Bella Servilia

sklavenaufstände

Kleiner Literaturtipp nicht nur für die hier mitlesenden Althistoriker, sondern vor allem für die, die sich einen ersten Überblick über das Thema verschaffen wollen: Mathias Pfeiffer „Bella Servilia – Die großen Sklavenaufstände der römischen Republik im Fokus moderner Theorien sozialer Bewegungen
Soziologische Theorie als Instrument der Altertumswissenschaft?“ (Magisterarbeit 2008). (Bei grin.com kostet das Pdf nur 99 Cent.)

Der Ansatz ist interessant – und ganz schön anspruchsvoll für eine Magisterarbeit. Pfeiffer spart auch nicht mit bissigen Seitenhieben auf sowohl die Soziologen als auch die Althistoriker, weil es offenbar schwierig es, die Disziplinen zur Kooperation zu bewegen. Die gut 100 Seiten starke Arbeit gibt auch einen aktuellen Literatur-Überblick.

Der Stellenwert der Sklaverei bei der Römern und die demographischen Relationen zwischen Freien und Unfreien scheinen es zu rechtfertigen, von einer „Sklavengesellschaft“ zu sprechen. Bei einer Gesamtbevölkerung in Italien von ca. sieben Millionen sei in den letzten beiden Jahrhunderten der Römischen Republik die Zahl der Sklaven von etwa 500.000 um das Vierfache auf zwei Millionen angestiegen. (Pfeiffer bezieht sich auf Ingomar Weiler)

Oha!? Sollte etwa Marx (der den Begriff „Sklavenhaltergesellschaft“ geprägt hat) doch recht haben? (Sehr interessant hierzu s. 44ff.) Irgendwann kann man natürlich als ernst zu nehmender Wissenschaftler nicht einfach an den Fakten vorbeiargumentieren




Zur emergenten Methode und produktive Kräfte

roman family
Gemälde aus Pompeji, jetzt im Museo Archeologico Nazionale (Neapel): Ein Bankett oder eine familiäre römische Zeremonie

Das neue Jahr sollte mit hochgestochener Wissenschaft beginnen um ein Zeichen zu setzen. Ich wurde angeregt durch die Kommentare der wohlwollenden Leserschaft, ein paar Worte zur Methode zu formulieren. Außerdem habe ich das höchst interessante und originelle Buch Egon Flaigs Ritualisierte Politik – Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom jetzt gelesen und kann einige Argumente nachlegen.

1. Ich schrieb am 05.11.20: Zu Spartacus und den Sklavenaufständen hatten einige marxistische Historiker die These aufgestellt, dass der Wechsel von der Republik zur „Kaiserzeit“ von den ritualisierte politikHerrschenden unter anderem als Option gewählt wurde, weil sie Angst vor weiteren Aufständen gehabt hätten und eine Ökonomie, die massenhaft auf Sklavenarbeit beruht, nicht mehr effizient genug gewesen sei.

Der erste Teil dieser These ist eindeutig falsch, durch keine Quellen belegt und beruht vermutlich auf Wunschdenken. Ich neige mittlerweile sogar dazu zu behaupten, dass der Klassenkampf zwischen den Freien und den Sklaven nicht der bestimmende für den Charakter der Sklavenhaltergesellschaft war, sondern der zwischen den „Ständen“ der Senatoren und Rittern einerseits und den Freien, insbesondere den Bauern, andererseits. Man muss auch bedenken, dass sich der ökonomische Charakter des römischen Reiches von den Punischen Kriegen bis zu Justinian – also fast 800 Jahre! – nicht wesentlich änderte. Die Rebellion des Spartacus fand aber schon im 1. Jahrhundert v. Chr. statt. Danach sind zwar zahlreiche kleinere Sklavenaufstände bekannt, aber keiner, der das Imperium oder gar die Form der Klassenherrschaft real bedrohte.

Im Klippschulen-Marxismus heißt es: Engen die Produktionsverhältnisse die Entwicklung der Produktivkräfte ein, so geraten beide in Widerspruch zueinander. Es folgt eine sozialen Revolution, die die Produktionsverhältnisse und den juristischen und politischen Überbau umwälzt. Gab es am Ende der Sklavenhaltergesellschaft, die hier mit dem Römischen Reich identisch ist, eine soziale Revolution, die irgendetwas umwälzte? Ich sehe keine. Es kommt aber darauf an, was man unter „Revolution“ versteht.

Egon Flaig schreibt: „Nicht bedachte oder tatsächlich unabschätzbare Folgen ergeben sich unentwegt aus menschlichen Handlungen; sie gehören zum Phänomen der Emergenz: Neues taucht auf, ohne dass richtig zu erkennen wäre, woher es eigentlich kommt. Die objektive Folgewirkung eines Ereignisses und die Bedeutung, die ihm in den Augen der Akteure anhaftet, driften in der Regel auseinander.“

Man kann also eine Revolution machen oder erleben, ohne es zu wissen. Für das Römische Reich heißt das: Massenhafte Sklavenarbeit wurde in der Spätantike ökonomisch immer unwichtiger oder sogar unprofitabel, ohne dass das jemand geplant oder vorhergesehen hätte. Das hatte aber mehrere Gründe, u.a. den Zusammenbruch der überregionalen Absatzmärkte für die Produkte der Latifundien. Man kann vermuten, dass bäuerliche Arbeit im Kolonat und später und feudalen Verhältnissen schlicht effektiver war als die Arbeit von Sklaven.

Eine Tendenz ist unstrittig: Die freien Bauern im Römischen Reich – zu Beginn dessen Basis – wurden mehrheitlich komplett ruiniert und ihres Landes beraubt. Das kann man vergleichen mit der Landflucht während der Industrialisierung in Europa: Der Kapitalismus braucht Menschen, die nichts mehr besitzen als ihre Arbeitskraft – das ist die klassische Definition des Proletariats. Im Spätfeudalismus hieß das Bauernlegen – nur dass die enteigneten Bauern nicht in die Städte abwandern konnten, sondern unter die Fuchtel der immer mächtigeren Feudalherrn gerieten. Erst die Entwicklung der Produktivkräfte in der Industriellen Revolution schuf für landlose Bauern eine Alternative.

roman mosaic
Römisches Bankett nach der Jagd, aus der Villa Romana del Casale in Sizilien

Zur Methode: Man kann Zufälle nicht als den treibenden Motor der Geschichte ansehen. (Ich will jetzt nicht die Schlacht von Salamis diskutieren.) Es hat auch im römischen Reich zum Beispiel immer wieder Seuchen gegeben wie etwa die Antoninische Pest; aber die haben den Lauf der Geschichte nicht wesentlich geändert, obwohl die Pandemie vermutlich mindestens 20 Prozent der Gesamtbevölkerung auslöschte. Auch die Pest im 14 Jahrhundert und der 30-jährige Krieg haben die Produktionsverhältnisse nicht umgewälzt. (Das gilt auch für „Klimaänderungen“ oder Vulkanausbrüche.)

