Wir basteln uns eine Pressemeldung über die Revolution oder: Die Möglichkeit sittlicher Entschlossenheit, ohne die Systemfrage zu stellen

„Der Aufstand in [bitte selbst ausfüllen] gerät ins Stocken, die Opposition um [bitte selbst ausfüllen] kämpft gegen viele Widerstände. Denn das Regime [bitte selbst ausfüllen] ist eng verbandelt mit den wirklich Mächtigen im Land: den einflussreichen Industriebaronen.“

So schreibt das ehemalige Nachrichtenmagazin und hat selbst die betreffenden Wörter eingefügt, die für die Ukraine gelten. Das ist natürlich sowohl falsch, weil es nur die halbe Wahrheit ist, als auch Deutsch des Grauens.

Denn der Mann trug etwas vor den Eiern: einen Tiefschutz. Diese Art und Weise, verkasematuckelt zu schwadronieren, ist das Gegenteil der Unsitte, in Nachrichten das scheinarbar Wichtigste nach vorn zu zerren, weil die Leserinnen und Leser sowieso gefühlt zu blöd sind, einen ganzen Satz zu rezipieren. Jetzt schieben sie das, was gesagt werden soll, an das Ende des Satzes, sie verstecken es sogar, damit die Leser möglichst lange auf der Seite bleiben.

Wenn schon, denn schon. Dann macht es wie Thomas Mann:
Der Autor der klaren und mächtigen Prosa-Epopöe vom Leben Friedrichs von Preußen; der geduldige Künstler, der in langem Fleiß den figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal im Schatten einer Idee versammelnden Romanteppich, „Maja“ mit Namen, wob; der Schöpfer jener starken Erzählung, die „Ein Elender“ überschrieben ist und einer ganzen dankbaren Jugend die Möglichkeit sittlicher Entschlossenheit jenseits der tiefsten Erkenntnis zeigte; der Verfasser endlich (und damit sind die Werke seiner Reifezeit kurz bezeichnet) der leidenschaftlichen Abhandlung über „Geist und Kunst“, deren ordnende Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben Schillers Raisonnement über naive und sentimentalische Dichtung zu stellen: Gustav Aschenbach also war zu L., einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines höheren Justizbeamten geboren.

Wir waren aber in bei der Ukraine. Ich könnte jetzt sogar noch ein weiteres Fass aufmachen und den Blog-Tag „Das Ministerium für Wahrheit informiert“ bedienen: „Kapitalist“ heißt jetzt „Industriebaron“, weil adlig schön und angenehm und guttenbergisch ist und klingt. Und man hat es geschafft, das kommunistische Wort „Kapitalist“ zu umgehen. Kai Dieckmann ist ab jetzt ein Boulevard-Baron.

Zeit online klärt übrigens einigermaßen auf, wer warum in der Ukraine für oder gegen was ist. Das Proletariat ist gegen „den Westen“, weil dann die meisten Kohlenbergwerke im Osten des Landes geschlossen würden. Es geht also gar nicht um eine „Revolution“ in der Ukraine, sondern um einen Kampf, wer etwas vom zukünftig Kuchen abbekommt. Klitschko ist auch ein Reaktionär und zudem ein Steigbügelhalter des EU-Imperialismus. (Schöner und sehr altertümlich klingender Satz.) Die Systemfrage stellt niemand. Das wäre eine Revolution.

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Kommentare

5 Kommentare zu “Wir basteln uns eine Pressemeldung über die Revolution oder: Die Möglichkeit sittlicher Entschlossenheit, ohne die Systemfrage zu stellen”

  1. lepus am Dezember 10th, 2013 6:03 pm

    „Die Systemfrage stellt niemand.“
    Trittbrettschreiber hilf! Res Publica adhuc est machina!
    Und wenn das Proletariat die Bourgeoisie per Revolution gestürzt hat ist Weihnachten ( jedenfalls in der Glaubensgemeinschaft Sozialismus (TM)

  2. Eike am Dezember 10th, 2013 9:58 pm

    Also nur eine weitere Bestätigung von Warren Buffets Aussage bezgl. des Klassenkampfes.

  3. .... der Trittbrettschreiber am Dezember 11th, 2013 8:13 am

    @lepus

    res publica res ovum est!

  4. Holger am Dezember 11th, 2013 11:29 am

    Korrigiere mal bitte den kleinen Tippfehler im Titel ;)
    Und eigentlich schade: Bei dem Titel hatte ich im Artikel etwas mehr erwartet.

    VG
    Holger

  5. San Andrés : Burks' Blog am Februar 23rd, 2014 2:15 pm

    […] Putsch gegen ein reaktionäres Regime “Revolution” nenen sollte (falls sich jemand für die Ukraine […]

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