Geschlossen und offen

Camila Valejo
Symbolbild: Anführerin der deutschen Linken im Jahr 2030 (Wunschtraum, wird nie so sein)

Zum Parteitag der deutschen „Linken“ kann ich nicht viel sagen. [Bitte selbst ausfüllen] ruft zur Geschlossenheit auf.

Im Ernst: Da scheint es noch ein paar vernünftige Leute zu geben, die aber leider in der absoluten Minderheit sind: „…der in seiner Bewerbungsrede unter anderem kritisiert hatte, dass in den vorderen Reihen der Partei Die Linke kaum Arbeiter vertreten seien, obwohl sie doch den Anspruch habe, Arbeiterpartei zu sein.“

Hat sie den?




Der Imam ist es nie oder: Die Klassenfrage im „Tatort“

tatort

Beim Abendessen habe ich mir jeweils einen „Tatort“ per Laptop zu Gemüte geführt. Meine wenigen Vorlieben beschränken sich – inklusive Polizeiruf 110 – auf Dortmund (wegen Jörg Hartmann alias Peter Faber), Rostock (wegen Charly Hübner alias Alexander Bukow), Köln und Münster (eigene Kategorie).

Wenn man die Websites der Anstalten öffnet, schwappen einem, neben unsäglichem Quatsch in großer Anzahl, jede Menge Krimis entgegen. Man soll nachzählen, wieviele Tote es fiktiv täglich gibt – mehr als in der Realität auf jeden Fall. Offenbar will das Publikum so etwas.

Kriminalfilme sind pure Pädagogik, also gut gemeint. Das Böse darf nicht siegen. Zum Klassenkampf darf auch nicht aufgerufen werden, zu allem anderen schon. Der Krimi stellt auch nicht die Systemfrage, zumindest nicht im deutschen Fernsehen, weil man sich dann Gedanken machen müsste, was nach dem Kapitalismus kommen könnte. Der Rahmen des Plots ist also eng und vorgegeben.

Ich war bei den beiden obigen „Tatorten“ jedoch überrascht, dass die Klassenfrage, wenn auch nur indirekt, unübersehbar durchschimmerte. Bei Borowski und das Glück der Anderen geht es um einen Mord „von unten nach oben“. Die Mittelschicht bringt sich also, was die Regel ist, nicht gegenseitig um, sondern jemand, der „die da unten“ verachtet und das auch ausspricht, kriegt seine gerechte Strafe muss daran glauben. Ein Rezensent macht daraus „Vorstadtfrust“. Ich sehe da mehr. Was, wenn alle plötzlich meinten, sie müssten jetzt ein Stück vom Kuchen abkriegen und ganz richtig merken, dass das mit Fleiß und Arbeit nicht zu schaffen ist in diesem System?

Der Dortmunder „Tatort“ Heile Welt ist noch besser, allerdings kommt am Schluss die von den Anstalten gewünschte Weltsicht und Moral mit dem Holzhammer. Nicht der Plot ist außergewöhnlich, sondern die Rolle der Kommissarin Anna Schudt alias Martina Bönisch, die plötzlich und unfreiwillig zwischen allen Fronten steht. Die Bilder erinnerten mich an eine hier schon erwähnte Seminararbeit während meines Studiums:

revolution

Was ist, wenn Riots und Randale ausbrechen und man mittendrin ist? Kann man etwas Vernünftiges tun? Werden diejenigen obsiegen, die auch das Richtige denken? Nein, werden sie nicht. Die Revolutionäre werden am Ende von denjenigen weggefegt, die im Hintergrund gewartet haben, wer gewinnt und sich dann auf die richtige Seite geschlagen haben. Die Revolution frisst immer ihre Kinder.

Ich kann mich erinnern, dass „meine“ K-Gruppe sich immer minutiös, strategisch, taktisch, inhaltlich auf studentische Vollversammlungen (wir sagten: VauVaus) vorbereitete, und immer stand dann jemand auf, meistens eine charismatische Frau, die vorgab, zu keiner Gruppe zu gehören, und die dann unter dem Jubel der Massen eine meistens von uns unerwünschte Richtung vorgab.

