Generallinie oder: Die Vermeidbarkeit der Kriege im Imperialismus wird verkündet

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Ich dachte, ich besäße die Polemik über die Generallinie von Oberbaum-Verlag, aber sie blieb in meiner Bibliothek unauffindbar. Also musste ich eine neue Version besorgen, herausgegeben von irgendeiner irrelevanten maoistischen Politsekte, deren Namen ich schon vergessen hatte, bevor ich ihn las. Die Nachgeborenen werden denken, Oppa erzählte jetzt aus dem vorvorletzten Krieg, aber wir Ex-Maoisten ich behalte nur gern recht.

Das Original hat eine ganz großartigen Titel, stammt vom ZK der KP Chinas und wurde verlegt vom Verlag für fremdsprachige Literatur in Peking: Ein Vorschlag zur Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung – Antwort des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas auf den Brief des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom 30. März 1963 (14. Juni 1963). Man schrieb sich damals gegenseitig ellenlange Briefe.

Die „Polemik über die Generallinie“ führte zum Bruch zwischen der Sowjetunion und der VR China, hatte also eine weltgeschichtliche Komponente. Als Linksradikaler zu der Zeit musste man sich entscheiden: Hielt man zur Sowjetunion, also auch zur DDR, wo man alles aus Moskau nachplapperte, oder zu China oder zu Jugoslawien, was immer zwischen allen lavierte, oder war man vorsichtshalber gegen alles und bewunderte zwangsweise – weil keiner mehr sonst übrig blieb – Albanien?

Der Jargon von damals ist schwer verdauliche Kost und pseudo-religiös verbrämte Sektensprache vom allerfeinsten – um eines höheren Wesens willen nicht lesen! Wenn ich das nicht vor einem halben Jahrhundert getan und diskutiert hätte, würde ich nach wenigen Zeilen und nach diesem Textbausteinbombardement der chinesischen Sprechblasenfacharbeiter entnervt aufgeben.

Bei der Ausarbeitung der konkreten Linie und der Politik der kommunistischen und Arbeiterparteien für das eigene Land ist es äußerst wichtig, strikt am Prinzip der Verbindung der allgemeingültigen Wahrheit des Marxismus-Leninismus mit der konkreten Praxis der Revolution und des Aufbaus im eigenen Land festzuhalten. Aber immer doch! Mit großem Vergnügen!

Auch das aktualisierte und/oder kommentierte Geschwurbel bleibt unlesbar. Worum ging es eigentlich? Die chinesische KP rief damals dazu auf, dass in den Ländern der so genannten „Dritten Welt“ sogar die „patriotisch gesinnte Bourgeoisie“ unterstützt werden müsse, solange diese gegen den US-Imperialismus kämpfe. Schaute man sich die Details in der Realität an, wurde es schnell extrem unübersichtlich. In manchen der erst kürzlich unabhängig gewordenen Ländern steht die patriotisch gesinnte Nationalbourgeoisie auch weiterhin mit dem Volk zusammen im Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus und führt gewisse Maßnahmen für sozialen Fortschritt durch. Das erfordert, daß die proletarische Partei die fortschrittliche Rolle der patriotischen Nationalbourgeoisie in vollem Umfang einschätzt und die Einigkeit mit ihr festigt.

Das ist bekanntlich überall schiefgegangen, vor allem in Afrika. Heute machen die Chinesen genau die gleiche Politik wie damals gegenüber Ländern der Dritten Welt, nur ohne Gefasel drumherum. Man unterstützt die, die einem den größten Vorteil versprechen, und winkt den unterdrückten Volksmassen huldvoll zu mit der Miene, das müsse so sein, wenn man an das große Ganze denke.

Die leninistische These, daß imperialistische Kriege unvermeidbar sind, solange es den Imperialismus gibt, wird über Bord geworfen. Dies wird so begründet: „heute hat sich die Lage jedoch von Grund aus geändert“ und „Die Marxisten müssen …dabei die welthistorischen Veränderungen berücksichtigen“. („Rechenschaftsbericht„, S.42) Es wird die Epoche des Friedens im Imperialismus verkündet.

Aber klar doch. Das hat der Genosse Trotzki haben wir schon immer gewusst, nur nicht, dass Russland ein kapitalistischer Staat werden würde, der imperialistische Kriege führt. Das ist aber nur zu konsequent.

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Kommentare

One Kommentar zu “Generallinie oder: Die Vermeidbarkeit der Kriege im Imperialismus wird verkündet”

  1. Mitleser am April 30th, 2022 9:49 am

    Man konnte schon „damals“ als Linker eine andere Position als die von einer der Sekten (Volksfront von Judäa, Judäische Volksfront….) haben.
    Dieser unsägliche „wissenschaftliche Anspruch“ samt „zwangsläufigem Ende“ (Wir werden gewinnen!), der sich vor allem darin äußerte und äußert, zu behaupten, der einzige Wahrheitshüter zu sein und alle anderen als Spalter, Konterrevolutionäre oder sonstwas zu diffamieren (im harmlosesten Fall). Ewigkeiten mit der Exegese der heiligen Texte zuzubringen statt auf die Entwicklungen der Welt zu schauen ist halt gefährlich. Und dann wurde und wird so viel Energie in den Erhalt der eigenen Machtposition gesteckt, da kann der Blick auf die Welt schonmal verloren gehen, bis die Welt einen dann überflüssig macht und man doof dasteht.

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