Systemrelevanter kultureller Lifestyle

whisky
Die zweite Welle kommt bestimmt – und schlimmer als die erste. Bitte bevorraten Sie sich. (ALDI-Deutsch)

Ihr könnt froh sein, dass ich in diesen Tagen überhaupt blogge. Gerade die letzte von sieben 12-Stunden-Schichten abgerissen, dazu noch ein Wechsel von Tagschicht zu Nachtschicht – aber jetzt habe ich ein paar Tage frei für Dröseln und die anderen zwei Berufe.

Da kommen mir jedoch ein paar Serien in die Quere, die ich allesamt dringend empfehlen kann.

Unorthodox

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Unorthodox ist natürlich Pflichtprogramm für alle, die aus Sekten oder sektenähnlichen religiösen oder politischen Gruppen kommen. Meine Biografie ist im Vergleich zum hiesigen Publikum vermutlich ein wenig exotisch, und ich befürchtete, dass jemand, der so etwas wie im Film geschildert wird, nie in vivo erlebt hat, das auch kaum nachvollziehen kann, vor allem was die Spätfolgen angeht.

Aber man muss das Thema aus der Sicht der Evolution anschauen. Gemeinschaften, die dem normalen Menschen im Kapitalismus schrecklich beengt, beschränkt oder sogar Furcht erregend vorkommen, sind nur ein Modell unter vielen möglichen, „Gesellschaft“ zu konstituieren. Alle Modelle sind „moralisch“ gleich viel wert, nur eben mehr oder weniger effektiv, ganz nach den jeweiligen Umständen. Je enger und einschnürender die Gemeinschaft, um so mehr kann sie soziale Sicherheit garantieren. Je größer der Anpassungsdruck, um so mehr wird es katastrophal, wenn sich jemand dem verweigert. Das ist bei den Mennoniten so, die ich in Mittelamerika besuchte, bei den Neuapostolischen und im chassidischen Milieu, das in Unorthodox geschildert wird.

Ich kann die Kritik, die zum Beispiel Michael Wolffsohn anbringt, ein wenig nachvollziehen: „Da die meisten Zuschauer von „Unorthodox“ wahrscheinlich das Judentum noch weniger kennen als Christentum und Islam, werden sie daraus fehlschließen, „das Judentum“ verdamme „Fleischeslust“.“

Gerade darum aber muss man solche Filme drehen und zeigen: Der öffentliche Diskurs kann kann solche Fehlschlüsse eventuell korrigieren. Ganz klar aber ist, dass dieses Milieu, mag es auch nur wenig repräsentativ sein, für die Unterdrückung der Frau an sich steht. Man kann nicht für Emanzipation sein, und nebenan so etwas akzeptieren, weil es einer Tradition entspricht. Da bin ich ganz Kulturrevolutionär: Hau weg den reaktionären Scheiß!

Fauda, Staffel 3

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Fauda war der einzige Grund, warum ich damals ein Netflix-Abo abgeschlossen habe. Auch die Staffel 3 hält das hohe Niveau (ich bin noch nicht ganz fertig mit Gucken, und Marina Blumin kann man ohnehin nicht oft genug sehen).

Was ich nicht wusste: „Eine Folge „Fauda“ kostet trotz aufwendiger [sic] Gefechtsszenen mit 200.000 Euro knapp ein Siebtel einer Folge „Tatort“. Fast nirgendwo werden Serien günstiger gedreht als ins Israel. Und fast nirgendwo besser.“

Quod erat demonstrandum. Und die Schauspielerinnen sind auch fast alle hübscher als in hiesigen Krimis. Unbedingt empfehlenswert, keine Sekunde Langeweile.

Bosch Staffel 7

bisch
Bosch

Bosch ist mit Abstand die beste Krimi-Serie, die ich jemals gesehen habe – und wehe, jemand schaut die synchronisierte Version! Mit deutschen Untertiteln hört sich das nuschelige Hardcore-Bullen-Englisch erst richtig gut an – und man lernt viele Slang-Ausdrücke, was bekanntlich beim Sprechen nützlich ist.

Ohne die entzückende Madison Lintz würde der Serie etwas fehlen: Das komplizierte Vater-Tochter-Verhältnis wird großartig in Szene gesetzt. Bewertung: So viel Sterne wie möglich.

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Kommentare

11 Kommentare zu “Systemrelevanter kultureller Lifestyle”

  1. multiplikato am April 18th, 2020 8:55 pm

    und was wollte uns der Autor damit sagen. Das auch er die Welt aus einem eingrenzbaren Winkel betrachtet und meint den Krümel des Steines der Weisen gefunden zu haben. Die Innenringtheorie schein wahr zu sein. Nicht jedes kulturelle Produkt wiederspiegelt die Welt, es nagt, es fordert, ist aber nichtdestotrotz nur ein einseitig gestalteter Moment, der den Lesenden manipulieren will.

