Platonisch und kommunistisch
Neu in meiner Bibliothek. Alexander von Plato: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel sowie Lutz Niethammer und Alexander von Plato: „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960. Band 3.
Und das kam so: Ich beschäftigte mich mit einigen Aspekten der Novemberrevolution, und dabei kommt man, wie man im Ruhrpott so sagt, von Hölzken auf Stöcksken. In der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Ausgabe 115 Von der Novemberrevolution zum „deutschen Oktober“, las ich den Artikel von Harald Jentsch: „Die KPD 1919 bis 1924“, über deren Abspaltungen und deren zeitweiligen politischen Zickzack-Kurs, Fakten, die die offizielle Parteigeschichtsschreibung immer unter den Tisch hat fallen lassen. Alles sehr spannend.
Da erinnerte ich mich an ein Buch, das ich 1974 gelesen hatte und das hier etwas zerfleddert herumsteht: Alexander von Plato: Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und KOMINTERN, Sozialdemokratie und Trotzkismus, Berlin., Oberbaumverlag – Verlag für Politik und Ökonomie, 1973. Von Plato zählte in den 1970er Jahren zur Spitze der Kommunistischen Partei Deutschlands (Aufbauorganisation), also „meiner“ Partei und deren Vorsitzenden Christian Semler. Ich stöberte darin herum und meine Haare kräuselten sich vor Entsetzen ob des sektiererischen Jargons, der typisch deutschen Rechthaberei und der Attitude, Ernst Thälmann habe alles richtig gemacht mit der „Bolschewisierung“ der KPD. Von Plato ist aber jemand, der alle Fakten kennt und minutiös jeden auch noch so irrelevanten Furz aufdröselt. Auch wenn er damals falsche Schlussfolgerungen zog, man kann sein Buch als Quellensammlung benutzen.
Ich schaute mir an, was er später geschrieben hat. In seinem Buch über die Wiedervereinigung heißt es über den „nationalen Vereinigungsmythos“: Es werde „in einem medialen overkill ein Bild von der Wiedervereinigung und der Beendigung des Kalten Krieges in Europa gemalt, das wie die frühe Fixierung eines nationalen Mythos erscheint.“
Mythen muss man zertrümmern, ich wette, das geschieht – ich muss nur erst die 500 Seiten lesen.
Unterer Screenshot aus „KPD und KOMINTERN“
Kommentare
3 Kommentare zu “Platonisch und kommunistisch”
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Mythen sind Elemente des Lebens. Sie verbieten? Weia.
(Möglicherweise hast du einen anderen Begriff von Mythos als Roland Barthes. Und übrigens. Ich arbeite mich gerade durch Die Deutschen und ihre Mythen von Herfried Münkler.)
[…] hatte im September 2018 auf ein vergleichbares Werk hingewiesen, obwohl es 1973 erschienen ist: Alexander von Plato: Zur […]
Habe das Buch gelesen und auch die Kritik. Die Politik der heutigen bürgerlich demokratischen Regierungen (2020) empfinde ich so wie dort die bürgerlich demokratischen Parteien und Regierungen auch die SPD an den Pranger gestellt werden – sie praktizieren die Theorie und Praxis der „Wirtschaftsdemokratie“ und der Arbeitsgemeinschaften in der Krise* mit Gemeinsamkeiten zum faschistischen Korporationssystem – also sozialfaschistisch – mit dem die gegenwärtige Regierung dem Faschismus den Weg ebnet, wie Anfang der 30 er Jahre die SPD. (Seite 169 Alexander von Plato: Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und KOMINTERN, Sozialdemokratie und Trotzkismus)
Reformismus als „Sozialfaschismus“
Zur politischen Verwertung der Geschichte der Arbeiterbewegung durch von Plato:
KPD und Komintern – Sozialdemokratie und Trotzkismus
Nie.ls Kadritzke
I. Einleitung und Begründung der Fragestellung
L In meiner Darstellung, wie das Faschismus-Thema in der politischen Diskussion
von heute verwendet wird, habe ich die Fehler des KSV (KPD/AO) vor allem im
Hinblick auf die Wiedererweckung des Sozialfaschismus-Begriffs aufzuzeigen versucht (1). Mangels einer ausführlichen Darstellung der Geschichte der Weimarer
Republik durch das Visier des KSV (2) war ich auf einige Anhaltspunkte aus älteren
Publikationen angewiesen, um aufzeigen zu können, welche Bedeutung eine unkritische Wertschätzung der sogenannten Sozialfaschismus-Theorie der Weimarer KPD in
der Gegenwart gewinnen kann.
