Schurz und Kinkel: Radikale Demokraten und Revolutionäre

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Oktober 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 45. Woche vom 03.11. bis 92.11.1929“.

Wenn man die Wikipedia-Einträge über Carl Schurz und Gottfried Kinkel liest, fragt man sich, wieso diese Revolutionäre nicht mehr und öfter gwwürdigt und/oder der Jugend als Vorbilder empfohlen werden. Ach ja, heute würden sie ja als „Terroristen“ eingesperrt, weil sie an bewaffneten Aufständen teilgenommen haben.

Der Text auf dieser „Postkarte“ aber hübscher und emotionaler als Wikipedia:

Will man die Bande, die Deutschland mit den Vereinigten Staaten von Amerika verknüpfen, kurz bezeichnen, so pflegt man den Namen Carl Schutz zu nennen. (…) An dem bewaffneten Aufstand, der 1849 in Südwest-Deutschland für die Errichtung der deutschen Republik gekämpft wurde, nahm er aktiv teil und gehörte auch zu den entschlossenen Männern, die den aussichtslosen Versuch wagten, die Festung Rastatt gegen die preußische Armee zu verteidigen. Bei der Kapitulation gelang ihm mit Hilfe eines Schlossers die abenteuerlichen todesgefährliche Flucht aus der Festung durch einen unterirdischen Gang. (…)

Schurz, obwohl von den preußischen Behörden gesucht, ging nach Spandau und betrieb dort mit unterhörter Kühnheit aber auch Umsicht das Unternehmen, Kinkel aus den Spandauer Kasematten zu befreien. Selbst politische Gegner wie Bismarck versagten dem Wagnis nicht ihre Bewunderung. Kinekls Befreiung gelang.

Nun wande sich Schurz nach Amerika, und dort fand sein Freiheitsdrang die Möglichkeit, sich politisch auszuwirken, die ihm Deutschlanf vesagte. Er kämpfte mit den demokratischen Nordstaaten gegen die Sklavenhalter des Südens, wurde General und später sogar Minister in Washington.

Was für ein Leben! Ob die Berliner Morgenpost sich heute trauen würde so zu formulieren?

Einwirkungen der Bürger sind staatsgefährdend

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Oktober 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 44. Woche vom 27.10. bis 02.11.1929“.

Friedrich List ist heute immer noch ein moderner Mann. „Für List waren die Überwindung der innerdeutschen Zollschranken und der Eisenbahnbau die ’siamesischen Zwillinge‘ der deutschen Wirtschaftsgeschichte und damit die Werkzeuge um die gewerbliche Rückständigkeit der deutschen Staaten zu überwinden.“ Man muss das nur auf die Europäische Union übertragen. Zitat:

Die „Schreiberherrschaft“ sei eine „vom Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene und in den Ministerien konzentrierende Beamtenwelt, unbekannt mit den Bedürfnissen des Volkes und den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens, … jeder Einwirkung des Bürgers, gleich als wäre sie staatsgefährlich, entgegenkämpfend.“

List ist ein entfernter geistiger Vorläufer Henrich Stephans, der die Postkarte in Deutschland gesellschaftsfährig machte. Er wollte Kommunikation und damit auch die Ökonomie vereinheitlichen. „1865 veröffentlichte er eine Denkschrift zur Einführung der Postkarte, die zwar vom preußischen Generalpostmeister wegen der ‚unanständigen Form‘ der Mitteilungen und zu erwartender Einnahmeausfälle abgelehnt wurde, auf der fünften Konferenz des Deutschen Postvereins in Karlsruhe im November 1865 dennoch Gehör fand.“

Ich zitiere aus einem Artikel, den ich im April 1997 über Wau Holland geschrieben habe, einen der Gründer des CCC („Der Kosmos-Radiomann„, Internet Professionell):

Wau sitzt heute im Keller des väterlichen Hauses in Marburg, umgeben von Gerümpel und meterhohen Papierstapeln und hat zur Zeit noch nicht einmal einen Anschluss an’s World Wide Web. Ihm reicht „erstens mail, zweitens mail, drittens mail“, selbstredend alles unter DOS. Ein dickes Konto besitzt Wau Holland auch nicht. Damit wäre er nicht glücklich. „Wenn du reich werden und den Grossen der Welt die Hände schütteln willst, wie Bill Gates, dann mache es nicht so wie ich.“

Seine Vorbilder sind weder „Cap’n Crunch“ alias John Draper, der die grossen Telefongesellschaften der USA narrte, noch Peter Samson, der Hacker am Massachusetts Institute of Technology, der 1959 die erste „Hackerethik“ formulierte. Wau Holland bewundert Henrich Stephan, den Erfinder der Postkarte und Generalpostmeister im Kaiserreich. Der hat den Weltpostvertrag durchgesetzt, in dem geregelt wird, wie der Briefverkehr zwischen Staaten funktioniert, die gerade Krieg führen. Das ist für ihn eine Kulturleistung ersten Ranges, und damit sind wir bei der heutigen Hackerethik.

