Raetia et Gallia cisalpina
Römisches Siegesdenkmal, La Turbie
Jüngst las ich von Werner Zanier einen interessanten Aufsatz: „Der römische Alpenfeldzug unter Tiberius und Drusus im Jahre 15 v. Chr.- Übersicht zu den historischen und archäologischen Quellen“ (1).
Das ist natürlich kein Thema, das gegenwärtig unter den Nägeln brennt. Dennoch war ich fasziniert: Man kann an diesem Ereignis, das nur einen Sommer dauerte, ganz wunderbar und exemplarisch erklären, was am Römische Weltreich so speziell war. Außerdem ist es spannend, weil man eigentlich gar nicht viel weiß und die antiken Quellen wie gewohnt – im heutigen Sinne – auch nicht annähernd objektiv, sondern reine Propaganda sind. Geschichte allein reicht daher nicht, es muss auch die Archäologie ran – vor allem die.
Die Vorgeschichte: Um 26. v.u.Z. hatten die westgermanischen Sugambrer zusammen mit anderen Völkern in Gallien geplündert, sogar den Adler der Legio V Alaudae erbeutet. Die Basis der V. Legion waren nicht-römische Söldner, die Julius Caesar 52. v.u.Z. privat finanziert und in der römischen Provinz Gallia Transalpina ausgehoben hatte. Der römische Senat hatte die Legion anerkannt. Danach erhielten die miles gregarius („Legionär“ ist eine moderne Wortschöpfung, die Römer nannten die Soldaten nicht so) das römische Bürgerrecht.
Der Diktator und Kaiser Augustus war daher persönlich nach Gallien gereist; vermutlich kam damals schon der Plan auf, die Alpen im Sinne des römischen Imperiums zu „befrieden“, also den Überfällen auch auf Reisende ein Ende zu bereiten. Die Alpenbewohner waren für die Römer selbstredend „Barbaren“. Die beiden „Feldherren“ Tiberius und Drusus (der spätere Germanicus) waren Stiefsöhne des Imperators.
…uidere Raeti bella sub Alpibus
Drusum gerentem; Vindelici – quibus
mos unde deductus per omne
tempus Amazonia securi (Horaz, Ode 4,4)
In den Alpen und insbesondere in der heutigen Schweiz siedelten (nein, nicht Germanen!) Kelten – zum Beispiel die Genaunen und die Breonen im heutigen Tirol. Beide Völker waren die „Nachfahren“ der Hallstadt-Kultur der Eisenzeit. Anders die Räter – nach denen die spätere römische Provinz benannt wurde: Sie sind mit den Etruskern verwandt (also keine Kelten), nach dem neuesten Stand der Wissenschaft also Einwanderer aus Anatolien. (War neu für mich.)
Die spätere römische Provinz Raetia – Droysens Historischer Handatlas, 1886
Aus dem oben genannten Artikel: Als erster rückte der erst 23-jährige Drusus mit seiner Heeresgruppe von Süden durch das Tal der Etsch vor, besiegte bei den Bergen von Trient die Räter und erhielt dafür den Rang eines Prätors. Auf seinem weiteren Weg nach Norden wird Drusus, der schon damals eine Trasse der 60 Jahre später voll ausgebauten via Claudia Augusta anlegen ließ, sowohl den Brenner als auch den Reschenpass mit verschiedenen Heeresabteilungen genutzt haben. Der ranghöhere, 27-jährige Tiberius marschierte etwas später von Gallien entweder durch die Burgundische Pforte oder durch das Schweizer Mittelland zum Bodensee, wo es zu einem Seegefecht mit den Vindelikern kam. Anschließend zog er weiter an die Donauquellen. Eine schwere Schlacht (grave proelium) gegen die Räter beendete er siegreich. Eine dritte Vorstoßachse führte wahrscheinlich ein Unterfeldherr über einen der Bündner Pässe ins Alpenrheintal und weiter nach Norden ins Schweizer Mittelland und bis zum Bodensee.