An drei Orten kann das römische Volk am meisten sein Urteil und seinen Willen bezüglich der Res publica äußern: bei den Informationsveranstaltungen (contiones), bei den Stimmversammlungen (comitia) sowie bei den ludi und bei Gladiatorendarbietungen. (Marcus Tullius Cicero: Pro Sestio (56 v. Chr.)
Lateinisch ist hier viel kürzer und eleganter: Etenim tribus locis significari maxime de re publica populi Romani iudicium ac voluntas potest, contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu.

2. Ich fragte mich selbst: „Republik“ oder „Militärdiktatur“ – sind das nur zwei Formen derselben Herrschaft, wie auch die „Demokratie“ und der „Faschismus“ beide Formen der Klassenherrschaft im Kapitalismus sind?

Die Antwort ist eindeutig ja! Fraig schreibt: „Die römische Republik ist untergegangen, weil die politischen Institutionen zusehends wehrloser wurden gegen die Konzentration riesiger Machtpotentiale in den Händen einzelner Nobiles. (…) Im Rom ließen sich ökonomische Ressourcen mühelos in soziale Macht verwandeln, das Klientelsystem eignete sich dafür bestens. Wo aber machten römische Aristokraten ihre größten ökonomischen Gewinne? Nicht in der Landwirtschaft und nicht im Handel, sondern bei der Verwaltung von Provinzen und im Kriege. Die Kriegsbeute war erheblicher als die Gewinne, die ein Statthalter normalerweise aus seiner Provinz herauszog. Mit ihr erwarb der Feldherr schlagartig Reichtümer in einem solchen Umfang, dass andere Senatoren keine Chance hatte, durch eine allmähliche Optimierung ihrer landwirtschaftlichen Einkommen den Vorsprung aufzuholen.“

Je weiter der römische Imperialismus sich ausdehnte, um so mehr untergrub er also die Basis der traditionell herrschenden Klasse der Senatoren. Der Senat verlor die Kontrolle über den Staat, aber nicht zugunsten der Plebs – sein klassischer Gegenpart in den Frühzeiten der Republik. „Als die Kräfteverhältnisse sich zuungunsten des aristokratischen Leitungsgremiums verschoben, profitierten vielmehr herausragende Adlige, die riesige Ressourcen ansammelten , wie z. B. Marius, Sulla, Pompeius und Caesar…“

Die Herrschaft eines Imperators (also de facto eine Militärdiktatur) ist daher die effektivste Form der Klassenherrschaft der römischen Sklavenhaltergesellschaft und musste zwangsläufig irgendwann eintreten – eine Republik ist eher eine „Ausnahme“. Nach der Lektüre Flaigs, dessen Ansatz und zentrale Thesen ich hier gar nicht analysieren kann, habe ich den Eindruck, dass die Republik nur eine Art Nährboden war – von einer ursprünglich tribalistischen Bauernrepublik bis hin zur Militärdiktatur mit massenhafter Versklavung von Kriegsgefangenen und Schuldnern und deren Einsatz in der Produktion.

In der marxistischen Diskussion wurde vereinzelt auch die Frage gestellt, ob die antike Sklavenhaltergesellschaft zwangsläufig erforderlich sei als Vorstufe des Feudalismus, oder ob sich feudale Gesellschaften auch ohne diese „Vorstufe“ zum Kapitalismus entwickelten könnten? Daraus folgt die Frage, ob die Tatsache, dass der Kapitalismus sich zuerst in Mitteleuropa entwickelt habe, kein historischer „Vorsprung“ war und auch kein Vorteil in Richtung Sozialismus? Man sieht natürlich heute, dass die Annahme, der Sozialismus würde eben darum zuerst in Europa siegen, falsch war.

Mein Argument, nur als Arbeitshypothese: Die Sklavenhaltergesellschaft des römischen Reiches schuf die „besten“ Voraussetzungen für den Ruin der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und somit für deren Abhängigkeit vom Grundherrn – die Basis des entwickelten Feudalismus. (Man müsste das anhand der chinesischen Geschichte verifizieren oder falsifizieren – da kenne ich mich aber zu wenig aus.)

gladiatoren
Gladiatorendarstellung auf einem Mosaik in Leptis Magna, heutiges Libyen, etwa 80 bis 100 n. Chr.

Noch ein Detail – ich musste meine Meinung zu den Gladiatoren ändern. Flaigs These: Die Spiele und die Kämpfe der Gladiatoren hatten rituellen und einen politischen Charakter. Spiele waren ein Barometer, das die aktuelle Popularität der Senatoren anzeigte. Sie waren genauso wichtig wie die contiones und die Stimmversammlungen comitia. Die Gladiatoren galten als exemplum römischen Verhaltens – die sozialen Regeln wurden durch eine Art Referenzkultur eingeübt und durchgesetzt (der Vergleich mit dem britischen Common Law liegt nahe).

„Die Verfemten und Ausgestoßenen fungierten als lebendige mnemische Zeichen, Eben die Verfemten, deren Leben eigentlich verwirkt war, führen nun ein Verhalten vor, das von römischen Werten gesteuert wurde, von Disziplin, Technik, Gehorsam und Todesverachtung. Ausgestoßene und Kriminelle inszenierten römische Werte, choreografierten römische Tugenden. (…) Tierkämpfe (venationes) Hinrichtungen und Gladiatorenkämpfe wurden wahrscheinlich erst am Ende der Republik zu einem kanonischen Ensemble kombiniert, in welchem – nach Tageszeichen geschieden, die römische Ordnung sich darstellt. Morgens bei der Tierhatz als siegreicher Kampf der Kultur gegen die Natur, mittags bei den Hinrichtungen als schonungslose Ausmerzung der nicht integrierbaren Feinde, diese Ordnung nach nachmittags bei der Gladiatur als disziplinierender Rahmen, innerhalb dessen Verfemt und Geächtete eine Chance hatte, unter Einsatz ihres Lebens sich vor einer versammelten Öffentlichkeit zu bewähren.“

Die historische Realität war – wen wundert’s – anders als in ausnahmslos allen Gladiatorenfilmen: Die meisten Gladiatoren überlebten die Kämpfe, obwohl manche fast nie siegten. „Georges Ville hat geschätzt, dass im ersten Jahrhundert ein Gladiator pro Kampf im Durchschnitt eine 80-prozentige Chance hatte, zu überleben, allerdings verschlechterten sieh die Chancen im dritten Jahrhundert, wo sie durchschnittlich nur noch 50% betrug.“ Es gibt keinerlei Hinweise oder Quellen, dass das Publikum jemals unterschiedlicher Meinung gewesen ist, ob ein Besiegter begnadigt wurde oder nicht – das ist merkwürdig und muss erklärt werden: „…die römische Plebs verfügte über keine Organe und kein Forum, wo sie ihren politischen Willen in einem institutionalisierten Kommunikationsprozess hätte bilden können. Doch im Amphitheater konnte sie das tun.“ Es war also das Gegenteil der Comitien: „Dort legte der Magistrat eine rogatio vor, das Volk stimmte zu und führe mit der Zustimmung ein iussum populi, einen Volksbeschluss herbei; im Amphitheater richtete das Volk seine Bitte an den Spielgeber (…), das Volk stellt mit dieser Bitte einen Antrag, eine rogatio, an den Spielgeber; der stimmte normalerweise zu…“ Der Spielgeber musste bestätigen, dass er mit den Grundwerten der römischen Bürger übereinstimmte.

