā ʾs-samāʾ as-sābiʿa.

Calvin oder Get woke, go broke

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Den Irrtum hätte ich vorhersagen können. Ich sah mir – versehentlich und manipuliert durch die Netflix-Algorithmen – die erste Minute eines deutschen Films an, der als „Science Fiction“ kategorisiert wurde. Es ging mir wie Boris Palmer mit der Deutschen Bahn: Welche Realität wird hier abgebildet? Gibt es wirklich so viele Maximalpigmentierte in Deutschland? Oder soll es sie geben, wenn es nach unseren woken Identitären ginge? Und müssten sich nicht einige Frauen, die in den ersten Sekunden mitspielen, sofort als Lesben outen? Wo bleibt der Volkssturm des Patriarchats – die Tunten und Transen?

Meine These: Dieser rassistische Hype in der Kultur, dass alles so lächerlich und aufdringlich „divers“ sein muss, dient vor allem dazu, die realen Klassenunterschiede zu leugnen oder zu verwischen. Wer suggeriert, es gebe viele Farbige überall in Deutschland, möchte nicht darüber reden, warum sehr viele Afrikanerinnen als Putzfrau arbeiten, aber mitnichten als Mathematiker, Physiker oder Programmierer (Ausnahmen: etwas mit Genderdingsbums und Antiracismscolonialismblabla.)

Ich muss mich nur früh am Morgen, wenn die Woken und die Klimaten noch schlafen, in die U-Bahn setzen und mich umsehen, wie die Leute aussehen, die um fünf oder früher aufstehen müssen. Da ist es „divers“, und sonst nirgends, auch wenn mir die Anstalten so penetrant wie in „The Witcher“ einbläuen wollen, dass jede zweite Frau irgendwie nicht „kaukasisch“ aussieht („Inder“ gelten in deutschen Filmen als „Farbige“).

„Diversity“ entlastet moralisch die städtischen und „protestantisch“ (im Sinne Calvins – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Max Weber) akkulturierten Mittelklassen.

By the way: Henryk Grossmann hat vermutlich Recht: Der Calvinismus habe nicht, wie Weber annimmt, als Moral gedient, die die Massen zur Akzeptanz der Lohnarbeit führen sollte, oder habe die Interessen der Bourgeoisie ausgedrückt. Vielmehr sei er als eine Doktrin der Handwerkerschicht entstanden, welche den Kapitalismus aber nicht hervorgebracht habe. Zudem sei der Kapitalismus bereits zwei Jahrhunderte vor dem Calvinismus in Italien ohne die Mithilfe irgendeines religiösen Irrationalismus aufgetreten. Der entscheidende, durch Borkenau und Weber aber vernachlässigte Aspekt bei der Erziehung zur Arbeitsdisziplin sei eher Zwang als Religion gewesen.

Was dem Handwerker damals Calvins Lehren, das ist den Mittelklassen heute das Klimatische und Woke: Einerseits Mittel, um sich von den Unterschichten abzugrenzen und andererseits sich moralisch besser zu fühlen und zu hoffen, das würden die über ihnen – die herrschende Klasse – honorieren (was der natürlich scheißegal ist).

Walser und die herumzigeunernden Israeliten

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Ich habe mal die KI auf Walser angesetzt…

„Tagelang werden wir nun von den Medien mit Fotos zugespammt werden, auf denen das zerknitterte Antlitz und die wild wuchernden Augenbrauen des letzten deutschen Großdichters („Ich baue Leichtigkeit an wie andere Mais und dünge sie mit Himmelslicht“) zu sehen sein werden. Ich erinnere daher mal vorsichtshalber an diese denkwürdige Episode:
Nachdem Günter Amendt 1978 Bob Dylan auf seiner Europatournee begleitet hatte, begegnete er zufällig Martin Walser in den Redaktionsräumen der Zeitschrift ‚Konkret‘: „Er, der seine Worte besonders behutsam, nach meinem Geschmack behäbig zu setzen pflegt, fragte mich, von meinen Beobachtungen und Betrachtungen zu Dylans 78er-Tour offenbar gelangweilt, plötzlich nicht ohne einen aggressiven Unterton, was eigentlich an diesem ‘herumzigeunernden Israeliten’ Besonderes wäre.““
(Jan Seghers/Matthias Altenburg: „Geisterbahn“, Eintrag vom 6. September 2010) (via Thomas Blum auf Fratzenbuch)

