Terror, in Israel neu definiert oder so ähnlich

audiatur online

Propaganda, auch für die gute Sache, muss gut und einprägsam sein. Sonst wirkt sie nicht oder das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war, tritt ein. Tarnt sich Propaganda als Journalismus und wird dann enttarnt, ist es um so schlimmer. Das Thema heute: Audiatur online*, ein Portal, das Israel unterstützen will. „Israel verabschiedet nach hitziger Debatte neues Anti-Terror-Gesetz“, heißt es am 17. Juni.

Ein starkes und kontroverses neues Anti-Terror-Gesetz, verfochten von Justizminister Ayelet Shaked, wurde nach einer hitzigen Parlamentsdebatte am Mittwoch durch ein Mehrheitsvotum mit 57 gegen 16 Stimmen in der Knesset verabschiedet.
Wenn die Gedanken nicht klar sind, wird die Sprache wirr – und umgekehrt. Warum ist das Gesetz „stark“? Finger weg von den Adjektiven! lautet einer der Grundsätze guten Stils. Jeder versteht unter einem Eigenschaftswort etwas anderes. Dass ein Gesetz zu diesem Thema „kontrovers“ sein soll und eine Debatte „hitzig“, ist ein sehr weißer Schimmel. Es riecht außerdem nach Suggestion – ich will selbst entscheiden, was ich von dem Gesetz halte. (Die „linken“ Mitglieder der Knesset kommen ganz unten bei Audiatur online vor, und ich glaube nicht, dass die das Gesetz für „stark“ halten.)

Drei Fakten will man uns mitteilen. Ein Gesetz wurde (vom Parlament, der Knesset – vom wem sonst?) verabschiedet. Die Justizministerin hatte es eingebracht. Das Gesetz fand eine Mehrheit (was aber der erste Satz schon sagt – sonst wäre es nicht verabschiedet worden).

Übrigens: Mehr als neun Wörter können viele Rezipienten nicht verstehen, 20 Wörter ist das Maximum – und dann muss der Satz wie aus einem Guss und elegant gebaut sein. Hauptsätze! Hauptsätze! Hauptsätze! Und kurze! Der Anfang ist also schlecht.

Das Gesetz weitet die Definition von Handlungen mit terroristischem Hintergrund aus und soll die Macht der israelischen Sicherheitskräfte und des Rechtssystems im Kampf gegen die Terrorbedrohung verstärken.
Das sind zwei Sätze! Was spricht dagegen, es kurz und knapp zu sagen? Das Gesetz definiert Terror neu. (Wörter mit ung sind schlechtes Deutsch und verboten. Wenn schon, dann „Taten“. „Mit Hintergrund“ ist so elegant wie „Menschen mit Menstruationshintergrund“.) Die „Macht“ der Sicherheitkräfte? Das ist garantiert nicht gemeint. Merke: Den Text hat niemand geschrieben, dessen Muttersprache Deutsch ist, und niemand hat ihn gegengelesen. Geht es um die israelische Armee? Den Mossad? Die Polizei? Oder alle? Ein Artikel, der aufklären will, muss es auch tun. Bei einem Gesetz kommt es genau darauf an, was wem neu erlaubt oder verboten ist. Was unterscheidet den „Kampf gegen die Terrorbedrohung“ vom „Kampf gegen den Terror“? Nichts, nur kann man es besser verstehen, und das ung ist auch weg.

„Nur durch angemessene Bestrafung und Abschreckung kann er bekämpft werden“,
(sagt irgendjemand). Das ist eine These, die nicht wahr sein muss. Im Journalismus gilt: Audiatur et altera pars. Alles anderen ist Propaganda. Die Leser sind doch nicht alle total meschugge. Wenn ich überzeugen will, dann nicht die, die eh schon meiner Meinung sind, sondern die anderen. Und für die muss ich mich anstrengen. Verständlich zu schreiben ist ein Handwerk. Das kann man lernen – es kommt nicht automatisch aus dem Bauch. Terroristen muss man bestrafen (wer hätte das gedacht), und härtere Strafen bedeuten weniger Terroristen? Das bezweifele ich.

Der 51-seitige Gesetzentwurf mit der Bezeichnung “Anti-Terror-Gesetz” führt im Detail bestimmte Straftaten auf, die neuerlich als terroristische Aktivität definiert werden,
Also nee. Muss ich wirklich wissen, dass das Gesetz 51 Seiten umfasst? Und gilt in Israel auch Din A4 oder sowas? Wieviele Anschläge (sic) pro Seite? Das Gesetz (nachdem es verabschiedet wurde, ist es kein Entwurf mehr) heisst “Anti-Terror-Gesetz”? Hätten Sie es gewusst? Ich schlage vor: Das “Anti-Terror-Gesetz” listet (jaja, ziemlich detailliert vermutlich) Straftaten auf, die jetzt als „Terrorismus“ gelten. („Terroristische Aktivität“ ist so etwas wie „schulischer Bereich“ – also Gefasel und Furzdeutsch.)