Das Ritual änderte sich natürlich im Lauf der Jahrhunderte. Caesar zum Beispiel befahl, dass besiegte Gladiatoren schlicht die Arena zu verlassen hatten, auch wenn das Volk deren Tod wollte – er sparte sie für weitere Kämpfe auf. Wie wichtig das Ritual des Gladiatorenkampfes war, beweist, dass Augustus ein Gesetz erließ, das Kämpfe verbot, die keine Begnadigung (missio) vorsahen. Die Senatoren kämpfen auch verbittert dagegen, dass Adlige als Gladiatoren auftraten. Kaiser Tiberius erließ sogar ein Gesetz, dass dafür die Todesstrafe vorsah, auch für die Verwandten des Adligen, der es übertreten hatte. Flaig spricht von einem „Kulturkampf“ in Rom gegen die Hellenisierung der Gladiatorenkämpfe. Nur Kaiser Nero sah das anders, er gestaltete „….gezielt den sozialen Rahmen de Rituals um. Er scheiterte letztlich an der stadtrömischen Bürgerschaft, welche sich den kulturellen Zumutungen des Kaisers erbittert widersetzte. Der Kampf um die politische Symbolik der römischen ludi endete mit einer totalen Niederlage der Hellenisierer.“

Die Gladiatorenkämpfe nahmen erst in der späten Kaiserzeit ab; die Bürger des Reiches hatten zunehmend Angst um ihre zivile und politische Sicherheit, „so wurde ihnen der öffentlich inszenierte tödliche Kampf inmitten einer befriedeten Gesellschaft immer unzumutbarer.“ Das Christentum gab den Gladiatoren und auch den Tierkämpfen den Rest.




Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil 2]

prinzipat

[Fortsetzung der Rezension des Buchs von Armin Eich Die römische Kaiserzeit: Die Legionen und das Imperium.]

Ich muss die althistorisch interessieren Leserinnen und die der Antike aus marxistischer Sicht kundigen Leser um Nachsicht und Geduld bitten: Je mehr ich zum Thema recherchiere, um so komplizierter wird es. Das Folgende ist also eher ein Exzerpt mit Notizen und work in progress.

Zum Erinnern: Die Eigentümer der villae waren die dominante soziale Klasse des Imperiums. (…) Die Gesamtzahl (…) ist auf etwa 200.000 bis 250.000 Personen geschätzt worden. Diese lokale Grundbesitzeraristokratie profitierte von der Schaffung des imperialen Friedensraumes, der einen weitgehend ungestörten Handelsverkehr zwischen weit auseinanderliegenden Regionen ermöglichte.

Die Zeitspanne, die Armin Eich behandelt, umfasst mehr als 250 Jahre, von der Machtergreifung des Imperators Augustus bis zum letzten Soldatenkaiser Marcus Aurelius Carus, kurz vor der Diocletianischen Ära.

Will man langfristige Tendenzen analysieren, steht man vor dem Problem, dass es natürlich niemals einen „Masterplan“ der jeweiligen Vertreters der herrschenden Klasse gab, was zu geschehen hätte. Man kann ebensowenig behaupten, dass Bismarck hätte vorhersehen oder gar planen können, wie der Kapitalismus ein Jahrhundert nach seinem Tod aussehen würde.

Zwei Dinge kann man aber unstrittig feststellen:

– Die Produktionsverhältnisse blieben unverändert; genauso funktionierte die Verwaltung inklusive der Steuern ungeachtet dessen, ob gerade eine Marionette des Senats Kaiser war wie der 13-jährige Severus Alexander, oder ob die Kaiser so schnell wechselten, dass in den entfernten Provinzen des Kaiser niemand wer wusste, wer in Rom das Sagen hatte, oder ob der Kaisertitel an den Meistbietenden verhökert wurde – wie an Didius Julianus.

– Die soziologische Zusammensetzung der herrschenden Klasse änderte sich: Waren in Zeiten der Republik und noch in der Ära des Augustus die Senatoren, also die Großgrundbesitzer, die auch politisch bestimmenden Funktionsträger, wurden die Klassenschranken zunehmend löchrig: nicht nur die Ritter konnten höchste Ämter – wie etwa Präfekt einer reichen Provinz – erreichen, sondern auch Emporkömmlinge und sogar freigelassene Sklaven.

…banden die Imperatoren die Sklaven und Freigelassenen ihres privaten Haushalts großzügig in Regierungsaufgaben ein. Sehr früh wird das bei den Rechnungsleitern des kaiserlichen Haushaltes, den a rationibus, deutlich. Die öffentlichen Kassen, von dem zentralen aerarium in Rom bis zu den Provinzialfisci, hatte Augustus unter der Leitung senatorischer oder ritterlicher Geschäftsträger belassen. Doch das System dieser öffentlichen Kassen hatte stets darunter gelitten, dass es keine Gesamtbilanz und keine zentrale Buchhaltungsstelle gab. Die Gesamtberechnung des staatlichen Haushalts konnte Augustus daher leicht an sich ziehen und übertrug sie den spezialisierten Freigelassenen und Sklaven seines eigenen Haushalts. Dies war die Keimzelle eines eigenständigen Finanzressorts.

Die Kaiser bauten ihre Macht und die ihres eigenen Apparats politisch und ökonomisch immer weiter aus – mit Hilfe der eigenen Klientel, strukturell vergleichbar etwa mit den feudalen Ministerialen. Kaiser Aurelian setzte durch, dass nur der Imperator Münzen prägen durfte (mit wenigen Ausnahmen). Ein im Ansatz „modernes“ Steuersystem bekam das Römische Reich aber erst unter Diocletian – mit der Capitatio-Iugatio im Jahr 287 n. Chr..

Exkurs:
Von Geoffrey Ernest Maurice de Ste. Croix hatte ich bis jetzt noch nie etwas gehört.

Sein Standardwerk der marxistischer Geschichtswissenschaft Class Struggle in the Ancient Greek World – „From the Archaic Age to the Arab Conquests“ erschien 1981. class struggle

Das Buch wurde bis jetzt nicht in Deutsche übersetzt. Das ist vermutlich kein Zufall: St. Croix‘ Interpretation der Geschichte entspricht nicht der offiziellen Parteidoktrin im Ostblock, und hierzulande ignoriert man grundsätzlich alles, was auch nur nach Marx riecht. Im Vergleich etwa zu Frankreich oder Großbritannien geht Deutschland damit einen lächerlichen Sonderweg, der nur beweist, dass hierzulande die Wissenschaft eben nicht „frei“ ist, obwohl nicht direkt zensiert wird. Der gewünschte Mainstream setzt sich automatisch durch.

