Das Kreuz mit der Sucht III

Der Zwang zur Heilung

– aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Die Theorie der «Suchttherapie» hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie die staatlichen Maßnahmen gegen Rauschmittel: Sie hat ihren Geltungsbereich immer weiter ausgedehnt. Das ursprüngliche Problem geriet dabei zunehmend aus dem Blickfeld: Nicht der Missbrauch von Drogen muss bekämpft werden, sondern das angeblich sozial auffällige Verhalten der Süchtigen.

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Da es den Medizinern und Therapeuten nicht gelingt, des «Problems» Herr zu werden, verlagern sich auch ihre Anstrengungen: Dem «Suchtcharakter» der Opiatabhängigen kommt man nicht so leicht bei, und deshalb muss man mit «sanfter» Gewalt nachhelfen, um die Einsicht des Drogen-Konsumenten in sein «Problem» zu fördern.

Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Fälle von «Morphinismus» (1) beschrieben wurden, dauerte es nicht lange, bis die Therapeuten auf den Plan traten. Ein Handbuch der Psychiatrie aus dem Jahre 1912 beschreibt das, was auch heute noch in manchen Drogentherapien gültig ist: «Die Energie zur Selbstentwöhnung besitzen nur wenige Morphinisten, meist ist Zwang nötig; selbst wenn die Kranken ihr Einverständnis für die Einleitung der Entziehungskur gegeben haben, suchen sie sich häufig, sobald die Beschwerden der Abstinenzperiode einsetzen, zu entziehen.» Deshalb empfiehlt man: «Bei Aufnahme in die Anstalt ist, vor allem bei uneinsichtigen, widerstrebenden Kranken, genaue körperliche Visitation nach mitgebrachten Morphiumvorräten erforderlich; sie hat sich gegebenenfalls auch auf die Körperöffnungen zu erstrecken.» (2) Für die Kranken sei «eine solche strenge Beaufsichtigung ein Halt und eine Stütze» in «ihrem» Kampf gegen den Rückfall. Während die ersten Vertreter der therapeutischen Zunft noch zwischen «willigen» und «unbehandelbaren» Drogen-Konsumenten unterscheiden, setzt sich in wenigen Jahrzehnten die auch heute noch von den meisten Ärzten und Therapeuten gebilligte Meinung fest, gegen «Sucht» helfe nur Zwang.

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Seit knapp hundert Jahren hat sich offenbar nicht viel geändert. Die Theorien darüber, was als Ziel der Behandlungen von Opiatabhängigen erreicht werden soll und wie das zu geschehen habe, sind vage. Es werden nur Teilziele benannt. «Entwöhnung» meint den Prozess, die Droge abzusetzen, also den Entzug überhaupt erst einmal durchzuhalten. Die «Gewöhnung», von der man lassen soll, differenziert nicht zwischen der körperlichen Abhängigkeit und dem psychischen Verlangen, das auch nach dem Absetzen des Rauschmittels fortbesteht. Heute spricht man im engen Sinne von «Entgiftung»: Der Körper soll vom «Rauschgift» befreit werden, wobei «Gift» klammheimlich suggeriert, hierbei handele es sich um eine gefährliche und schädliche Substanz – was bei Opiaten zumindest fragwürdig ist.

Leider verhalten sich die Kranken uneinsichtig. Auch das ist gleich geblieben. Sie bringen nicht genug «Energie» auf. Um die Behandlung zu verlängern oder zu wiederholen, muss der Begriff «Sucht» herhalten. Die Abhängigkeit von einer Droge wird zu einem «strukturellen» Problem gemacht, das tief in der Psyche des Kranken verborgen sei. Das ständige Auf und Ab zwischen Entgiftung und Rückfall wird zu einer Selbstverständlichkeit, wobei das Ziel in immer weitere Ferne rückt. Der Kranke hat falsch gelebt und bringt nicht genug Energie auf, ein besseres Leben zu führen. Deshalb muss er «Leben neu lernen» (3). Das kann dauern und sichert die Arbeitsplätze der Therapeuten.

Die deutsche Therapie-Lobby geht mittlerweile schon so weit, dass sie die «Entwöhnung» bzw. Entgiftung anderen oder dem Patienten selbst überlässt. Voraussetzung, um einen Therapie-Platz zu ergattern, ist, dass der oder die Opiat-Abhängige «clean» ist. Eine absurde Umkehrung: Was das ursprüngliche Ziel war – sich der Droge zu «entwöhnen» —, wird jetzt zur Voraussetzung der Behandlung erklärt. Für so primitive und «einfache» Dinge wie den Entzug sind sich die hochspezialisierten Therapeuten und Psychologen zu schade. Erst wenn der uneinsichtige Kranke sich selbst in die Lage versetzt hat, von der Droge zu lassen – als Zeichen der Gutwilligkeit -, lässt man sich zu ihm herab, um ihn und seinen «Suchtcharakter» mit einer therapeutischen Maßnahme zu beglücken. «Es muss erst ohne Zutun der Drogentherapeuten ein Wunder geschehen: nämlich das Wunder der absoluten Drogenfreiheit, erst dann lässt man sich mit Exusern ein.» (4)

