Gestern war ich, in angenehmer weiblicher Begleitung, im Kino, in Apocalypto. Erstes Fazit, trotz aller Unkenrufe des Feuilletons und der gesammelten Filmkritiken: Spannendes Aktionkino mit hübschen Kostümen, aber kein ganz großer Flim. Man sollte ihn sich ansehen und wird sich weder langweilen noch enttäuscht werden (mehr im Wikipedia-Artikel zum Film). Ich kann mich mit der Rezension der Berliner Zeitung anschließen: "Splatter und Gore sind nun mal keine Erfindung verhaltensgestörter Entertainment-Designer, sondern Teil der Menschheitsgeschichte seit Anbeginn. Gibson hat in seinem Film nur angemessene Mittel eingesetzt."
Ich bin nicht unbedingt der Meinung der Kriitik Rüdiger Suchslands in Montezumas Rache (Telepolis): "Die zweite Konstante ist das Verhältnis zur Gewalt, ist Gibsons sadistischer Blick, inzwischen klar eine Obsession des Regisseurs. Es liegt eine perverse Lust, ein offenkundiger Voyeurismus in der Weise, wie Gibson uns die Gewalt zeigt." Der Film ist nicht übermäßig grausam, ich habe schon Schlimmeres gesehen. Alien zerrt viel mehr an den Nerven. Natürlich: Er werden Herzen herausgerissen (das waren übrigens nicht die Mayas, sondern die Azteken), die sehr nach Plaste und Elaste aussehen. Köpfe rollen die Prymide herunter. So what? Man muss sich deshalb nicht die Perspektive der christlichen Missionare zu eigen machen, die die "Heiden" zu Unmenschen erklärten. Die christliche Soldateska hat im Mittel- und Südamerika übrigens viel schlimmer und widerlicher gewütet.
Die "Mayas", unter denen der Film zur Zeit der Ankunft der spanischen Konquistadoren spielt, haben mit der historischen Realität (vgl. den Wikipedia-'Artikel über derMayas) genausowenig etwas zu tun wie ein Western. Nur hat sich Gibson mit der Kostümierung der Darsteller ein wenig mehr Mühe gegeben. In Details stimmt es natürlich nicht, trotz der angeblichen wissenschaftlichen Beratung: Die kleinen Kinder laufen heute noch nackt durch die Maya-Dörfer, bei Mel Gibson jedoch haben sie alle wegen der puritansichen Bigotterie des US-amerikanischen Publikums züchtig geschnürte Lendenschurze. Das ist doch zum Totlachen. Mel Gibson ist gläubiger und sogar fanatischer Christ, und dementsprechend muss man sich die Botschaft eben vorstellen. Gewalt bis zum Abwinken, aber um Gottes (!) Willen weder Sex noch eine Möse zeigen. So verklemmt sieht man das im Land der Amokläufer.
Apocalyto gehört in die Kategorie "1492: Conquest of Paradise" oder "Der mit dem Wolf tanzt": Das romantische und naive Ideal der unzerstörten und "natürlichen" Dorfgemeinchaft steht immer am Anfang und wird dann - man ahnt es vorher - von den Bösen zerschlagen, nur dass es hier die Mayas selbst sind, die ihresgleichen abschlachten. Das ist weitaus "authentischer" als die Winnetou-like-Edlen-Wilden, die mit Kevin Costner die Friedenspfeife rauchen.
Was Gibson selbst über den Film behauptet, ist ohnehin wurscht. Eine Botschaft wird am Anfang eingeblendet: Bevor eine Kultur erobert werden kann, muss sich sich selbst von innen zerstört haben. Das stimmt sogar für die Inkas, für die Azteken (heutiges Mexiko) und die Mayas (heutiges Yukatan in Ost-Mexiko, Belize, Guatemala und Honduras) galt das nicht. Die Spanier waren schlicht militärisch und waffentechnisch haushoch überlegen, so wie eine Kompanie Ledernacken gegen eine zehnfache Übermacht von Kriegers aus Papua-Neuguinea leicht bestehen würde.
Die Sache ist Ethno-Kitsch, wie gewohnt. Lieber so etwas wehen als einen Western, in dem die "Indianerinnen" weiße Haut haben, geschminkt sind und die Männer Facon-Frisuren aus den 50ern tragen. Ich wiederhole mich ungern: "Fremde" Kulturen kann man ohnehin nicht angemessen darstellen. Das weiß man seit den Büchern Stanislaw Lems. Alles ist und bleibt Projektion. Deshalb ist die Distanzierung der Altamerikanisten von Gibsons Film Humbug und überflüssig. Für Filme gilt das, was Tucholsky schon 1932 über Bücher gesagt hat: "Jeder historische Roman vermittelt ein ausgezeichnetes Bild von der Epoche des Verfassers."
Der letzte Teil, eine Art Schnitzeljagd im Urwald nach dem Motto "Auf der Flucht" ist eindeutig Action-Kino vom Feinsten. Zu welcher Zeit es spielt und welche Uniformierung die Protagonisten tragen, ist unwichtig. Völlig unrealistisch ist übrigens, wie rasant die Helden durch den Urwald sausen. Wer einmal dort war - und ich war oft dort - weiß, dass man meistens noch nicht mal mit der Machete durchkommt, geschweige denn rennen kann, es sei denn, das Gebiet ist dicht besiedelt. Der Verfolgung verläuft ähnlich wie in Chato's Land mit Charles Bronson: Der Held gewinnt gegen zahlreiche Häscher, weil die den Fehler begehen, ihn auf seinem Land zu verfolgen. Dort kennt er sich besser aus und erledigt alle nacheinander. Der Bronson-Film bezog sich metaphorisch auf den Vietnam-Krieg, Apokalypto auf gar nichts, dazu ist Gibson zu unpolitisch. Und einen Maya-Krieger kann man schlecht gegen einen Iraker austauschen, obwohl man ganz aktuell auf die Idee kommen könnte.
Ich habe lange gegrübelt und gestern mit meiner Gattin (die sich solche Filme gar nicht ansehen kann) und mit meiner Lieblingsfreundin beim Bier und Wein lange gerätselt: Gibt es überhaupt eine Botschaft? Man kann sich selbst eine bauen: Die Mayas waren genau so bekloppt wie die US-Amerikaner heute. Und dann wäre Apokalypto sogar lehrreich und pädagogisch wertvoll. |