Demnächst Internetsperren über den Umweg Europa

Nein, die FDP ist nicht umgefallen. Das könnte sie nur tun, wenn sie jemals gestanden hätte. Golem.de meldet: „Mit Regierungsmehrheit hat der Rechtsausschuss des Bundestags verhindert, dass gegen den Plan für europaweite Internetsperren eine Rüge ausgesprochen wird. Der Antrag der Grünen wurde vertagt und kann damit nicht mehr rechtzeitig gestellt werden.“

Das kapiert so natürlich keiner. Verhindert, dass gegen etwas gerügt wird? Dreifach verneinen tut man nicht in einem deutschen Satz, weil das Publikum sich entweder mit Grausen abwendet oder gar das Gegenteil versteht, was ein höheres Wesen verhindern möge.

Die EU will Internet-Sperren. Die EU? Die EU-Kommissiarin Cecilia Malmström hatte der FAZ auf dem Niveau der Emma gesagt, sie wolle „Internet-Sperren“. Wie das zu bewerkstelligen sei, weiß sie selbstredend nicht, weil es sich hier um populistische Moraltheologie handelt. Der EU-Ministerrat teilt ihre Meinung und will dem Europaparlament einen „Entwurf für Schlussfolgerungen des EU-Ministerrats für einen Aktionsplan für eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung der Computerkriminalität“ vorlegen. „In dem Arbeitsentwurf vom 8. März 2010 geht es um einen Aktionsplan, den die Strafverfolgungsbehörden der EU bis spätestens 2012 umgesetzt sehen wollen“, schreibt golem.de.

Die Grünen legten im Rechtssausschuss des Bundestags einen Antrag vor, der die EU-Kommission rügen sollte, weil diese ihre Kompetenz überschritten habe. Es hätte sich um eine so genannte Subsidiaritätsrüge gehandelt:

Die Europäische Union darf nicht wahllos Gesetze erlassen. Sie muss die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten. Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet, dass die EU nur dann handeln darf, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können“ – so steht es im Vertrag von Lissabon.

Audiatur et altera pars, golem.de: Der Antrag der Grünen war nicht der einzige zum Thema. Die Grünen wie auch andere Lichterkettenträger haben nicht den Mut, schlicht gegen Internet-Zensur zu sei. Sie trauen sich das nur, wenn sie gleichzeitig den Medien-Hype „Kinderpornografie im Internet“ im Munde führen, damit auch klar ist, dass sie die Guten sind. Deswegen heisst der Antrag (Drucksache 17/1584) der Grünen: „Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen – Netzsperren in Europa verhindern.“

Was hat sexueller Missbrauch mit Internet-Zensur zu tun? Wird jeder durch diese verhindert? Mitnichten, aber die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser seien versichtert, dass wir es hier nicht mit einem rationalen Diskurs zu tun haben, sondern mit den Symbolen einen öffentlichen Exorzismus – soziologisch vergleichbar mit der McCarthy-Ära in den USA -, der auf protestantischer Prüderie fußt und den man im Ausland als „Germany’s Internet Angst“ bezeichnet.

Die Linke hatte im Rechtsausschuss auch einen Antrag gestellt: „Keine Internet-Sperren in die EU-Richtlinie aufnehmen.“ Klingt doch viel besser und ehrlicher. In diesen Ausschüssen geht es aber nicht im Inhalte, sondern darum, wer gewinnt, also seinen Antrag durchbekommt. Die Grünen hätten also eher öffentlich Harakiri begangen anstatt einem ähnlichen Antrag als dem ihren zugestimmt. Das tut man nicht. Deshalb hätte golem.de mehr als die „abhängige Quelle“ Jerzy Montag befragen sollen. Auch im Bundestag haben SPD und Linke jeweile einen fast gleichlautenden Antrag gestellt; sie werden aber nie kooperieren, auch wenn der naive Bürger irrig glaubt, das sei doch der Sache angemessen. Das ist Parteipolitik: Es geht zunächst darum, wer sein Förmchen im Sandkasten am weitesten wirft.

Jetzt wieder zu Sache: Der Antrag der Grünen im Rechtsausschuss wurde auf Antrag der FDP vertagt. Ich wette auch, dass sich die Regierungsparteien CDU und FDP vorher angesprochen haben, wer diesen Antrag stellen würde. Die FDP bekam, weil sie der Juniorpartner ist, die Arschkarte.

Ganz nebenbei: Was de rechtspolitische Sprecher der Grünen sagt, ist schlicht falsch. Die Bundesregierung könnte auch im nachhinein jederzeit vor dem Europäischen Gerichtshof eine Subsidiaritätsklage führen, um ein bereits von der EU erlassenes Gesetz anzugreifen. Aber mit derartigen Petitessen wollen uns deutsche Medien nicht behelligen. Jerzy Montag hat seine Public Relations für die Grünen bekommen, und nur ein paar Querulanten wie Burks recherchieren selbst nach, was es in Wahrheit damit auf sich hat.

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