Obsession oder: Sexy women are psychos

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Wer und zu welchem Ende sehen wir „Erotik-Thriller“? Krimis ohne attraktive Frauen und ohne Sex geht heutzutage nicht, und Sex ohne unterhaltsamen Plot ist schlicht Pr0n. Sex-Szenen finde ich in Filmen meistens langweilig, weil die Details schamhaft verborgen werden, man nach der Imitation der geschlechtlichen Vermehrung gleich wieder den Pyjama oder dergleichen überzieht, oder weil es vor Kitsch nur so trieft.

Obession (Netflix) kann ich jedoch empfehlen. Der Plot an sich wurde schon zahllose Male filmisch durchgenudelt; das ist also nicht neu. Und wenn deutsche Rezensenten einen Film verreißen, ist das für mich meistens eine Empfehlung.

In welche Kategorie „Obsession“ fällt, ist nicht ganz klar: Ein Krimi ist es nicht, weil niemand in echter Gefahr schwebt. Pr0n und die Handlung nur als Vorwand, um viel nackte Haut zu zeigen, ist es auch nicht – man sieht nur wenig davon, und die Protagonisten haben beim Herumvögeln meistens noch ihre Kleidung an. Um Voyeurismus oder Stalking geht es auch nicht. Am besten gefällt mir „trashy new erotic thriller„.

Vielleicht ist es nur eine Sache meines persönlichen Geschmacks. US-amerikanische Produktionen zum Thema nerven mit immer demselben Plot: Jemand zerstört die ach so heilige Familie, und man weiß zu Beginn nur nicht, ob die wieder zusammenfindet oder eben nicht. Und die Kinder leiden oder werden auch Psychos. Das habe ich schon drei Fantastilliarden Mal in jeder Version gesehen, und meistens nicht bis zum Ende. Die Briten können das subtiler und besser.

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Screenshots: Burks

Der Standard fasst die cineastische „Vorgeschichte“ in einer Rezension zusammen: „Fatal Attraction and Basic Instinct made squillions, and brought a slew of imitators in a genre known as erotic thrillers. Who can forget the ‘highs’ of this genre like Body of Evidence, starring Madonna and a mortified Willem Defoe, or Colour Of Night with Bruce Willis and a terrified Jane March or Sea of Love with Al Pacino and an amused Ellen Barkin – all with variations on theme: sexy women are psychos!“

„Obsession“ ist nicht anders, und das Motiv des Helden William Farrow (Richard Armitage), alles aufs Spiel zu setzen, sogar das Eheglück seines Sohnes, wird nicht erklärt. Bei dem Thema wollen die Zuschauer ohnehin keine elaborierten tiefenpsychologischen Traktate, sondern schlicht viel, was scharf ist und macht.

Auch wenn „Obsession“ insgesamt nicht besonders tiefgründig ist („shallow desaster„) und der Charakter der Heldin eher konstruiert wie aus der psychologischen Klippschule und eigentlich total überflüssig, knistert es stark („spicey“ ist ein gutes Wort dafür) und heftig. Das liegt vor allem an der Hauptdarstellerin „Anna“ (Charly Murphy).

Die Murphy sieht weder oben herum aus wie Sydney Sweeney noch in der Mitte und unten wie die hier schon erwähnte russische Dame, aber sie schauspielert so brilliant, dass die Fetzen fliegen. Man möchte immer noch mehr davon.