Wer an einer deutschen Universität marxistisch argumentiert, darf sicher sein, keinen Job zu bekommen – und schon gar keine Professur. Das steht nirgendwo so geschrieben, ist aber dennoch wahr.

Armin Eich etwa hat sicher seinen Marx gelesen – das merkt man an manchen Stellen, auch am Titel seiner leider nicht erhältlichen Monografie „Die politische Ökonomie des antiken Griechenland“, hütet sich aber, Einschlägiges zu zitieren. Sein Buch ist dennoch hervorragend und wäre von Marx sicher über alle Maßen gelobt worden.

Die römischen Bürger hatten immer steuerliche und strafrechtliche Vorteile genossen. Das änderte sich, nachdem der Imperator Caracalla 212 n. Chr. fast der gesamten Bevölkerung des Reiches das römische Bürgerrecht verlieh. Danach bedeutete dieser Status immer weniger. Stattdessen trat die im Strafrecht verankerte Unterscheidung zwischen „ehrenwerten“ (honestiores) und „geringeren“ (humiliores) Bürgern stärker in den Vordergrund. (…) Ein humilior war nicht einmal vor dem Verlust der Freizügigkeit geschü+tzt und konnte beispielsweise gezwungen werden, nach Abschluss eines Pachtvertrages, lebenslang in dem betreffenden Pachtverhältnis zubleiben und seine Pachtstelle nicht zu verlassen.

Paradoxerweise führte die Verleihung des Bürgerrechts an mehrere Millionen Menschen dazu, dass die weniger Vermögenden und Armen immer ärmer wurden und immer weniger Rechte besaßen. Der schon zu Zeiten der Republik tobende Klassenkampf zwischen Großgrundbesitzern und kleinen Bauern verschärfte sich noch, weil immer mehr kleinere Landwirte sich verschuldeten oder sogar ihr Land verlassen mussten und sich unter die Herrschaft eines Großgrundbesitzers begeben mussten (vgl. Kolonat.) Das ist immer und überall so, sogar im Kapitalismus: Je mehr in Landwirtschaft investiert werden muss, um einen ausreichenden Ertrag zu erzielen, der das Subsistenzminimum überschreitet, also auf dem Markt, um so mehr dünnt sich die untere Schicht aus, um so mehr konzentriert sich der Profit bei den Besitzern der großen Güter.

Ich schrieb 2016: „Die „Produktivkäfte“ bedeuten am Ende der Republik: Die Bauern wurden ruiniert zugunsten der Großgrundbesitzer mit deren Latifundien. Die Produktion für den immer größer werdenden städtischen Markt verlangte nach „industrieller“ Massenproduktion. Dafür setzte man immer mehr und öfter Sklaven ein; gleichzeitig wanderten ruinierte Bauern und Landlose in die Städte ab.“

römische Kaiser
Credits: Daniel Voshart/medium.com (Photoreal Roman Emperor Project)

Der Klassenkampf der Sklaven war zwar immer präsent, aber seit Spartacus im 1. Jh. vor Chr. erreichte er nie Ausmaße, die die herrschende Klasse gefährdeten. Es gab aber andere, wegen der desolaten Quellenlage weitgehend unerforschte Aufstände vor allem von landlosen Bauern, aber auch entflohenen Sklaven, die immer wieder ein geballtes militärisches Eingreifen nach sich zogen. Im 3. Jahrhundert zog der „Räuberhauptmann“ Felix Bulla durch Italien, zu dessen Gefolgschaft auch ehemalige Sklaven gehörten. Viel bedrohlicher waren zur gleichen Zeit und bis in die Zeit des Konstantin die Bagaudae, bewaffnete Bauern und Hirten („peasant insurgents“ laut Wikipedia) in Gallien und Hispanien.

Nebenaspekt: Im 3. Jahrhundert wurde das Christentum eine staatlich geförderte Religion.

Achim Eich dazu: „Christen sollten, nach den Vorstellungen des Paulus, so in der Welt leben, „als ob sie nicht in ihr lebten“*, d.h. die Institutionen des Staates und seiner Untergliederungen sollten gegenüber den neuen, „kirchlichen“ keine ernsthafte Bedeutung haben. Demgegenüber hat die bekannte Formel des Römerbriefs, dass jede Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, lediglich pazifizierenden Charakter: Sie entspricht der allgemeinen Tendenz der frühen Kirchenlehrer, sozialrevolutionären Bestrebungen innerhalb der jungen Bewegung durch Ermahnungen vorzubeugen.“

Das Christentum änderte also nichts an den Produktionsverhältnissen oder minderte auch nicht die Zahl der Kriege. Der Monotheismus der christlichen Art blieb (trotz Julian) diejenige Religion, die der herrschenden Klasse am meisten nützte, sowohl in der so genannten „Spätantike“ und besonders im Feudalismus. Ein Aspekt ist sicher, dass die potenziell sozialrevolutionäre Sehnsucht nach „Erlösung“ sozusagen „verstaatlicht“ und somit vorab unschädlich gemacht wurde.**

Eich dazu: „Die von Decius, Valerian und später Diocletian (284-305 n. Chr.) angestrebte religiöse Gleichschaltung der Reichsbevölkerung wurde mit nachhaltiger Konsequenz erst von den Nachfolgern Konstantins vorangetrieben, paradoxerweise doch unter christlichen Vorzeichen.“

Ich schrieb im ersten Teil über die „klassische imperialistische Eroberungsstrategie und anschließend die fiskalische Erschließung der neuen Territorien“: „Die Römer wollten also auch ihre Produktionsordnung per Gewalt exportieren.“ Diese Strategie, von der die Besitzer der villae profitierten – solange keine Niederlagen drohten – konnte im 3. Jahrhundert, während der so genannten „Reichskrise“, nicht mehr effektiv verfolgt werden. Ein Grund ist sehr einfach: Die „Barbaren“ hatten die römische Militärtechnik adaptiert, die Parther und später die Sassaniden waren der römischen Infantrie mit den Kataphrakten – der Vorform mittelalterlicher Panzerreiter – sogar überlegen gewesen, so dass die Römer ihrerseits die Form der Kriegsführung übernahmen. Auch wurden die Legionen, vor allem seit dem 4. Jahrhundert, ständig verkleinert, von gut 5.000 Mann bis zu nur noch 1.000. Das machte natürlich Sinn, falls wieder mal eine Heeresabteilung auf die Idee gekommen wäre, ihren Kommandeur zum Gegenkaiser auszurufen. Um 214 v. Chr. gab es keine Provinz mehr, in der mehr als zwei Legionen stationiert waren.

Ich kann und will mich nicht mit der Frage befassen, warum das Römische Reich untergegangen ist. Vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig: Viel interessanter ist, dass die Arbeit unfreier Bauern bzw. Kolonen effektiver war als die von Sklaven auf Latifundien. Die Dreifelderwirtschaft zum Beispiel, die sich erst im 12. Jahrhundert durchsetzte, war effektiver als die römische Landwirtschaft. Die Römer haben auch das Kummet nicht erfunden und spannten Ochsen statt Pferde vor den Pflug, was weniger effektiv war. Die Sklavenhaltergesellschaft war kein Erfolgsmodell mehr, vielleicht auch, weil mit dem Zusammenbruch der überregionalen Märkte des Mittelmeerraums und der Städte die vorindustrielle Massenproduktion nicht mehr gefordert war.