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Diese merkwürdige, verdrehte Logik hat ihre Vorteile. Sowohl die orthodoxen Vertreter der Therapeuten-Lobby, die den «Suchtcharakter» für das Problem – die Uneinsichtigkeit der Kranken und deren mangelnde «Energie» – verantwortlich machen, haben ein Interesse daran als auch die liberalen «Suchtexperten», die die Gesellschaft als das Übel ansehen. In beiden Fällen kann man angesichts des Scheiterns des Bemühens von den eigenen Misserfolgen ablenken: Nach einem Rückfall ist entweder das Individuum (die narzisstische und therapieresistente Persönlichkeit) oder die soziale Misere (die den Abhängigen keine Perspektive gibt) schuld Drogensucht als «schwere psychische Erkrankung der ganzen Persönlichkeit» versus Drogenabhängigkeit «als Folge gesellschaftlichpolitischer Defizite».

Hier beisst sich die Katze in den Schwanz. Die Abstinenz hat sich ja nur deshalb als Behandlungsziel in die Kette der therapeutischen Maßnahmen eingeschlichen, weil man ursprünglich davon ausging, das sei mit helfendem Zwang zu bewerkstelligen. Die Frage, ob Sucht nicht auch tolerierbar sei, vermeidet man. Man definiert die drogenfreie Persönlichkeit als «normal» und den Drogenkonsumenten als «krank», um das eigene Eingreifen rechtfertigen zu können. Ist die Krankheit «schwer» und betrifft sie den ganzen Menschen, suggeriert das eine Hilflosigkeit des Patienten, die den helfenden Zwang geradezu herausfordert. Ungeachtet, ob der Drogenkonsum als Ursache oder nur als ein Symptom einer «tieferliegenden Störung» angesehen wird: Wenn man das Ziel nur ernst genug nimmt, rechtfertigt das alle Mittel.

Auch das ist im Interesse des Selbstbildes der Suchttherapeuten. Die mehr psychoanalytisch orientierte Fraktion wird sich bei einem Therapie-Erfolg – der Patient macht einen Bogen um die Drogen – zugute halten, dass ihre Methode selbst schwerste Persönlichkeitsstörungen zugunsten eines «neuen» Menschen ummodellieren kann. Es gibt wohl keine «Krankheit», deren Behandlungserfolg so einfach zu kontrollieren ist: Wenn ein ehemals Heroinabhängiger den Stoff nicht mehr anrührt, gilt er als geheilt, ganz gleich, wie das erreicht wurde.

Und wenn sich in der Person des Drogen-Konsumenten partout nichts finden lässt, was ihn von dem «normalen» Rest der Bevölkerung unterscheidet, sind eben die Vorfahren — normalerweise die Eltern — schuld. Die «Schwere» der Krankheit ist für den Drogenkonsumenten eben deshalb so schwer zu durchschauen, weil sie in einer Phase seines Lebens begann, die er noch nicht bewusst erleben konnte. «Intakte» Familienverhältnisse schützen angeblich vor Drogenmissbrauch, wobei keiner der Drogen- und Suchtexperten es bisher gewagt hat, diese «intakten» Verhältnisse genauer zu beschreiben. Meistens bleibt es bei philosophischen Bemerkungen allgemeiner Art wie der des Synanon-Chefideologen Ingo Warnke,: «Glückliche Leute werden nicht süchtig.» (5)

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Die liberale Fraktion der Therapeuten sonnt sich bei einem Erfolg in dem Gefühl, der bösen Gesellschaft ein Schnippchen geschlagen zu haben: Die Abstinenz des Patienten wird zum beinahe politischen Akt der Rebellion gegen die unzumutbare soziale Situation, die zum Drogenkonsum verführte. Der inadäquate Protest gegen die Gesellschaft – «gegen frustrierende Obrigkeit, gegen hierarchische Strukturen, gegen den Leistungsdruck, gegen Bevormundung… gegen Gebotskataloge der Konsumpflicht und damit Ausdruck des Unbehagens unserer Zeit… » (6) wird therapeutisch in die richtigen Bahnen gelenkt.

