Karl Marx, übernehmen Sie!

Saurier

Man muss als gelernter Linksextremist heutzutage öfter schmunzeln, weil so gut wie alle Thesen von Karl Marx über das kapitalistische Finanzsystem permanent und live verifiziert werden. „Island übernimmt totale Banken-Kontrolle“, schreibt Spiegel Online. Als wenn das etwas hülfe! Es lebe der freie Markt – aber nur solange, wie man satte Profite machen kann. Wenn dann wieder eine hausgemachte Krise kommt, schreit das Finanzkapital nach dem Staat und will sich mit den Steuergeldern der arbeitenden Bevölkerung sanieren. Mir fällt aber auf, dass sich die Journaille jetzt nicht darauf beschränkt, die Situation zu beschreiben und zu erklären, sondern affirmative Kapitalismus-Moraltheologie betreibt. Wenn Journalisten zu viel Politik machen wollen.

Abschreckendes Beispiel: Peter Hahne, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, schreibt in der Mitteldeutschen Zeitung, als ginge es wie im Kalten Krieg darum, denn Bolschewismus im Inneren zu bekämpfen: „Wer die Gunst der Stunde aber zu einer Generalabrechnung mit dem Kapitalismus und der Behauptung nutzen will, der Staat könne alles richten, leugnet die Grundlagen unseres Wohlstands. Das Bankenbeben war nicht die erste, und es wird auch nicht die letzte Krise des Kapitalismus gewesen sein. Wer aber dauerhaften Wohlstand will, braucht freie Märkte.“

Nichtssagende Sätze: „Freie Finanzmärkte“ meint er, weil niemand, auch nicht die Linke, die anderen Märkte abschaffen will. Hahne suggeriert: Kapitalimus bedeute Wohlstand für alle. Die klitzekleine Frage, wo denn jetzt die Krise herkomme, beantwortet er nicht, weil nach Hahnes Ansicht der Kapitalismus eine Art Naturereignis und eine anthrolopogische Konstante ist und ein Bankencrash so unvermeidbar wie Regen oder ein Hagelschauer. „Die Krise gehört zum System“. Ja, ganz richtig, aber die Krise ist kein Bug, sondern ein Feature für das Kapital.

Die Trotzkisten, die ich ungern zitiere, weil Sektierer meistens unrecht haben, schreiben ausnahmsweise völlig korrekt: „Ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Anhänger des ‚freien Marktes‘, dass Deregulierung zu mehr Transparenz führe, ist das Finanzsystem mehr denn je von Täuschung und Verschleierung geprägt. In den letzten zehn Jahren hat das Volumen von Finanzprodukten, die an keiner großen Börse gehandelt werden und völlig unreguliert sind, enorm zugenommen, wobei der Handel mit Derivaten von Aktien und Obligationen zwischen Finanzinstituten stattfindet. Und wenn ‚Wert‘, wie am Beispiel der Bilanz von Bear Stearns zu sehen, durch intern entwickelte Computerprogramme definiert wird, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zum bewussten Betrug. Tatsächlich ist einer der Gründe für die Kreditverknappung das fehlende Vertrauen der Banken und Finanzhäuser in die Angaben ihrer Geschäftspartner, mit der Folge, dass sie sich gegenseitig keinen Kredit mehr gewähren.“

Lassen wir den Altmeister persönlich zu Wort kommen (ich hatte den Satz schon Ende der siebziger Jahre bei der Lektüre angestrichen, als ich noch Tutor in den berühmten Kapital-Kursen Wolfgang Fritz Haugs am Philosophischen Institut der FU Berlin war):“Der Produktionsprozess erscheint nur als unvermeidliches Mittelglied, als notwendiges Übel zum Zweck des Geldmachens. (Alle Nationen kapitalistischer Produktionsweise werden daher periodisch von einem Schwindel ergriffen, worin sie ohne Vermittlung des Produktionsprozesses das Geldmachen vollziehen wollen.)“ (Karl Marx: Das Kapital, Bd.2, 1. Kapitel: Der Kreislauf des Geldkapitals, S. 62)

Das heißt: Das Finanzsystem basisert auf dem Produktionsprozess, nur in dem werden Werte geschaffen. Wer zugibt, wie der deutsche Finanzminister, „dass gewisse Teile der marxistischen Theorie doch nicht so verkehrt sind“, muss auch die Marxsche (Mehr-)Werttheorie akzeptieren. Ein bisschen Marx geht genausowenig wie ein bisschen Schwangerschaft, wenn es sich um die ökonomische Theorie handelt. Wer das Finanzsystem angreift und sich dabei auf Marx beruft, muss auch akzeptieren, dass der Kapitalismus auf der Ausbeutung (im rein ökonomischen Sinn) der Ware Arbeitskraft beruht. Das System des Kapitalismus zerlegt sich nicht selbst, aber zeigt in der jetzigen Krise sein Skelett, das alles zusammenhält – die Ausbeutung eben – mit allen politischen Konsequenzen.

Der Screenshot zeigt Burks‘ Avatar in Second Life – auf einem Symbol des kapitalistischen Finanzsystems sitzend.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Karl Marx, übernehmen Sie!”

  1. Walther von der Vogelweide und der Warenfetisch : Burks’ Blog am Oktober 9th, 2008 12:38 am

    […] in WikipediaLogo Wolfgang F. Haugs legendären ‘Kapital’-Kursen”, wie ich vorgestern schrieb (”Karl Marx, übernehmen Sie!”). Aber, und das muss hier gesagt worden, es gab […]

  2. Karl am Juli 2nd, 2011 4:04 pm

    Ein sehr informativer Artikel.

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