Massenmenschhaltung
Das Foto habe ich 1982 in Breslau (Wrocław) gemacht. Es ist schon komisch, dass im gesamten damaligen „Ostblock“ – und nicht nur dort – der gleiche scheußliche Geschmack herrschte, was Neubauten angeht (mal abgesehen von der Stalinallee, die im Original – wie sie geplant war – immerhin Stil zeigt.)
Der polnische Freund (vorn im Auto), der mich herumfuhr, wollte mir nur zeigen, was damals in Polen als „modern“ und „fortschrittlich“ halt. Gut fand er das auch nicht. Seine Eltern gehörten offenbar zur Nomenklatura, denn einige Jahre später haben er und sine Frau mich in West-Berlin besucht, noch zu realsozialistischen Kreisen. Leider habe ich den Kontakt zu den beiden verloren.
Ich weiß nicht mehr, wo genau das Neubauviertel war. In den Breslauer Architekturführern steht natürlich nichts.
Ein Hinweis an die politisch korrekt korrigierende Sprachpolizei: Die Polen nennen Stettin „Szczecin“, soll ich also auch „Szczecin“ sagen? Nein. Ich kann „Wrocław“ eh nicht korrekt aussprechen. Auch via Google Maps findet man „Breslau“. Ich nenne den Iran ja auch Persien und nicht Dschomhūrī-ye Eslāmī-ye Īrān.
Philipp Ther hat zur Geschichte Breslau Interessantes und Lesenswertes geschrieben („Das polnische Breslau als europäische Metropole – Erinnerung und Geschichtspolitik aus dem Blickwinkel der Oral History“):
Der Durchbruch für ein verändertes Geschichtsbild kam nach der Wende von 1989. Mit den deutsch-polnischen Verträgen hatte die Bundesrepublik endlich verbindlich anerkannt, dass die polnische Westgrenze Bestand haben sollte. Damit waren die Sorgen der Breslauer zerstreut, dass ihnen irgendwann erneut die Heimat genommen würde. Seitdem kann man als Deutscher Breslau sagen, ohne von den Gastgebern darauf hingewiesen zu werden, dass es eigentlich Wrocław heißen müsse, was vor allem in der Adjektivform seltsame Konstruktionen ergibt. Ebenso unbefangen sprechen die Breslauer auch von Lwów und nicht von L´viv, wie das ukrainische Lemberg heißt.
Kommentare
13 Kommentare zu “Massenmenschhaltung”
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Menschenhaltung? Menschenhaltung habe ich neulich in einem staatlichen Altenheim erlebt. Die dürfen dort nicht mal ein Fahrrad haben. Dort gibt es sogar einen Zapfenstreich. Verfehlungen werden bestraft!
Man schaue sich nur mal die modernen Wohnmaschinen in Singapore an. Das Foto in Deinem Beitrag ließ mich sofort daran denken. Am Nationalfeiertag wird im Fern-Ostblock ähnlich geschmückt.
Für manchen Bewohner des Ostblocks war der Einzug in eine solche Wohnung wie der Einzug ins Paradies. Zumindest weiß ich das aus eigenem Erleben in der DDR. Natürlich war es auch der verfallenden Substanz in den Innenstädten geschuldet und dem Unvermögen, diesen Verfall aufzuhalten.
…und die Sonne feixt dazu.
…was für Probleme mit den Namen…..Prag und Karlsberg sage ich schon immer…
…..lach…natürlich KarlsBAD……
Die Sache mit der Sprachpolizei sehe ich auch eher entspannt. Wir sprechen schließlich auch völlig stressfrei von „Prag“ und „Moskau“. Da quarkt auch niemand herum, dass es korrekt „Praha“ und „Moskwa“ hieße…
Dieser Typ Wohnungen wurde in der DDR auch scherzhaft als „Arbeiterschließfach“ oder „Schnarchsilo“ bezeichnet.
Das ist mir zu billig und unter Burks‘ Niveau.
Kann man mal drüber nachdenken, wie die polnischen Städte 1945 – http://gebattmer.twoday.net/stories/38758686/ – aussahen, unter welchen Bedingungen Breslau aufgebaut werden musste (http://www.zeit.de/2005/10/A-Breslau) und unter welchen (Akkumulkations-)Bedingungen die Mittel für den Wohnungsbau von Ostberlin bis Stalingrad aufzubringen waren (bis in die 80er Jahre, die Sie wohnungsbaumäßig so doof finden; vgl. http://gebattmer.twoday.net/STORIES/34621825/).
Das soll ja die Scheußlichkeit der Plattenbauten nicht entschuldigen, kann sie aber erklären und schützt vor Überheblichkeit!
Den Hinweis auf eine Sprachpolizei finde ich genauso unter Niveau, -zumal wenn man sich dabei auf eine Autorität wie Google-Maps (ansonsten die Hauptstelle für das Wahrheitswesen!?) berufen muss. Das kommt doch immer darauf an, mit wem ich spreche! Ich kann hier Breslau sagen, aber wenn ich mit oder in Polen spreche, werde ich versuchen, das durchgestrichene l zu artikulieren. Ich frage ja auch keinen Franzosen, wo’s nach Nizza geht. … Und die Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Touristen schon in den 80er Jahren in Prag auf Deutsch bestellt haben, fand ich immer unerträglich …
Wenn ich Polnisch spräche, würde ich Wrocław sagen. Aber nur dann. Ich sage auch Mexiko Stadt und nicht Mexico Ciudad oder gar Mexico City.
Dagegen sieht es hier richtig gemütlich aus:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/99/Gropiusstadt_apartment_houses.jpg
Scheiße – das ist ja Westen.. ;-)
Und nicht mal das Märkische Viertel. Oder bestimmte Gegenden in Spandau…
Ich sag’s ja: grauenhafter Geschmack ist system-, länder- und zeitunabhängig.
Übrigens gab es in der DDR amtliche Vorschriften zur „Schreibweise geographischer Namen…“ für kartographische Darstellungen aller europäischer Staaten. Das Verzeichnis für Luxemburg, Malta, Liechtenstein, Andorra, Monaco und den Vatikan wurde pünktlich zum 40. Jahrestag fertig.
Komisch: Mecksiko-Stadt habe ich noch nie gesagt; aber irgendwie haben Sie ja Recht: Ich sage auch Leningrad und nicht Sankt Petersburg …
Architektur ist leider (noch) in keinem „System“ ein Straftatsbestand
Die Knäste wären überfüllt. Schauen wir einfach mal aus dem Fenster.
Frage:
„Ist der Tod eine Frage des guten Geschmacks?“
Bitte nicht springen!!!