Ihr seid nicht das Volk, revisited

militant strike

Foto: Streikende Bergleute in Asturien, Quelle: libcom.org

Ein ganz hervorragendes Interview mit Didier Eribon hat Zeit online: „Für Nation und Heimat, gegen Oligarchie und Finanzelite: Linke Bewegungen wie Podemos und Nuit Debout klingen oft wie Rechtsradikale“.

Ich kan allem, was er sagt zustimmen. Hierzulande gibt es kaum jemand, der so denkt. Das ist kein Zufall.

Die Leute haben nicht gegen die EU gestimmt, weil sie glauben, danach wären die Dinge tatsächlich besser. Sie wollten vor allem ihre generelle Ablehnung zum Ausdruck bringen. (…)

In den Achtzigern haben linke Neokonservative mit Investorengeld Konferenzen organisiert, Seminare gegeben und mediale Debatten angezettelt mit dem Ziel, die Grenze zwischen rechts und links zu verwischen. Das war eine konzertierte Kampagne. Sie wollten all das abschaffen, worauf sich linkes Denken gründet: den Begriff der Klasse, die soziale Determination, die Ausbeutung der Arbeitskraft etc. Heute sehen wir, dass sie zum größten Teil erfolgreich waren. (…)

Das Problem ist, dass Europa von einer Klasse regiert wird, die der britische Autor Tariq Ali einmal die „extreme Mitte“ genannt hat: Diese Leute glauben, dass das, was den gut ausgebildeten Menschen in den Metropolen nützt, automatisch gut für alle ist. Das ist offensichtlich falsch (…)

Wie ist es möglich, so viele Menschen im politischen Alltag zu ignorieren? In Europa wissen die Eliten nicht einmal, dass es in ihren Ländern echte Armut gibt. (…)

Niemand wählt eine Partei, weil er mit ihr in jedem einzelnen Punkt übereinstimmt. Wir wählen Parteien, weil wir in dem Weltbild, dass sie vor Augen haben, selbst vorkommen. Und viel mehr wollen die Arbeiter auch nicht.

Sag ich doch. Ich habe auch die kleinbürgerlichen Beschimpfungen der Wähler satt. Besonders die schimpfen auf das pöbelnde Volk, die finanziell abgesichert und hochnäsig in ihren Stühlen sitzen und meinen, „man“ müsse doch die westlichen Werte hochhalten. Der schlimmste Gefühlszustand für den Spießer ist die „Enthemmung“, nichts anderes als die Furcht, die da unten könnten anders aufbegehren als es der Mittelschicht gefällt.

Sie wollen nur das Volk wieder auf den Konsens im Kapitalismus einschwören. Das machen die Arbeiter offenbar nicht mit. Nur gibt es keine linke Partei, die das auffängt.

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Kommentare

14 Kommentare zu “Ihr seid nicht das Volk, revisited”

  1. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 6th, 2016 1:23 pm

    Welche Arbeiter meinst Du? Ich sehe kaum welche, auch nicht beim Arbeiten. Ich sehe Menschen mit Zertifikaten an den Wänden ihres Büros im Lager oder in den Produktionshallen. Well dressed von Cat oder Dickies verrichten Sie Tätigkeiten an KUKA-unterstützeen Fertigungsstraßen und bekommen im Akkord rieseige Mengen an Geld, dass sie für große SUVs ausgeben, um vor allem den Kollegen zu gefallen, die sie nicht leiden können. Wird man ihnen als Praktikant oder Auszubildender unterstellt, bekommt man die Macht des kleinen Popels zu spüren und muss sich selbstverständlichen Schwachsinn wie besondere Merkmale der Kopernikanischen Wende anhören. Wenn du dann noch gegen die Schweinsbergers dieser Nation bist und nicht ordentlich mitgrölst und verbal herumpopelst, hast du vollends verschissen. So wird man dann Mittelständler mit eigenem gebrauchten Taxi. Von mir aus – die sind das Volk.

  2. Martin Däniken am Oktober 6th, 2016 2:44 pm

    In der letzten „Anstalt“ wurde der Parteienrichtungsinhaltssalat aufgedröselt!