___________________________________
* Ein Phänomen, das auch vom aktuellen Islam in kapitalistischen Ländern zu beobachten ist.
** Da der Islam keine Kirche kennt, konnten sich in der Geschichte oft Klassenkämpfe und Rebellionen der buntscheckigsten Art mit dem Islam leichter kostümieren, zum Beispiel beim Mahdi-Aufstand im heutigen Sudan.




Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil 1]

Plötzlich ist das Thema aktuell: Wenn nicht geregelt worden ist, wie die Macht an den jeweils nachfolgenden Vertreter der herrschenden Klasse übergeben wird, ist alles möglich. prinzipat

Ich hatte eine Rezension des ganz hervorragenden Buchs von Armin Eich Die römische Kaiserzeit: Die Legionen und das Imperium hier schon angekündigt. Vorab sei den Nachgeborenen aber erklärt, warum man sich mit so einem exotischen Thema beschäftigen sollte bzw. muss.

Erstens ist das Buch ein gut lesbares Standardwerk und insofern einzigartig, weil es die ökonomischen Grundlagen der Macht im antiken Rom dokumentiert, was sonst nirgendwo so analysiert wird. Wer sich so, wie ich, für die Sklavenaufstände der Antike interessiert, muss auch wissen, wie die Ökonomie der Herrschaft funktioniert.

Zweitens: Weil bei dem Thema auch gleich viele andere Fragen folgen, als da zum Beispiel wären: Warum wählten die herrschenden Klassen Roms eine Gesellschaftsform, die dazu führte, dass eben die, die daraus Vorteile zogen, sich ununterbrochen gegenseitig massakrierten – also nicht nur während der Bürgerkriege vor dem früher so genannten Prinzipat bzw. des Augustus, sondern auch danach? Ist das nicht unpraktisch oder gar „masochistisch“? Ging es nicht anders, und warum nicht? Warum ist das im Kapitalismus anders?

Exkurs:
Wer die „Klassiker“ des Marxismus als ewige Wahrheit nutzt und nur deren heilige Bücher zitiert, ist dumm und würde von Marx ausgelacht. Marx‘ Kenntnisse der „Sklavenhaltergesellschaft“ fußten weniger auf antiken Quellen, sondern auf oft falschen Analogien, die er aus der US-amerikanischen Sklaverei in den Südstaaten zog. [Dazu gibt es ein hervorragendes Buch von Wilhelm Backhaus: Marx, Engels und die Sklaverei. Zur ökonomischen Problematik der Unfreiheit.]
Auch Friedrich Engels lag meines Erachtens falsch, wenn er in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates schrieb: „So war der antike Staat vor allem Staat der Sklavenbesitzer zur Niederhaltung der Sklaven…“ So einfach ist es nicht, zumal es „den antiken Staat“ rund 800 Jahre lang gab, aber keineswegs zwingend und immer eine Dominanz einer Wirtschaftsform, die auf der Arbeit von Sklaven beruhte. Man muss aber zugeben, dass sogar die ärmsten römischen Bürger sich einen oder zwei Sklaven leisten konnte. Sie hatten damit ein gemeinsames Interesse mit ihren Klassengegnern, dern großen Grundbesitzerń, die die kleinen Bauern ruinierten.
Zu Spartacus und den Sklavenaufständen hatten einige marxistische Historiker die These aufgestellt, dass der Wechsel von der Republik zur „Kaiserzeit“ von den Herrschenden unter anderem als Option gewählt wurde, weil sie Angst vor weiteren Aufständen gehabt hätten und eine Ökonomie, die massenhaft auf Sklavenarbeit beruht, nicht mehr effizient genug gewesen sei.
Ich schrieb: Man könnte die These aufstellen, dass der Wandel des „Überbaus“ von der Republik zur Diktatur des Kaiserreichs vor allem durch den Klassenkampf der Sklaven verursacht wurde. Die These halte ich bis jetzt für ziemlich wackelig und nicht verifiziert, zumal noch andere Klassen mitmischten – freie Bauern etwa und verschiedenen Fraktionen der Herrschenden, zum Beispiel die eques Romanus, die jeweils gegensätzliche Interessen hatten.

römische Legion
Römische Legion auf dem Marsch (aus „Ben Hur“)

Um 29 v.u.Z. endet die Phase der Bürgerkriege, die zwei Jahrzehnte gedauert hatte. Gaius Octavius, später: „Kaiser“ Augustus, war als Sieger aus dem Gemetzel hervorgegangen. Als Großneffe des legendären Julius Caesar hatte er Anspruch auf dessen riesiges Privatvermögen. Die Römische Republik endete nach rund 400 Jahren; jetzt begann das so genannte Prinzipat. Das ist aber nichts anderes als eine Militärdiktatur: Die Machtbasis des Imperators ruhte nicht mehr auf der Legitimation durch Senatus Populusque Romanus, sondern auf der Armee.

Frage: „Republik“ oder „Militärdiktatur“ – sind das nur zwei Formen derselben Herrschaft, wie auch die „Demokratie“ und der „Faschismus“ beide Formen der Klassenherrschaft im Kapitalismus sind?

Die Republik hatte weitgehend nach einer Art Gewohnheitsrecht funktioniert. Die herrschende Klasse der Senatoren- und Ritterfamilien definierte sich über den (Grund)Besitz und kungelte die Ämter unter sich aus, mit denen man reich werden konnte. Die Plebejer, vor allem Handwerker und Bauern, hatte in zum Teil blutigen und ebenso vier Jahrhunderte dauernden Klassenkämpfen gewisse Rechte erreicht; ihre Volkstribune waren zum Beispiel „Beamte“ des Staates. Es gab in der Republik keine Berufsarmee.

Schon während der Bürgerkriege waren aber die Soldaten auf die jeweiligen Befehlshaber eingeschworen worden. Der spätere Alleinherrscher Augustus stützte sich hierauf: Doch Gaius Octavius hatte niemals Skrupel, eben diese urwüchsige Treue der „caesarischen“ Soldaten zur Eroberung einer militärisch abgesicherten Machtposition zu nutzen. Diese Veteranen hatten zudem in ersten Linie von den Vertreibungen und Enteignungen im Italien der 50er und 30er Jahre profitiert, so dass ein Band des Komplizentums den jungen Kriegsherrn und seine bewaffneten Leute aneinanderknüpfte. Im Falle seines Sturzes hätten die Veteranen ihren Raub kaum behaupten können.

