Markttaugliche indische Bauern

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Ich darf das Publikum auf den Klassenkampf der indischen Bauern aufmerksam machen. Die Deutsche Welle zum Beispiel berichtete am 28.11.20 („Indiens Bauern gehen wieder auf die Straße“), am 08.12.20 („Die Wut der indischen Bauern“), am 26.01.21 („Massiver Bauernprotest an Indiens Festtag“) und am 01.02.21 („Die ökologischen Hintergründe der Agrarkrise in Indien“).

Die Aufgabe bürgerlicher Medien ist natürlich, den Begriff „Klassenkampf“ zu vermeiden und auch den Kapitalismus mit seiner inneren Dynamik nicht zu erwähnen, sondern „Klima“, „nachhaltig“ und „Ökologie“ herumzuraunen, um das Thema zu entpolitisieren, oder von „Deregulierung der Landwirtschaft“ zu faseln (damit niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht, wenn dieses Wort benutzt wird).

Zaghaft schimmert es dann doch durch: „…Widerstand gegen eine von Modi geplante Agrarreform, die aus Sicht der Kritiker eine zunehmende Dominanz von Großunternehmen in der Landwirtschaft zur Folge hätte.“

Die taz findet zunächst die Kopfbedeckungen der Demonstranten wichtig und interessant (oder es ist ein verunglückter „szenischer Einstieg“) und zitiert dann: „Es lebe die Einheit der Bauern und Arbeiter“, tönt es aus dem Traktorkorso immer wieder und „Inquilab Zindabad“ („Lang lebe die Revolution“), eine noch aus der indischen Unabhängigkeitsbewegung stammende Parole. Um welche Gesetze es genau geht, verrät uns die taz leider nicht, nur dass diese – Überraschung! – „umstritten“ sei. (So geht bürgerlicher Journalismus.)

Die Deutsche Welle: Die Regierung von Premierminister Narendra Modi hält daran fest, dass die Gesetzgebung, die weniger Regulierungen vorsieht und zu privaten Investitionen in den Landwirtschaftssektor einlädt, dazu dient, das Wirtschaftswachstum zu fördern und die Einkommen der Landwirte zu erhöhen. Die Landwirte hingegen befürchten, dass sie durch die marktfreundlichen Reformen der Ausbeutung großer Unternehmen ausgeliefert werden und sehen ihre Lebensgrundlage gefährdet.

Audiatur et altera pars! Jetzt kann das Publikum entscheiden: Sind wir marktfreundlich oder gefährden wir lieber die Existenz der Bauern? Oder ziehen wir den Publikums-Joker?

Ich habe versucht herauszufinden, was genau diese Gesetze regeln (habe aber die Original-Texte nicht gefunden): Bisher wurde Getreide auf staatlich organisierten Großmärkten zu garantierten Mindestpreisen gehandelt. Nach der Reform sollen die Bauern ihre Ware ohne Zwischenhändler auch direkt an Privatfirmen verkaufen können. Die Regierung argumentiert, die Erzeuger könnten so höhere Gewinne erzielen. Landwirte fürchten dagegen einen Preisverfall, da sie bei Verhandlungen mit Agrarkonzernen in einer schwächeren Position wären. Der „freie“ Markt wird es also richten?

Indien hat 1,3 Milliarden Einwohner, davon sind 500 Millionen erwerbstätig, davon sind rund 300 Millionen Bauern. Das ist schon eine Menge, mit der man etwas erreichen kann.

Die „Linke“ und die „Grünen“ hierzulande würde natürlich den Protest nicht vorbehaltlos unterstützen, sondern zunächst fragen, ob da keine „Rechten“ mitmachten und ob die Landwirt*_I.&%innen sich auch genderpolitisch korrekt ausdrückten.