Der Therapeut macht sich zum heimlichen Komplizen des Patienten – ohne dessen Wissen -: Er gibt zu, dass die Gesellschaft besser sein könnte, als sie ist, und dass die Rebellion gerechtfertigt, nur dass Drogenkonsum eben die falsche Art des Protestes sei. «Ob man sich seine Gehirnwäsche nun durch süchtigen Konsum des TV- oder des LSD-Heimkinos durchführen lässt – das tatenlose zahme Lämmchen bleibt man allemal.» Fixen ist Opium fürs Volk. (7)

_________________________

(1) Roche-Lexikon Medizin, München/Wien/Baltimore 1998
(2) Zit. nach W. Burian/I. Eisenbach-Stangl (1980), S. 6
(3) So der ehemalige Berliner Landesdrogenbeauftragte Heckmann, zit. nach G. Grimm (1985), S. 43, Anm. 3
(4) F. Theyson/D. Spazier: Nowhere: Therapeutische Expedition in die Unwegsamkeit der Drogenszene, Frankfurt 1981, S. 189, zit. nach G. Grimm (1985), S. 43
(5) In: «Spandauer Volksblatt», 12.10. 75
(6) Zit. nach G. Grimm (1985), S. 71, Anm. 2
(7) E. Joite (1972), S. 27

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Kommentare

3 Kommentare zu “Das Kreuz mit der Sucht III”

  1. nh am April 27th, 2023 5:52 pm

    Die Drogentherapie war und ist ein Tummelplatz für jedwede Scharlatane, die es auf Erden zu finden gibt.
    Sichert dieser Berufbereich doch zuallervöderst das eigene Wohlergehen.
    Da wird geschwurbelt, was das Zeug hält von Bachblütentherapie über morgendlichen Stuhlkreis und homöopathische Fantasiekuren.
    Man wird als sog. „Suchtberater“ ja erklecklich entlohnt.
    Dass sich hier der geisteswissenschaftliche Bodensatz der Gesellschaft in linksgrünem Sektenkult suhlt, ist kein Zufall.
    Hat man doch die Möglichkeit experimentell etlichen Individuen psychisch den richtigen Dreh zu verpassen.
    Ich möchte nicht in deren Fängen landen, deswegen sauf ich zuhause.
    Banal gesagt, aber eindämmen lässt sich so etwas nicht, vor allem wenn man hintenrum fördert, das das Zeug auf die Strasse geworfen wird.
    Siehe Görlitzer Park mit angezeichneten Standplätzen für die Dealer.
    Das einzige Mittel wäre eine breite Substituierung ,kostenlos, um vom gestreckten Gift wegzukommen.
    Aber Herr Minister hat nur Geld für die Grosspharma like Pfizer übrig.
    „Das Pack“ soll verrecken, zahlt ja auch keine Steuern ist weiss und nicht divers.
    Aber die Nigger die das Rattengift verticken brauchen höchstmögliche Pamperung durch den Sozialstaat.
    So geht die Zersetzung einer Gesellschaft von hintenrum, aber gewollt ist es schon nur keiner wills wahrhaben.
    Selber 2 H-Opfer in der Familie, aber beide schon lange schlau geworden und clean.
    Jeder Dealer sollte an den Eiern aufgehängt werden und an seinem eigenen Gift verrecken.
    Hängen lassen als Mahnmal, nicht mal die Krähen picken solch einen Dreck an.
    Gib den Hanf frei- ja, aber auf Rezept und kontrolliert und preiswert um den Wichsern die Marge zu versauen.
    Wegverbieten geht nicht, aber sauberer und günstiger Stoff könnten einige Probleme lösen.
    Aber man gewichte die Prioritäten :
    Das ungetestete mRNA-Gepansche wurde per DRUKO auf allen Kanälen hyperisiert, Schweinegrippe hoch 10.
    Und sehr viele wurden über Nacht zu Millionären.
    Am millionenfachen Leid der richtig darbenden wird drüber weggesehen.
    Weil man auch daran durch hinwegsehen noch zuverdient.
    Komm mir in diesem, ja Land ist es nicht mehr-Protektorat noch einer mit Moral.
    Und klatscht alle in die Hände, weil die grosse Enteignung euch arm aber glücklich macht.
    Alles schläft, keiner wacht, der Habeck hat alles richtig gemacht.

  2. ... der Trittbrettschreiber am April 28th, 2023 6:01 am

    Krankheit ist immer politisch – darum ist allen immer schlecht.

    Hopfen bringt Heilung…hx.

    …aber erst wird mal ordentlich gekotzt…

    https://www.youtube.com/watch?v=f4mkle_DjVo

  3. blu_frisbee am April 28th, 2023 11:13 am

    Sucht als Eigentherapie mit untauglichen Mitteln?
    Zu wenig Transmitter fürs Glück?
    Ratten nach Sozialstatus abhängig (Alfaratten selten).

    Mehr Fragen als Antworten.
    Experten wissen Bescheid. Leider verschiedene.

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