Das Gesetz gewährt dem Gericht auch die Macht, beschuldigte Terroristen ohne Zeugenaussage zu verurteilen, wenn beispielsweise ein Zeuge in ein Gebiet flüchtet, das von der palästinensischen Führung beherrscht wird.
Darüber wüsste ich gern mehr. Woher weiß ich denn, dass der Zeuge irgendwohin geflüchtet ist? Und Wer ist die „palästinensischen Führung„? Die Hamas oder die PLO? (Das wissen die meisten Leser garantiert nicht.) Ich wüsste auch zu gern, wie das für die „Sicherheitskräfte“ unerreichbare Gebiet, in das Zeugen flüchten könnten, im Original bezeichnet wird. Die Drohne sei mit dir in Gaza!

„Wenn es um Terrorismus geht, dann wird nicht unterschieden, wer an diesem Tisch sitzt und wer an dem anderen. Das ist Ihnen aus der Erfahrung heraus bekannt. Es handelt sich nicht um ein antiarabisches Gesetz oder um ein Gesetz gegen arabische Bürger. Es handelt sich um ein Gesetz zugunsten der Bürger des Staates Israel“, argumentierte Hasson.
Nein, er argumentiert nicht, er behauptet es nur. Argumentieren geht anders. Und welche Überraschung! Das Gesetz ist zugunsten der Bürger des Staates Israel. Echt jetzt?

Als Bestandteil des Gesetzes muss Justizminister Ayelet Shaked einen jährlichen Bericht über die Implementierung des Gesetzes einreichen.
Implementierung: Um das Wort zu verstehen, sind vier Semester Soziologie nötig und ein freiwilliges Zusatzstudium in elaboriertem, also arrogantem Jargon.

Schaut dem Volk auf’s Maul, und faselt nicht herum, liebe Autoren von Audiatur online. So überzeugt Ihr niemanden. (Ich war eh ungefähr Eurer Meinung, ich muss den Artikel also gar nicht lesen. Ich rezipiere Medien nicht, um meine schon vorhandenen Ideen zu verstärken. Die sind allein schon stark genug.) Ihr solltet jemanden einstellen, der gutes Deutsch kann, sonst klingt das so wie bei RT Deutsch.

* Eingetragener Firmenname: Audiatur-Stiftung – ob es eine Stiftung ist, weiß ich nicht, „Stiftung“ ist ein Teil des Namens, Der gemeinnützige Vreein „German Privacy Fund ist auch kein „Fund„.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Terror, in Israel neu definiert oder so ähnlich”

  1. ... der Trittbrettschreiber am Juni 18th, 2016 6:58 pm

    „Wenn die Gedanken nicht klar sind, wird die Sprache wirr – und umgekehrt.“

    Danke, Don Burks, danke, danke, danke – du treibst mir feuchte Tränen in die längst schon trüben aber vollen Augen.
    Sieh nur, all die leeren Hügel von La Mancha, längst sind die Mühlen zu Turbinen
    verkommen und das metrische Klipklapp im Wind bleibt für immer unerhört.
    Guter Stil, schöne Schrift, regelbasiertes Schreiben – Relikte aus hoffnungsvoller
    Zeit. Dumpfe wabbernde Hiebe von Pauken aus einer anderen Welt sind die Inputs, die dem Volk aufs Maul jetzt hauen, denn Volkes Ohren sind seit langen Weilen schon verschlossen, vom digitalen Wehgeschrei der fliehenden Sehnsüchte nach Stille, deren Schau nun unaushaltbar scheint.

  2. Pantoufle am Juni 18th, 2016 7:26 pm

    Vielleicht auch nicht ganz uninteressant in diesem Zusammenhang: »Die Stadt Ariel ist eine israelische Siedlung im Westjordanland, doch Künstler aus Israel weigern sich, dort aufzutreten. Der Autor Daniel Brecher bewertet dies als einen „Kulturkampf“, der „von der Rechten gegen die Linke geführt“ werde und bemängelt den fehlenden Widerstand.«

    »Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Kulturministerin Limor Livnat drohten daraufhin mit Sanktionen, sollten sich die Schauspieler weigern, in Ariel aufzutreten.«

  3. Wolf-Dieter Busch am Juni 19th, 2016 10:58 am

    Lieber Burks, es erhöht die Lesbarkeit, wenn du die deine Zitate in [blockquote]…[/blockquote] verpackst.

    Das hier ist ein Zitat.

    Es unterscheidet optisch stärker als die Gänsefüßchen das Zitat vom Text; außerdem gibt es die Gänsefüßchen frei für eigene Zwecke.

    Habe die Ehre.

  4. Wolf-Dieter Busch am Juni 20th, 2016 9:00 am

    Kann das Kommentarfenster <i>spitze Klammern</i> verarbeiten?

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