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.Der Kosmos-Radiomann
Wau Holland lehrte eines die Post das Fürchten. Heute nimmt der Gründer und Alterspräsident des Hamburger Chaos Computer Clubs die ActiveX-TEchnik von Microsoft aufs Korn.

Lebende Legenden dürfen alles das, was ein gewöhnlich Sterblicher nicht darf oder nicht kann oder sich nicht traut. Wau Holland trägt prinzipiell ausgebeulte Latzhosen, Sandalen und einen wild wuchernden Messias-Bart. Wenn er jedoch im Hauptquartier der Deutschen Bank oder bei der NASA anriefe und ein Gespräch begehrte, vergässe man dort wahrscheinlich alle Kleider- und sonstige Vorschriften und rollte ihm einen roten Teppich aus. Ausserdem würde man schleunigst alle Computer-Spezialisten zusammentrommeln und sie vergattern, sich mit dem Gast zu beschäftigen.

Die Rede ist von Wau Holland, dem Gründer des Hamburger Chaos Computer Clubs. Der CCC ist eine "galaktische Vereinigung ohne feste Strukturen", die die Post, "den Gilb", das Fürchten lehrte und grossspurige Ankündigungen von Computerfirmen, die Sicherheit ihrer Produkte und Rechner betreffend, ad absurdum führte. Wau, eigentlich: Herwarth, gilt immer noch als der Guru aller deutschen Computer-Freaks. Er ist "Doyen" des CCC, wie eine Zeitung schon vor zehn Jahren schrieb. Das heisst schlicht "Alterspräsident". Damals war er zuerst empört, dann nahm er den Titel an. Und schon Mitte der Achtziger luden ihn Mütter zum Sonntagnachmittag-Kaffee ein, weil sie wissen wollten, in welch' ominösem Verein ihre pubertierenden Söhne sich herumtrieben. Heute ist er 45 und siezt selbst Kinder gnadenlos zurück, bis die ihn duzen. Er duldet nur "Gespräche auf gleicher Ebene." Wau Holland war dabei, als der CCC 1983 per Btx in die Rechner der Hamburger Sparkasse eindrang und die zu Demonstrationszwecken um 135000 Mark erleicherte. Er schrieb für die taz über die "Computer-Guerilla", als Experten noch bezweifelten, dass es in Deutschland überhaupt Hacker gäbe. 1987 knackten die die Computer der NASA. Damit gerieten die Computer-Kids in das Spannungsfeld zwischen Industrie-Spionage, Kaltem Krieg, Geheimdienst- und Sicherheitsinterssen von High-Tech-Firmen. Das Bundeskriminalamt durchsuchte Wau Hollands Wohnung wegen des Vorwurfs, er hätte die Daten den schweizerischen Kernforschungszentrums CERN ausgespäht. Das Konterfei des Gurus mit standesgemässer schwarzer Sonnenbrille und der Hand am Akustik-Koppler ziert mehrere Standardwerke zum Thema Hacker.

Jemand mit dieser Biographie hat heute eine Firma wie Billy Gates. Oder wird als Berater hofiert wie Stephen Wozniak, einer der ersten Hacker in den USA und Erfinder des Apple-Computers. Oder kriegt einen Job bei einer Telefongesellschaft wie der ebenso legendäre Joe Engressia: Joe war blind und pfiff Frequenzen so perfekt, dass sich die Gebührenzähler der Bell Company ausschalteten und er gratis telefonieren konnte. Oder er treibt sich in irgendwelchen Regierungsgremien herum wie Hollands ehemaliger Mitstreiter Steffen Wernéry und tüftelt an Gesetzen zur Telekommunikation.

Wau sitzt heute im Keller des väterlichen Hauses in Marburg, umgeben von Gerümpel und meterhohen Papierstapeln und hat zur Zeit noch nicht einmal einen Anschluss an's World Wide Web. Ihm reicht "erstens mail, zweitens mail, drittens mail", selbstredend alles unter DOS. Ein dickes Konto besitzt Wau Holland auch nicht. Damit wäre er nicht glücklich. "Wenn du reich werden und den Grossen der Welt die Hände schütteln willst, wie Bill Gates, dann mache es nicht so wie ich."

