Wenn Jürgen Habermas eine Rede hält, ist das etwas für's Feuilleton. Also Kultur. In diesem kleinen frauen- und familienfreundichen Forum wird das Thema jedoch in die Rubrik "Wissenschaft" engetütet, weil es so anspruchsvoll ist. Spiegel Online und die Katholen berichten, dass der deutsche Philosph in Rom eine Rede gehalten habe, dass der Papst Habermas wohlwollend zitiert und, so säuselt es zwischen den Zeilen, dass sich alle irgendwie näherkämen, die Verehrer höherer Wesen und die, die das nich ttun. Da muss man eingreifen: Wo kämen wir denn da hin!
Ratzinger alias der Papst sagte: "'Der egalitäre Universalismus', zitierte er den Philosophen weiter, 'dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entstammen, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik'." Und Habermas redete über das Thema "Ist die Renaissance der Religion eine Herausforderung für das säkulare Selbstverständnis der Moderne?" Jetzt könnten wir hie schon exegatisch vom Leder ziehen, den humanistich gebildeten Leserinnen und anspruchsvollen Lesern seien noch weitere Statements geoffenbart. Spiegel Online schreibt: "Bei seinem Vortrag auf dem Kapitol kritisierte Habermas die Säkularisierungstheorie und forderte die Laizisten zur Einsicht auf. Nein, der Glaube sterbe nicht automatisch ab in modernisierten Gesellschaften. Ja, man brauche 'religiöse Gemeinschaften' zur Meinungs- und Willensbildung. "Vom postmetaphysischen Standpunkt aus erlaubt der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen religiösen oder kosmologischen Lehren keine vernünftige Lösung mehr", sagte Habermas (...) Wir sollten aufhören nachzudenken, was vernünftig ist am Glauben und was nicht." Ein 'reformierter Agnostizismus' fragt nicht nach der metaphysischen Ursuppe, aus der ein Argument sich speist, er prüft nur die Anschlussfähigkeit im demokratischen Diskurs."
Gleichmacherischer Universalismus? Das kennen wir doch irgendwo her. Natürlich, aus der französischen Revolution 1798. Damals kam man auf die kühne Idee, alle Menschen seien gleich - daher das Wort Menschenrechte. Der Begriff "Menschenrechte" hört sich viel sympathischer und realer an als das wolkie Gefasel vom "egalitäre Universalismus". Kein Wunder, denn die Kirche war damals ja dagegen. Aus den Ideen der bürgerlichen Revolution stammt auch die These, dass Religion Privatsache, Staat und Kirche getrennt und das Christentum keinen weltanschaulichen Alleinvertretungsanspruch erheben dürfe. Der Papst behauptet etwas, das selbstverständlich ist: Alle Ideen hängen irgendwie mit allen anderen zusammen. Die Neuzeit mit dem Mittelalter, das mit der Antike undsofort. Und da die Christen und die Muslime alles von den Juden abgeschrieben haben, kann man auch zwischen den Buchreligionen allerhand Gemeinsamkeiten konstruieren. Wir lieben euch doch alle.
Das Perfide ist aber, dass Ratzinger das alte antijüdische Vorurteil wieder suggeriert, indem er die "Gerechtigkeit" der "Liebe" entgegenstellt. "Gerechtigkeit" spielt auf "Auge und Auge, Zahn um Zahn" an, ein für die damalige Zeit modernes Prinzip der Schadensregulierung, das weitaus fortschrittlicher als etwas die Blutrache war. Der Papst möchte also mit dieser scholastischen Wortklauberei die Juden als hart, lieblos und rachdurstig hinstellen, während die Christen total nett sind, keine Missionare mehr aussenden, um andere Gehirne zu manipulieren, und immer die andere Backe hinhalten, wenn auf die eine gehauen wird, so, wie man es von den christlichen Kreuzrittern im Irak jeden Tag sieht.
Und auch Habemas enttäuscht schwer. Er sagt schlicht: Gott ist nicht tot. Stimmt ja auch, weil es auch noch Opium gibt. Und Religion ist bekanntlich das Opium für's Volk. Man muss ihm zustimmen, dass man "Glauben" nicht "vernünftig" erklären kann. Aber wer will das schon außer der feministischen Theologie, dem Volkssturm der Verehrer höherer Wesen? Natürlich spielt der Philosoph auf die säkulare Religion des Kommunismus an, wenn er sagt, dass niemand behaupten dürfe, er habe die Lösung alles Weltprobleme, den Weg zum allgemeinen Guten, Schönen und gefunden und die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber das sind olle Kamellen.
Wenn ich Ratzinger und Habermas so lese, fällt mir immer ein Zitat meines Haus- und Lieblingsphilosophen Lichtenberg ein, der mit den Pfaffen gemeinhin keine Kompromisse einging: "Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein wird, einen Gott zu glauben als heutzutage Gespenster." Philosophie heute ist, wenn etwas so abstrakt formuliert wird, dass nur noch das Feuilleton glaubhaft versichern kann, davon etwas verstanden zu haben.
Die Katholen legen das vage Herumeiern Habermas' natürlich allzugern in ihrem Sinne aus, auch wenn sie dem Philosophen dabei das Wort fast im Munde verdrehen müssen. Kath.net fasst die Argumentation so Zusammen. "Es sei ein Irrtum gewesen, den (zeitweiligen) Rückzug des Religiösen in den Raum des Privaten als automatischen Verlust an Bedeutung und Einfluss 'in der Arena der Politik, der Kultur und der Gesellschaft“ oder auch für die persönlichen Lebensentwürfe zu deuten und zu verkennen. (...) Die säkulare Vernunft müsse dabei auf den Unterschied zwischen den Sicherheiten des Glaubens und dem Anspruch kritischer Überprüfbarkeit ebenso bestehen, wie sie sich Rechenschaft ablegen müsse über ihre eigene Herkunft aus der jüdisch-christlichen Tradition."
Letzteres ist so selbstverständlich wie die These, dass der Homo Sapiens und der Affe gemeinsame Vorfahren haben. Ersteres aber nicht: Man muss ganz klar sagen dürfen, dass die Verehrung höherer und niederer Wesen finsterer Aberglauben und primitive Magie ist, die Freidenkerei, der Agnostizismus und das Heidentum, zu dem der Autor sich bekennt, die weitaus intelligentere Form des menschlichen Daseins. Das musste mal gesagt und Ratzinger der Mittelfinger gezeigt werden.
Die Bilder zeigen die Religoin der Liebe in Aktion (16. Jahrhundert, Südamerika) |