Ich glaube, der alte Friedrich Engels hat komplett recht. Wogt die Masse erst hin und her, kann man das kaum steuern.

Man müsste sich trauen, ein anarchisches Drehbuch zu verfassen. Im deutschen Fernsehen sind die Rollen mehr oder minder vorgeben, wenn auch nur im Entferntesten Einwanderer oder der Islam im Hintergrund lauern. Ein Imam darf reaktionär, streng, bekloppt sein, aber nie der Täter. Wenn das doch so wäre, gäbe es Randale. Und ich ginge dann solange, je nach Jahreszeit, paddeln oder Käsekuchen backen, und guckte mir viel später und vergnügt das Ergebnis an.

tatort




Ein echter Junge spielt mit Metall

spielzeug

1963, in meinem Kinderzimmer. Ich sehe da einen Panzer, ein Feuerwehrauto und ein Schiff, gebaut aus einem Märklin Metallbaukasten. (Bitte meine unvorteilhafte Frisur ignorieren.) „Alle echten Jungen spielen mit dem Metallbaukasten und werden so spielerisch zu Ingenieuren – das war lange Jahre die landläufige Meinung über das Konstruktionsspielzeug aus dem Hause Märklin.“ Har har. Das denke ich heute auch noch, obwohl das politisch inkorrekt ist. Im Hintergrund des Fotos spielt meine kleine Schwester mit Puppe und Puppenwagen, ein echtes Mädchen eben.




Zu eng?

Chili samen

Kurze und völlig unpolitische Zwischenfrage eines Aufzucht-Laiens an die edlen Spender des Chili-Samengutes: Mit sind einige der Beutelchen ein wenig ausgerutscht mit der Folge, dass zu viel da Samen in mein „Beet“ hineinrutschte. Steht der sprießende Chili jetzt zu eng? Ich habe schon einige der Sprößlinge ausgelagert…




Sie sind schon drin

borgenScreenshot aus Borgen, Staffel 1

Was soll man da machen? Vielleicht hätte eine CyberOnline-Durchsuchung geholfen? Dann hätte niemand etwas bemerkt….(Vorsicht! Ironie!)

Merke: Man muss den größten Stuss nur oft und lange genug wiederholen, bis ihn alle für wahr halten.




Kubistische Nackte und die Künstlerlinke [Update]

Georgy Kurasov

Großartige Bilder von Georgy Kurasov! Die würde ich alle bei mir aufhängen. Aber wieso muss ich erst Tor bemühen, um auf die österreichische Seite klassikmagazine.com zu gelangen? Haben die deutschen Jugendschützer die wieder zensiert bzw. bei Google angeschwärzt, weil die Jugend beim Anblick kubistischer Titten sittlich gefährdet wird?

Nun zu einem immer wieder beliebten Thema.

– Der Humanistische Pressedienst schreibt über „Allah und die Linke“. – „Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam – aus Furcht, damit Rechten Zündstoff zu liefern, schweigt sie. Galt nicht Religionskritik spätestens mit Voltaire einmal als Selbstverständlichkeit?“

Nein, die aufklärerische Vernunft ist dem Rückzug. Dummerweise sind die, die der Text betrifft, völlig beratungsresistent.

[Update] Ein Kopftuchverbot ist zulässig.

– Die Taz lässt den Philosophen Robert Pfaller über „Pseudolinke“ zu Wort kommen:
„Statt Kinderbetreuungseinrichtungen bekamen wir das Binnen-I, statt Chancengleichheit bot man uns »diversity«, und anstelle von progressiver Unternehmensbesteuerung erhielten wir erweiterte Antidiskriminierungsrichtlinien. Das entspricht dem Grundprinzip neoliberaler Propaganda: Alle Ungleichheit beruht demnach lediglich auf Diskriminierung. (…) Denn die sogenannte Kulturlinke ist ja der Profiteur dieser neoliberalen Ideologie.“

Auch das wird niemanden interessieren, und die taz wird von ihrer Sternchen- und Doppelpunktsprache nicht lassen. Das Zentralorgan der Pseudolinken wird sich nicht ändern – es spiegelt die Ideologie der Kundschaft und der Rezipienten wieder. Es geht um Esoterik, hört ihr? Mit Esoteriker_:*Innen kann man weder diskutieren noch argumentieren.