  2. Sone1Blb am April 18th, 2020 11:38 pm

    Ich könnte noch The Wire empfehlen

  3. ... der Trittbrettschreiber am April 19th, 2020 4:22 am

    Ein paar Tage Zeit fürs Dröseln und 2 andere Berufe:
    Langsam wird mir schwummrig, soviel Hardcore, nicht nur bei der Wahl der Getränke. Serien schauen braucht Zeit, ich habe mir kürzlich den Preacher angetan, man kommt vor Lachen und hin und wieder Langeweile nicht aus dem Stiermodus heraus. Goethe war auch so jemand, der sein Leben als Workoholic verbracht hat. Das muss aber irgendwie gemanaged werden. Sei ehrlich Burks – entweder trinkst Du nicht nur Whisky oder du hast einen Haufen Angestellte im Backstage. Mir bleibt da nur der deprimiert schlurfende Gang in den ausgangssperrenbedingt gähnend leeren JEVER-Keller.

  4. Stephan Fleischhauer am April 19th, 2020 7:42 am

    „aufwendig“ ist auch nach neuer Rechtschreibung noch korrekt. https://www.duden.de/rechtschreibung/aufwendig

  5. Messdiener am April 19th, 2020 8:10 am

    Falls es hier Zweifler geben sollte:

    https://www.youtube.com/watch?v=XHN6Mfv3a14

  6. Juri Nello am April 19th, 2020 9:05 am

    Unorthodox kommt allerdings auch reichlich klischeehaft daher, was auch der Standortwahl NY vs. Berlin entspricht. Mal schauen, wann es im Amiland ankommt, dass Berlin gar nicht mehr so cool ist und auch das letzte Hipstertum seit Corona komplett weggefegt ist. Auf jeden Fall sollte man Untertitel bemühen, da die fließenden Wechsel zwischen Jiddisch, Englisch (oft auch Pigeon English) und Deutsch fließend und mitunter verwirrend sind. Vgl. Deutschlehrerkabarettist Schröder. Das mit der Fleischeslust ist dabei ein Muss in der Darstellung, genau wie bei vielen arabischen Filmen. Wenn Du als Schauspieler oder Regisseur in den Kreisen sonst beruflich unterwegs sein musst, kann Dir sonst schnell mal das Leben verlustig gehen.

    Fauda fängt sehr stark an, lässt dann aber auch stark nach und lebt dann (wie oft) von den Charakteren. Hier wären auch Grundkenntnisse des Arabischen und Hebräischen vorteilhaft, da man für die Untertitel schon ausgesprochener Speedreader sein muss, es sei denn, man gönnt sich die Zeit, die Szenen mit der Pausetaste länger als Standbild zu verfolgen.

    Bosch ist m. E. völlig überschätzt. Eigentlich nur ein weiterer, typischer Amilandkrimi. Eher Durchschnittskost. Wenn man sowas, wie die Brücke oder die Millenium Triologie gesehen hat, ist man dafür doch zu verwöhnt. Zum Einschlafen ist Bosch aber mitunter sehr funktional.

  7. tom am April 19th, 2020 11:05 am

    (un)orthodox.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Chaim_Potok
    Leider unvollständige Liste seiner Werke.
    In the Beginning und folgende mindestens so empfehlenswert wie der Film. Reißerische Elemente wie Moshe mit der Knarre fehlen allerdings.

  8. Besserwisser am April 19th, 2020 4:15 pm

    Danke für die Serien-Tipps.

    P.S.: Westworld dürfte dir auch gefallen …

    PPS: Bezugnehmend zu deinen anderen Posts, in dem du (zurecht) das Klerikale kritisierst. Ich zähle auch die Mao-Bibel zum „klerikalen Umfeld“. Anhänger reagieren ja ebenfalls sehr beißwütig und neunmalklug (… einfach nur die Systemfrage stellen und alles wird gut. Kannst dich dann ja auch auf deinen Balkon stellen und den Pflegekräfte ein Lied mitsingen. Und für sie beten … äh … ihnen eine Mao-Bibel in die Hand drücken). Ist so!

  9. Wolf-Dieter Busch am April 20th, 2020 10:01 am

    Mal grundsätzlich. Sieben 12-Stunden-Jobs hintereinander, das geht an die Substanz. Meine Mutter hatte dazu mal gesagt: das die Kerze an beiden Enden angezündet.

    Ernster Rat.

  10. Serdar am April 22nd, 2020 8:54 pm

    Ich gebe dir Recht Burks, das ist mit Abstand einer der besten Serien! Bei jeder Staffel warte ich bis die nächste kommt.

    Ich habe die aktuelle Staffel von Bosch in einem Zug geschaut. Hatte ich eigentlich nicht vor, aber nach der ersten Folge, wollte ich unbedingt wissen wie es weitergeht. Und schon war ich bei der letzten angekommen.

    Gute Nachricht: Es wird auch eine 7. Staffel geben!

    Die kanadische Krimi-Serie Cardinal kann ich auch empfehlen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Cardinal_(Fernsehserie)

  11. Schon wieder und unter anderem: Schöne Menschen mit Menstruationshintergrund : Burks' Blog – in dubio pro contra am September 12th, 2020 1:58 am

    […] wärmste Empfehlung gilt Shtisel – gefällt mir wesentlich besser als Unorthodox. (Weiß jemand, ob Stiesel jiddischen Ursprungs […]

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