Zu dumm zum Interviewen

Lesenswert: „Unsere Professoren ignorieren Marx – An der Uni Münster gibt es einen Marx-Lesekreis. Warum tun sich gestresste Studenten 3.000 Seiten „Das Kapital“ freiwillig an?“

Man kann das Interview auch nutzen, um zu demonstrieren, dass man sich als Interviewer über das Thema informiert haben sollte, bevor man Fragen stellt:
ZEIT ONLINE: Kann man Das Kapital also auch zur Unterhaltung lesen?
Steiner: Nein. Man ist nicht beflügelt, wenn man Marx liest. Im Gegenteil: Man braucht Durchhaltevermögen. Wir hatten schon im ersten Kapitel unsere Schwierigkeiten damit, Marx‘ Geheimnis vom Fetischcharakter der Waren zu lüften.
ZEIT ONLINE: Womit bitte?

Bestätigt meine These, dass die Mehrheit der Journalisten einfach dämlich und ungebildet ist.

Den dümmsten „Einwand“ gegen die Marx-Lektüre bekam ich neulich in einem so genannten sozialen Medium: Der Text, auf den ich mich bezog, sei doch schon 150 Jahre alt und daher nicht mehr „wahr.“ Wäre lustig, wenn ein Mathematiker argumentierte, Thesen, die mehr als 2000 Jahre alt seien, müssten nicht mehr berücksichtigt werden.

Reminder: Ökonomie ist Wissenschaft, nicht Esoterik wie die „Volkswirtschaftslehre“.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Zu dumm zum Interviewen”

  1. tommmm am Januar 27th, 2017 3:04 pm

    Ok, wer liest wirklich Marx?

    Karl Marx: Über die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft

    Karl Marx (1818-1883)

    In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen.

    Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten.

    Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten.

    Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären.

    Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.

    In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.

    https://sascha313.wordpress.com/2017/01/18/karl-marx-ueber-die-grundlagen-der-menschlichen-gesellschaft/

  2. ... der Trittbrettschreiber am Januar 27th, 2017 4:05 pm

    Euklidik, Hyperbolik und dann auch noch Phantasmagorien – Marx war doch Mathematiker, oder?

    Es ist einfach pseudo-schick, mit seinem mathematischen Unverstand zu kokettieren. Das ist, als tirilierte eine Krähe darüber, sich nie mit Strömungslehre befasst zu haben.

    :o(

  3. Siewurdengelesen am Januar 27th, 2017 6:23 pm

    War aber trotzdem lustig zu lesen – also das Interview, nicht das Kapital.

    Fetisch, Fetisch?

    Guckst Du I-Phone – hast Du Fetisch;-)

    Also jedenfalls ansatzweise…

  4. dlog am Januar 29th, 2017 9:35 am

    @Siewurdengelesen – Frau Steiner fasst das in dem oben verlinkten Interview ganz gut zusammen. dass man Waren halt Eigenschaften zuschreibt, die sie von Natur aus nicht haben und dabei verdrängt, dass sie das Ergebnis Arbeit sind. Ein iPhone (wie auch alle anderen Güter!) ist das Ergebnis der Arbeit sehr vieler Menschen, von der Gewinnung der Rohstoffe über die Fertigung bis zu Vertrieb und Verkauf, das sollte man sich mal ernsthaft vor Augen halten. Nun mag ein iPhone zwar ein nützliches und qualitativ gutes Gerät sein; das ist aber nicht der Grund, weshalb es meistens angeschafft wird, sondern weil deren Käufer auf einen „Mythos“ hereinfallen:

    „Der Schein, auf den man herein fällt, ist wie ein Spiegel, in dem die Sehnsucht sich erblickt und für objektiv hält. […] Der Schein dient sich an, als kündete er die Befriedigung an, er errät einen, liest einem die Wünsche von den Augen ab, bringt sie ans Licht auf der Oberfläche der Ware und in deren gesteigerten imaginären Inszenierungen.“

    („Kritik der Warenästhetik“, Wolfgang Fritz Haug)

  5. Siewurdengelesen am Januar 29th, 2017 6:13 pm

    @dlog

    Genau das meinte ich damit und in diesem Sinne werden u.a. die Produkte von Apple überhöht!

    Im Grunde ist dieser Fetisch-Charakter doch auch die Wurzel aller Werbung, durch die den Produkte eben Eigenschaften zugedichtet werden, die sie weder besitzen noch dem Verbraucher verleihen. Derzeit halt in erster Linie Schönheit, Gesundheit, Sex…to be continued

    Das dabei die menschliche Arbeit diese Werte erst schafft, diese nicht vom Himmel fallen und dadurch andererseits erst den Profit ermöglichen, der diese Gesellschaft am Laufen hält, habe ich auch schon ansatzweise begriffen. Die Produkte von Apple sind da quasi sogar noch Spitzenreiter, weil sie bei gleichem Einsatz mehr bringen als die Billigheimer aus derselben Fabrik für andere Hersteller.

    Davon ab gehört das Kapital m.E. zwingend und nicht auf freiwilliger Basis in einen Studiengang des wirtschaftlichen Bereichs, alleine um der Sicht aus einer anderen Perspektive willen.

    Meinereiner ist bereits gutes Mittelalter und studiert habe ich auch nicht, ‚quäle‘ mich aber trotzdem hin und wieder durch diesen Stoff;-)

  6. Martin Däniken am Januar 29th, 2017 7:17 pm

    Dann ist Marx-lesen(was verstehen nicht automatisch miteinschliesst!) auch eine Art Fetisch und wer ihn gelesen und verstanden hat ist Elite und folgt einem bizarrren Personenkult…soso!

    Ich mach nur Spass!
    Und kann mehr mit dem Couponschneider Schopenhauer anfangen!

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