Poppy or not Poppy: That is the question oder: Zur Lage der arbeitenden Klasse am Hindukusch [Update]

refugees afghanistan
Credits: Arianews Kabul

„Mittelalter“ – das Wort liest man zur Zeit häufig in den Qualitätsmedien, wenn es um Afghanistan geht. Ich habe meine Zweifel, zumal es marxistisch besser „Feudalismus“ hieße. Schauen wir auf die Ökonomie – ist das Land nun feudal, kapitalistisch oder was dazwischen? Es wäre doch gelacht, wenn das trotz vieler fehlender Fakten nicht marxistisch analysiert werden könnte.

Geografie und Ökologie: Afghanistan ist ein typisches „Entwicklungsland“: Landwirtschaft ernährt den übergroßen Teil der Bevölkerung; in den Städten ballt sich die schmale Mittelschicht zusammen. Man kann das Land etwa mit Peru vergleichen: Auch dort dominieren die Gebirge alles und sind extrem unwirtlich. Die Städte krallen sich in die wenigen Ebenen. Die einzig nennenswerte Industrie, die ein Proletariat verlangt, besteht im Abbau von Bodenschätzen. Sowohl in Afghanistan wie auch in fast allen andinen Staaten Lateinamerikas geht es immer darum, dass ausländische Konzerne die Bodenschätze fördern und die Bevölkerung fast nichts davon hat – der Erlös wird zwischen der korrupten herrschenden Klasse und dem Kapital aufgeteilt.

Agriculture makes up over a third of Afghanistan’s economy and employs about three quarters of its population. Up to 85 percent of the country’s food comes from irrigated farming, stellt die Food and Agriculture Organization of the UN fest. „Water means food.“

peasants afghanistan
Credits: Vision of Humanity

Wir haben also mitnichten „Mittelalter“ aka Feudalismus. Dazu gehörte, dass die Bauern unfrei, also abhängig vom einen Vertreter der herrschenden Klasse sind und ihr Land nicht verlassen dürfen („Leibeigenschaft“ im „Ideal“fall). So war es in zum Beispiel auch in Japan.

Die interessante Frage ist, warum sich in Afghanistan keine stabile Zentralgewalt entwickelt hat wie im absolutistischen Europa. Oder: Warum spielt der „Stamm“ eine größere Rolle? Clans oder auch Familien (was dasselbe ist) waren im „naturwüchsigen“ Feudalismus wichtig, weil die Herrschaft dadurch legitimiert wurde. Marx schreibt irgendwo in den Grundrissen, dass im Feudalismus die „Natur“ – also „natürliche Verwandtschaft“ – Herrschaft legitimiere, so wie die Natur Mund und Nasen macht. Man ist König oder sonst etwas durch Geburt – das reicht, um die Position hinreichend zu begründen.

Ich vermute, dass Afghanistan sich ohne die imperialistische Einmischung Englands entwickelt hätte wie Syrien, der Irak und der Iran – kapitalistische Staaten mit einer kleinen Arbeiterklasse: Die wird entweder von nationalistischen Regimes symbolisch und/oder zeitweilig an der Macht beteiligt (Syrien, Irak) oder von den Herrschenden, die Marionette einer ausländischer Macht sind, bekämpft. Einen König – vermutlich eher ein Primus inter Pares – hatten sie schon.

Die Taliban sind eben nicht eine „normale“ herrschende Klasse, sondern das Resultat einer ganz speziellen historischen Gemengelage. Im Kapitalismus hieße „herrschende Klasse“ Sie verfügt über die relevanten Produktionsmittel; der agrarische Teil des Landes wir tendenziell kleiner und industrialisiert. Die Talban schöpfen aber nur ab – wie Feudalherren, die sich mit Gewalt den gesellschaftliche Mehrwert aneignen.

Im Vergleich zur ersten Herrschaft der Taliban sind diese jetzt aber finanziell unabhängig. (Gutachten des Sicherheitsrats der UN). Man sollte sie keinesfalls für doof halten – also wieder nicht für „mittelalterlich“.