    Und das die Eliten die Armut im eigenen Land nicht sehen ist teilweise richtig..
    Es ist wie mit der Gewalt
    -Sie ist wie ein Elephant im Wohnzimmer
    -Irgenswann bemerkt man ihn nicht mehr?!

  3. andi am Oktober 6th, 2016 3:08 pm

    Kann man wirklich nicht LBG oder T sein und z.B. sozialdarwinistisch oder nationalistisch oder pro-kapitalistisch? Das Problem mit der Focaultschen Skepsis und daran anschließenden Theorien sowie davon beeinflussten Leuten ist in meinen Augen, dass sie eine politische Prioritätensetzung mit einem Ausschluss von Minderheitenrechten verwechseln. Wenn links nur noch mit Gendersprech und ideologisch aufgeladenem Gemüsekonsum identifiziert wird, hat Eribon genau den Salat, den er kritisiert…

  4. Stefan am Oktober 6th, 2016 5:21 pm

    Eribon macht aber in weiterer Folge des Interviews genau den gleichen Fehler der er vorher, zu Recht, kritisiert:

    Klar kommt unterm Strich, bei rechter Hegemonie in der Gesellschaft, am Ende mit Heimat und Nation nix Vernünftiges raus. Aber das tut es auch in anderen Bereichen nicht. Das herrschende System und seine Akteure wandeln ja auch gerade Merkels vermeintliche Flüchtlingssolidarität zur zukünftigen Zwangsarbeitskultur und vermutlich auch zur Basis für die nächste Soldatengeneration für die imperialistischen Kriege der BRD um.

  5. pessimistischer Philantrop am Oktober 6th, 2016 8:52 pm

    „Welche Arbeiter meinst Du? Ich sehe kaum welche, auch nicht beim Arbeiten“

    Tja, so unterschiedlich können die Perspektiven sein. Ich seh´ die nämlich dauernd und das deckt sich ziemlich mit der Wahrnehmung von burks. Bevorzugt sind Arbeiter übrigens vorzufinden im Tätigkeitsbereich von Securities, Reinigungskräften, Pflegepersonal, Fahrern, Zustellern, Verkäuferinnen oder Lagerarbeitern als Kollegen. Sehr gerne auch von Zeit- und Leiharbeitssklavenhändlern unter Vertrag genommen.

    Für mich setzt sich die wahrnehmbare deutsche „Linke“ mittlerweile weitestgehend aus Politfunktionären auf Euronen Diät, social media approved Hipsterveganern, von sich selbst überzeugten Salonlinken und einem penetranten Hintergrundrauschen der dazughörigen korrekt-doppelplusgutsprech Schwarmintelligenz zusammen.

    Dazu noch das gefallsüchtige Gekaspere von Typen wie Jan Böhmermann oder Florian Schröder im Tipi Zelt am Kanzleramt im Radio übertragen, fertig ist mein grüner Albtraum.

  6. Wolf-Dieter Busch am Oktober 6th, 2016 9:22 pm

    In dem Interview kommt viel Richtiges und Tiefschürfendes. Und doch geht es am Kern vorbei.

    Eribon beklagt – zu Recht – fehlende Solidarität. Aber was hilft Solidarität, wenn die – sehr reale – wirtschaftliche Basis sich nicht ändert? Nichts. Genau.

    Der gegenwärtige Neoliberalismus ist der Notschrei des Kapitals (wer erinnert sich an die entsprechende Faschismus-Definition?): die eigentliche Wertschöpfung – Marx‘ Wirtschaftskreislauf G→W→G‘ – funktioniert nicht mehr; um dennoch zu Mehrwert G‘ zu kommen, gibts den Beschiss. Finanzierung laufender Dividene durch laufende Einlage neuer Kunden. Ponzi.

    Es gab einmal ein konkurrierendes Wirtschaftsmodell – namens Planwirtschaft – das leider durch militärische Aufrüstung bis in die Pleite unterging. Bis heute hat niemand untersucht, ob das Modell in friedlicher Umgebung nicht effektiver ist als der Kapitalismus. Beispielsweise ohne Schweinezyklen.

