Zersetzung nach Plan

Zersetzung

Aus aktuellem Anlass dokumentiere ich hier einen Artikel, den ich am 12.12.1990 im Berliner Stadtmagazin ‚zitty‘ über Jens-Uwe Vogt geschrieben habe. Vogt galt schon zu DDR-Zeiten als Rädelsführer der Hooligans des BFC Dynamo. Die Stadtmagazin „Prinz“ hatte damals einen Artikel veröffentlicht, der suggerierte, Jens-Uwe Vogt sei Agent der Stasi gewesen. In Wahrheit hatte das Ministerium für Staatssicherheit selbst eine Kampagne initiiert, um Vogt in den Augen der Hooligans verdächtig zu machen, ein Spitzel zu sein. Das Ziel der Stasi war laut deren Akten, die Hooligan-Szene Ost-Berlins zu „zersetzen“, indem der informelle Anführer gezielt diskreditiert wurde. Vogt ist kein sympathischer Zeitgenosse, und seine Aktionen auch nicht „gesellschaftsfähig“, aber ein Spitzel war er nicht.

So arbeiten Geheimdienste heute auch noch. Ich selbst – so suggerierten mehrfach Mitglieder des Chaos Computer Clubs -, sei verbandelt mit dem Verfassungsschutz oder wem auch immer (die Tatsache, dass ich seit einem Jahrzehnt fordere, den Verfassungsschutz abzuschaffen, ist vermutlich nur eine besonders geschickte Tarnung). Ein Vorstandmitglied der German Privacy Foundation soll (wieder einmal) IM eines Dienstes sein. Quellen und Belege sind nicht nötig; ein Verdacht, den irgendjemand faktenfrei in den Raum wirft, reicht aus, um die Person in einem bestimmten Milieu zu diskreditieren – eine Methode, die perfekt funktioniert.

Auszüge (der komplette Artikel oben als pdf):

Auch dieser Tage [1990] steht Vogt im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Eine bunte Berliner Stadtillustrierte [‚Prinz‘] will erfahren haben, daß der „Führer der Hools“ Agent für die Staatssicherheit gewesen sei. So beruft sich das Magazin auf die Aussagen eines ehemaligen Stast-Mitarbeiters, wonach Vogt „Lektionen in DDR-Rechtsprechung, Psychologie und Taktik“ erhalten habe. „Blödsinn“, erklärte Vogt gegenüber Zitty, „Ich kann mir nicht erklären, wieso so etwas geschrieben wird. (…) will Vogt seine Vergangenheit vertuschen? Hat er, wie das Magazin behauptet, seine Führungsoffiziere ausgespielt, oder wurde er von der Stasi über den Tisch gezogen, instrumentalisiert, um die Hooligan-Szene zu sersetzen? (…)

Die Hauptabteilung XX konterte [die Aktionen der Ost-Berliner Hooliganzs] mit einen Plan für die „Einleitung differenzierter Vorbeugungs- und Zersetzungsmaßnahmen“ der Hooligan-Szene. Dieser Plan war so differenziert und raffiniert, daß selbst heute noch die Folgen für einige Hools zu spüren sind.

Prominenter Mitarbeiter der OPK („operativ-politishen Kontrolle“) war der „BFC-Kommandore [Spitzname der Ost-Berliner Hooligans für einen bestimmten Hauptmann des Staatssicherheitsdienstes]. Seine spitzel, im Stasi-Jargon IM („informelle Mitarbeiter“) genannt: Drei Herren mit den Decknamen „Bär“, „Dirk Heinze“ und „Jens Pollack“. Zielobjekt: Jens-Use Vogt. Deckname der Operation: „Vogel“.

Erste Maßnahme: Information. Die Informanten belegten, daß Vogt Mitte der 80er Jahre zwar nicht von allen Hooligans als Anführer akzeptiert wurde. Er hatte aber „organisatorisch und stimmungsmäßig“ in der Fan-Gruppe „die Fäden in der Hand“. Er galt als „Anführer der Skinheads“.

„Vogt trat auch aktiv als Texter von Verspottungsliedern der Sicherheitsorgane in Erscheinung“, heißt es in einem Stasi-Protokoll vom 26. November 1987. Wenn er in einer Gaststätte anwesend war, „kam es vor, daß am Tisch leise Lieder mit rassistischem oder faschistischem Charakter gesungen wurden.“

Zweiter Schritt: Der Hooligan-Chef und ausgewählte Anhänger wurden unter Vorwänden von Ermittlungsbehörden vorgeladen und verhört. „Irgendwo mußte man immer Kompromisse eingehen“, erinnert sich Vogt heute über sein Aussageverhalten bei der Polizei. (…)

Seine vermeintliche Schlauheit nütze ihm nichts. Die Stasi war noch gewitzter. Seine Aussagen würden „über inffizielle und offizielle Wege anderen Mitgliedern der Gruppierung zur Kenntnis gegeben, so daß in der Gruppe eine starke Verunsicherung gegeneinander hervorgerufen wurde.“ Vogt behauptet heute, daß seine Aussagen teilweise verdreht lanciert wurde. Seinen Spitznamen hatte er weg: „Stasi-Vogt“. „Die Skins haben sich alle von mir distanziert“, sagt er.