– „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus'“. (Ignacio Silone, antistalinistischer Kommunist, 1900-1978)




Teufelsnase oder: Auf und ab im Zick Zack [Update]

eisenbahn ecuador

Das Foto habe ich 1979 an der Bahnstrecke zwischen Guayaquil (eigentlich Durán) und Quito gemacht.

Das Foto muss erklärt werden. Ich saß im Waggon eines Zuges und fotografierte nach unten – von dort kamen wir. Der Höhenunterschied auf der Bahnstrecke war so extrem, dass der gesamte Zug eine Weile im Zickzack vor und zurück fahren musste, bis wir „oben“ ankamen und es normal weiterging. Für Serpentinen oder gar für normale Kurven hatte es beim Bau nicht gereicht. Ich weiß auch nicht genau, wo das war – vermutlich im Tal des Río Chanchán an der „Teufelsnase„.

Update: Es war genau hier, die Station heisst Sibambe am Rio Alausi.




Er tritt nicht wieder an

Erklärung von Fabio De Masi:
„Die Kunst der Politik besteht darin, auch an die Lebensrealität und die Sprache jener Menschen anzuknüpfen, die um die Kontrolle über ihr Leben fürchten. Die politische Linke darf das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit – in einem umfassenden Sinne – nicht vernachlässigen. Dabei sollte man weder Ressentiments schüren noch so sprechen, dass normale Menschen einen Duden brauchen. (…)
Die Debatten der Meinungsführer in den akademischen Milieus, die Codes der digitalen Empörung und Hashtags, die häufig nur wenige Stunden überdauern und nichts kosten, sind dafür kein Ersatz. (…)
Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen.“




Ask your dealer about it and dare mighty things

seven sutherland sisters

Ask your dealer about it. Schon klar.

– Übrigens: Zum Mitschreiben: „migrantisch“ ist genausowenig ein Adjektiv wie „einwanderisch“.

– Hat jemand schon die geheime Nachricht im Fallschirm vom NASA Mars Rover entdeckt?

– Vielleicht führt nicht die Revolution, sondern Toyota den Kommunismus ein. Jemand kommentierte aber ganz richtig: „Klar wir bekommen theoretisch „friedliches, soziales Miteinander“ – bis so ein Typ aus dem analogen Mittelalter die Frau des digitalen Nerds bumst und es Randale gibt …“

Tagesspiegel: Spahn ließ offenbar Journalisten ausforschen (der Artikel ist gendersprachenfrei).

– Herrn Lysimachos hätte ich gern kennengelernt (aber nur mit Google Translator). Oder ich wäre mit ihm in Gallien U-Bahn gefahren.




Another Eagle has landed

mars landing

Erinnert sich noch jemand an Juri Gagarin?

Für mich waren die Russen immer die Guten, weil die russischen Kriegsgefangenen in Bönen nach der Befreiung meine Großeltern und vor allem meine Mutter beschützt haben: Mein Großvater hatte ihnen in der Nazi-Zeit Lebensmittel heimlich zukommen lassen und wäre beinahe deswegen von der Gestapo erschossen worden. Nach dem Einmarsch der US-Amerikaner hielten sich „die Russen“ immer im Haus meiner Großeltern auf, bis sie Deutschland verlassen mussten und unter dem Regime Stalins einem ungewissen Schicksal entgegensahen. Meine Mutter kann sich heute noch daran erinnern, dass sie keine Angst vor „den Russen hatte“, im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen. Immer ließen sie Brot und Fleisch zurück, wenn sie wieder gingen.

