Hunger Games: Capitalist agitprop

Mockingjay

Neulich habe ich mir aus feuilletonistischen Gründen den Kinderfilm The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 auf einem Streaming-Portal meines Vertrauens angesehen, in Englisch mit spanischen Untertiteln. Vor knapp einem Jahr hatte ich hier schon etwas zu den Vorläufern des Streifens geschrieben. Ich muss zugeben, dass ich mir das Ende nicht mehr ansehen wollte, weil ich mich langweilte. Es kommt kein Sex vor, und die Küsse sind so, wie man in der Pubertät küsst. Warum sollte ich so einen Film anschauen? Die Mädchen kämpfen zwar, aber verhalten sich genderpolitisch eben doch so wie in den 50-er Jahren, was zur allgemeinen kulturellen Regression passt.

Ewan Morrison hatte im Guardian eigentlich schon alles gesagt: „Y[oung] A[adults] dystopias teach children to submit to the free market, not fight authority. The Hunger Games, The Giver and Divergent all depict rebellions against the state, and promote a tacit right-wing libertarianism.“

Es ist wegen der freiwilligen politischen Selbstkontrolle natürlich undenkbar, dass so ein Statement in deutschen Medien vorkäme, ganz zu schweigen von einem Link, der über die Diskussion zwischen Stalin und H.G.Wells im Jahr 1937 über anti-kapitalistische Utopien informiert (Vorsicht! Schwefelgeruch!).

Andrew O’Hehir in Salon.com legt noch eins drauf: „capitalist agitprop … propaganda for the ethos of individualism, the central ideology of consumer capitalism“.

Es wundert mich auch nicht, dass deutsche Rezensionen, abgesehen von – im Land der evangelischen Pfaffen – Kritik an zuviel „Gewalt, den Film „Hunger Games“ feiern als „als cleveres Drama, das sein Publikum ernst nimmt“ oder „Glücksgriff“ und „bestes Identifikationsmaterial“. Manchmal finde ich es unfassbar, wie Journalisten ihre ideologischen Scheuklappen so verinnerlicht haben, dass sie zu einer ernsthaften Filmkritik gar nicht mehr in der Lage sind. Wichtig ist nur, dass der Kapitalismus in irgendeiner Form verherrlicht wird.

Die erste und wichtigste Frage an einen solchen Film, der in der „Zukunft“ spielt, ist immer: Warum die Zukunft und nicht die Gegenwart? Warum kann man die Botschaft nicht im Hier und Jetzt spielen lassen? Die Antwort ist einfach: Siehe oben. Es geht weder darum, das System zu stürzen noch darum, sonstwie zu „rebellieren“, ganz im Gegenteil. Alles läuft der Führerin hinterher und alles hängt von ihr ab. Ein Volk, ein Reich, eine Katniss. Die „Hunger Games“ sind nicht revolutionärer als „Hänsel und Gretel“. Die subkulturelle Ikonografie (vgl. Screenshot oben: Frisur usw.) klaut wahllos alles, was irgendwie im nächsten Friseur-Salon zu sehen ist. Von Fantasie und Stil keine Spur.

The villainous daddy-state presided over by Donald Sutherland (in „Hunger Games“) and Kate Winslet (in „Divergent“) is as much a paper tiger as the corrupt old regime of landlords and kulaks seen in Soviet boy-girl-tractor romances of the 1930s. (Andrew O’Hehir)

Ewan Morrison argumentiert, dass Kinder- und Jugendfilme wie „Hunger Games“, ein Angriff seien auf „many of the foundational projects and aims of the left: big government, the welfare state, progress, social planning and equality. They support one of the key ideologies that the left has been battling against for a century: the idea that human nature, rather than nurture, determines how we act and live. These books propose a laissez-faire existence, with heroic individuals who are guided by the innate forces of human nature against evil social planners.“

Man muss heutzutage schon ausländische Medien rezipieren, um intellektuell anspruchsvolle Filmkritiken lesen zu können. Deutsche Medien sind einfach, mit nur wenigen Ausnahmen („konkret“, „Telepolis“, „Jungle World“), weltanschaulich tot, gestorben, bloße Propaganda, seichtes Gefasel.

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Kommentare

10 Kommentare zu “Hunger Games: Capitalist agitprop”

  1. Eike am Januar 17th, 2015 9:42 pm

    Endlich mal ein brillanter Text dazu. Jetzt müsste ich nur noch wissen, wie ich das meinen Weibern vermitteln kann.

  2. admin am Januar 17th, 2015 11:10 pm

    Lasse sie ihn lesen ;-)

  3. Ahmed am Januar 18th, 2015 1:09 am

    Allein für den Link zum Stalin-Interview gebührt dem Autor der Lenin-Pokal. Den Unterschied zwischen Blättern wie Jungle World, Compact und Konkret muss man dem Ausland allerdings erst genau erklären. Das sind eher religiöse Wertungen, wie mir scheint. SIE sollten ein Blatt führen, das wäre was.

  4. Heiliger Stuhl am Januar 18th, 2015 9:11 am

    „im Land der evangelischen Pfaffen“

    Bitte, mehr davon!

  5. Ruedi am Januar 18th, 2015 9:20 am

    Werden sie ihn verstehen, die Weiber, den Text?

    Auch ein Kompliment meinerseits!

  6. admin am Januar 18th, 2015 11:31 am

    Ich hatte Elsässer und „Compact“ nicht erwähnt, das ist der rechte Rand.

  7. R@iner am Januar 18th, 2015 2:55 pm

    Titanic, keiner denkt an die Titanic.

  8. Mordred am Januar 19th, 2015 3:02 pm

    vielen dank für diese ausführungen. aus der perspektive habe ich die filmreihe noch nie betrachtet.

  9. epikur am Januar 20th, 2015 3:50 pm

    Ich hätte da einen Filmtipp für Dich „die Jagd“ mit Mads Mikkelsen. Die Dänen trauen sich mehr als die deutschen Filmemacher.

  10. Amike am Januar 20th, 2015 5:20 pm

    @ Burks: Dem Lob für diese Kritik kann ich mich leider nicht anschliessen. Deine These ist zwar interessant, sie wäre aber noch interessanter, wenn sie nicht so pauschal daherkäme, sondern einzelne Aspekte konkret am Film herausgearbeitet würden.

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