BUNDESGERICHTHOF GEGEN MELDEN, DURCHFÜHREN, VERBIETEN Ruhm und Ehre der Waffen-SS?Von Burkhard Schröder
Über 100 Artikel online zum Thema: Bundesgerichtshof spricht Neonazis vom Nationalen Infotelefon Karlsruhe frei. Die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" sei nicht strafbar, so liest man in der entsprechenden Presseerklärung. Bekanntlich setzt man sich in Deutschland nur selten politisch mit den
kackbraunen Kameraden auseinander, sondern praktiziert die deutsche Leitkultur: Melden, Durchführen, Verbieten. Bevor die wohlwollenden Stammleserinnen und geneigten Stammleser sich gähnend abwenden, weil sie meine Meinung schon kennen, hier die entscheidenden Fragen: Gibt es ein deutsches Medium, das die weise Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts begrüßt? Und was lehrt uns das?
Die TAZ berichtet wohltuend ausgewogen, ohne Schaumvor dem Mund: "Allerdings war erst in diesem Frühjahr das Strafgesetzbuch verschärft worden. Seitdem kann auch die Verherrlichung der NS-Herrschaft als Volksverhetzung bestraft werden. Dies könnte auch die Losung "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" erfassen. Der BGH musste sich damit aber nicht befassen, weil die Tat bereits im Jahr 2001, also vor der jüngsten Verschärfung, stattfand. (Az.: 3 StR 60/05)"
Die Zeit schließt mit dem Zusatz: "Die Bundesanwaltschaft hatte in der Verhandlung am Donnerstag eine Bestrafung der Angeklagten gefordert. Nach den Worten von Bundesanwalt Joachim Lampe muss entscheidend sein, ob eine Parole nach Form und Inhalt authentisches nationalsozialistisches Gedankengut transportiere. Der Bezug zu einem Original aus der Nazizeit sei nicht entscheidend."
Die so genannte Netzeitung beglückt uns wie gehabt mit einem Link-freien Artikel und dokumentiert damit, dass die dort arbeitenden RedakteurInnen es noch nicht einmal für nötig befinden, der Leserschaft das Original der Pressemitteilung mitzuteilen - geschweige denn die Website der Karlsruher Neonazis, um die es hier ging. So viel Chuzpe muss man erst einmal haben, sich dann als "Net"zeitung zu bezeichnen.
Die FAZ lässt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, zu Wort kommen: "'Ich halte den sehr schwer zu vermittelnden Urteilsspruch dennoch für richtig.' Eine Parole könne nur unter Strafe gestellt werden, wenn sie die Würde einer Opfergruppe verletze. Es gehe hier um einen Gesinnungsbereich, der nicht regelbar sei. Stokar sagte, es sei deshalb nicht sinnvoll, den Paragraphen 86a des Strafgesetzbuches (StGB) zu verschärfen." Wohl gesprochen und löblich.
Schwer zu vermitteln? Weil Paul Spiegel sich wie gewohnt aufregt und die bekannten, sinnfreien und Beckstein-kompatiblen Textbausteine von sich gibt: Der Staat müsse härter durchgreifen (ganz gleich, was dabei herauskommt)? "Ich appelliere an die Politiker aller Parteien, zu überlegen, wie man mit diesem Problem umgeht." Da wird sicher etwas dabei herauskommen. Man muss die Gesetze gegen die kackbraunen Kameraden seit 1945 immer öfter verschärfen - von einer gegenteiligen Forderung ist bisher nichts bekannt. An der Zahl der Rassisten und Antisemiten ändert das selbstredend nichts. Paul Spiegel irrt und rät das Falsche und hat offenbar keine Idee, wie man politisch gegen Rassisten und Antisemiten vorgehen sollte.
Ähnlich sinnfrei äußert sich laut Spiegel online Wolfgang Thierse: "Thierse erklärte in Berlin, nach dem Urteil könne der Eindruck entstehen, neonazistische Propaganda sei nicht mehr strafbar. 'Eine Ermunterung und Ermutigung für alle Bürger und insbesondere junge Menschen, die sich gegen die Aktivitäten der Neonazis in unserem Land wenden, ist dieses Urteil nicht.' Thierse verwies auf den Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches, der die Verherrlichung der NS-Gewaltherrschaft verbiete. Es bleibe die "beunruhigende Frage", warum der BGH dies Bestimmung nicht angewandt habe."
Ich will etwas verraten, was deutsche Politiker nur sehr schwer begreifen: Für junge Leute wäre es eine Ermunterung, wenn die Demokratie nicht ständig verbieten müsste und damit vor den Gerichten scheitern würde, sondern selbstbewusst dokumentierte, dass sie mit ihren Gegnern leben kann. Das macht sie stärker als andere Formen des Zusammenlebens. In Deutschland liegt die demokratische Idee jedoch nur wie ein dünner Firnis über dem Mainstream: Wenn man nur ein bisschen kratzt, kommen gleich wieder der Obrigkeitsstaat, die Erziehungsdiktatur und der Blockwart zum Vorschein.
Noch einmal. Schwer zu vermitteln? Wem denn? Ich habe das Urteil lebhaft begrüßt. Und heute im Berliner Sender RBB gesagt: Der Bundesgerichtshof sei offenbar der letzte Hort der Demokratie und müsse permanent die von Hystrie geprägten Urteil der Vorinstanzen zurechtstutzten. Man kann nur hoffen, dass die Richter nicht einknicken. Verbieten, verbieten, verbieten. Ich kann es nicht mehr hören. Kann man nicht endlich das Verbieten verbieten? Was soll denn nach der 873sten Verschärfung der Gesetze herauskommen - die einstweilige Erschießung?
Frage des RBB-Interviewers: Was soll denn das Ausland von uns denken? Ja, sollte uns das interessieren? Sind die Deutschen nur gegen Neonazis, weil sonst die ehemaligen Alliierten wieder einmarschieren würden? Oder haben sie auch eigene Gründe?
Das Neonazi-Blatt National-Zeitung zitiert übrigens genüsslich Konrad Adenauer: "Einer Anregung nachkommend teile ich mit, dass die von mir in meiner Rede vom 3. Dezember 1952 vor dem Deutschen Bundestag abgegebenen Ehrenerklärung für die Soldaten der früheren deutschen Wehrmacht auch die Angehörigen der Waffen-SS umfasst, soweit sie ausschließlich als Soldaten ehrenvoll für Deutschland gekämpft haben.“
Natürlich muss man verschiedene Rechtsgüter gegeneinander abwägen: Den Anspruch der Opfer und deren Angehörigen, nicht beleidigt zu werden - gegen das Bürger- und Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung, also auch Äußerung einer wiederwärtigen Meinung. Letzteres zählt eindeutig mehr. Wer das nicht begreift, ist kein Demokrat, sondern nur ein Deutscher.
Abbildung Mitte: Screenshot aus dem neonazistischen Skadi-Forum. Unten: Rabenclan - keine rechte Seite!
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