Der rasende Reporter – Weltbürger und Kommunist

Kisch

„Egon Erwin Kisch gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus. Nach dem Titel eines seiner Reportagebände ist er auch als ‚der rasende Reporter‘ bekannt“, schriebt Wikipedia.

Die englische Wikipedia-Version fügt gleich zu Beginn hinzu: „Kisch was noted for his development of literary reportage and his opposition to Adolf Hitler’s Nazi regime.“ Gegner Hitlers zu sein oder gar Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschland – was Kisch war – ist offenbar für die Deutschen nicht so wichtig, dass man gleich mit der Tür ins Haus fallen müsste.

Kischs intensives soziales und politisches Engagement (nicht zuletzt seine lebenslange Bindung an die Ideale der kommunistischen Bewegung) hatte bereits zu Lebzeiten wesentlichen Einfluss auf die Rezeption seiner Werke. Als exponierter Antifaschist wurde Kisch im nationalsozialistischen Deutschland nachhaltig aus dem kollektiven Bewusstsein gelöscht – wie viele der deutschsprachigen Exilautoren, deren Bücher 1933 verbrannt worden waren.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Kischs Tod im Jahr 1948 blieb der ‚rasende Reporter‘ in der Zeit des Kalten Krieges westlich des Eisernen Vorhangs jahrzehntelang vergessen. In der DDR zählte er als sozialistischer Autor zum Kanon, seine Werke wurden laufend neu aufgelegt, in einer Gesamtausgabe zusammengefasst und waren trotz der Inanspruchnahme durch die staatstragende SED jahrzehntelang auf den ostdeutschen Bestsellerlisten vertreten.

Wozu so ein „Unrechtsregime“ doch gut sein kann!

Leider können sich die Toten gegen posthume Ehrungen nicht wehren. Den Egon-Erwin-Kisch-Preis gibt es ja nicht mehr; er wurde jetzt nach Henri Nannen benannt. Vermutlich wäre es nicht im Sinne der in Deutschland üblichen freiwilligen politischen Selbstkontrolle, einen Journalistenpreis nach einem Kommunisten zu benennen. Wo kämen wir denn da hin!

Ich empfehle alle Bücher von Kisch. Wenn man die zum Teil kurzen, also heute noch Internet- und Blog-tauglichen Reportagen liest, bekommt man auch einen Eindruck, was damals „rasend“ bedeutete. Heute wäre die Treue zum Detail und die nachdenkliche Attitude für die Rezipienten ungewohnt „langsam“, weil man gewohnt ist, die Dinge, die Kisch beschreibt, als Film vorgeführt zu bekommen. So ätzend, wie Kisch formulieren könnte, traut sich auch heute noch kaum jemand:

Als in Amerika die Urwälder fast überall dem Erdboden gleichgemacht, beinahe alle edlen Tiere erlegt, die Indianer mit Branntwein und Flintenkugeln nahezu ausgerottet worden waren, zäunte man ein Stückchen ein und schuf den Yellowstonepark. Dann zeigte man ihn der Welt, zum Zeichen des pietätvollen Verständnisses, das das angeblich so nüchterne Amerika der Natur entgegenbringe, und konnte ruhig den Rest der Urwälder, der Indianer und der Tiere vernichten. Wir hingegen haben Weimar. (Der Naturschutzpark der Geistigkeit – in: Hetzjagd durch die Zeit, Aufbau Verlag, Berlin (DDR) und Weimar 1983)

Der letzte Satz – die Pointe – fällt wie ein Hammer auf einen Amboss. Klaus Jarchow schrieb 2008 auf netzwertig.com“ über Kisch und wie er seine damaligen Kollegen beeinflusste: „Nun dominierten für einige Jahre in allen Redaktionen die ‘Pflastertreter’ über die ‘Sesselpuper’ – auch wenn das besagte Pflastertreten heutzutage oft genug darin besteht, als braver Pudel politischer Interessen sich im Café Einstein mit jenen mundgerechten Info-Häppchen füttern zu lassen, die man später in die Tastatur erbricht.“

Well said. Wäre das denkbar – heute im Zeitalter der Sesselpuper -, dass ein bekennender – und geistig unabhängiger – Kommunist eine Stelle als Reporter bei einem deutschen Mainstream-Medium bekäme? „So kommt es, dass die Blogosphäre zu einem Zufluchtsort der Reportage werden konnte“, schreibt Jarchow. Ich warte darauf…

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