Vorgestern hatte ich das Vergnügen, Moderator einer außerordentlich spannenden Veranstaltung zu sein: "Second Life – Hype oder Chance?", eingeladen hatte der Märkische Presse- und Wirtschaftsclub (MPW). Spannend vor allem deshalb, weil einige meiner vagen Fragen, die ich zur Zeit nur mir selbst stelle zur Zukunft virtueller Welten wie Secondlife, überraschend beantwortet wurden. Ich fand die Podiumsrunde vor allem auch deshalb anregend, weil ich mir vorher insgeheim die Frage stellte, ob ich dem intellektuellen Niveau der Herren gewachsen sein würde. Ganz uneitel sei hinzugefügt, dass ich diese Frage bei Journalisten nie stelle, und die gewohnt sprechblasigen moraltheologischen Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus mache ich aus dem Ärmel, mit links (das sowieso!) und ohne vorher groß darüber nachdenken zu müssen. Aber hier hatten die Diskutanten, wie man im Ruhrpott sagt, "schwer was drauf". Ich habe mich daher richtig präpapiert, mich über Rendering, Polygone und andere technische Details vorab informiert. Mein Mathematik-Unterricht liegt schon lang zurück; meine Kenntnisse bedürfen dringend eines Updates.
Gastgebende Institution war das DFG Research Center MATHEON der Technischen Universität Berlin. Es diskutierten: Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Grötschel vom Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin, Prof. Dr. Konrad Polthier von der Freien Universität Berlin ("Projects of the research group Geometry and Visualization"), Ludwig von Reiche, Geschäftsführer der mental images GmbH, Michael Schumann, Geschäftsführer der Agentur Zühlke, Scholz und Partner und ich in meiner Eigenschaft als Chefredakteur des Medienmagazins Berliner Journalisten.
Ein grobes Fazit gibt der Veranstaltungsbericht. Hier nur das, was ich selbst besonders spannend fand. Unstrittig sind sowohl Mathematik, die Techniken der Visualisierung - etwa im Film Matrix - weiter fortgeschritten als sie in Spielen und virtuellen Welten à la Secondlife "praktiziert" wird.
Aber ab wann erkennt die menschliche Wahrnehmung nicht mehr, ob es sich um Realität und Simulation handelt? Zwei Thesen gab es dazu: Prof. Dr. Konrad Polthier meinte, es sei für die Visualisierung gar nicht so wichtig, ob das wahrgenommene Objekt detailgetreu sei. Vielmehr reiche aus, wenn die wesentlichen Merkmale existierten, um beim Betrachter das auszulösen, was auch eine Fotografie erreiche. Da heißt: Man muss nicht mehr auf eine filmische Qualität wie "Jurassic Park" in Computerspielen oder virtuellen Welten warten, um sich dort "heimisch" zu fühlen. Zweitens - das sagte von Reiche mit dem Hinweis auf Tricktechnik in "Matrix": Natürlich könne man den Homo sapiens austricksen, das geschehe schon längst. Das, was der Mensch meint zu sehen, ist oft gar nicht das, was real vorhanden ist. Da kommt Einiges auf uns zu.
Der zweite Aspekt war für mich ähnlich neu und überzeugend. Ich forderte die Teilnehmer der Runde zum Schluss auf zu prophezeien, worüber wir in drei oder vier Jahren bei diesem Thema diskutieren würden. Antwort: Secondlife ist auf einem technischen Niveau wie das Internet in den frühen neunziger Jahren, als auch ich das WWW mit dem Browser Mosaic erkundete. Die Mathe-Professoren fanden SecondLife langweilig. Die Entwicklung des Internet zum Massenmedium habe zwanzig Jahre gedauert. Ludwig von Reiche sagte, der Schritt zum dreidimensionalen Internet würde jedoch nur noch drei bis fünf Jahre dauern. Irgendjemand werde den 3D-Browser erfinden. Und dann werden SecondLife und andere Welten mit den anderen Diensten des Internet, vor allem dem WWW, verschmelzen.
Also frisch ans Werk, liebe medienkompetenten Leserinnen und technikversierten Leser: Wer den 3D-Browser erfindet, erobert die Welt und wird ganz schnell steinreich! Wer wird da Rennen machen: Bill Gates, Google, SecondLife oder die Open Source-Community? |