Soweit, so traditionell erzählt. Wenn man sich eine Schilderung aus dem Jahr 1880 über die „Räubereien der Alpenvölker“ zu Gemüte führt, klingt das genau so wie die Propaganda der Römer: die seien „eine Schädigung der friedlichen Unterthanen Roms in Italien, sondern auch ein Eingriff in die Ehre des römischen Namens“.
Ich finde das aus Sicht der Logistik interessant. Wie bringt man mehrere zehntausend Mann samt einem riesigen Tross und Belagerungsmaschinen über die Alpenpässe? Und was lese ich da? Ein antikes Seegefecht auf dem Bodensee? Wie darf man sich das vorstellen?
Während Cassius Dio davon berichtet, dass man Transportschiffe baute und übersetzte, erwähnt Strabon, dass die Insel Mainau als Stützpunkt ausgebaut wurde. Es soll eine Seeschlacht gegen die Vindelici stattgefunden haben. Es gab auf beiden Seiten nur wenig Schiffe und Material, aber es soll unter den Römern einige Verluste gegeben haben.
Unfassbar, aber eine Meisterleistung der „Pioniere“ und sonstigen Handwerker des römischen Heeres. Die hatten sogar eine Marineinfantrie. Wie lange dauert es, eine Liburne zu bauen – und vermutlich eine Werft gleich dazu?
Wenn ich noch Geschichtsunterricht gäbe, würde ich der Schulklasse das als Aufgabe stellen – was muss man alles bedenken bei einem imperialistischen Raubzug? Oder so ähnlich.
Der Alpenfeldzug sollte den beiden jungen Stiefsöhnen des Augustus einen grandiosen militärischen Erfolg bescheren. Die römische Generalität musste also schon im Vorfeld versuchen, jedes Risiko zu vermeiden. Dazu waren genaue geographische Kenntnisse über den zu erobernden Alpenraum erforderlich, das Heer einschließlich seiner Ausrüstung war bereitzustellen, die Versorgung sowie die Kontrolle der Nachschubwege mussten gewährleistet sein. Zweifellos war der Feldzug minutiös vorbereitet, die Vorbereitungsphase begann vermutlich schon im Jahr zuvor.
Abbildung aus Zanier.
Ich hatte die Alpen bisher nicht wirklich unter archäologischen Gesichtspunkten betrachtet. Auch Kempten aka Cambodunum finde ich jetzt interessant.
Den Feldzug selbst wird man sich als ein breit gefächertes, simultanes Vorrücken vieler Truppenteile vorzustellen haben. Kampfabteilungen aus Legions detachements und Hilfstruppen drangen rasch vor und haben die einzelnen Täler systematisch durchkämmt. Wer sich nicht freiwillig ergab, bekam die Übermacht der römischen Kriegsmaschinerie zu spüren: Siedlungen wurden belagert, Fluchtburgen erstürmt, Widerstandsnester ausgehoben, Flüchtige verfolgt. Mit vielen kleinen Scharmützeln ist zu rechnen.
Die Kelten und Räter hatten natürlich militärisch keine Chance. Nur in Hollywood-Filmen sähe das anders aus. Besonders spannend bei der Lektüre fand ich die Tatsache, dass aus dem gesamten Imperium Spezialeinheiten zusammengezogen wurden, zum Beispiel Bogenschützen aus Syrien. Man muss sich das heute vorstellen: Syrien war eine römische Provinz (Bäder, Hygiene, Fußbodenheizung usw.), Germanien aber nicht. Und wieso waren ausgerechnet die Syrer gut im Bogenschießen? (Gut, auch Straubing ist jetzt interessant geworden.)
Abbildung aus Zanier
Riom kannte ich nicht, auch nicht die Carp-Ses-Schlucht am Julierpass (!), wo vermutlich in vorrömischer Zeit ein ein matriarchalisches Heiligtum war.
