Voller Schulterschluss gegen [bitte selbst ausfüllen]

alte Reisepässe

Man muss schon die Heise-Meldung genau lesen, was die deutschen Innenminister beschlossen haben: „Künftig soll der Personalausweis von deutschen radikalen Islamisten durch einen Papierausweis ersetzt werden, der deutlich sichtbar vor dieser Person warnt.“

Das wäre selbstredend verfassungswidrig, weil es genausowenig strafbar ist, „radikaler Islamist“ zu sein wie „radikal links“ – wie der Betreiber dieses Kapitalismus- und familienfreundlichen Blogs. Natürlich werden sich die Innenminister nicht darum scheren, ob ihre Beschlüssse legal sind oder nicht. Das kennen wir ja schon von Themen wie der so genannten „Online-Durchsuchung“ und dergleichen. Man muss es aber klar aussprechen: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse [sic], seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Ach ja, das steht im Grundgesetz.

Von Journalisten erwartete ich, dass sie dieses auch den Lesern mitteilen und dieselben aufklären. Leider geschieht das hier nicht. Was eigentlich wurde beschlossen? Sind deutsche Staatsbürger betroffen oder ausländische „Jihadisten“ oder „Islamisten“ (was auch immer das sei), die ohnehin keinen deutschen Pass haben? By the way: Das obige Grundrecht gilt auch für Ausländer, die in Deutschland leben.

Er geht laut der „Ge­mein­sa­me[n] Er­klä­rung der In­nen­mi­nis­ter und -se­na­to­ren des Bun­des und der Län­der“ um die Verhinderung der Ausreise von radikalisierten Personen, die beabsichtigten, sich im Ausland einer Terrorgruppe anzuschließen. Zu diesem Zweck soll nun auf Vorschlag des Bundesinnenministers ein Personalausweis-Ersatzdokument geschaffen werden, dessen Geltungsbereich auf Deutschland beschränkt ist und das einen deutlichen Hinweis auf diese Geltungsbeschränkung enthält.

Ich habe das Machwerk im Original (pdf) durchgelesen:
Zudem unterbinden wir, wann immer möglich, Ausreisen gewaltbereiter Salafisten. (…) Soweit möglich, werden bei ausländischen Staatsangehörigen alle aufenthaltsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten genutzt. (…) Zur Verhinderung der Ausreise kann deutschen Staatsbürgern der Reisepass entzogen werden. Hingegen ist der Entzug des Personalausweises nach geltender Rechtslage nicht möglich. Der Bund arbeitet unverzüglich an einer tragfähigen Lösung, die z.B. durch das Ausstellen eines Ersatzdokuments die Ausreise bzw. die unbemerkte Wiedereinreise unterbinden kann.

Die Maßnahme soll also beide Personengruppen treffen, Deutsche und Ausländer. Der Mediendienst Integration weist auf das Passgesetz § 7 „Passversagung“ und § 8 „Passentziehung“ hin: „Der Pass ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, daß der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.“ Die geltende Rechtslage ist eindeutig: Bei einem Verdacht darf der Pass versagt oder entzogen werden. Das wäre also gar nichts Neues und die Presseerklärung nur heiße Luft, was niemanden überraschen würde.

Um jedoch etwa in die Türkei zu reisen, braucht man nur einen Personalausweis, der deutschen Staatbürgern nicht entzogen werden kann. Der „Mediendienst Integration“ behauptet: „Allerdings sieht das bestehende Gesetz vor, dass ein deutscher Staatsbürger seinen Personalausweis für die Ausreise nicht benutzen darf, wenn ihm sein Reisepass entzogen beziehungsweise verweigert wurde“ und bezieht sich auf das Passgesetz § 11 Absatz 2. Dort heißt es: „Eine Passbehörde hat einen Pass für ungültig zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind.“ Das stimmt also so nicht – dort geht es um den Pass, aber nicht um den Personalausweis.