Als Kind war Gagarin mein Held. Kosmonaut! Das klang nach Abenteuer und nach Zukunft. Ich sage immer noch „Kosmonaut“ und nicht „Astronaut“ (ich sage auch „Studenten“ und nicht etwas anderes. Gut, Skaphander muss nicht sein, trotz der Romane Lems, klingt aber großartig).

Wenn die NASA heute auf dem Mars landet, ist das gar nicht mehr aufregend. Ich finde es faszinierend.

Auf meinem schwachbrüstigen kleinen PC, den ich nur zu Demonstrationszwecken und zum Anfertigen von Tutorials angeschafft habe und auf dem Windows läuft, habe ich mir gleich den passenden Hintergrund zum Thema eingerichtet.




Die Robinhoodisierung der Linken

kommunistisches Manifest
Manuskriptseite des Manifests der Kommunistischen Partei

Interessanter Text von Thomas Kuczynski: „Widersprüche weiterdenken – Zum 170. Jahrestag des Kommunistischen Manifests„.

„Im Schlussteil des Manifests stellen die Verfasser fest: In allen revolutionären Bewegungen heben die Kommunisten „die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.“

Das Gros der Vordenker der Partei Die Linke stellt die Wahrheit dieses Satzes seit Jahren in Abrede und meint, es genüge, die „Verfügung“ über das Eigentum „sozialen Kriterien“ zu unterwerfen.“

Macht es Sinn, die Linken in der „Linken“ aufzurufen, gegen die kleinbürgerliche Parteiführung zu putschen? Oder soll man einfach dabei zusehen, wie der ganze Laden unter die 5-Prozent-Hürde schlittert, mitsamt der Gendersternchen?




Agrarisch und revolutionär (I)

Holzwickede roggen
Getreidefeld (IMHO Roggen) in Holzwickede

Welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, dass gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch – wie wenigstens wir uns gern vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen? (Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1920)

Da spricht der bürgerliche Historiker per ecellence. „Kultur“ gehört zur luftigen Sphäre des Überbaus. Wir fragen nach der materiellen Basis. Und ob das, was der Okzident hervorgebracht hat, „universell“ gültig sei, lassen wir als ungelöste strittige Frage weg.

Die Ausgangsfragen hier waren: Warum entstand der Kapitalismus in Europa zuerst, was genau ist der Feudalismus, der ihm vorausging? Bedarf das einer Sklavenhalterwirtschaft – oder ist letztere ein historische Sonderfall, also ein Zufall? Entwickelt sich jede Gesellschaft weltweit (!) nach immer ähnlichen Schemata, bei denen der Feudalismus offenbar nie fehlt, wohl aber oft eine Ökonomie, auf der das römische Weltreich fußte – wie etwa in Japan oder China?

Die gute Nachricht ist: Mir ist ein Buch in die Hände gefallen, das einige dieser Fragen stellt und auch höchst interessant beantwortet, so dass den historisch interessierten Lesern und geschichtskundigen Leserinnen eine weitschweifige Analyse der Sekundärliteratur zur Asiatischen Produktionsweise, welchselbige wir noch nicht richtig eingetütet haben, erspart bleibt – nein, nicht ganz, aber sie wird verkürzt werden.

mitterauerUnstrittig bei allen Historikern ist die Agrarrevolution im so genannten Frühmittelalter. Lynn White hat das schon 1962 in“ Medieval Technology and Social Change“ analysiert. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, da das nicht in Italien geschah, also im Kernland des römischen Reiches und der Sklavenwirtschaft, sondern im Nordwesten Europas. Revolutionär waren Roggen und Dinkel, der schwere Pflug (der von Tieren gezogene Räderpflug mit Kumt), der Einsatz von Pferden im Ackerbau und die Dreifelderwirtschaft.

