Freischreiber

In der joNet-Mailingliste wurde behauptet, der Freischreiber-Verband „in Gründung“ sei zu einer „großen Bewegung“ geworden. Ich habe geantwortet:

„Ungefähr so groß wie die sozialen Bewegungen in Second Life. Ist eine derartige faktenfreie Selbstbeweihräucherung nicht peinlich? Wenn es hundert wären, wäre das weniger als ein gewöhnlicher Taubenzuchtverein im Ruhrpott. Über den Wolken ist die Freiheit des Denkens jedoch grenzenlos…

Ich würde mal die Kirche im Dorf lassen. Bei Organisationen, Vereinen und virtuellen ‚Clubs‘ wie dem joNet beteiligen sich maximal zehn Prozent aller Teilnehmer aktiv. Diejenigen, die etwas in Schwung gebracht haben, werden von ihrer eigenen Begeisterung zu Anfang mitgerissen, dann aber bald auf den harten Betonboden der Tatsachen geklatscht.

Deutsche JournalistInnen sind extrem träge, scheren sich kaum um ihre eigenen Interessen und sind obrigkeitshörig, d.h. kommen nur irgendwohin, wenn ihnen jemand etwas bietet. Ich weiß nach mehr als 15 Jahren nicht nur im DJV, wovon ich rede. Das ist ein psychologisches Naturgesetz im Kapitalismus oder so.

Die Freischreiber-Initiative muss sich fragen lassen, warum bestehende Verbände (dju, DJV, auch die kleineren wie Netzwerk Recherche, DFJV, DPV – die mehrere 1000 Mitglieder haben), nicht ausreichen, um innerhalb derer eine Interessenvertretung aufzubauen. Die Frage stellt sich auch in der Politik; Will man die real existierenden Parteien verändern oder macht man eine Sekte auf (wie etwa die „Piratenpartei„, die ich – von den Interessen her wählen würde, wäre ich Sektierer). Eine Sekte wird immer dann aufgemacht, wenn einige darauf hoffen, dass sie die Führung übernehmen können.

In der Soziologie heißt das Motiv kompensatorische Gratifikation – wer im realen Leben wenig erreicht, gerät in Versuchung, den verfehlten sozialen Aufstieg durch einen Beitritt in einen Verein oder eine andere Gruppe zu kompensieren, weil man dort mit stolz geschwellter Brust ein ungeheuer wichtiges Amt abgreifen kann, und sei es auch nur ‚Fachausschussvorsitzender‚ oder so ähnlich.

Außerdem ist es ja wohl so, dass es die Regel werden wird, dass Journalisten ihrern Status flexibel ändern – vom Freien zum Festangestellten, vom Halbangestellten Outgesourcten zum festen Freien und zurück. Die Definition eines Verbands über den Status ist daher Quatsch, genauso wie umgekehrt ein Verband nur der Festangestellten Blödsinn wäre.

Ein Freischreiber-Verband wird über kurz oder so lang so gemischt werden wie etwa der DJV. Niemand wird doch austreten, nur weil er oder sie einen Job bekommen hat – etwa als Pressesprecher einer Schokoladenfirma wie der Vorsitzende des real gar nicht mehr real existierenden Pleitevereins Brandenburger Journalisten-‚Verband“.

Zudem muss man berücksichtigen, dass ein deutscher Journalistenfunktionär, hat er einmal ein Amt, an seinem Sessel klebt, bis man ihn da wegsprengt oder er stirbt oder sonstwie biologisch dahinsiecht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das gilt für alle Verbände, nicht nur den DJV und Netzwerk Recherche. Das wird auch bei den Freischreibern so sein, wo sich nach den anfangs charmanten flachen Hierarchien schnell ein Herrschaftswissen bildet, das die Funktionäreshierarchie auch so nutzt (die Freischreiber werden Funktionäre aber nicht „Hausmeister“ nennen).

Bei den Freischreibern ist die Entwicklung schon klar zu erkennen: Man muss a) sich ‚bewerben‘ und wird in einem hoheitlichen Akt der selbst ernannten Herrschaftswissenden aufgenommen, und b) es gab ein ‚freundschaftliches und konstruktives Treffen in Berlin mit Herrn Konken‚ vom DJV. Das beweist: Die Freischreiber-Damen und Herren haben keinen blassen Schimmer von den Finanz- und sonstigen Skandalen im DJV (was bei einem normalen Menschen verzeihlich ist, nicht aber bei einem Journalisten), sondern sind entweder blind oder wollen wie die drei Affen nichts hören und sehen und nicht darüber reden. Das ist ja im Vorstand von Netzwerk Recherche auch nicht anders, wenn es um Thomas Leif geht.

By the way: „Journalisten sollen nicht geliebt, sondern gefürchtet werden“ (Roger Boyes, TIMES, London) Da ein Funktionär aber geliebt werden will, ist ein Journalisten-Funktionär eine contradictio in adiecto. SCNR.“

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Date posted: Montag, Oktober 6th, 2008 11:14 | Under category: Medien
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