Der Tagesspiegel, der sich auf Radio Free Europe bezieht (keine unabhängige Quelle!), listet auf:
Bergbau 464 Millionen USD
Drogenhandel 416 USD
Ausländische Zahlungen/Spenden von Personen 240 Millionen USD
Exporte 240 Millionen USD
Steuern 160 Millionen USD
Immobilien 80 Millionen USD
.

peasants afghanistan
Credits unknown

Meine Prognose: Es wird bald zu einem neuen Bürgerkrieg kommen. Natürlich wird auch „der Westen“ nichts dazugelernt haben und diesen nach Kräften mit Geld und Waffen alimentieren. Erst Ansätze gibt es schon im extrem unzugänglichen Panjshir-Tal; unsere Qualitätsmedien jubeln frenetisch. Afghanistan wird sich auf lange Sicht nicht über das „Niveau“ afrikanischer failed states erheben können. Auch in Zukunft werden alle „Bürgerkriege“ auch Stellvertreter-Kriege sein. Nur den Chinesen traue ich zu, dass sie nicht so dämlich sein werden, da militärisch mitmischen zu wollen.

Auch eine afghanische Armee unter der Leitung der Taliban wird es nicht geben. Alles nötige dazu hat die Jerusalem Post: „The Afghan gov’t overthrown by Taliban never existed“. Was afghanische Soldaten wollen: „They didn’t want to do anything, except steal from people“.

[Update] The Guardian: „Afghan civil war ‘unavoidable’ if Taliban refuse talks, says opposition leader“. I told you so.

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Kommentare

12 Kommentare zu “Poppy or not Poppy: That is the question oder: Zur Lage der arbeitenden Klasse am Hindukusch [Update]”

  1. Scorcher am August 20th, 2021 12:14 pm

    Ein Beitrag zu Afghanistan, in dem nicht die Worte „Frauen und Mädchen“ vorkommen? Dass ich das noch erleben darf.

  2. admin am August 20th, 2021 1:03 pm

    @Scorcher: haha :-)

  3. flurdab am August 20th, 2021 2:30 pm

    Die Frage ist ja ob Teile der „gemäßigten Rebellen“ der Vesuchung widerstehen können sich von der CIA zum Terrorismus in den Nachbarländern motivieren zu lassen.
    Derartige Unterfangen würden weder China noch die Russische Förderation gut heißen können, was wiederum den USA ins Kalkül passen dürfte.
    Und dann gibt es da ja noch Pakistan und Indien.

    Schuld ist in jedem Fall Alexander der Große, wäre der damals einfach angeln gegangen hätten wir niemals was von Afghanistan gehört.

  4. admin am August 20th, 2021 2:56 pm
  5. GrooveX am August 20th, 2021 2:58 pm

    „Erst Ansätze gibt es schon im extrem unzugänglichen Panjshir-Tal“

    Ach… Du weisst aber auch Sachen. Wer ist da bei Relotius in die Lehre gegangen?

  6. admin am August 20th, 2021 3:23 pm
  7. GrooveX am August 20th, 2021 5:49 pm

    Und was macht das jetzt extrem unzugänglich? Die Straße von Gulbahar nach Anjuman oder was? Oh, das Seitental nach Abdullahkhel vielleicht? Da kommt man, Unzugänglichkeit hin oder her, ganz gut hin. Lass‘ halt die Aprikosenbäume in Frieden, und die Äpfel und Walnüsse.

  8. GrooveX am August 20th, 2021 5:55 pm

    Relotie: Bildhafte Beschreibung eines z.B. politischen Themas, als wüsste man was, ohne Kenntnis des realen Bildes.

  9. Augustjunge am August 20th, 2021 5:58 pm

    Sorry Burks, aber das ist Quatsch! Du verbreitest hier den üblichen kommunistischen Dünnschiss vom intellektuellen Arbeiter. Damit liegst Du auf Linie mit Mao, schon Stalin hat des besser gewußt.