Der Roggen breitete sich ab dem 5. Jahrhundert bis nach dem fränkischen Gallien aus – Mitterauer spricht von „Vergetreidung“. Roggen ist erheblich widerstandsfähiger als Weizen, erschöpft auch den Boden weniger, und reift in kühlen Gegenden schneller. Nördlich der Alpen wurden auch die Mühlen weiterentwickelt (u.a. weil es dort auch mehr Wasser gab). Resultat: das „weiße“ Brot des Mittelmeerraums wird durch das „schwarze“ Brot des Nordens langfristig ergänzt („allgemeine Durchsetzung der Brotnahrung“).

Jetzt aber zwei Fragen: 1) Die Arab Agricultural Revolution zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert und die Green Revolution zur Zeit der Song-Dynastie in China fanden fast zur selben Zeit statt, aber natürlich unabhängig voneinander. Kann man das vergleichen? Und worauf wirkt sich das aus? 2) Technische Erfindungen fallen nicht vom Himmel. Warum gab es im antiken Rom keine Dreifelderwirtschaft, warum pflügte man mit Ochsen und nicht mit Pferden? Beides wäre doch viel effektiver gewesen? Warum ist das den Römern nicht eingefallen?

dreifelderwirtschaft

Roggen und Weizen sind spezifische Kulturpflanzen der kühl-gemäßigten Klimazonen Europas. Ihre Expansion im Zuge der mittelalterlichen Agrarrevolution hat die Landwirtschaft des Mittelmeerraums kaum beeinflusst. (…) Insgesamt standen die klimatischen Verhältnisse dem Anbau von Sommergetreide entgegen, und damit dem Übergang von der Zwei- zur Dreifelderwirtschaft.

Um die Jahrtausendwende hatte – als Folge der Agrarrevolution – sich der Getreideertrag vervielfacht; die Bevölkerungszahl in Mitteleuropa vervierfachte sich zwischen dem Ende des römischen Reiches und dem 12. Jahrhundert. Trotz Betons, Fußbodenheizung, öffentlichen Bädern, riesigen Bibliotheken und einer Militärmaschinerie, die ihresgleichen suchte, war das römische Weltreich dem illiteraten Frühfeudalismus haushoch unterlegen, was die Landwirtschaft angeht? Wie das?

Die Wassermühle als zentrale Einrichtung lokaler ländlicher Regionen verweist auf eine soziale Rahmenbedingung der frühmittelalterlichen Agrarrevolution, nämlich die Villikation, die in Herrenland und Bauernland zweigeteilte Grundherrschaft. Die Verbreitung der Wassermühle ım Frankenreich erfolgte primär durch weltliche und geistliche Grundherren – vor allem den König und seine Amtsträger auf den einzelnen Königshofen sowie die Klöster in den Mittelpunkten ihrer Grundherrschaften. Auch andere zentrale Einrichtungen zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte waren vielfach in herrschaftlicher Hand. Das gilt etwa für den Backofen, der sich mit der Durchsetzung der Brotnahrung zunehmend verbreitete, die Weinkelter oder die für das Bierbrauen erforderlichen Anlagen. Die zweiteilige Grundherrschaft war für solche Prozesse der Arbeitsteilung ein günstiger, wenn auch kein notwendiger Rahmen. Absolut erforderlich war sie hingegen für die Durchsetzung der Dreifelderwirtschaft, die wohl zunächst nur auf dem Herrenland und erst sekundär dann auch auf dem Bauernland erfolgte. Ohne herrschaftliche Eingriffe wäre diese grundlegende Neuordnung wohl kaum durchführbar gewesen.

Obwohl Mitterauer ein bürgerlicher Historiker ist, argumentiert er hier „marxistisch“: Die Produktionsverhältnisse (er nennt das konkret die „zweigeteilte Grundherrschaft“ – also die Idealform des Feudalismus) sind die wahre Ursache der Agrarrevolution. Umgekehrt wäre also auch die These korrekt, dass die Produktionsverhältnisse in der Sklavenhaltergesellschaft eine Fessel waren, die nicht gelöst werden konnte, ohne das System in die Luft zu sprengen.