Inzwischen ist in der von dieser Gruppierung herausgegebenen Reihe mit dem
verpflichtenden Titel „Materialistische Wissenschaft“ eine umfassende „Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik“ erschienen, in der die Sozialfaschismus-Theorie der Weimarer Zeit ausführlich begründet und vollständig gerechtfertigt wird. Da dieses Buch Alexander von Platos (3) mittlerweile vielerorts als
ein wichtiges Belehrungsmittel über die Endphase der Weimarer Republik verwendet
wird und die unwidersprochene Apologie jener theoretischen Fehler der Weimarer
KPD, welche die kommunistische Bewegung selbst nach 1933 überwunden hat, für
die politische Bewegung verhängnisvolle Folgen haben muß, soll die Arbeit von
Platos unter diesem Gesichtspunkt einer ausführlichen Kritik unterzogen werden.
2. Da eine wissenschaftlich begründbare Kritik in diesem Fall auch aus politischen
Gründen in aller Schärfe formuliert werden muß, sei vorweg auf die unbezweifelbaren positiven Seiten und Verdienste der Arbeit hingewiesen. Von Plato hat die
umfassende Literatur, in der sich die kommunistische Politik der Jahre 1928-1933
darstellt und theoretisch begründet, nahezu lückenlos durchgearbeitet und sich damit befähigt, die gängigen falschen oder doch lückenhaften Darstellungen der
KPD-Politik in dieser Zeit in vielen Einzelheiten und auch in wesentlichen Grundzül) Vgl. N. Kadritzke, Faschismus als gesellschaftliche Realität und als unrealistischer
Kampfbegriff, in: Prokla 8/9, S. 103 ff.
2) Die Arbeit von Hannes Heer, Burgfrieden oder Klassenkampf, Neuwied und Berlin 1971,
geht zwar auch von einer unkritischen Bejahung der Sozialfaschismus-Theorie aus
(S. 65 ff), verzichtet aber auf eine theoretische oder empirische gestützte Begründung.
3) Alexander v. Plato, Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik:
KPD und Komintern, Sozialdemokratie und Trotzkismus, Berlin 1973
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gen zurechtzurücken. So hat er ( 4) die von A. Rosenberg entwickelte und danach
von der ganzen bürgerlichen Geschichtsschreibung repetierte These widerlegt, die
Sozialfaschismus-Theorie und ihr „ultralinker“ theoretischer Hintergrund sei vor
allem Produkt der innersowjetischen Auseinandersetzungen zwischen der Stalin-Fraktion und ihren verschiedenen Gegnern, die mit Hilfe des „Instruments“ der
Komintern auf die deutsche Partei übertragen und ihr damit von außen aufgezwungen wurde (5). Von Plato weist nach, daß ein solcher Zusammenhang von den
meisten Autoren gar nicht widerspruchsfrei konstruiert werden kann (6), daß wesentliche Impulse zur Radikalisierung der Politik der KPD gegenüber der Sozialdemokratie aus der deutschen Partei selbst gekommen sind und daß die Komintern in
viel stärkerem Maße zügelnd in die Politik der KPD eingegriffen hat, als es die
bürgerliche Geschichtsschreibung in ihrer Fixierung auf die „dogmatische“ Befehlsgewalt eines prinzipiell einheitsfrontfeindlichen Stalin wahrhaben will (7). Eine
wichtige korrigierende Tendenz der Arbeit liegt weiterhin in der ausführlichen Darstellung der ab Frühjahr 1932 mit der Antifaschistischen Aktion einsetzenden Bemühungen, einer tatsächlichen Einheitsfront mit der SPD näherzukommen, die in
der gängigen Literatur vorwiegend als unaufrichtige und von der reformistischen
Führung zurecht abgewiesene Propagandaoffensive gewertet wird (8).