Die fordert immer noch: Freier Zugang für alle zu allen Informationen. „Wissen ist mit der Verantwortung verbunden, es weiterzugeben.“ Jeder Programmierer nehme Vorwissen anderer in Anspruch: Dessen sollte sich jeder bewusst sein, „bis zu Konrad Zuse“. Wer Wissen zurückhält, ist der Feind. Der Computer soll ein Werkzeug für jeden sein, „keine Ideologie-schwangere Maschine, die Macht verleiht wie ein Zahnarzt.“

Der Kapitalismus nahm anonymere Formen an

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Oktober 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 43. Woche vom 20.10. bis 26.10.1929“.

„Die Rothschilds blühten in dem halben Jahrhundert von etwa 1815 bis etwa 1865. Sie waren die Schöpfer der letzten großen Privatbank. Der Kapitalismus nahm dann anonymere Formen an. Die großen Aktienbanken entstanden.“

1929 war man schon weiter als heute. Man durfte die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die wir alle lieben und verehren, Kapitalismus nennen und tat es auch.

Schöne männliche Erscheinung

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Oktober 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 42. Woche vom 13.10. bis 19.10.1929“.

Vorderseite: Einzug der Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche (1848)

Rückseite: Heinrich von Gagern: „Seine schöne, männliche Erscheinung wurde der Ausdruck des maßvollen festen Willens, die Rechte des Volkes mit der überlieferten Fürstenmacht versöhnlich auszugleichen. (…) Er trat für die ‚klein-deutsche‘ Lösung ein: Deutsches Reich unter preußischer Spitze. Aber der Preußen-König lehnte es ab, von der aus der Revolution hervorgegangenen National-Versammlung die Kaiser-Krone entgegenzunehmen. Das große Stunde fand ein kleines Geschlecht.“

Man muss sich eigentlich fragen, warum das heute niemand mehr so formuliert: „Westerwelles schöne, männliche Erscheinung wurde der Ausdruck des maßvollen festen Willens, die Rechte des Volkes mit der überlieferten Kapitalistenmacht versöhnlich auszugleichen.“

Lola Montez und der volkstümliche Ausbau des Staates

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Februar 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 41. Woche vom 06.10. bis 13.10.1929“.

Vorderseite: Münchener Studenten-Aufruhr um Lola Montez (1848).

Lola Montez war bei der Münchner Bevölkerung sehr unbeliebt. Sie löste einen Skandal nach dem anderen aus, wenn sie mit ihrer Dogge Turk Zigarre rauchend durch München zog. Lola, der der Gedanke einer studentischen Leibgarde gefiel, gelang es, den Senior und weitere Corpsburschen des Corps Palatia München dazu zu bringen, sich ihr unter dem neuen Corps-Namen Alemannia anzuschließen. Zum Corps-Studenten Peissner nahm sie bald ein sexuelles Verhältnis auf. Ihr Verhalten verursachte einigen Ärger in der Studentenschaft, so dass schließlich alle anderen Münchener Corps (Suevia, Palatia, Bavaria, Isaria) die Alemannia anfeindeten. Professoren und hohe Beamte wurden entlassen. Als sie schließlich von einer aufgebrachten Menge auf dem Theatinerplatz erkannt wurde, kam es zu Handgreiflichkeiten, und sie flüchtete sich in die Theatinerkirche. Daraufhin verordnete Ludwig I. am 9. Februar 1848 die sofortige Schließung der Universität bis zum Wintersemester 1848/49 und befahl allen Studenten, die Stadt binnen drei Tagen zu verlassen. Am 10. Februar 1848 zogen Studenten und andere Bürger vor die Residenz, und es kam zu Unruhen in der Stadt.

Man sieht: Burschenschaftler waren schon damals reaktionäre Spießer.

Rückseite u.a.: „Auch trat er für einen volkstümlichen Ausbau des Staates ein. (…) Ludwig verfiel der schönen spanischen Tänzerin Lola Montez. Das Verhältnis wurde zum Skandal, und als im Februar 1848 der Funke der Revolution von Frankreich übersprang, empörten sich die Studenten gegen den König, weil er das Tänzerin-Liebchen gegen sie zu halten wagte. Ludwig gab zu spät nach und verlor die Krone.“

Reichsritter Ulrich von Hutten

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Februar 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 16. Woche vom 14.4. bis 20.4.1929“.

Ulrich von Hutten ist der Onkel des Philipp von Hutten. Letzterer spielt eine tragende Rolle in meinem Roman „Die Konquistadoren„. (Ich finde es übrigens genial, dass die Briefe Philipp von Huttens jetzt im Original digital verfügbar sind.)

Umstrittener Religions-Stifter

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Februar 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 15. Woche vom 07.4. bis 14.4.1929“.

Passend zum Kirchentag der Evangelen: „Luthers Werk wird von den einen als ketzerische Spaltung betrachtet. Als Religions-Stifter ist seine Gestalt umstritten. Unumstritten ist sein Verdienst umd das deutsche Schrifttum.“

Zankende Frauen am Pranger

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Februar 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 9. Woche vom 24.2. bis 2.3.1929.“

Ich habe davon mehr als hundert Exemplare geschenkt bekommen und werde sie nach und nach einscannen. In der Tat sagen die Motive und die Text sehr viel über die deutsche Kultur aus.

Die „zwei zankenden Frauen am Pranger“ sind die Illustration zu dem Thema „Landfriedensgesetze“. Auf der Rückseite (vgl. verlinktes pdf) geht es um den Sachsenspiegel.

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