Wir müssen hier ein berühmtes Zitat aus dem Vorwort von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ von Marx abklopfen, ob es mit der Realität übereinstimmt:
„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“
„Soziale Revolution“ meint offenbar nicht das Klischee, dass Männer in langen Wintermäntel und mit Gewehren Paläste stürmen, sondern dass die Eigentums- und Produktionsformen radikal umgewälzt werden. Insofern ist die „Spätantike“ durchaus eine solche Epoche. Sehr interessant ist, dass die aktuelle bürgerliche Forschung das ähnlich sieht und von einer Transformation spricht.
Joseph Tainter scheint der Marxschen These sogar sehr nahe zu kommen. Sein Hauptwerk Collapse of Complex Societies definiert diese „soziale Revolution“ als „Kollaps“: a rapid, significant loss of an established level of sociopolitical complexity, also genau das, war mit dem Römischen Weltreich geschah.

By the way: Wir reden in dürren Worten über eine Epoche von mindestens 700 Jahren, also von der Teilung des römischen Reiches und dem Untergang der Sklavenhalterwirtschaft in Westeuropa bis zur Eroberung des byzantinischen Reiches im 15. Jahrhundert. In Byzanz entwickelte sich aber der klassische Feudalismus nicht, sondern eben nur und zuerst in Nordwesteuropa.

Hilfreich ist, kurz zu klären, um was es exakt geht: Am Ende des Prozesses sind freie Bauern in der Minderheit; überall hat sich eine Klasse von Warlords (Feudelherrn) gebildet, von denen die Bauern abhängig sind, zuerst durch Naturalabgaben und Dienstverpflichtung, später immer öfter auch in Form von Abgaben in Geldform.

Was ist aber der Unterschied zwischen dem Kolonat der spätrömischen Antike und der frühfeudalen Villikation“ (letzteres ist ein Fachausdruck für die von Mitterauer erwähnte „zweigeteilte Grundherrschaft“)? Der Kolone war ein bäuerlicher Pächter auf den römischen Latifundien, also den großen Gütern, und besaß kein eigenes Land mehr. Die rechtliche und ökonomische Stellung der Kolonen verschlechterte sich immer mehr, bis diese faktisch von den späteren abhängigen Bauern im Feudalismus nicht mehr zu unterscheiden waren.

Über die Villikation schreibt Wikipedia ganz richtig: „Nicht das geliehene Gut lag der Abhängigkeit des Bauern von seinem Herrn zugrunde, sondern seine persönliche Zugehörigkeit zum Herrschaftsverband. Der Bauer war also nicht einfach Pächter eines landwirtschaftlichen Gutes gegen Grundzins, sondern seinem Herrn hörig, was zusätzlich bedeutet, dass der Herr ihn zu Arbeitsleistungen verpflichten konnte und er der Gerichtshoheits eines Herren unterstand.“

Das ist also offenbar das „Endstadium“ – der „typische“ Bauer im Feudalismus besitzt genausowenig etwas wie die „idealtypische“ Proletarier, keine Produktionsmittel, mit denen er über die Runden käme; im Gegensatz zum Arbeiter im Kapitalismus ist er aber zusätzlich noch persönlich unfrei.

Teil II folgt in Kürze.
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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)




Viajeros

viajeros

Das Foto habe ich 1979 irgendwo an der Bahnstrecke zwischen Guayaquil (eigentlich Durán) und Quito gemacht. Mit „Ponce“ (der Schriftzug auf der Mauer) könnte Camilo Ponce Enríquez gemeint sein.




Stachelbeertorte

StachelbeertorteStachelbeertorte

Ich hatte mir vor einigen Wochen vorgenommen, die Kunst des Kuchenbackens zu erlernen. Das hätte ich schon vor vor 50 Jahren tun können, aber damals war ich zu blöde dazu oder hatte anderes im Sinn. Mittlerweile kann ich schon improvisieren. Im Supermarkt meines Vertrauens war ich auf der Suche nach Obst, das sich zu dem geplanten Zweck eignete. Da sah ich Gläser mit Stachelbeeren aus Brandenburg und griff zu.

Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal Stachelbeertorte gegessen habe. Vielleicht bei meiner Oma, die selbige aus ihrem Garten bezog (wurde leider schon vor vielen Jahrzehnten eingeebnet, war aber ein wichtiger Punkt der positiven Erinnerungen meiner Kindheit).

Man macht also zunächst einen Tortenboden. Ich habe erst jetzt herausgefunden (ganz ohne Youtube-Videos), dass eine Springform nicht immer die beste Wahl ist, weil der Teig gern eine Form annimmt, die er will und nicht soll. Eine Obstkuchenform ist besser. Dafür gibt es zahllose Rezepte.

Die Tortenglasur mache ich auch nach Rezept. Hier aber habe ich mehr von dem Stachelbeersaft genommen, weil die Springform größer war, und habe in die kurz aufgekochte Masse noch ein Päckchen aufgelöstes Vanillepuddingpulver gequirlt. Schmeckt alles vorzüglich, beim nächsten Mal muss aber die Tortenbodenform besser werden, ungefähr so wie bei meiner Oma vor mehr als 60 Jahren…




VKPD

paul levi
Paul Levi (1882-1930), Mitbegründer der KPD, Vorsitzender 1919-1921

Die Sektierer in der Partei Die Linke wollen deren mit riesigem Abstand populärste Politikerin (wer ist das noch mal?) nicht nach Sachsen-Anhalt einladen. Auch in Köln ist es ähnlich – Sektiererei ist beileibe kein Problem des Beitrittsgebiets. Ich schlage vor, diese Mischpoke den „Thälmann-Flügel der Linken“ zu nennen.

Das erinnert an die Geschichte der KPD und an die vermutlich unstrittige These, dass die deutsche Linke dieses finstere Kapitel nicht aufarbeitet und auch nicht willens dazu ist. Erst seit der Wiedervereinigung ist das möglich: In der DDR wurde jede Kritik an der „offiziellen“ Geschichtsschreibung niedergebügelt. Ich schrieb im Juni 2020: „Ernst Thälmann und seine Abhängigkeit von den Direktiven Stalins und der Kommunistischen Internationale waren eine Katastrophe für die KPD. Genau so muss man es sehen. Vermutlich wäre Paul Levi erfolgreicher gewesen.“

VKPD

Eine „Bildungswebsite“ auf Fratzenbuch, die vermutlich der geschätzte Kollege Daniel Kulla betreibt (vgl. auch Classless Kulla), berichtete jüngst über die Wahlerfolge der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD) (von mir in verständliches Deutsch übersetzt):
Am 20. Februar 1921 votieren 29,8 Prozent der Wahlberechtigten (197 113 Stimmen) im Wahlkreis Merseburg für die Vereinigte Kommunistische Partei (VKPD). Der Wahlkreis umfasst in etwa das Mitteldeutsche Industrie- und Bergbaugebiet Halle-Leuna-Mansfeld. Die VKPD wird damit stärkste Partei des Wahlkreises. Sie entsendet 5 Abgeordnete in den Preußischen Landtag.

Die KPD hieß VKPD seit dem Zusammenschluss mit dem größeren Teil der USPD im Dezember 1920. Die VKPD hat mehr als 400.000 Mitglieder und wird damit zur nicht nur zur größen Partei Mitteldeutschlands, sondern auch im Ruhrgebiet und in anderen Industrieregionen. Damit ist sie eine der ersten kommunistischen Massenparteien außerhalb Sowjetrusslands. Die VKP ist zwar Teil der Komintern, verfolgt aber eine Einheitsfront-Politik. Das unterscheidet sie von der „Avantgarde“-Linie der Bolschewiki. Die deutschen Kommunisten wollen Bündnisse und gemeinsame Aktionen mit Gewerkschaften und den anderen Arbeiterparteien, vor allem deren Basis. Die Mehrheit der Arbeiterklasse soll für eine Sozialistische Rätedemokratie gewonnen werden.

