Contemporary Art oder: Knack-o-mat hoch fünf
Auf der Website der Berlinale: Mit dem Titel We don’t need another hero versteht sich die 10. Berlin Biennale als Dialog mit Künstler*innen und anderen Beitragenden. Die Beteiligten setzen sich mit den anhaltenden Ängsten und Sorgen in unserer heutigen Zeit auseinander – Ängste, die durch die Missachtung komplexer Subjektivitäten vervielfacht werden – und denken und handeln in ihrer Auseinandersetzung über den Kunstkontext hinaus.
Erstens. Die Autorin (Wetten, dass?) dieses Geschwurbels outet sich als Teil eines kleinbürgerlichen Milieus (aka neue Mittelschichten), das mit sprachpolizeiliche Normen den Kapitalismus optimieren will. Wer Sternchen in Wörter schmuggelt, auch „gendrifiziertes Schreiben“ genannt, läuft Gefahr, nicht gelesen und auch nicht ernst genommen zu werden.
Zweitens: „Die Beteiligten“ hätte ich gern genauer. Das missratene Substantiv (vom sehr schwachen Verb „sich beteiligen“) klingt ähnlich bürokratisch wie „durchführen“. Man könnte dann gleich „amtshandeln“ schreiben. Was tut wer? Sie (wer beteiligt ist, woran auch immer) setzen sich auseinander. Das Publikum denkt aber immer konkret und stellt sich Leute auf Stühlen vor, die mehr Abstand suchen und knarrend noch weiter auseinanderrücken. Ich hingegen denke an Will Smith (Min. 2:30).
Wenn ich fragte: „Was ist ein Haustier?“ antworten die meisten Leute: „Huhn, Schwein, Hund, Katze“ und nicht etwa „Tiere, die wegen ihres Nutzens oder des Vergnügens halber vom Menschen gezüchtet werden und durch Domestikation aus Wildtierarten hervorgegangen sind“ – was die korrekte Antwort wäre. „Mit Ängsten und Sorgen auseinandersetzen“ – das macht auch ein Angestellter der Bundesanstalt für Arbeit. In Texten, die irgendwas mit Kunst zu tun haben, sollte man knackiger formulieren, sonst ist das Kitsch oder noch Schlimmeres.
Drittens. „In unserer heutigen Zeit“. Wieso gehört die Zeit uns? In eurer gestrigen Zeit? Oder ist der Satz von Helmut Kohl? In unserer heutigen Zeit in diesem unseren Lande?
Viertens. Das hiesige Stammpublikum ahnt schon, was kommt. Alle Wörter, die mit Ung oder Ät(en) enden, sind verboten. Das befiehlt der Sprachpapst Burks und zitiert Wolf Schneider: Deutsch für Profis (der nicht so konsequent ist wie ich). Wer missachtet was? Da wissen wir nicht mehr weiter und wenden uns verzweifelt an die, die den elaborierten Code sprechen, um arrogant zu zeigen, dass sie mehr wissen als das gemeine Volk – die typische Attitude der sozialen Aufsteiger, die es geschafft haben, das Arbeiten mit der Faust einzutauschen gegen das Faulenzen mit der Stirn. Vielleicht irre ich mich, und man kann „komplexe Subjektivitäten“ essen wie Gehacktes aus Rind und Schwein? Dann ruderte ich zurück…
Fünftens: „Denken und handeln in ihrer Auseinandersetzung über den Kunstkontext hinaus“. Schießen über den schulischen Bereich hinaus. Schreiben über den schriftstellerischen und blogosphärischen Bereich hinaus. Kacken über den sanitären Bereich hinaus.
Schrieben meine Studenten so, würde ich mich weigern, den Mist zu lesen.
Kommentare
9 Kommentare zu “Contemporary Art oder: Knack-o-mat hoch fünf”
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„Kacken über den sanitären Bereich hinaus.“
Ick lieg unterm Tisch. Danke
was hast du geschrieben? sollte ich wirklich…
nee, ne
Deutsch für Profis. Wo sind die denn? Kann man von denen auch mal was lesen? Ich habe ja den Verdacht, dass jene, die „gutes Deutsch“ schreiben können und wollen, keinen Job mehr bekommen. Was nützt es dem ‚Haute Cuisine‘ Koch, wenn er sich bei McDonalds bewerben muss und weiß, wie lange ein Chateaubriand im Backofen bleiben muss? Und wer isst all diese Bücher??!
Musste mich aufs Bett werfen und mit Fäusten und Füßen die Matratze bearbeiten, um meinen Lachanfall in den Griff zu kriegen.
Darf ich mir eigentlich aus dem Text ein paar gute „Sprichwörter“ rausschneiden, für die Volkshochschulgruppe, die sich Di. im Rathaus Schöneberg zu „Politischen Gesprächen“ trifft?
Oder den ganzen Text verwenden, lieber Admin?????
Künstler*innen – das ist Deutsch mit Akne.
Burks: „Die Beteiligten“ ist korrekt im Sinn von „die, die beteiligt sind“ (an dem großartigen Spiel, für das sie selber aber nix können).
Warum sollen Wörter wie Dung, Nehrung, Fensterleibung, Sprung oder jung verboten sein, wenn man gutes Deutsch reden oder schreiben will?
@Roland B.
Es geht einfach darum, grandiose Schwurbel-Epik aus dem verbalen Kreativ-Sektor zu verbannen, um durch „Simplified German“, den zum Intellektuellen upgegradeten Mittelständler wieder dahin zu verbannen, woher er gekommen ist.
Der hoch elaborierte Platzverweis des Beamten, z.B. während einer illegalen Demo, „Achtung Achtung, hier sprechen Ihre Steuergelder – Ich fordere Sie auf, umgehend eine Verpissung zur Durchführung gelangen zu lassen“, wird zu einem trivialen „Hey Guys – Ihr müsst jetzt leider gehen“ simplifiziert. So weiß auch der letzte Blöde, dass nun Finito ist mit der Demo. Alles Paletti?
….wer sind denn deine Studenten?…