Die Schleuderbleie und Schuhnägel aus der Crap Ses-Schlucht und vom Septimer sowie die drei flügeligen Pfeilspitzen, Geschossspitzen, Katapultpfeilspitzen und Schuhnägel vom Döttenbichl sind formal und herstellungstechnisch in sich so gleich förmig und einheitlich, dass man die Produktion der jeweiligen Gattungen während einer kurzen Zeitspanne in denselben Werkstätten vermuten kann. Die hervorragende Qualität der meisten Objekte so wie die exakte Stempelung der Katapultpfeilspitzen und Schleuderbleie sprechen außerdem für eine äußerst sorgfältige Herstellung. Man gewinnt den Eindruck, dass die Ausrüstung ohne Zeitdruck hergestellt werden konnte.
Schon wieder: Es kommt auf die Logistik an.
Abbildung aus Zanier. Der Pfeil am Septimerpass zeigt auf die Stelle, wo ein römisches Lager war.
Unmittelbar nach dem siegreichen Feldzug wurde das Land militärisch besetzt, und alle Bewohner wurden durch den Initialzensus amtlich registriert. Da Aufstände zu befürchten waren, schickten die Römer den größten Teil der wehrtauglichen Männer außer Landes und ließen nur so viele zurück, wie nötig waren, um das Land ausreichend zu bestellen. Bei diesen Deportationen und Zwangsaushebungen entstanden die frühesten Räter- und Vindelikerkohorten. (…) Wie erfolgreich die römische Eroberung Rätiens und die anschließenden Verwaltungsmaßnahmen waren, zeigt eine Bemerkung Strabons aus dem Jahr 19 n. Chr., wonach die beim Alpenfeldzug besiegten Völkerschaften schon 33 Jahre lang Ruhe bewahrten und ordentlich ihre Steuern entrichteten.
Exakt: Zensus und Steuer bedeuten Zivilisation, wenn man dann noch genug Straßen baut und eine Post einrichtet, ist alles gut für ein paar hundert Jahre. Bis die Germanen kommen – die machen dann alles wieder kaputt.
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(1) in Rudolf Aßkamp und Tobias Esch (Hrsg.): Imperium – Varus und seine Zeit. Beiträge zum internationalen Kolloquium des LWL-Römermuseums am 28. und 29. April 2008 in Münster. Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen Landschaftsverband Westfalen-Lippe Band XVIII, herausgegeben von Torsten Capelle, Aschendorff Verlag 2010
Kommentare
14 Kommentare zu “Raetia et Gallia cisalpina”
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https://www.burks.de/burksblog/pix/2020/04/010420_2.jpg
welche Krankheiten quälten z.B. besonders die Räter?
Ich wundere mich, wie Grafik da oben hin gerutscht ist….
@admin
…auch auf dem rechten Trittbrett findet sich mal ’n Link.
Die Räter wurden von der „Römischen Stichelei“ gquält…Dett war ne Seuche…Aua!
Ich hätte die https://de.wikipedia.org/wiki/Boier noch erwähnen sollen, und das https://de.wikipedia.org/wiki/Abwehrkrieg_gegen_die_Kelten und https://de.wikipedia.org/wiki/Kimbernkriege
Diese Vorgeschichte erklärt auch, warum das Imperium die Alpen unter Kontrolle haben wollte.
Hier die Geografie: https://tinyurl.com/sc5rmp7
Klimawandel. Das war in der namensgebenden „Römischen Warmzeit“. Die Alpen waren nicht so winterlich wie heute. Siehe auch Hannibals Zug mit Kriegselefanten über die Alpen.
Naja,bei dem Boiern Wiki ist mir die Vokabel „Raummangel“ aufgefallen,
um nicht zu sagen aufgestoßen…!
Außerdem fehlte mir auch bisher der Grund warum die Römer auch! so einen „Aufstand“machten?
Z.B. Bodenschätze oder Landwirtschaftliche Nutzflächen,deren Nutzen für das römische Reich oder die Karriere der erfolgreichen Feldherrn oder HRs aka Human Ressources sprich Sklaven…
Oder wird das als Selbstverständlichkeit gesehen???
Wie erging es Unna – uninteressant?
