Schlapphüte reloaded

Dieser Artikel von mir (pdf, 2,1 Mb) ist in der aktuellen Ausgabe von Nitro erschienen.

Der Verfassungsschutz kann nicht abgeschafft werden – seine Existenz fußt auf der Lebenslüge der Bundesrepublik. Trotz zahlloser Skandale brauchen und unterstützen die Medien den Inlands-Geheimdienst.

Die Deutschen lieben ihre Geheimdienste. Die Forschungsgruppe Wahlen fand in einer repräsentative Telefonumfrage im Auftrag des ZDF im November 2011 heraus: 54 Prozent der Befragten möchten den Geheimdienstagenten erlauben zu töten, wenn es um die Abwehr von Gefahren geht. Licence to kill für den BND, MAD und Verfassungsschutz also.

Heribert Prantl erkühnt sich in der Süddeutschen Zeitung (7./8.01.2012), den Verfassungsschutz grundsätzlich in Frage zu stellen, denn der Geheimdienst schütze die Verfassung nicht, er gefährde sie. Darauf kann man durchaus kommen, schließlich waren die für „Rechtsextremismus“ zuständigen Schlapphüte ein Jahrzehnt nicht in der Lage, die Nazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zu entlarven und ihr Einhalt zu gebieten. Viel schlimmer noch: Der Spiegel schrieb (31.12.2011), die Verfassungsschützer hätten bis 2011 sogar genau über die Aktionen der untergetauchten Neonazis Bescheid gewusst. Das gehe aus einem Geheimbericht vor, der dem Magazin vorliege.

Gleichzeit beobachteten aber fast genau so viele Mitarbeiter der Behörde Parteimitglieder der Linken – nach nicht nachvollziehbaren Kriterien, da sowohl Pragmatiker als auch wortradikale Retro-Kommunisten ins Visier gerieten und sogar mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht wurden.

Wer das aber aus guten und vernünftigen Gründen kritisiert, vergisst, dass Argumente diejenigen nicht überzeugen werden, die sich an der Existenz des Inlands-Geheimdienstes festklammern, als müssten sie sich vor dem weltanschaulichen Ertrinken retten. Der Verfassungsschutz ist die Inkarnation einer Geschichtsinterpretation, die behauptet, die labile Demokratie der Weimarer Republik sei zwischen den „Extremen“ von links und rechts zerrieben worden.

Der Verfassungsschutz ist die Inkarnation einer falschen Geschichtsinterpretation.

Diese These ist, obzwar falsch, immer noch der Konsens des politischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Wer diesen Konsens in Frage stellt, zwingt den diskursiven Mainstream, über die Wurzeln nachzudenken, woher rassistischer Terror und antisemitische Hetze stammen. Das aber ist nicht gewollt. Die Gefahr ist zu groß, dass auf einen kontroversen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage „Was ist deutsch?“ zu viele völkische und in der Wolle dunkelbraun gefärbte Antworten zu hören wären.

Aus diesem ideologischen Schoß kroch die Totalitarismus-Doktrin, die von Extremismus spricht. Es gibt jedoch kaum ein Medium im Deutschland, das sich dieser propagandistischen Worthülse entzieht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.01.2012) beginnt einen immerhin kritischen Artikel über den Verfassungsschutz folgendermaßen: „Was kann und soll ein Inlandsgeheimdienst?“ Dann aber kommt sofort die Gleichung Rot gleich Braun: „Und wer schützt uns künftig vor Extremisten?“ Ein CDU-Hinterbänkler würde noch hinzufügen: „von links und rechts“.

Das Magazin Focus (06.02.2012) ist in seiner Wortwahl deutlich: „Die linksmotivierte Gewalt hat nach einem Zeitungsbericht stark zugenommen. (…) Rechte Gewalttaten hätten nur unwesentlich abgenommen.“ Linksmotiviert und rechtsmotiviert: Man weiß zwar nicht mehr, um welche Inhalte es geht, aber der Totalitarismus-Doktrin ist Genüge getan: Die „Extremen“ sind das Problem, und um die kümmert sich bekanntlich der Verfassungsschutz. Die Süddeutsche zitiert (25.01.2012) genau diese „Argumentation“ des Innenministers: „Man müsse, so sagt Friedrich, die Linken auch deswegen beobachten, weil man sonst nicht begründen könne, Landtagsabgeordnete der NPD zu überwachen. Schließlich gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz.“