(In einem Bericht der Deutschen Welle vom Mai wird der aktuelle Klassenkampf gar nicht erwähnt, sondern nach Art einer Homestory erzählt, dass sich im Zuge der Pandemie die Bauern direkt an die Kunden wenden wollen – das wäre, wenn ich das richtig verstehe, genau das, was die Herrschenden in Indien mit dem neuen Gesetz erreichen wollen.)

Im Dezember hieß es: [Die Bauern] …verlangen die Rücknahme von drei Gesetzen der Regierung, mit denen der Sektor für Privatinvestoren geöffnet werden soll. Bisher können Landwirte ihre Erzeugnisse an staatliche Kooperativen verkaufen, die ihnen Mindestpreise garantieren. Künftig sollen sie ihre Produkte auf dem freien Markt verkaufen – auch an Supermarktketten.

Das hört sich schon viel härter an. Jeder, der einen IQ oberhalb der Zimmertemperatur hat, weiß seit den Gracchen, wie das ausgehen wird: Die kleinen Bauern werden ruiniert und Proletarier (die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft – falls jemand nicht weiß, was das ist). Großbauern und Konzerne gewinnen, ob „nachhaltig“ oder nicht. Quod erat demonstrandum.

Am 12.01.21 stoppte das höchste Gericht Indiens die drei Gesetze. (Die letzte Pressemeldung des Gerichts ist vom Juli 2018.) Das Problem wird damit nur aufgeschoben, nicht aber gelöst.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Markttaugliche indische Bauern”

  1. Godwin am Februar 5th, 2021 4:39 pm

    Iin Indien wäre vermutlich für viele die Kaste der Prolet-Arier eine Art sozialer Aufstieg.

    aber auch in Schland geht es nur und einzig und allein um DIE Wirtschaft (ab 07:00):
    https://www.rtl.de/cms/angela-merkel-im-rtl-interview-ich-sehe-ein-leichtes-licht-am-ende-des-tunnels-4698106.html

  2. ... der Trittbrettschreiber am Februar 5th, 2021 4:54 pm

    Blöde Frage:
    Wieso werden Bauern und Arbeiter eigentlich meistens in ein gemiensames Kuschelbettchen gelegt, aus dem heraus sie dann vereint die immer gleichen Schnarchgeräusche senden: Arbeiter mit Signalwesten vor Werkstoren und Bauern mit High-Tech-Traktoren auf den Autobahnen?

  3. flurdab am Februar 6th, 2021 7:43 am

    Indien ist natürlich auch eine perfekte Spielwiese für jegliche Perversität der Märkte.
    Das Kastenwesen einerseits und die Ferne vom Westen sowie eine ausgeprägte Korruption lässt dort manches zu.
    Wir erinnern uns an die lustige „eure Geldscheine sind ungültig“- Nummer, ab gestern braucht ihr ein Bankonto. Impfkampagnen die einige spektakuläre Nebenwirkungen zeitigten. Die Verdrängung von samenfestem, eigenem Saatgut zugunsten Monsanto- Hybriden und der Beweis das man sich mit Glyphosat umbringen kann. Das ein großer Teil der Weltpharmaproduktion in Indien statt findet, ohne lästige Umweltauflagen und Arbeitsschutz ist auch meist unbekannt. (Bei ARTE gab es mal eine Doku/ irgendwas mit Superkeimen)
    Indien ist quasi das Argentinien des Milleniums.
    Die haben aber auch Bollywood.
    Das entschädigt doch für die Unsitte Frauen mit Säure das Gesicht zu verätzen, die unerklärliche Leichtentzündlichkeit von Frauen beim Kochen, das Aussetzen und/ oder töten von Säuglingen mit dem falschen Geschlecht.
    Indien ist ein Shithole- Country.
    Oh, da bin ich doch tatsächlich abgeschweift…

  4. ... der Trittbrettschreiber am Februar 6th, 2021 1:25 pm

    @flurdab

    Indien eignet sich aber auch hervorragend zum Bildungsbürgereierschaukeln…

    https://youtu.be/6PuMOwzFftA

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