Die Senatoren hätten die faktische Alleinherrschaft des Augustus nur um den Preis des erneuten Bürgerkriegs in Frage stellen können. Sie mussten das Spiel mitspielen, dass die Institutionen der Republik, die einstige Basis ihrer Klassenherrschaft, pro forma erhalten blieben, aber so ausgehöhlt wurden, dass man noch nicht einmal von einer „Mitbestimmung“ reden konnte. Der neue Prinzeps legitimierte sich in Zukunft durch eine Art Notstandsrecht, das die Senatoren selbst vorschlagen mussten. Er durfte gegen alles, was der Senat vorschlug, sein Veto einlegen. Armin Eich schreibt süffisant: Da nur wenige Monate zuvor die allgemeine Befriedung (..) mit großem Aufwand gefeiert worden war, war die Begründung für den Staatsnotstand, der jetzt verkündet werden sollte, eine semantisch anspruchsvolle Aufgabe. (…) Die Notstandsfiktion gab hingegen Gelegenheit, Bürger und Untertanen an das „Doppeldenken“ der neuen Zeit zu gewöhnen: Augustus war zur selben Zeit Friedensherrscher und erfolgreicher Feldherr an zahlreichen Fronten…

Augustus erhielt durch diesen „Notstand“ zahlreiche Provinzen als besonderen Kommandobereich. Dort sollte er für Frieden sorgen – „zufällig“ waren in diesen Provinzen auch die kampfkräftigsten und meisten Legionen stationiert. Und „zufällig“ wählte der neue Herrscher auch persönlich die Gouverneure aus – also die, die die Steuern dort eintrieben. „De jure“ hätte ihm der Senat die Soldauszahlungen sperren können. De facto war das jetzt irrelevant, weil Augustus die Soldaten zunächst selbst finanzieren konnte, die er brauchte, um die ehemalige herrschende Klasse in Schach zu halten. Die zeigte zwar, wie Eich das ausdrückt, eine gewissen Renitenz, blieb aber passiv: Für manche Ämter gab es gar keine Bewerber mehr, die traditionelle Oberschicht ging kaum noch Ehen ein; viele hatte keine Kinder mehr. Der Diktator verbot daher die Ehelosigkeit, und wer keine Kinder zeugte, wurde systematisch benachteiligt. Alle Bürger wurden zudem per Gesetz verpflichtet, alle zu denunzieren, die sich illoyal gegenüber dem neuen Herrscher verhielten oder sich abfällig äußerten.

Interessant wird es, wenn man die materiellen Grundlagen untersucht, die dem Wechsel von der Republik zur Alleinherrschaft einer Person zugrunde liegen. In Wahrheit herrschte der Imperator nicht „allein“; das System funktionierte nur, wenn es im Interesse aller herrschenden Klassen war. Wer aber war das jetzt?

römische Kaiser
Credits: Daniel Voshart/medium.com: Photoreal Roman Emperor Project

Der römische Historiker Cassius Dio hat das hübsch auf den Punkt gebracht:
Ich rate [dir,] der Unverschämtheit der Massen Einhalt [zu] gebieten und die Leitung der Staatsgeschäfte in deine eigenen Hände und die der Besten [zu] legen, damit die nötigen Überlegungen von den verständigsten Männern angestellt werden und die tüchtigsten Männer die Führungspositionen wahrnehmen, während der Söldnerdienst in der Armee den kräftigsten, dabei wirtschaftlich schwächsten Bürgern überlassen bleibt. Denn auf solche Weise erledigen die einzelnen Klassen eifrig die ihnen jeweils zufallenden Aufgaben. (Römische Geschichte, Buch 52)

Hunderttausende römischer Bürger waren bereit, unter Führung eines Warlords für Beute und den sozialen Aufstieg zu kämpfen. Sie waren der Rohstoff für Umstürze, der später von den Soldatenkaisern genau so instrumentalisiert wurden. Die Armee machte die bisherigen Klassenschranken durchlässiger, verpflichtete aber den jeweiligen Prinzeps, den Sold zu zahlen und für Geld und Land zu sorgen, wenn die Soldaten zu Veteranen wurden. Gelang ihm das nicht, drohte Meuterei. Indem junge Männer aus ärmeren Familien zum Militärdienst an die entlegenen Grenzen des Imperiums beordert wurden, wurden potentielle Unruhestifter (dem Kalkül zufolge) aus Italien entfernt und zudem durch militärischen Drill diszipliniert. Das innenpolitische Gewaltpotential wurde exportiert.

Woher kam das Geld? Während der Republik hatte der Staat reichlich Einnahmen, aber kaum Ausgaben, weil die Armee de facto eine Bürgermiliz gewesen war. Augustus ließ zum ersten Mal die Reichtümer des Imperiums systematisch erfassen, dazu sogar Archive bauen. Augustus erwähnt in seinem posthum publizierten Rechenschaftsbericht, dass er die zentrale Staatskasse durch Zuschüsse aus seinem Privatvermögen mehrfach vor dem Bankrott retten musste. Wenn aber der reichste Staat der Welt dauerhaft aus einer einzigen Privatkasse finanziell über Wasser gehalten wurde, dann war die Finanzlage dieses Staates offenbar nicht befriedigend.

Man ahnt schon, was jetzt folgt: Die klassische imperialistische Eroberungsstrategie und anschließend die fiskalische Erschließung der neuen Territorien. Anders hätte das gar nicht funktioniert. Der Imperator war eine „Charaktermaske“ der neuen Herrschaftsform. Sämtliche Stämme rechts des Rheins wurden attackiert und teilweise ausgerottet, sogar wenn sie Rom freundlich gesinnt waren. Auf dem heutigen Balkan wurde der pannonische Aufstand niedergeschlagen, dazu waren zeitweilig 100.000 Soldaten im Einsatz, ein Drittel der Gesamtstärke der römischen Armee. In Afrika rückten die Legionen bis in den heutigen Sudan vor. Einer der späteren Imperatoren, Trajan eroberte den Staatschatz der Daker: „Die gewaltige römische Kriegsbeute soll sich auf 50.000 Kriegsgefangene, 500.000 Pfund (165.000 kg) Gold und 1.000.000 Pfund (331.000 kg) Silber belaufen.“ Damit kann man eine Weile „wirtschaften“. (Zum Vergleich: Als die Republik 168 v.u.Z. das makedonische Reich eroberte, wurden nach antiken Quellen 700.000 (!) Menschen versklavt.)

Warum Germanien? Bauern, Jäger und Hirten waren uninteressant, die brachten keine Einnahmen. Um Zölle und Tribute an das Imperium abführen zu können, musste die Bevölkerung zunächst an die überregionalen Geldkreisläufe angeschlossen werden und dann monetäre Überschüsse erzielen, also einen Teil ihrer Ernten oder handwerklichen Produkte auf lokalen oder sogar überregionalen Märkten verkaufen. Nicht zuletzt diesem Zweck, nämlich der Bereitstellung von Marktplätzen, diente der Ausbau von städtischen Zentren… Die Römer wollten also auch ihre Produktionsordnung per Gewalt exportieren. In Germanien ging das bekanntlich schief. In Britannien erwies sich das Vorhaben als zu kostspielig, die Besetzung der Britischen Inseln war langfristig ein Zuschussgeschäft, weil zu aufwändig.