Quod erat demonstrandum. Auch wenn man das „Heilige Einfalt“ nennt wie die Süddeutsche – den betonharten Diskurs der Totalitarismus-Theoretiker ficht das nicht an. Der „Extremismus“-Diskurs ist keine wissenschaftliche These, sondern ein fast religiöser Mythos, der der alten Bundesrepublik weltanschaulich ermöglichte, vom Kampf gegen den Bolschewismus der Nazi-Zeit bruchlos zum Antikommunismus des Kalten Krieges überzugehen, ohne erklären zu müssen, warum man das zum Teil mit demselben Personal machte – wie etwa dem Ex-Gestapo-Mann und SS-Hauptsturmführer Erich Wenger, der beim Bundesamt für Verfassungsschutz in der Abteilung „Spionage-Abwehr“ tätig war.

Die Medien zitieren den Verfassungsschutz gern, wenn es um „Rechtsextremismus“ geht. Das erspart eigene Recherchen.

Die Medien zitieren den Verfassungsschutz gern, wenn es um Rechtsextremismus geht. Das erspart eigene Recherchen und erweckt den Anschein, man berufe sich auf seriöse, quasi behördliche Quellen, auch wenn diese meistens weder nachgeprüft wurden noch seriös waren. Das widerspricht der Maxime seriöser Journalisten, etwas nur zu veröffentlichen, wenn es mindestens zwei unabhängige Quellen gibt. Die Behörde Verfassungsschutz betreibt aber Lobby-Arbeit in eigener Sache und ist also genauso „seriös“ wie die Pressestelle eines Unternehmens, das über sich selbst informiert.

Die Unsitte hat mit Geben und Nehmen zu tun: Journalisten, die einen guten Draht zu einzelnen Mitarbeitern des Geheimdienstes haben, können darauf hoffen, interessante Details zu erfahren – ohne recherchieren zu müssen. Im Gegenzug wird erwartet, dass die Thesen des Verfassungsschutzes ungeprüft in die Medien übernommen werden. „Der Verfassungsschutz warnt vor“ ist eine gebetsmühlenartige und gängige Floskel, die man tausendfach wiederfindet.

Immerhin hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung das Problem erkannt: Deutschland mache sich „zum Gespött“. „Der Verfassungsschutz mit seinem Bundesamt und seinen 16 Landesämtern ist ein Sonderweg der Bundesrepublik. Es ist ja die geheimdienstliche Beobachtung etwa der italienischen Kommunisten oder des französischen „Front National“ uns bisher nicht bekannt geworden, wir wüssten von keiner Behörde in den Nachbarländern, die über ihre Befunde zum Extremismus jährlich Bericht erstattete.“

Und was wäre die Konsequenz? Der Verfassungsschutz sollte ersatzlos aufgelöst werden. Niemand würde sein Fehlen bemerken. Nur müssten die Journalisten, die über Rassisten und Antisemiten berichten oder über Gewalttäter, die sich als „links“ verstehen, persönlich recherchieren. Und die Deutschen müsste darüber nachdenken, was zu tun sei, wenn man die Ränder der Gesellschaft als Symptom und nicht als die Ursache gesellschaftlicher Probleme ansieht.

Wer aber fordert, den Inlandgeheimdienst aufzulösen, denkt so illusionär wie jemand, der fordert, in Deutschland müssten Staat und Kirche getrennt werden oder der „Kampf gegen Drogen“ sei ein Irrweg.

Verfassungsschutz-Skandale in der Vergangenheit (Auswahl)

1954 Affäre John: Der erste Chef des Verfassungsschutzes flieht in die DDR. Otto John behauptet später, er sei entführt worden.

1963 Telefon-Affäre: Der Verfassungsschutz hört ein Kooperation mit den Alliierten unbefugt zahllose Telefonate mit, sogar von CDU-Abgeordneten.

1968/69 Peter Urbach – V-Mann und Agent Provocateur des Berliner Verfassungsschutzes – liefert Molotowcocktails an Studenten, Waffen für die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) und eine Bombe für einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus.

1977 Das Kölner Bundesamt und das Innenministerium lassen Verfassungsschützer in das Haus des Physikers Klaus Traube einbrechen, um dort Wanzen anzubringen. Der Verfassungsschutz intrigiert bei Traubes Arbeitgeber Siemens; Traube wird entlassen. Der Spiegel titelt: „Verfassungsschutz bricht Verfassung“.