Holzwickede ist klar – die Römer hatten ja schließlich Kamine…
äähem…
@Martin Däniken
nun ja, es war schon ziemlich eng, wie die Karte zeigt. Vielleicht waren die Menschen aber damals sowohl viel aggressiver als auch reaktiv ängstlicher als heute. Damals kraxelte man so durch die Gegend und wenn einem dann mal ein Exemplar der eigenen Speizie über den Weg lief, wenn auch vollkommen anders und klamottenmäßig neben der Spur, dann haute man entweder drauf oder man selbst ab. Wie soll man sich das sonst vorstellen so um 200 v.Christus. Cyberschabernack gabs ja noch nicht – und wenn man sich so einen Laptop im Wald vorstellt….mmmh. Meine These ist ja viel nächstliegender: Die hatten kein Bier mehr – und einen Höllendurst auf Eifelwasser aus dem Vulkangestein fürs Party-Gebräu.
@Tritbrettschreiber: Eifelwasser wäre ein Bodenschatz,wäre da nicht die einander extrem nahe stehende Bevölkerung,die aber als Sklaven und Soldaten eher ungeeignet gewesen wären…
Nur fürs Wasser Krieg zuführen…momentmal…
Inzucht um sich vor Invasoren zuschütten,hmmm
Im Saarland hats nicht funktioniert,oder?!
Aber vllt hatten die ollen Römer ein instinktives Verständnis frisches oder anderes Material in ihren Genpool auf zunehmen? Ist meine verrückte Annahme!
Oll bedeutet nicht automatisch Blöd.
Und das mit dem Raummangel in Wiki bezog sich auf dieses „Volk ohne Raum“ Denken,das im rechten Spektrum zu finden ist…und da es deutsche Wiki-Autoren gibt,die entsprechend gefärbte Artikel schreiben…lag mir diese Überlegung nahe.
@Martin Däniken
„… frisches oder anderes Material in ihren Genpool auf zunehmen?“
Altrömischer Heiratsantrag: Kaminfeuerknistern, funkelnder Leasing-Diamant, aschfahl werdende Schwiegermutter und der erste und letzte Ohnmachtsanfall der germanischen Braut – viel zu akademisch. Und eine Nyance zu trocken…
Ansonsten, zur Wiki-Sprache ja, es dauert gefühlte Äonen, bis Konnotationen wechseln.
@Trittbrettschreiber: Du vergisst einen leidenschaftlichen Karaoke-Vortrag von“My Heart will go on..“ ;-)
Böhmermanns Kartoffel als Slang bei Wiki unterzubringen:
https://www.youtube.com/watch?v=HNwz_uaRd64
zeigt das hinter mancher Konnotation kein Versehen steckt…
…Bis die Germanen kommen – die machen dann alles wieder kaputt…“
Ja aber die Germanenscheffes haben doch beste römische Erziehung genossen…inkl. Kriegführen!
Danke Martin Däniken – Erziehung garantiert nicht unbedingt Loyalität:
https://www.youtube.com/watch?v=h65KY_KdFSM
…auch eine Art Karaoke – nur im Wald eben.
Alle nur Met Trinker….pahh.
Ich wills zwar nicht zu weit treiben, aber damals hatten dieses“Singen und Klatschen“ noch eine rustikalere radikalere Auslegung ;-)
Florian Silbereisen präsentiert das
„Germanische Verhau-den-Römer-Fest(e)-der-guten-Laune“!
Einer meiner Vornamen lautet“Hermann“ und ich behaupte gerne im Scherz von dem ollen Knaben abzustammen…
Bislang ist der Gute mir noch nicht im Schlaf erschienen noch haben mich Abmahnanwälte heimgesucht!
Hoffe das es so bleibt…!
Hatte grad eine Phantasie wie Laurence Olivier in Senatoren-toga Christian Lindner höflich aber effizient zusammenfaltet…Leider keine Untertitel! sehe nur die Lippenbewegngen und wie C.L.immer grauer und immer kleiner wird…
Episch!!!