Eine der zentralen Thesen Armin Eichs: …dass die Einnahmen aus dem Imperium in der Ausdehnung der 20er Jahre v. Chr. die Kosten der neuen Berufsarmee nicht deckten und dass Augusts aus diesen Gründen eine systematische Vergrößerung des imperialen Territoriums und zugleich dessen intensivere Ausbeutung anstrebte.

roman villa
Antike Darstellung einer römischen „Villa“

Was genau meint Produktionsordnung? Niemand, der alle Sinnen beisammen hat und die wesentlichen Quellen kennt, wird bezweifeln, dass das Römische Reich eine „Sklavenhaltergesellschaft“ war. Das ist aber eine analytische ökonomische Kategorie und meint mitnichten eine bestimmte Zeitspanne, die man exakt benennen könnte. In der Kaiserzeit war rund ein Viertel der Bevölkerung versklavt. Zum Vergleich: Die Anzahl der Sklaven verhielt sich zu der Anzahl der Freien fast exakt so wie die Anzahl der klassischen Arbeiter heute zur Anzahl der anderen Erwerbstätigen.

Armin Eich erklärt die Details im Kapitel „Die soziale und politische Verfassung“. Ein Teil des imperialen Bodens gehörte dem Imperator direkt. Der wurde landwirtschaftlich genutzt oder diente dem Gewinnen von Rohstoffen. Auch die Legionen hatten Grundbesitz. Daneben existierten „Gemeindestaaten“ [wie Athen], deren Land und Forste ihnen gehörte. Der kleinste Teil des Landes war städtischer Boden. Der übergroße und die Ökonomie maßgeblich bestimmende Teil des römischen Imperiums bestand aus landwirtschaftlich genutztem Privateigentum.

Vor allem im Westen des Imperiums war die vorherrschende Nutzungseinheit die villa, ein nach italischem Vorbild gestalteter kombinierter Wohn- und Produktionsbereich, dessen agrarisch genutzte, an den Wohnbereich angrenzende Flächen sich über wenige Hektar bis zu deutlich über hundert Hektar [das sind rund 140 Fußballfelder]. Besonders verbreitet waren, jedenfalls im Nordwesten des Reiches, Größen zwischen 20 und 120 Hektar. (…) In den obersten Gesellschaftsklassen war der Besitz mehrerer verstreuter Villen üblich.

Meistens wurden diverse landwirtschaftliche Produkte angebaut, Oliven, Wein, Getreide, Obst. Manche Latifundien betrieben aber auch reine Monokultur – wie beim Weizen Siziliens und Nordafrikas oder den Oliven Spaniens. Kleine Bauern arbeiteten wegen der Konkurrenz der Großbetriebe sehr oft am Rand des Bankrotts. Waren sie überschuldet oder sahen keine Hoffnung mehr, ihren Betrieb zu halten, wurden sie, vor allem am Ende des Prinzipats, zu von einem Grundbesitzer abhängigen Pächtern, eine Vorform der späteren feudalen Leibeigenschaft.

Die Eigentümer der villae waren die dominante soziale Klasse des Imperiums. (…) Die Gesamtzahl (…) ist auf etwa 200.000 bis 250.000 Personen geschätzt worden. Diese lokale Grundbesitzeraristokratie profitierte von der Schaffung des imperialen Friedensraumes, der einen weitgehend ungestörten Handelsverkehr zwischen weit auseinanderliegenden Regionen ermöglichte.

Wird fortgesetzt.




Attentäter und Bikinimädchen usw.

somoza

Leseempfehlung für gute Laune: Un operativo histórico: cuando un comando guerrillero argentino ajustició a Somoza. Das musste jetzt sein.

Noch was Schönes: Juan Guaidó in Venezuela ist vorerst am Arsch. Und das ist gut so. Vermutlich kommt es irgendwann doch zu einer Militärinvasion, die Herrschenden in Kolumbien würden das begrüßen.

Lesebefehl bei den Ruhrbaronen: Klimaproteste: „Der Feind ist ein Hippie“. „Zur grüngutbürgerlichen Dekadenz gehört es, zu ignorieren, dass es die Menschen mit den gut bezahlten Jobs in der Industrie sind, die nicht nur die Güter herstellen, deren Export das Geld bringt, von dem all die Gemeinschaftskundelehrer, Verwaltungsbeamten und Betroffenheitswissenschaftler leben. (…) Heute feierte sich eine arrogante und zum Teil erschreckend dumme Ökobourgeoisie selbst. Der Protest ihrer Kinder, der so ist, wie Protest von Kindern nun einmal ist, gab ihnen die Gelegenheit, ihre ganze Ignoranz auf die Straße zu tragen.“

Villa Romana del Casale

Noch mehr Schönes: Die Bikinimädchen stammen aus der Villa Romana del Casale auf Sizilien. Die herrschende Klasse im antiken Rom hatte eine guten Geschmack, besser als die heutige.

Im deutschen Wikipedia gibt es dazu einen geradezu lächerlichen Satz: „Während der ersten beiden Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit hatte Sizilien unter einer Phase der Depression gelitten, hervorgerufen durch das auf Sklavenarbeit basierende Produktionssystem der Latifundien.“

Gelitten haben die Sklaven und armen landarbeiter und Bauern, nicht „Sizilien“.

Interessant ist aber, dass hier die Klassenkämpfe und was darauf folgte, durchscheinen. Ich schrieb im November 2016: „Die Bauern wurden ruiniert zugunsten der Großgrundbesitzer mit deren Latifundien. Die Produktion für den immer größer werdenden städtischen Markt verlangte nach ‚industrieller‘ Massenproduktion. Dafür setzte man immer mehr und öfter Sklaven ein; gleichzeitig wanderten ruinierte Bauern und Landlose in die Städte ab.“ Die Sklavenaufstände und andere Faktoren machten die Latifundienwirtschaft unrentabel – das bedeutet gleichzeitig: Die Diktatur der römischen Kaiserzeit war für die herrschende Klasse effektiver als die ursprüngliche formal existierende Republik aus Patriziern und Plebejern. (Historische Vergleich sind immer schief – aber der Faschismus – in welchem Kostüm auch immer – ist immer eine Option im Kapitalismus – wenn man das Volk nicht mehr anders in Schach halten kann. Das musste jetzt auch gesagt werden.)




Antike Sozialkämpfe

suebenknoten

Foto: Suebenknoten am Kopf der Moorleiche von Osterby. Credits: Wikipedia. Offenbar die Vorwegnahme einer heutigen Hipster-Frisur für Männer.

Neulich erwähnte ich Tacitus‘ Germania. Mittlerweile habe ich das Werk durchgelesen.

Danach erst nahm ich mir die Einleitung vor. Dort las ich erstaunt: Entstanden war das römische Kaisertum aus dem Bestreben der herrschenden Klasse heraus, die Gefahren von Sozialkämpfen und Sklavenaufständen zu bannen und die bestehenen Gesellschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten.