„Rechtswissenschaftler bezweifeln jedoch, dass eine solche Kennzeichnung des Personalausweises mit dem Grundgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist. So hält etwa Thomas Groß, Professor für öffentliches und Europarecht an der Universität Osnabrück, bereits einen Sperrvermerk für problematisch: ‚Der Personalausweis ist ein wichtiger Bestandteil unseres öffentlichen Lebens: Damit öffnen wir Bankkonten, checken in Hotels ein oder bestellen einen Bibliothek-Ausweis. Ein sichtbarer Vermerk, der übrigens allein aufgrund eines Verdachts erteilt werden könnte, würde zu einer Diskriminierung einzelner Bürger führen.'“

Ich vermute also jetzt, dass alle die jetzt von den Innenministern angekündigten Maßnahmen entweder ohnehin schon möglich wären, und wenn nicht, dann vom Bundesverfassungsgericht sofort vom Tisch gewischt würden. Jeder Artikel, der sich mit diesem Thema beschäftigt, sollte mich auch über die Risiken und Nebenwirkungen der Innenminister-Beschlüsse informieren. Wenn er das nicht tut – wie bei Bild online oder der Tagesschau, ist er ebenso für die Tonne.

Im Pressekodex heißt es: „Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.“ Die Verlautbarungen der Innenminister sind zunächst PR-Material der Übewachungslobby, liebe Kolleginnen und Kollegen!

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Kommentare

3 Kommentare zu “Voller Schulterschluss gegen [bitte selbst ausfüllen]”

  1. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2014 4:23 pm

    was für ein mumpitz – mein pass, ich habe gerade nachgesehen, gilt bis 2020 und ist schon einige jährchen alt. wie soll denn deer vermerk in meinen pass kommen. in fünf jahren bin sicher noch radikahler als heute. außerdem sieht man das ja schon am passbild. die innenminister sind ja die generation post 68er, mit den vätern des GG haben die ja schon lange nichts mehr zu tun. das ging doch vor vielen jahren schon los, als die grünen die gleichberechtigung zwischen mann und frau gesetzlich einführen wollten. die haben nicht einen blick in das GG geworfen. Wozu auch. dass der pranger verfassungswidrig ist, wen juckt’s denn. Eine Farce, über die nachzudenken es sich schon lange nicht mehr lohnt,schade um die energie die man dabei verschwendet. Aber die entwicklung ist so aber auch sowas von Orientierungslosigkeit und wahnwitz getragen, dass da schon wieder licht am ende des wurmlochs zu sehen ist. Interssant, wie die Dekadenz Würde erlangt. Meine Hoffnungs ist der Wandel, die Metamorphose. Dafür sorgen die schwarzen Löcher, nicht nur im Universum sondern auch in unserer Gesellschaft. Früher, in unserem Dorf waren das der Arzt, der Polizist, der Lehrer und der Bürgermeister. Deren Helfer, die Reporter, haben ebenbürtige Abziehbilder gesschaffen. Sie haben nur noch keinen Namen. Schwarzes Loch trifft es auch irgendwie nicht, denn kein schwarzes Loch wäre so selbstzerstörerisch und würde sich selbst einsaugen. Diesen Eindruck habe ich aber von den heutigen „Stützen der Gesellschaft“ – radikahl eben. moin und überhaupt – dann.
    Nein ich rauche nicht. Auch nicht elektronisch… auch wieder so ein scheißthema für längst überdrüssige… na ja n‘ schööön tach noch Germany oder so. Verblödung fühlt sich garnicht so schlecht an … hihi.

    Es lebe die systemkonforme Egomanie!

  2. rainer am Oktober 18th, 2014 11:00 pm

    …richtig…Trittbrettschreiber……und wer illegal über die Grenze will, der schafft es auch…..Probleme hat da nur unser Kofferträger mit seinem Rollstuhl…

  3. Detlef Borchers am Oktober 20th, 2014 10:15 am

    Nur mal so: Zu dieser von mir geschriebenen Heise-Meldung gehört auch die vorab veröffentlichte Meldung mit der juristischen Einsätzung, der Link ist gleich unten drunter: http://heise.de/-2410477 Und es wird sicher weitere Meldungen geben, Journalismus ist ein Prozess.

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