Berlin Wall 2.0

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Liebe wohlwollenden Leserinnen und geneigte Leser! Heute erzähle ich euch eine kleine Geschichte darüber, wie das Mediengeschäft funktioniert. Ich habe einen kleinen Artikel niemandem verkaufen können, was nicht verwundert, denn so interessant ist er nicht. Aber wofür habe ich mein Blog?

Im Avastar las ich: „Nach dem Prinzip ‚Geschichte zum Anfassen‘ bauten Conny Colman und Bacoo Balut historische Stätten, wie die Umgebung entlang der Berliner Mauer, einen Grenzübergang und eine Wohnsiedlung in Marzahn nach.“ Die „Eröffnungsfeierlichkeiten“ seien am 13. August. Man muss wissen, dass der „Avastar“ die BILD-Zeitung für Second Life ist und auch von Springer publiziert wird. Man darf also vermuten, dass mindestens die Hälfte gelogen oder frei erfunden ist. Oder: Als seriöser Journalist darf man sich auf nichts verlassen und muss jedes Wort überprüfen.

Ich habe also meinen Avatar auf den Weg geschickt. In der SL-internen Suche fand ich nichts. Ich musste auf meine Kontakte in Second Life zurückgreifen. Conny Colman (Realname: Jo Fabian) war mein erster Vermieter in Second Life – im Januar 2007. Ich habe ihn gefragt, wo die Sim sei und bekam auch eine Antwort – neben der SIM „Preussen“. Dennoch: Ich kam nicht hinein in die virtuelle DDR. Coleman: „Der Auftraggeber möchte erst eröffnen, wenn auch die Hardware im RL Museum steht und die ist noch nicht soweit“. Der Auftraggeber bestreitet das.

Ich konnte also nur virtuell über die Mauer gucken. Ganz wie im realen Leben: Dort hatte ich Einreiseverbot in die DDR (wegen Linksabweichung von der Ewigen Wahrheit des Kommunismus). Das Gefühl kannte ich: Den Kalten Kriegern in Berlin, die die Parole „geht doch rüber“ brüllten, konnte ich immer entgegnen: Die lassen mich nicht, und ich wollte auch gar nicht.

Die Recherche ergab, dass die virtuelle Mauer ein Projekt des real existierenden DDR-Museums in Berlin ist – „von der Jury für den European Museum of the Year Award 2008 nominiert.“ Die Falschmeldung des Avastar wurde mehrfach übernommen. Der Direktor des Museums, Robert Rückel, schrieb mir auf Anfrage. „Die Sim ist noch nicht eröffnet. Die Informationen des Avatars waren Falschinformationen der Agentur, mit der wir zusammenarbeiten, die eigenmächtig gehandelt hat. An einem traurigen Jubiläum wie dem 13. August, hatten wir niemals vor, die Sim zu eröffnen. Auf der Sim werden eine Plattenbausiedlung nachgebaut und einige Elemente der DDR-Diktatur implementiert. Ziel der Sim ist es, SL-Usern auf spielerische Art und Weise Wissen über die Geschichte zu vermitteln. Dafür ist es natürlich ganz wichtig, dass es überall Informationen zu den Objekten und den Hintergründen gibt – da diese noch fehlen, ist die Sim derzeit noch gesperrt. Ich hoffe, das wir bald dazu die notwendige Zuarbeit der Programmierer bekommen, damit die Sim in Kürze eröffnet werden kann. Näheres erhalten Sie dann pünktlich zur Eröffnung.“

Hätte ich die Story einer Berliner Zeitung verkaufen können, hätte ich nicht viel mehr recherchieren müssen. Aber ich gehe jede Wette ein, dass die Berliner Medien im November, wenn das Gelände wirklich freigeschaltet werden wird, schlicht die unkritischen Pressemeldungen abdrucken. Dazu muss man nicht recherchieren; und dazu muss man einem freien Journalisten, der sich die Mühe macht, eigene Screenshots zu liefern, kein Honorar bezahlen.

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