Seine Vorbilder sind weder "Cap'n Crunch" alias John Draper, der die grossen Telefongesellschaften der USA narrte, noch Peter Samson, der Hacker am Massachusetts Institute of Technology, der 1959 die erste "Hackerethik" formulierte. Wau Holland bewundert Henrich Stephan, den Erfinder der Postkarte und Generalpostmeister im Kaiserreich. Der hat den Weltpostvertrag durchgesetzt, in dem geregelt wird, wie der Briefverkehr zwischen Staaten funktioniert, die gerade Krieg führen. Das ist für ihn eine Kulturleistung ersten Ranges, und damit sind wir bei der heutigen Hackerethik.

Die fordert immer noch: Freier Zugang für alle zu allen Informationen. "Wissen ist mit der Verantwortung verbunden, es weiterzugeben." Jeder Programmierer nehme Vorwissen anderer in Anspruch: Dessen sollte sich jeder bewusst sein, "bis zu Konrad Zuse". Wer Wissen zurückhält, ist der Feind. Der Computer soll ein Werkzeug für jeden sein, "keine Ideologie-schwangere Maschine, die Macht verleiht wie ein Zahnarzt."

Damit steht Wau Holland wieder in der Tradition der anarchistischen Computer-Freaks, die den genetischen Code des Cyperspace vom heute programmierten: Aus dem Kinderzimmer in den Daten der Grossen und Mächtigen wildern, David gegen Goliath, dem strikten Ehrenkodex folgend, sich nicht zu bereichern, sondern nur die Schwächen des Systems blosslegen, Robin Data gegen das Postmonopol und jedwede Zensur.

Der ordinäre Hacker sieht den vernetzten Computer eher als grosses Adventure-Spiel. Alles ist erlaubt. Und der besondere Lustgewinn entsteht, wenn man Verbote geschickt umgeht. Dadurch sind die Hackerbibel und die "Datenschleuder" des CCC unter der Federführung Hollands berühmt geworden. Frei nach dem Computer-Guru Richard Cheshire, der schon 1971 schrieb: "Ihr sollt nicht einen 2,4-Kilo-Ohm-Widerstand parallel schalten mit einem 0,3-Mikrofarad-Kondensator und es in dieser Form an die Datenleitung anschliessen. Das wäre nicht erlaubt."

Der Chaos-Computer-Guru betrachtet das alles aus philosophischer Sicht. Altsprachiges Gymnasium samt Abitur, Studium der Informatik, Elektrotechnik und Politologie, "Rote Hilfe" in Marburg: Das ergibt eine Weltsicht, die nicht so unpolitisch ist wie das Klischee vom individualistischen Hacker und genialischen Tüftler es suggeriert. "Der Computer ist die erste Universalmaschine", doziert Wau Holland. Zuerst kam die Schrift als eine Art Wissensspeicher. Dann die Enzyklopädie von Diderot und das Ideal, das menschliche Wissen müsse allen zugänglich sein, ein Buch, das beschreibt, wie ein Buch gemacht wird. Dann kamen die Betriebssysteme CPM und MSDOS3.x: Offene Schnittstellen, der Computer überwacht seine eigene Verwaltung und Produktion, Die Zeit jenseits von ASCII bricht an. Das Internet ist ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Wau Holland, aber nur ein Schritt. Die Quellcodes von Windows95 und der Apple-Programme sind immer noch das Paradies, das normalen Menschen verwehrt wird, ein Wissen, das Geld und Einfluss bedeuten. Er beruft sich auf das Kultbuch der ersten Hacker, den "Schockwillenreiter" von John Brunner: "Eine Gesellschaft funktioniert nicht, wenn mehr Wissen zu mehr Macht verhilft". Die Forderungen der französischen Aufklärer sind noch nicht erfüllt. Und deshalb sei der Chaos-Computer-Club nötiger denn je.