    Zurück zu Eribon. Eigentlich ist es völlig Wurscht, wie klug oder kreuzdumm das Volk wählt, solange die wirtschaftliche Basis friedlich weiter abraucht.

    An manchen Tagen habe ich Lust, in die Politik zu gehen. Grmbl.

  7. Martin Däniken am Oktober 7th, 2016 10:23 am

    Es gibt Solidarität aber nur in übersichtlichen Kleingruppen,die bestimmte evolutionäre gebildete Hirnareale nicht überfordern!
    Und wie könnte Bayern überleben ohne Rüstungsindustrie?

  8. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 7th, 2016 11:14 am

    @pessimistischer Philantrop

    Eben. Diese Leute als Arbeiter im klassischen Sinne zu bezeichnen ist, ja, irgendwie unfair auch gegenüber denen, die mal in solch einer Situation waren. Unsere Großväter und Eltern, sofern die Ehefrauen damals mitgearbeitet haben. Der heutige Security-Craftsman hat so eine Art Facharbeiterbrief (§34aGewO)z.B. und ist aus dem Arbeiterdasein heraus. Auch der Cleaning-Startup-Kandidat mit dem geleasten Aufnehmer ist kein Arbeiter, sondern in Plump-Verarschungs-Deutsch ein Unternehmer. Nenne mir mal ganz positiv und ohne pessimistisches Konnotat einen typischen Arbeiter, so einen, von dem seinerzeit z.B. Herr Marx inspiriert wurde (Großfamilie in 1-Zi-Bude, Mäuse unterm Tisch und nix außer Zukunftsträumen von Facebook). Bitte nicht in die Flüchtlingsdebatte ab-(oder auf-)gleiten… ;-)

  9. Godwin am Oktober 8th, 2016 10:02 am

    „Das gehört sich einfach nicht, sogar heute noch lässt man die Finger davon. Es versteht sich von selbst, dass, wer nicht zur Arbeiterschaft gehört, kein Recht hat, darüber zu reden.
    Die Folge ist jedoch, dass erst wenige sich zu sagen getraut haben, dass die Arbeiterklasse nicht mehr existiert.“
    (Bill Buford 1991)

    Was soll eigentlich immer dieses verkrampfte festhalten an der linken als politische Stimme einer offensichtlich rassistischen Arbeiterschaft?
    Was ist verkehrt daran, Menschenrechtefür Menschen einzufordern?
    Das hierbei viel Humbug fabriziert wird, steht auf nem anderen Blatt.

    „Linke Neokonservative“ ??
    Das ist doch ein Oxymoron

    Planwirtschaft – so ein quatsch. Als ob man Wünsche und Bedürfnisse von Menschen planen könnte. Schon Galliani hat gezeigt das des nicht funktionieren kann…

  10. pessimistischer Philantrop am Oktober 8th, 2016 1:36 pm

    an den Trittbrettschreiber

    Zur aktuellen Arbeiterklasse zähle ich 90% der Menschen, die morgens zwischen 5-6 Uhr aus beruflichen Gründen unterwegs sind. Entweder kommen sie nach Hause, fahren gerade los oder malochen noch. Gezahlt wird de jure Lohn und nicht Gehalt, abgerechnet nach Stunden.De facto soll dagegen mit allen möglichen Tricks soviel wie möglich gearbeitet werden, bei gleichbleibend niedriger Bezahlung.

    Nur weil der ganze aufgepumpte Zertifikatsbullshit mit seinen verschwurbelten Begriffen und der zunehmende Druck zur permanenten Selbstvermarktung, den Leuten mehr ausgedrucktes Papier für ihre Mappen verschafft, bedeutet das nicht, dass sich das System der Ausbeutung von Arbeitskraft prinzipiell verändert oder sogar verbessert hätte.

    „Die Bourgoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftliche Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren“

    „Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen ihre Bedingungen gesichert sein, innerhalb derer sie wenigstens ihre knechtische Existenz führen kann.“

    Wer unten ist, soll gefälligst unten bleiben, seinen Frust an Schwächeren oder wenigstens Seinesgleichen abreagieren und sich ansonsten in Vereinzelung, schlechtem Gewissen und Duckmäuserei isolieren. Maul halten und weiter die Scheissgaleere rudern!