1983 offenbart sich in Berlin Werner Lock der Polizei, ebenfalls ein V-Mann. Er berichtet von einem konspirativen Treffen am 17. Juni 1977, bei dem Nazi-Terroristen der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und der „Deutschen Aktionsgruppen“ des Manfred Roeder Absprachen für Anschläge und Überfälle getroffen hatten. Ein Zehntel der Anwesenden Nazis bei diesem Treffen waren V-Männer.

1983ff: Die Neonazi-Partei „Nationalistische Front“ wird 1983 mit Geldern aufgebaut, die der Verfassungsschutz dem V-Mann Norbert Schnelle zahlte, der sich nur zum Schein hatte anwerben lassen.

1985 bis 1987: Ludwig-Holger Pfahls wird er Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Pfahls hat später in mehreren Fällen Schmiergelder in Höhe von mehreren Millionen Mark angenommen. 1999 setze er sich ins Ausland ab und wurde mehrere Jahre steckbrieflich gesucht.

1992/1993 Der Solinger V-Mann Bernd Schmitt integriert Jugendliche in die rechte Szene und bildete sie in seiner Kampfsportschule aus. NRW-Innenminister Herbert Schnoor sagte, er sei mit der Arbeit des V-Mannes Schmitt „sehr zufrieden.“ 1993 werden in Solingen fünf Menschen ermordet. Drei der später für den Brandanschlag verurteilten Neonazis hatte in Schmitts Kampfsportschule trainiert.

2001ff. NPD-Verbotsverfahren: Die Verfahren werden vom Bundesverfassungsgericht am 18.März 2003 eingestellt, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig sind.

2011 Nach Informationen der Berliner Zeitung haben Thüringer Landeskriminalamt und Verfassungsschutz bei ihren Fahndungen nach der terroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund gegeneinander gearbeitet. Der Verfassungsschutz räumte direkte Geldzahlungen an das Trio ein.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Schlapphüte reloaded”

  1. KATER kARLO am März 8th, 2012 7:32 am

    Celler Loch fehlt in der Liste.
    Oktoberfest-Verstrickung ebenfalls.

  2. Juza46 am März 8th, 2012 5:32 pm

    Tja. Eigentlich dürfte der Verfassungsschutz gar nicht Vefassungschutz heißen, denn Deutschland hat keine Verfassung, sondern nur ein vorläufihees Grundgesetz und wäre nach dem Text des Grundgesetzes verpflichtet gewesen, dem Volk eine neue Verfassung zu geben. Iss aber nun auch schon 20 Jahre her. . . .

  3. burkskommentator am März 15th, 2012 4:59 am

    Burks schrieb:
    „Wer aber fordert, den Inlandgeheimdienst aufzulösen, denkt so illusionär wie jemand, der fordert, in Deutschland müssten Staat und Kirche getrennt werden oder der “Kampf gegen Drogen” sei ein Irrweg.“

    Jetzt versteh‘ ich garnix mehr.
    Warum bezeichntest Du selbst drei Deiner wichtigen Forderungen als „illusionär“ ??
    Warum nicht lieber als visionär??

    Schau mal, was das psychiaterdurchsetzte Wikipedia dazu schreibt:
    „Illusion wird in der psychiatrischen Fachsprache als Sinnestäuschung verstanden. … Illusionen stellen damit eine verfälschte wirkliche Wahrnehmung dar.“
    http://de.wikipedia.org/wiki/Illusion

    Das verstehen mal eine oder einer Deiner geineigten und wohlwollenden LeserInnen.

  4. admin am März 15th, 2012 10:16 am

    Weil ich nich selbst täusche, wenn ich fordere, den VS aufzulösen, sogar die Hoffung, es würde mir jemand zuhören, ist illusionär…

  5. Alleycat am Mai 4th, 2012 12:04 pm

    Sehr guter Text, den ich Leuten um die Ohren hauen kann (verbal natürlich ;-), die dieser Argumentation immer noch folgen und an deren Meinung mir etwas liegt.
    Leider verhindern die selbsterhaltenden Strukturen in diesem Land, dass die genannten 3 Forderungen in absehbarer Zeit wirklich werden.

  6. Schlapphüte, reloaded und revisited : Burks' Blog am August 27th, 2012 5:19 pm

    […] schrieb hier: “Der Verfassungsschutz kann nicht abgeschafft werden – seine Existenz fußt auf der […]

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