Nach dem Tod Lenins und der konterrevolutionären Machtübernahme Stalins wurde Levi auf Betreiben der Mehrheit der Komintern-Führung um Grigori Sinowjew aus der KPD bzw. VKPD ausgeschlossen, da er seine Kritik an der Leitung der (V)KPD und der Komintern nicht revidieren wollte. Levi kehrte 1922 zur SPD zurück. In der stalinistischen Parteigeschichtsschreibung wurde sein Name entweder verschwiegen oder gegen ihn auf niedrigstem Niveau gehetzt. Die SPD vereinnahmt ihn bis heute für ihre antikommunistische Propaganda.

Bezeichnend: Nach Paul Levis Tod wurde im Reichstag seiner mit einer Gedenkminute gedacht, Die Abgeordneten erhoben sich. Die Mitglieder der KPD- und der NSDAP-Fraktion verließen dabei demonstrativ den Saal.

Jetzt kennt ihr meine Version.




Nimm dies, Seuche!

friedel baumgart

Meine Mutter, geboren 1925, ist heute zum zweiten Mal gegen Corona geimpft worden. Das Foto ist aus dem Jahr 1943.




Bunt ist das neue Braun

Expertinnen erklären den rasanten Mitgliederschwund deutscher Gewerkschaften vor allem mit der bisher viel zu wenig beachteten Tatsache, dass die Organisationen der Arbeiterklasse keine Buntheits-Beauftragtinnen hatten.




Niedrige Motive

helfen wohltätigkeit

Ich muss leider hier noch einmal Eiswasser über die Köpfe schütten. Karl Marx 1845 ganz aktuell über die Motive des „Helfens“ (inklusive „Flüchtlingshilfe“ und „Willkommenskultur„) beim liberalen (Klein)Bürgertum:
Das Elend wird mit Bewußtsein ausgebeutet, um dem Wohltäter (…) Genuß der eignen Vortrefflichkeit (…) zu verschaffen. (…)… daß das menschliche Elend selbst, daß die unendliche Verworfenheit, welche das Almosen empfangen muß, der Aristokratie des Geldes und der Bildung zum Spiel, zur Befriedigung ihrer Selbstliebe, zum Kitzel ihres Übermuts, zum Amüsement dienen muß. Die vielen Wohltätigkeitsvereine in Deutschland, die vielen wohltätigen Gesellschaften in Frankreich, die zahlreichen wohltätigen Donquichotterien in England, die Konzerte, Bälle, Schauspiele, Essen für Arme, selbst die öffentlichen Subskriptionen für Verunglückte haben keinen andern Sinn.




Verwohnt

hinterhof keller mansarde

„In einem Hinterhaus, das einen schlechten, stark verwohnten Eindruck macht, bewohnt der wegen einer Armwunde arbeitsunfähige Patient eine Stube und Küche der zweiten Etage. Die Stube ist 4,80 Meter lang, 4,00 Meter breit und 2,60 Meter hoch. Der Kranke teilt sie tagsüber mit drei und nachts mit zwei Personen. Notdürftiges Mobiliar und Trümmer alten Bauholzes usw. füllen den traurigen Raum. Der Hof zeigt bei Regenwetter sintflutartige Zustände.“

Aus Gesine Asmus (Hrsg.) Hinterhof, Keller und Mansarde. Einblicke in Berliner Wohnungselend 1901 – 1920.




航天梦 oder Touchdown

nasa mars
Kolonie auf dem Mars in The Expanse

NASA: „NASA’s Mars Perseverance Rover Safely Lands on Red Planet“. Glückwunsch! Oder: Zu den Sternen kommt man mit Wissenschaft. Zu Gendersternen kommt man mit Esoterik. (Ich weiß, dass der Mars ein Planet ist.)

Ich würde auch gern auf dem Mond oder gar auf dem Mars herumlaufen. Vielleicht nehmen mich die Chinesen ein bisschen mit, wenn ich per Anhalter durch die Galaxis reise.