Landgrabbing oder: Wer bezahlt die Spesen?

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Wohl zehn Minuten las ich in einer Zeitung, ließ durch das Auge den Geist eines verantwortungslosen Menschen in mich hinein, der die Worte anderer im Munde breitkaut und sie eingespeichelt, aber unverdaut wieder von sich gibt. (Hermann Hesse: Der Steppenwolf)

Wer verdient eigentlich am Krieg in der Ukraine? Wer gewinnt – und wer verliert? Wer hat welche Interessen? Das sind Fragen, die ich in den Medien beantwortet haben möchte. Mich interessiert nicht, was Putin, Merkel oder jemand anderes angeblich „wollen“. „Große Männer“ (und auch Frauen) machen nicht die Geschichte. So dachte man im 19. Jahrhundert, und so „erklärte“ man die Weltläufte. „Alle zehn Jahre ein großer Mann. Wer bezahlte die Spesen?“ schrieb Berltold Brecht. Große Männer sind Getriebene, die innerhalb der ihnen durch die Produktionsverhältnisse und dem Stand der Produktivkräfte vorgegebenen Grenzen agieren. Wie sollte es anders sein? (Ich könnte das auch mit „volkswirtschaftlichen“ Termini sagen, das wäre aber dann verschwurbelter.)

Ich habe kurz die gängigen deutschen Wirtschaftsmedien zum Thema durchgesehen. Da findet man kaum etwas dazu. (Nicht, dass ich das erwartet hätte.) Die Wirtschaftswoche berichtet zjm Beispiel: „Mittlerweile ist der Mindestlohn in der Ukraine unter das Niveau von Ghana gefallen. Rund 43 Euro im Monat – mehr gibts nicht.“

In den Deutschen Wirtschaftsnachrichten:
Die Ukraine besaß bis 2011 die weltgrößten Lagerstätten für Eisenerz. Diese Vorkommen konzentrieren sich in der Region Krywbass, im Zentrum des Landes. Überwiegend kann das Erz dort im Tagebau gewonnen werden. Und neben den bekannten Steinkohlevorkommen im nun umkämpften Donbass-Gebiet sind vor allem die Manganvorkommen der Ukraine bedeutend. Hier besitzt die Ukraine ein Viertel der Weltreserven. Zentrum des Manganabbaus ist die Region Nikopol im zentralen Süden des Landes. Weitere wichtige Erzvorkommen gibt es für Titan, Aluminium und nicht zuletzt Uran.

Damit kommen wird der Sache schon näher. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft spricht von 400 deutschen Firmen, die in der Ukraine Geschäfte machten.

Land und Erze. Was wird also damit geschehen? Die Stahlindustrie liegt im umkämpften Osten der Ukraine und ist ohne Russland nicht überlebensfähig. Daran sind das europäische und das US-Kapital nicht interessiert.

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten berufen sich auf eine parlamentarische Anfrage der „Linken“ unter dem Titel „Landgrabbing“:
Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Anfrage der Links-Partei zugegeben, dass nationale und internationale Konzerne in der Ukraine EU-Subventionen und Kredite erhalten. Es findet ein Transfer von fruchtbaren Ländereien an ukrainische Oligarchen und internationale Saatgut-Konzerne statt. Im Gegenzug erhält die Regierung in Kiew internationale Kredite.

Die Ukraine könnte zum zweitgrößten Getreideexporteur der Welt nach den USA aufrücken. Was lesen wir also konsequenterweise im Handelsblatt?
Die Ukraine verfügt über riesige Ackerflächen. In einem einzigartigen Deal will sich China den Zugriff auf dieses Land sichern. Es geht um eine Fläche so groß wie Brandenburg. Und das ist erst der Anfang.

Zum Mitschreiben: Die korrupte Oligarchie in der Ukraine, denen sozialdemokratische deutsche Prominenz jetzt beiseite steht, bekommt die Gelder der Steuerzahler der EU, um sich die Taschen zu füllen. Als Kompensation erhalten die internationalen Konzerne die Ressourcen des Landes. Das nennen unsere Kapitalismus-affinnen Medien „Westorientierung“. Die Arbeiterklasse und die kleinen Leute werden natürlich ruiniert; das war schon immer so.

Die Ukraine hat im vergangenen Jahr Milliarden-Kredite vom IWF und von der EU erhalten. Doch diese versickern oftmals in dunklen Kanälen oder werden nicht zweckgemäß eingesetzt. Die Oligarchen profitieren auch von der Politik der Notenbank in Kiew. (…) Die Zentralbank hat sich bisher stets hilfsbereit gezeigt, wenn es um die Stützung der Oligarchen ging: Erst vor wenigen Tagen hat die Notenbank verkündet, dass sie der „Privatbank“ einen Liquiditäts-Kredit von umgerechnet 62 Millionen Euro (zwei Milliarden Hryvnia) für zwei Jahre zur Verfügung gestellt. Als Sicherheit für den Kredit wurden Immobilien der Bank und eine Bürgschaft eines Anteilseigners akzeptiert. Igor Kolomoiski und Gennadi Boholjubow halten je 37 Prozent der Bankanteile. 16,23 Prozent gehören einer Firma auf den British Virgin Islands. (…) Das Staatliche Statistikamt der Ukraine meldet, dass zwischen Oktober und Ende November 2014 90,6 Prozent aller ukrainischen Investitionen nach Zypern geflossen sind. Ukrainische Oligarchen legen ihre in der Ukraine wirtschaftlich erzielten Gewinne in Steuer-Oasen an.

