Mistgabel schwingenden Twitter-Tyrannen

perspektive

Alles, was wir sehen, ist eine Perspektive, nicht die Wahrheit. (Marc Aurel, Chef der herrschenden Klasse des römischen Reiches)

Im Tagesspiegel las ich (ganz ohne Gendersternchen) „Fair, objektiv, neutral – das war einmal! Wirklich? – Können Medien neutral sein? Muss Journalismus jeder Meinung eine Bühne bieten?“

Ich bin erstaunt, dass „Mainstream-Medien“ ein Begriff der Rechten sein soll? Das mag sein, aber ich nutze ihn – oder sollte ich besser „bürgerliche Medien“ sagen, was mir ohnehin mehr behagte, aber das des Marxismus unkundige Publikum mit offenem Mund staunend zurückließe? Oder: Journalisten haben einen Klassenstandpunkt und schreiben auch so. Und jetzt alle im Chor: Klassenstandpunkt? Was ist das?

Man kann nicht erkennend außerhalb des Erkennens stehen, einen Standpunkt des Objekts gewinnen, der nicht selbst wieder nur ein bloßer Standpunkt der erkennenden Subjekt-Objekt-Beziehung wäre. (Ernst Bloch, aber von dem stammt auch der Satz, den ich missbillige, weil zu religiös-eschatologisch: Ein Marxist hat nicht das Recht, Pessimist zu sein.)

Malte Leming zitiert Kathleen Parker von der Washington Post, und damit ist alles gesagt:
Man brauche nicht viel Mut, um sich einer Gang anzuschließen, eine Meinung zu unterdrücken oder eine Karriere zu ruinieren, schreibt sie. „Aber man braucht viel Mut, um sich alleine einer Welle von Mistgabel schwingenden Twitter-Tyrannen entgegenzustellen und den freien Austausch von Ideen zu verteidigen, auch wenn einige davon schlecht sind.“

Natürlich ist „Objektivität“ und sogar das hehre und von mir selbst oft zitierte Motto audiatur et altera pars nur eine Illusion, mit der ich mir selbst widerspräche, bestünde ich darauf, dass man die Herkunft aus einer bestimmten Klasse leugnen oder gar vollends ablegen könnte. Ich meine nicht Privates, sondern das, was in den Medien publiziert (werden darf und kann).

Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde eines Morgens sein Facebook-Profil gelöscht.

Noch schlimmer ist „Ausgewogenheit“, die der Tagesspiegel anführt. Dennoch: Man sollte sich als Journalist an den Auftrag erinnern, den man hat, so pathetisch es klingt – und den hat das Bundesverfassungsgericht definiert:
Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung.

Ob das im Kapitalismus umzusetzen ist, bezweifele ich. Ich bin aber frei, zu schreiben was ich will, weil ich nirgendwo angestellt bin und das auch nie sein wollte – für den Preis, dass ich mit Journalismus allein nicht finanziell überleben könnte. Ich lese eigentlich nur konservative Zeitungen, weil ich bei allen anderen schon vorher weiß, was die meinen.

Wer Antisemit ist, ist übrigens nicht „links“, sondern der Teil des Gesäßes, den ich hier nicht benennen will. Musste mal gesagt werden.

Nun diskutiert mal schön da unten (könnte Heinrich Lübke gesagt haben).

image_pdfimage_print

Kommentare

3 Kommentare zu “Mistgabel schwingenden Twitter-Tyrannen”

  1. Godwin am Juli 29th, 2020 7:50 am

    wird da etwa Kafka zitiert…?

    …ohne die Quelle zu nennen?

    „Ich lese eigentlich nur konservative Zeitungen…“
    –> „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ – Friedrich Nietzsche

    vor 10 Jahren war es noch die linke, die wider dem kapitalistischen Mainstream polterte. Die radikale linke erklärte alles zu rechts, was nicht annähernd so radikal war wie sie selber…

    Es fragt sich, warum des Gespenst “ linksliberal“ (alternativ auch „links-grün-versifft“) so viel wirkungsmächtiger ist als andere?
    Es fragt sich, wann der erneute Roll-Back kommt?

    Aber was erwartet man in einer Welt, in der Zeitungen verkauft werden sollen (und damit dem geneigten Leser gefallen müssen)
    und in einer Welt, in der Analysten herausfinden, welche Farbe die Schuhe eines Präsidentschaftskandidaten haben müssen, um sowohl Arbeiter-Masse und Hautevolee anzusprechen?

    Form ist Inhalt – Marketing-Weisheit der 80er Jahre. Die weichen wurden schon vor langem gestellt…

  2. ... der Trittbrettschreiber am Juli 29th, 2020 9:15 am

    Was ist denn ein Antisemit?

    Marc Aurel Buch XI (14):
    „Die sich gegenseitig verachten, das sind ausgerechnet die, die sich gegenseitig zu gefallen suchen. Sie wollen sich gegenseitig übertreffen und machen voreinander einen Diener.“

  3. Fritz am Juli 29th, 2020 9:32 am

    „Man kann nicht erkennend außerhalb des Erkennens stehen, einen Standpunkt des Objekts gewinnen, der nicht selbst wieder nur ein bloßer Standpunkt der erkennenden Subjekt-Objekt-Beziehung wäre.“

    Als würde die Welt nicht existieren, wenn es keine menschlichen Subjekte gäbe. Ich halte das für Unsinn.

Schreibe einen Kommentar