3. Die beiden Hauptaufgaben, die sich von Plato selbst vorgenommen hat, bleiben
in seiner Arbeit jedoch ungelöst, ja sie beweisen gegen den Willen des Autors, daß
der Versuch ihrer Lösung bei aller Anstrengung der politischen Absicht scheitern
4) Wie im übrigen vor ihm noch umfassender, da auch die russisch-sprachigen Quellen
ausschöpfend: P. Lange, Stalinismus versus „Sozialfaschismus“ und „Nationalfaschismus“, Göppingen 1969
5) Dies ist in unterschiedlich kurzschlüssiger Weise getan worden von renommierten Autoren wie H. Weber (Die Wandlung des deutschen Kommunismus, Frankfurt a. M. 1969);
S. Bahne (Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Das Ende der Parteien 1933,
hrsg. von E. Matthias und R. Morsey, Düsseldorf 1960; sowie: ,,Sozialfaschismus“ in
Deutschland, in: International Review of Social History, Vol. X, 1965); J. Braunthal
(Geschichte der Internationale, Bd. 2, Hannover 1963) und Th. Weingartner (Stalin und
der Aufstieg Hitlers, Berlin 1970).
6) Vgl. S. 249 f., 266 ff. und insb. S. 271. Vgl. auch P. Lange (Anm. 4), der vor allem
herausarbeitet, daß alle innersowjetischen Gegenspieler Stalins wesentlichen Anteil an
der Formulierung dieser „ultralinken Politik“ gehabt haben.
7) Allerdings kann auch von Plato nicht bestreiten, daß Stalins Intervention zugunsten des
sog. ,,Roten Volksentscheids“ gegen die preußische Regierung im August 1931, wie sie
im 4. Bd. der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin (DDR) 1966, S. 262 f.
berichtet wird, nicht in seine Darstellung paßt.
8) Vgl. insbesondere S. Bahne, in: Das Ende der Parteien, S. 670 ff. und E. Matthias, Die
Sozialdemokratische Partei (ebda), S. 154 ff. Von Plato unterschätzt seinerseits die Vorbelastungen dieser Politik durch die kommunistische Haltung vor 1932, eben weil er an
der Sozialfaschismus-These festhält. Verdienstvoll ist in diesem Zusammenhang aber
zweifellos die Kritik an den regelmäßig denunziatorischen Darstellungen des Berliner
BVG-Streiks im November 1932, der in den bürgerlichen Arbeiten als Schlußstein in der
Beweisführung für die angeblich durchgängige Hauptstoßrichtung der KPD-Politik gegen
die SPD dient. So ist von Plato zuzustimmen, wenn er gegen Flechtheims Kritik am
„Bündnis“ von RGO und NSBO einwendet: ,,Ganz sicher konnte die KPD aber von ihr
organisierte Streiks nicht deshalb absagen, weil sich die Nazis daran beteiligten.“ (S. 274)
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muß.
a) Die Widerlegung der Trotzkischen Faschismus-Einschätzung, die aufs engste
damit zusammenhängt, wie dieser die Rolle der Sozialdemokratie sieht, scheitert schon deshalb, weil von Plato in seiner kursorischen Darstellung von
Trotzkis Schriften über die Faschisierung in Deutschland dessen theoretische
Analysen auf unzulässige Weise verkürzt (9) und auf die wichtigste Ebene von
Trotzkis Kritik an der Sozialfaschismus-Theorie gar nicht eingeht ( 10).
b) Die Konfrontation der zeitgenössischen kommunistischen Einschätzungen
und Analysen mit neueren zeitgeschichtlichen Forschungsergebnissen mit der
Absicht, eine möglichst objektive Einschätzung der ökonomischen und sozialen Entwicklung am Ende der Weimarer Republik vor allem in ihren Wirkungen auf die Arbeiterklasse zu gewinnen, soll die objektive Richtigkeit des
Sozialfaschismus-Begriffes und der ihm zugrundeliegenden Annahmen über
die Rolle der Sozialdemokratie in der Agonie der bürgerlichen Republik
herausstellen. Dieser Wahrheitsbeweis für eine problematische Theorie muß
aus methodischen und inhaltlichen Gründen hoffnungslos scheitern. Aus seinem Scheitern ergeben sich einige prinzipielle Schlußfolgerungen für die Analyse des Reformismus in der Arbeiterbewegung und über die Rolle des KSV,
die am Ende einer relativ ausführlichen Untersuchung der erstaunlichen Fehler und offensichtlichen Widersprüche in dieser neuesten Begründung der
Sozialfaschismus-Theorie entwickelt werden sollen ( 11).
II. Die Sozialfaschismus-Theorie der Weimarer KPD
…
https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/article/download/1777/1712/3393
und in der Zeitsschrift „Bahamas“:
Formierung der „Mitte der Gesellschaft“
Eine Ehrenrettung der Sozialfaschismusthese
http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web19.html