Noch Frage? Puls und Atmung noch normal?

Ich finde dieses neue Geschäftsmodell des Kapitals interessant. Im 19. Jahrhundert wurden die Kolonien direkt ausgeplündert. Im „klassischen“ Zeitalter des Imperialismus bekriegten sich die Staaten gegenseitig, um den Zugriff auf Rohstolle zu bekommen. Der traditionelle Nationalstaat hat jetzt aber offenbar ausgedient, vor allem an der Peripherie. Er war ohenhin ein künstliches Konstrukt, das vor allem in Deutschland weltanschaulich überhöht werden musste („Befreiungskriege„), um sowohl die gescheiterte politische Revolution des Bürgertums zu kaschieren als auch, um das Volk nicht auf dumme Gedanken kommen lassen – mit der Egalité war es eben in der Realität nicht weit her. Der Nationalstaat hat ausgedient, weil jetzt internationale Konzerne die Geschicke des Kapitalismus bestimmen, denen „Nationen“ schnurzpiepegal sind und die das Bruttosozialprodukt eines ganzen kleineren Staates aus der Portokasse bezahlen könnten. Der Profit kennt eben kein Vaterland.

Die Staaten, in denen etwas zu holen ist – wie Libyen oder auch die Ukraine – werden mit allen Mitteln zum Zusammenbruch gebracht, etwa, indem „Rebellen“ mit Geld und Waffen alimentiert werden, oder indem ein Putsch gefördert wird, um einen Diktator durch Oligarchen zu ersetzen, die zwar das Land genauso ausplündern, aber eben auch noch dem „Westen“ das Tafelsilber überlassen.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Landgrabbing oder: Wer bezahlt die Spesen?”

  1. tom am März 4th, 2015 9:47 pm

    Puls und Atmung völlig normal, denn bei einem, der schon damals zu denen mit einer vernünftigen Frisur gehörte, stellen Deine Ausführungen ja keine Überraschung dar (bissl Nominalstil).
    Kleinen Aussetzer hatte ich bei Brecht. Nacharbeiten erbeten, es sieht nachher sicher besser aus als vorher.
    Danke für die knackige Darstellung der Fakten!

  2. Deckname: Ossi am März 4th, 2015 11:31 pm

    Also ich sach mal, alles zu China kann man jetzt streichen. Das war der eigentliche Grund, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in die Ukraine zu bringen.

    Ob die Ukrainjer von den 100.000 Hektar Feldfrüchten etc. (bei Dnepropetrowsk) weiter an die Chinesen liefern werden, ist m.E. fraglich. Der 50jährige Pachtvertrag für die 3 Mio Hektar hätte 2,6 Mrd. USD eingebracht. Problem war wohl auch die Ernte zu einem Fixpreis an die Chinesen zu liefern.
    Da verdient ja ein Oleg Arsch nicht genug.

    Ganz zu schweigen von der chinesischen Umklammerung wie z.B. 15 Mrd. USD für den Wohnungsbau (vielleicht auch sozialer WB?),
    13 Mrd. USD für die Krim (Tiefseehafen, Weizenverschiffung, Industriepark) etc.
    Janukowitsch hatte da nochmal ordentlich rangeklotzt.

    Und das Studium des US EIA Reports von 2013 wirft mir die Trillion Cubic Feet und Billion Barrel bei Shale Gas und Shale Oil in der Ukraine nur so um die Ohren – Als Förderbar sind 128 Tcf Shale Gas und 1,1 Billion bbl Shale Oil benannt. Und wer kennt schon das Karpatenvorland Bassin im Westen und das Dnepr-Donez Bassin im Osten?

    Dieser EIA Report erinnert mich an den früheren Quelle Katalog, nur mit ohne Endkundenpreise.
    Möge man in spannenden Zeiten leben.

  3. hartmut am März 5th, 2015 9:11 am

    Alles wie gehabt:

    https://www.youtube.com/watch?v=M8nZ6yDbLeg

    ab Min 1:35

    Ich wollte zur Wolga kommen!

    Immer daran denken, burks: Wir haben Stalingrad ja schon!

    Im Redenausschnitt brichts gerade ab, wo er sagt „Sztalingrad ein schwerer strategischer Fehler – das wollen wir doch mal sehen, ob Stalingrad ein strategischer Fehler war“

  4. ... der Trittbrettschreiber am März 5th, 2015 11:44 am

    „…der die Worte anderer im Munde breitkaut und sie eingespeichelt, aber unverdaut wieder von sich gibt.“

    Na das ist ja ein überaus positives Journalismus-Bild, das Herr Hesse hier zeichnet.
    Es ist ein mütterliches, das vom Vorkauen handelt und nicht von dem, was so Mancher mit eigener Verdauungskompetenz hinterlässt.
    Ich bin, was die Verantwortung angeht, anderer Meinung als Herr Haller.

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