Die Experten von der Post lasen in der Gründerzeit des CCC jede Zeile der "Datenschleuder" und nutzten jede Gelegenheit, gegen die Veröffentlichung von Hacker-Rezepten zu klagen. Heute sind die ehemaligen Gegner milder gestimmt: Wau unterteilt die Nachfolgeorganisationen des "Gilbs" in die, "die immer noch für Feindsender-Empfang die Todesstrafe fordern" und Leute, die in der Tradition von Heinrich Stephan Weltoffenheit gegen die neuen Manager verteidigen.

Aber ganz kann Wau Holland es nicht lassen, den ehemaligen Feind zu piesacken. Mit Freunden bastelt er an Versuchsstrecken für Datenleitungen im Gigahertz-Bereich. Es gibt ein Gesetz, das dafür 50 Pfennig pro Einwohner des betreffenden Gebiets fordert. Das wurde "merkwürdigerweise" kurz nach dem Beginn der ersten Versuche in Thüringen erlassen. Und Wau Holland will kostenlose Datenleitungen, für alle. Die Fronten sind somit klar.

Auch hier sind die Freaks an der vordersten Linie der technischen Möglichkeiten, wie der Rucksacktourist, der dem Massentourismus die Wege bahnt: Es geht um die Verbindung des Rechners mit Audio und Video. Irgendwann wird Wau Holland auch hier wieder ein Erfolgserlebnis haben wie damals, als er sich mit dem "Kosmos-Radio-Mann" einen ersten eigenen Empfänger zusammenbastelte, ganz respektlos vor unbekannten Spulen und Dioden. Genauso despektierlich spricht er von Programmen mit vielen bunten animierten Bildchen. Alles simples Handwerk, und wenn die Rechnerleistungen sich rasant verbessern, gilt das noch lange nicht für die Leistung der Programmierer. "Der Mensch ist der Engpass". Man spürt das alte Motiv: Enzaubert den Mythos Computer! Für den Wirkungsgrad von Heizungen gebe es mathematische Formel, für den von Programmen nicht.

Deshalb, "auf der Ebene der Selbst- und Fremdironie", haben Wau Holland und einige seiner Mitstreiter zur Zeit einen neuen Feind, auch einen ehemaligen Hacker, den "Chef der Firma Kleinweich", wie er ihn nennt. Angriffsziel ist die AktiveX-Funktion des Explorers von Microsoft. Die Hacker wollen beweisen, dass sich damit Rechner fremd- und fernsteuern lassen. "AktiveX"-Technik öffnet, so sehen die Aktivisten des Chaos-Computer-Clubs das, "ein Scheunentor für programmiertechnisch begabte Wirtschaftskriminelle." Zur Demonstration wollen sie eine Web-Seite konstruieren, bei deren Aufruf per Explorer die Festplatte des ahnungslosen Users gelöscht und stattdessen das Betriebssystem Linux installiert wird. Falls das auf der CEBIT demonstriert werden kann, ist das ein Erdbeben, ähnlich wie der Hack der Hamburger Sparkasse vor 13 Jahren. Thomas Baumgärnter, der Pressereferent Internet &Tools von Microsoft, antwortete auf eine interne und detaillierte Vorab-Anfrage des CCC zum Thema: "Seien Sie versichert, dass Microsoft alle legalen Mittel prüft, um zu verhindern, dass hervorragende Produkte eine polemische, unsachliche, bösartig geschäftsschädigende und im übrigen handwerklich schlechte Presse bekommen." So hätte das auch die Post damals nicht besser formulieren können.

Wau Holland sieht dem gelassen entgegen. Er kann sich noch gut daran erinnern, "dass selbst die Geheimdienste Angst vor uns hatten". Nicht, weil die Hacker so gefährlich, sondern weil sie nicht kontrollierbar waren. Bei diesem Thema kann der Hacker-Guru sich geradezu diebisch freuen: "Es hätte noch nicht einmal etwas genützt, den ganzen Vorstand des CCC auszuwechseln." Dass es so ist, verdankt der Chaos-Computer-Club seinem Gründer. "Fraktionierung ist grundsätzlich erlaubt", solange sich die Verantwortlichen der "Erfahrungsaustauschgruppen" an die Hackerethik halten. "Der Verein ist nicht verkircht", in der schönen Doppeldeutigkeit des Wortes.

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