Die Irish Times findet das „as titillating as doing the weekend chores“, was ein lustiger Verriss ist: „In all the worst ways, Obsession harks back to the heyday of the form.“ Haha. Aber das macht nichts. Das Thema kann man gern ein Mal monatlich in immer wieder anderer Version sehen. Man wird daran erinnert, dass Sex elementar und anarchisch ist (falls er nicht in der Ehe „stattfindet“) und alle Konventionen und Regeln sprengen kann, auch wenn man das nicht so geplant hat. Das macht eben den Reiz aus: Man weiß nicht wirklich, wie das enden wird, selbst wenn man den Plot auswendig singen könnte, auch nicht im realen Leben.

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Data, Halbslawische Verteidigung und die feministische Herrschaft im Weltraum

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Midjourney/©Burks

– Danke für den Hinweis aus dem Publikum: Ich habe auch die Links zum Thema „Sicher Surfen“ überprüft. Es erstaunt schon, wer und was alles nicht mehr existiert: Jondonym, diverse Browserchecks, sogar bei Heise, Whatismyreferer (Vorsicht!) u.v.a.m. Beim BSI habe ich irgendwie den Eindruck, dass die aus purer Bosheit die Links immer wieder ändern, und das schon seit Jahren. Vielleicht wollen die gar nicht verlinkt werden.

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Midjourney/©Burks

– Will jemand etwas über die Daten Jens Spahns bei der Schufa wissen? (Die „Krawallinfluencerin“ ist klasse!)

– Die Ukraine will Großmeister und Ex-Blitz-Schachweltmeister Vasyl Ivantschuk nicht zum FIDE World Cup in Baku ausreisen lassen – trotz internationaler Solidarität und Protesten. Er ist noch nicht 60 und soll vermutlich an der Front verheizt werden. Es ist süß und ehrenvoll, für’s Vaterland zu sterben! (Übrigens: Die Chinesen dominieren das Frauenschach!)

– Mein Bäcker ist jetzt unverpixelt.

– Soll ich auch mehr Tiktoken? Dort ist bestimmt auch das Publikum, welchselbiges hier aufmerksam mitliest?

– Ich habe auch noch etwas zu unseren muslimischen Mitbürgern.

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Midjourney/©Burks

By the way: Ich wundere mich immer bei so genannten „SciFi-„Fotos oder Filmen, wie wenig Fantasie die haben, was menschliches Verhalten angeht, obwohl das doch gerade das Interessanteste ist. Im Abspann von „Krieg der Sterne“ – was weniger Science und mehr Fantasy ist – standen die Truppen wie durch Leni Riefenstahl aufgereiht zum Parteitag, und auch an der Fanfarenmusik hätte der Führer seine Freude. (Deswegen wird der Film auch in Deutschland als „besonders wertvoll“ bezeichnet.) Bei „Avatar“ ist es nicht viel anders, nur dass Lichterketten dazukommen.

Man müsste doch seit Theweleit wissen, wie gedämmte Flüsse zu interpretieren sind, ganz gleich, ob es sich um Humanoide oder Klone oder Roboter handelt. Vielleicht, wenn in ferner Zukunft das Universum von Frauen regiert wird, die sich männliche Sklaven halten, gibt es das Strammstehen nur noch für einzelne Körperteile und nicht mehr für Massen für Menschen. Aber sag das mal jemand der KI….

Distracted b trivia

amusement
person sits in front of a tv watching entertainment program. Person from behind, the wall behind the tv is made of glass. You can see a post-apocalyptic scenery outside, photorealistic –s 750

When a population becomes distracted by trivia, when cultural life is redefined as a perpetual round of entertainments, when serious public conversation becomes a form of baby-talk, when, in short, a people become an audience, and their public business a vaudeville act, then a nation finds itself at risk; culture-death is a clear possibility. (Neil Postman: Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show, 2005)

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