    Die Clan Chefs in Afghanistan und deren direkte Handlanger mögen eine gewisse Bildung und intellektuelle Brutalität bzw. Kriminalität haben, alles was in der Hierarchie tiefer liegt aber nicht.

    Der normale Afghane vom Lande ist saudoof. Der mag einen IQ von 190 haben und könnte Latein binnen 7 Tagen lernen, wenn ihn jemand ließe, aber den läßt niemand, also bleibt der genauso ungebildet und saudoof wie sein mittelbares soziales Umfeld. Dazwischen gibt es die vielen Einfältigen.

    So stelle ich mir die Leute hier in Germanien im Jahr 1500 vor. Das ist wie in dem von Dir gerne gesehen 8 Teiler „The barbarians“. Die Taliban sind nur weiter gereist als die dort zu sehenden Germanen. Das soll auch Bildung sein.

    Aktuell läuft diese 4 teilige Serie über Afghanistan bei Phönix in Dauerschleife. Dort wird ein Taliban auf arabisch interviewt. Übersetzt wird das sinngemäß mit:

    „Warum bist Du hier?“ wird der gefragt.
    „Das weiß ich nicht“ antwortet der.
    „Wer hat dir gesagt das du hier sein sollst?“.
    „Mein Kommandeur“.
    „Wie heißt Dein Kommandeur?“
    „Den kenn ich nicht.“
    „Wer gibt Dir die Befehle?“
    „Der da.“ und zeigt auf einen anderen Taliban.
    „Hat der Dir gesagt wofür ihr kämpft?“
    „Nein.“

  10. tom am August 20th, 2021 8:22 pm

    Scorcher, im Bild waren aber welche aka wandelnde Zelte…

  11. Die Anmerkung am August 20th, 2021 8:44 pm

    @Augustjunge

    Auch der Kabuler Arbeiterjunge ist saudoof. Darin unterscheidet er sich nicht von den Landbewohnern.

    Die Bilder von den startenden als auch fliegenden Flugzeugen, die der Afghane als kostenlose Mitfluggelegenheit zu nutzen gedachte, haben mich nicht gerührt, berührt, auch nicht geschüttelt, sondern eine einzige Frage aufgeworfen. Wie saublöd sind die da eigentlich am Hindukusch, daß sie das machen?

    Es passiert ja immer mal wieder, daß nach einem Langestreckenflug die Reste eines früheren Menschen im Fahrwerk gefunden, oder bei Ausfahren des selbigen ein gefrorener Leichnam zu Boden klatscht.

    Doch zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit konnte man das Bildungselend in weiten Teilen der Welt wie durch ein Elektronenrastermikroskop erkennen. Das Dilemma. Das ist auf Jahrhunderte zementiert. Da führt nur ein langer beschwerlicher Weg raus.

    Das alles wußte der kulturbeflissene DDR-Bürger seit langem, denn es war seit langem in Vinyl geritzt.

    Text

  12. Crazy Eddie am August 21st, 2021 5:44 am

    Verblüffend, wie es Pakistan gelingt, in diesem Kontext ungenannt zu bleiben, ja praktisch unsichtbar zu sein. Die Taliban sind eine bzw. mehrere paschtunische Milizen, die Paschtunen leben in Afghanistan und Pakistan, deren Hauptstadt ist Peshawar, von dort kommt die religiöse Ideologie. Fühlen sich die Paschtunen durch eine Staatsgrenze als geteiltes Volk?

    Welches strategisches Interesse verfolgt Pakistan hinsichtlich Afghanistans und mit welchen Mitteln?

    Nicht vergessen, Pakistan bedeutet:
    P(anjab)-A(fghanistan)-K(ashmir)-istan

    Pakistan gehört zur Shanghai Cooperation Organisation, die auch eine Sicherheitsallianz ist. Goodbye NATO, hello SCO!

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