Dritter Schritt: Bei einer Party von Hooligans und Skinheads im Dezember 1986 werden Fascho-Lieder gesungen und „Sieg Heil“ gebrüllt. Die Polizei verhaftet ein Dutzend der Teilnehmer. Vogt und zwei weitere mitglieder der „Annalen“ [ vermutlich sind die „Vandalen“ gemeint – eine Ost-Berliner Rocker- und Nazi-Bande] entkommen. Die Polizei lädt Vogt zum Verhör vor. Kommentar des Abschlußberichts der „operativ-politischen Kontrolle“. „Um den Zersetzungsprozeß zu forcieren, wurde der Vogt im März 1987 gezielt als Zeuge zum Gerichtsverfahren gegen die Teilnehmer des Vorkommnis 24. November geladen.“ Im Beisein anderer Gruppenmitglieder weisen die Stast-Mitarbeiter auf seine „entscheidenden“ Aussagen und sein „ängstliches Verhalten“ hin. Jede weitere „Zuführung oder Befragung“ wird durch „offensives Auftreten verschiedener IM bekannt gemacht“.

Ergebnis der Maßnahmen: Es verbreitet sich unter den Hools und Skin „die Auffassung, daß der Vogt machen könne, was er wolle, ohne daß ihm etwas geschehen würde. Daraufhin distanzierten sich weitere entscheidende Personen von ihm.

Vierter Schritt: Zügige Ausreise. (…) Die Stasi hatte schon 1987 vorgemerkt, die Übersiedelung [Vogts] solle schnell realisiert werden, „um so seine zuk+nftige Wirksamkeit in Westberlin zu untergraben, denn bei den rowdyhaften Jugendlichen bestand … die Auffassung, daß man nur für gewissen Gegenleistungen schnell ausreisen darf.“ (…)

„Als weitere Maßnhame, um die Glaubwürdigkeit des Vogt herabzusetzen, wurde die zügige Realisierung seines Antrags auf Übersiedelung nach WB (WEst-Berlin, d. Red.) genutzt.“ (…)

Nachtrag, der mit dem obigen Artikel inhaltlich nichts zu tun hat, aber mit dem Anlass, ihn noch einmal zu veröffentlichen: Wenn mich jemand nach meiner privaten Verschwörungstheorie fragt, antworte ich, dass irgendjemand Karsten N. „gebrieft“ hat, weil der am ehesten „paranoid“ genug ist, um auf so etwas hereinzufallen. N. behauptete vor einigen Jahren (das wird ab und zu wieder hervorgekramt) vor seinem Austritt aus der GPF über ein anderes Vorstandsmitglied (nicht, nicht über mich): „der meiner Meinung nach im Verdacht steht, als informeller Mitarbeiter unter dem Decknamen „Sysiphos“ für die „Dienste“ zu arbeiten.“

Vielleicht sollte Karsten, der sich beharrlich weigert, irgendwelche Fakten zu nennen, doch lieber seine eigenen „Quellen“ überprüfen. Gegen meine Theorie spricht aber, dass die German Privacy Foundation mit ihren knapp 90 Mitgliedern einfach nicht wichtig genug ist, um Ziel einer Geheimdienst-Operation zu sein, um die GPF zu „zersetzen“ oder zu diskreditieren.

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Kommentare

16 Kommentare zu “Zersetzung nach Plan”

  1. foobar am April 9th, 2013 3:40 pm

    Was ist denn der „gegebene Anlass“, wenn man fragen darf?

    Von einem sonst so bekennenden Freund der Verlinkung und klingt das ja erstmal reichlich nebulös.

  2. admin am April 9th, 2013 3:45 pm

    Die betreffenden Links sind im Vorspann und Nachtrag des Artikels.

  3. admin am April 9th, 2013 3:45 pm

    Die betreffenden Links sind im Vorspann und Nachtrag des Artikels. Vor allem dieser: https://paste.headstrong.de/view/69567c8c

  4. none am April 9th, 2013 7:55 pm

    Burki, vielleicht seid ihr alle auf die Dienste hereingefallen? Vielleicht war genau das das Ziel? Es gibt nur Verlierer: Karsten, Du, die GPF, die PrivacyBox und die Privacy-Szene insgesamt.

    Und bitte komm nicht wieder mit Verschwörungsgedöns. Du bist lang genug im Geschäft, so daß du erkennen mußt, daß die Nummer für alle nicht gut gelaufen ist. Wenn jemand profitiert, dann die Dienste, die einen Schlag gegen die Privacy-Szene erreicht haben könnten.

  5. admin am April 9th, 2013 8:13 pm

    Die GPF gibt es noch, und es gibt auch schon seriöse Angebote, die PrivacyBox neu zu programmieren.