    Der Flüchtling kommt in der gesellschaftlichen Hackordnung zwar ganz unten an, aber da will er selbstverständlich nicht bleiben, genausowenig wie er passiv duldsam in seinen vorherigen Verhältnissen bleiben wollte und natürlich wird diese junge, zähe Konkurrenz der neuen Fressfeinde im Kampf ums Wasserloch instinktiv wahrgenommen, gefürchtet und entsprechend attackiert.

    Ich hab´ übrigens als einzige Mitbewohnerin eine mittlerweile fast zutrauliche Haselmaus in meiner Küche. (in einer Wohnung, in der vor 90 Jahren vermutlich mindestens 4 Menschen aufeinander leben mussten)

  11. some1bln am Oktober 8th, 2016 9:11 pm
  12. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 9th, 2016 4:23 pm

    @pessimistischer Philantrop

    „… Maul halten und weiter die Scheissgaleere rudern!“

    Wurde die Sklaverei von Sklaven abgeschafft oder von den Unterdrückern?

    https://de.wikipedia.org/wiki/Victor_Sch%C5%93lcher

    Empfinden sich Sklaven ab einem gewissen Zeitpunkt noch versklavt?
    Filmtipp: „Django unchained“ > Samuel L. Jackson, herzzerreißend genial.
    Würde ein Lkw-Fahrer oder ein nett bezahlter Leiharbeiter sich als Arbeiter empfinden? Mich stört der Begriff. Er ist vertrocknet, ohne Bezug zu moderner Ungerechtigkeit.

    „Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen ihre Bedingungen gesichert sein, innerhalb derer sie wenigstens ihre knechtische Existenz führen kann.“

    Zur Maus:
    Wenn Du sie weiter fütterst, schaffst Du ein Herr-Knecht-Verhältnis. Lässt Du sie frei, holt sie die Katze, denn ihre Knechtschaft hat ihr Gespür für Freiheit verkümmern lassen.

    Was kann sie tun? Was kannst Du tun? Was hätte Django tun sollen, außer ballern?

  13. Wat. am Oktober 9th, 2016 8:55 pm

    @Wolf-Dieter Busch

    Ob die damalige Planwirtschaft in friedlicher Umgebung besser funktioniert hätte, ist bisher nicht untersucht worden.
    Aber sicher doch, den Link hab ich Dir früher schon mal drüben bei Flatter gegeben.
    Es gibt zB die „Kritik der Politischen Ökonomie der Sowjetunion“.
    Diesmal bitte selber googlen.

    Im übrigen ist der Laden in der DDR nicht ökonomisch gescheitert sondern politisch.

    Vielleicht schaust Du Dir mit Deinen Marx-Kentnissen mal die ehem. Staaten des RGW an…
    … bei dieser Schau mal nur bei Marx zu bleiben und Lenin völlig außen vor zu lassen, kann ich nur empfehlen.

    PS – Stell Dir einen kräftigen Schluck parat – nicht für vorher – für nach dem Anschauen ‚mit Marx‘.

    Ich bin absoluter Fan von Planwirtschaft, aber erbitterter Gegner einer Zentralen Planwirtschaft, wie wir sie erleben durften – die kann nämlich tatsächlich nie funktionieren, da hat Godwin sogar so was wie recht, wenn er das auch anders begründet.

  14. Martin Däniken am Oktober 10th, 2016 2:44 am

    @der Trittbrettschreiber:
    Es wäre eine Innovation ;-) ,die Maus zu bewaffnen,
    damit sie selbst die Bedingungen ihres Daseins bestimmen könnte.
    Leider würde der Waffenlieferant sicher stellen wollen,
    das die Maus ein Abhänigkeitsverhältnis zu ihm aufbaut und
    nicht in der Lage ist dem Waffenlieferanten Bedingungen zudiktieren…
    Naja,ich hab halt ein simples Weltbild :-7

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