Das finstere Tal

das finstere Tal

Für Eilige: Selten so einen guten „Western“ wie Das finstere Tal gesehen (Netflix).

Für Leser längerer Texte: Das ist angeblich gar kein Western, sondern ein Drama. Ein abgelegenes Hochtal, Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Fremder, Greider, bittet die verschworene Dorfgemeinde um Quartier über den Winter. Er kennt das blutige Geheimnis der Dorfbewohner.

Schon nach den ersten Sekunden erkennt man dann doch den Clint-Eastwood-Plot – und der hätte sich ganz großartig in der Rolle gemacht. Ein böser mächtiger Mann herrscht mit eiserner und grausamer Hand über ein Dorf. Er hat zahlreiche Söhne wie ein kurdischer Clan-Chef. Bad guys.

Der geheimnisvolle Fremde isst brav seine Suppe und wechselt mit der Dorfschönen ein paar Worte. Irgendwann zieht er dann doch die Flinte aus dem Futteral. Man weiß, was kommt. Good guy shoots bad guys. Girl gets her lover (not the heroe). Missing: sunset.

Das alpine Setting in seiner visuellen Pracht verspricht angenehme Ironiefreiheit. Die latente Bedrohung, die hier von den ersten Minuten an in der Luft liegt, lässt sich dadurch als echte Spannung genießen – keine Besserwisserpointe wird den Gang der Dinge der Lächerlichkeit preisgeben. (Katharina Grimnitz in epd Film)

Den Plot könnte man auch im Weltraum drehen, unter Wasser oder in der Wüste. Im finsteren Tal ist alles matschig und/oder tief verschneit. (Schneewestern gibt es natürlich auch.)

Prochaska gelingt es ganz ausgezeichnet, die Spannung hochzuhalten, mit einem Gespür für Rhythmus, wie man es in deutschsprachigen Genre-Filmen selten sieht. Das Tempo ist nicht hoch, hat fast etwas Getragenes, als ob schwerer Schnee den Gang der Dinge verschleppt. Und dennoch hängt der Film nie durch. (Sebastian Handke im Tagesspiegel: Alpenwestern ohne Gnade)

Was mich aber von Anfang an vom multitaskigen Wegzappen abgehalten hat, ist die fesselnde Atmosphäre. Das geschieht mir selten. Bis ist kleinste – auch akustische – Detail ist alles grandios authentisch: Die Armut und die elenden Hütten, die knochenharte Arbeit, das karge und nie kitschige Interieur, Charaktergesichter wie in „Der Name der Rose“, wortkarge Protagonisten – es knistert vor Spannung. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie es zu der Zeit ausgesehen haben mag und zugegangen ist. (Ähnlich eindrucksvoll ist Yol).

Nein, das ist mitnichten ein „Heimatfilm“. (Am Drehort in Südtirol war ich als Junge im Urlaub.) Der Film trägt und erzeugt sicher eine andere Botschaft als die literarische Vorlage. Aber welche? Im Gegensatz zu den meisten Western ist der Held kein Supermann, der mit jedem Schuss, aus welcher Entfernung auch immer, ins Ziel trifft. Man fürchtet um ihn. Aber wie immer macht es die Attitude des Helden: Er hat eine Mission, und die wird er durchziehen: Seine Rache bedeutet auch Gerechtigkeit. Er muss die Massen nicht mit faschistoiden lächerlichen Reden aufrütteln. Außer einem kleinen „Danke“ einer uralten Frau bekommt er nichts, er war auch nicht gebeten worden, die Bösen umzunieten.

Als Zyniker erkennt man noch eine andere Lehre. Außer den bad guys darf niemand im Dorf einen Waffe tragen. Wäre das anders, brauchte man vermutlich keinen Helden von außen. Wieder ein Argument dagegen, das Volk zu entwaffnen. Aber auf mich hört ja keiner.

Selten hat deutschsprachiges Genrekino so gut ausgesehen. Und so gewaltig. (…) Das Bergfräulein Luzi, eben diesem Einheimischen in Liebe zugetan, darf sich anschließend über den Undank der Ihrigen auslassen: „Die Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt. (Thomas Andre im Spiegel: Schneeleichen pflastern seinen Weg)

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Kommentare

3 Kommentare zu “Das finstere Tal”

  1. Juri Nello am Juli 29th, 2021 8:01 pm

    Ich würde nicht so weit gehen, dass ich dem Film eine besonders historische Evidenz beimessen würde. Gut gemacht, mit ein paar Takes, die indes überzogen wirken, ist er in der Tat. Den Soundtrack fand ich auch prima, wenn auch zu sehr auf 90s betont. Lohnt.

  2. Anneke am Juli 30th, 2021 6:32 pm

    Was habe ich den Film geliebt. Danke für den Hinweis, dass er jetzt auf Netflix zu haben ist.

  3. Hartmut Finkeldey am August 17th, 2021 8:46 pm

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