    Und wieso bin ich Verlierer?

  6. unerster am April 10th, 2013 7:05 am

    In der DDR ist die Stasi selten offen aufgetreten. Man wurde zur Polizei vorgeladen und der oder die gegenüber traten als Kripo auf. Mach ich mich jetzt verdächtig?
    Das mit dem Vogel ist die typische Handschrift der Stasi und ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von den jetzigen übernommen worden.
    “Sysiphos”, http://www.sisyphos-berlin.net/ , im Impressum ist die Kontaktadresse.
    Woher will Karsten N. diesen Namen wissen? Nach meinem Wissen sind diese Namen mehr als Geheim und sie werden nur Intern von den Geheimen benutzt.
    Ich habe 35 Jahre in der DDR mit den Leuten von der Stasi zu tun gehabt. Die Sportmotorprüfung hat ein Stasi Offizier abgenommen. Im Aquarien Club waren Stasi Offiziere. In Hausgemeinschaften waren sie auch. Ich lebe immer noch in der Kleinstadt, 4500 Einwohner, und da kennt man sich eben. Ehemalige Stasi Offiziere leben immer noch hier werden gegrüßt und nicht gesteinigt.
    Ich hoffe doch das der Vorstand und die Mitglieder der GPF damit umgehen können. Vieles spricht dafür das ein Paranoider sich übergangen fühlt. Ein zweiter Administrator für einen Server ist doch Pflicht.
    Die Geheimdienstkeule sollte bei der GPF nicht ziehen. Alle Tätigkeiten sollten weiterhin so gestalten werden das die Geheimen kein Interesse haben weil alles offen gehandhabt wird.

  7. Genom am April 10th, 2013 11:33 am

    @unerster

    Findest Du die Stasi gut? Alles nette Leute?

    „Vieles spricht dafür das ein Paranoider sich übergangen fühlt. Ein zweiter Administrator für einen Server ist doch Pflicht.“

    Hast Du die konkreten Aussagen von Karsten N. überhaupt gelesen? Er hat die Hintergründe und den Verlauf des Vorgangs sachlich dargelegt.

    Jemandem Paranoia zu unterstellen, ist ein bösartiger Versuch, eine Person zu psychatrisieren.

    (Sei vorsichtig mit der Paranoia-Diffamierung. Paranoia ist, wenn jemand daran glaubt, von Aliens verfolgt zu werden. Ist dem hier so? Nein.)

    „Alle Tätigkeiten sollten weiterhin so gestalten werden das die Geheimen kein Interesse haben weil alles offen gehandhabt wird.“

    Die „Geheimen“ haben eher deshalb kein Interesse mehr an der GPF, weil die GPF tot ist. Es gibt nichts, das die GPF in den letzten Monaten geleistet hat. Mission accomplished.

  8. admin am April 10th, 2013 11:36 am

    Ach ja? Woher Willst du das wissen? Die GPF ist tot?

  9. Genom am April 10th, 2013 12:52 pm

    Dann berichte mal von den Aktivitäten der GPF. Ich bin gespannt, was dort außer eines Newsletters sonst noch vor sich ging.

    Womöglich solltet ihr euch einem anderen Privacy-Verein anschließen. Ob die euch aber wollen?

  10. admin am April 10th, 2013 1:26 pm

    Dafür ist das Forum der GPF da.

  11. bhceg am April 10th, 2013 3:24 pm

    > Dafür ist das Forum der GPF da.

    Habe mal vorbeigeschaut. Das Forum der GPF bestätigt die Aussage von Genom: so gut wie tot.

  12. admin am April 10th, 2013 3:29 pm

    Dann wirst du in der nächsten Zeit aber eine Überraschung erleben….

  13. admin am April 10th, 2013 6:55 pm

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  14. Ma « gorge profonde » était (peut-être) une taupe | BUG BROTHER am Mai 3rd, 2013 2:33 pm

    […] mais l'info a commencé à circuler. Le co-fondateur de la GPF dénonce une campagne de déstabilisation basée sur des rumeurs, tout en… demandant sur son blog si quelqu'un ne connaîtrait pas une […]

  15. Mobbing durch die Dienste : Burks' Blog am Februar 8th, 2014 7:20 pm

    […] Methode, jemanden zu diskretidieren, kenne ich übrigens schon von der Stasi (“Zersetzung nach Plan“) und vom verbandsinternen Mobben im DJV, nur dass Verbandsfunktionäre meistens zu blöd […]

  16. Weitere Schritte einleiten : Burks' Blog am Dezember 1st, 2015 7:40 pm

    […] eingesehen und darüber publiziert, als Sie vermutlich noch in der Schule waren. vgl. z.B. https://www.burks.de/burksblog/2013/04/09/zersetzung-nach-plan (v. 12.12.1990) Ich habe mit dem Magazin Nitro, das ein Foto veröffentlichen wird, nichts zu tun. […]

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