Wie meinen? Die Diskussion hatten wir schon beim Thema Spartacus. Das ist lupenrein marxistisch, wenn nicht gar materialistisch-dialektisch (oder umgekehrt) gedacht! Klassenkampf und so was.

Das Problem ist: Wie haben die zahlreichen Aufstände der Sklaven gewirkt? Was haben sie verändert? Der Aufstand des Spartacus war der größte, der am besten organisierte, aber bei weitem nicht der einzige – auch nach der Niederlage kämpften einzelne Gruppen noch jahrelang weiter. Mehr dazu hat Brent D. Shaw: Spartacus and the Slave Wars: A Brief History with Documents (2001) (leider in Englisch – aber man kann sich die von ihm zitierten Quellen in deutscher Übersetzung besorgen).

Angesichts der Sklavenaufstände wurde es für die herrschenden Klassen Roms ineffektiv und zu gefährlich, in relevanten Segmenten der Ökonomie Sklaven einzusetzen. Das lässt sich auch durch die Quellen belegen.
Wie die Römer trotz des Sieges über die Sklaven die Sklavenhaltung aufgeben mußten. Bilanz des Sklavenkrieges – Zunehmende Unrentabilität der Sklavenhaltung – Kein Nachschub mehr – Vermehrte „freie“ Arbeit – Weitere Aufstände von Sklaven und Unfreien – Zunahme der Nichtrömer im Römischen Reich – Abbröckeln der römischen Macht – Das Christentum breitet sich als Sklavenreligion aus, behindert aber bald die Sklavenbefreiung – Absterben der Sklavenhaltung im Übergang zum Mittelalter.

Das System der Sklavenhaltergesellschaft als vorherrschende Produktionsform wurde aus vielen Gründen abgeschafft, nicht nur aus Angst vor neuen Aufständen. Man könnte aber die These aufstellen, dass der Wandel des „Überbaus“ von der Republik zur Diktatur des Kaiserreichs durch den Klassenkampf der Sklaven verursacht wurde. (Bürgerliche Historiker können hier leider nicht mitreden, weil für die Klassen und Klassenkämpfe gar nicht existieren bzw. stattfinden.)

Könnte es sein, dass sich – im Jahr des Herrn 2009 – in ein Vorwort zur Ausgabe von Tacitus‘ Germania marxistische Thesen eingeschmuggelt haben, ohne dass die Leser vor so einem gefährlichen Gedankengut (Sozialkämpfe!) gewarnt werden? Muss der Verfassungsschutz das nicht beobachten? Wer ist der Verfasser?
Dieses Werk erschien erstmals als Band 100 der Sammlung Dieterich unter dem Titel: Germania. Zweisprachig. Übertragen und erläutert von Arno Mauersberger, Leipzig, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1942.

1942! Das ist ja hochaktuell und muss auch 67 Jahre nach dem ersten Erscheinen vom Anaconda Verlag in Köln gar nicht mehr verbessert werden. Har har.




Vikings, Arabs, Jews and Germans

Symbolvideo für alles

Science: C.J. Adrien hat einen ganz wunderbaren Artikel zum Thema Wikinger geschrieben: „What Was the Difference Between Danish, Norwegian, and Swedish Vikings?“

Viele Fakten, die mir – und vermutlich auch anderen – bisher unbekannt waren: Es gab nicht „die“ Wikinger.
Further confounding the subject of identity among Viking Age Scandinavians are regional differences. The Norwegian group who sacked the city of Nantes in 843, for example, referred to themselves as Vestfaldingi, or Men of Vestfold. This tells us that there were also regional differences among various groups within the context of their broader geographic affiliations. (…) Most of what we know about the Vikings both politically and culturally is derived from analyses of the Danes. Chroniclers such as Dudo, Alcuin, Saxo Grammaticus, Rimbert, Notker, among others, all focus nearly exclusively on the Danish people to form their conclusions.

Ich meinte schon immer, dass der Geschichtsunterricht in deutschen Schulen mehr europäisch, wenn nicht gar international sein müsste. Was wissen Schüler über das alte China, Über Indien, Südamerika – oder die Hochkulturen Afrikas vor dem Kolonialzeitalter? Und lernen sie wirklich etwas über das antike Griecheland, wenn man Knabenliebe und die Tatsache „vergisst“, dass die Polis eine Sklavenhaltergesellschaft war und dass zum Beispiel Sparta durch die Revolution der Sklaven unterging? (Spartacus lässt grüßen.) Ich weiß immer noch (bis zum Lesen des oben erwähnten Artikels) über die skandinavische Geschichte und deren Quellen. Die „dänischen“ Wikinger waren so gut informiert über das Geschehen in Europa, dass sie einen Gesandten an den Hof Kaiser Karls schickten. Aber hallo? Woher wussten die so gut Bescheid – und wie?
The Royal Frankish Annals recorded that the Danes sent an emissary in 782 to Charlemagne’s court, along with other Saxon leaders, to hold formal political discussions in response to the massacre of Verden, in which the Franks captured, forcibly baptized, and murdered three thousand Saxon warriors just miles from the Danish border. [Sorry, deutsches Wikipedia: Es handelte sich mitnichten um eine „Hinrichtung“ oder ein „Blutgericht“, sonder um ein Massaker oder um einen Massenmord, und Karl war weniger „groß“, sondern vielmehr blutrünstig im heutigen Sinne.]

Science: Stepfeed.com beschäftigt sich mit dem Genographic-Projekt von National Geopgraphic: „DNA analysis proves Arabs aren’t entirely Arab“. Das wird denen nicht gefallen.
Typically, an Egyptian native’s genetic composition is 68 percent North African, 17 percent Arabian, 4 percent Jewish diaspora, and 3 percent from Eastern Africa, Asia Minor and Southern Europe each. (…) Typically, a Lebanese natives is 44 percent Arabian, 14 percent Jewish diaspora, 11 percent North African, 10% from Asia minor, 5percent Southern European and 2 percent Eastern African.

Tunesier sind nur zu vier Prozent Araber. Wenn das die Kölner Polizei wüsste! Irak oder Syrien – Hauptsache Nordafrika.

Science/Politics: Die Jüdische Rundschau stellt ein paar unbequeme Frage an die hiesigen „Palästinenser“-Freunde und Israel-Kritiker:
Ist es möglich, dass in den Nachbarländern von Israel so viele Juden leben dürfen wie Muslime in Israel leben? Ich greife schon mal vor: Warum nicht? (…) Der öffentliche Platz auf dem Tempelberg darf auf Druck islamischer Organisationen zu gewissen Zeiten von Juden und Christen nicht betreten werden. Es gibt viele Orte in der arabischen Welt, die generell und zu jeder Zeit „judenrein“ gehalten werden. Gibt es öffentliche Plätze in der jüdischen und christlichen Welt, für die gilt: „Nicht für Muslime“? Nennen Sie mir bitte all diese öffentlichen Plätze.

By the way, Gerd Buurmann: Kennen Sie das Buch Keine Posaunen vor Jericho? Ich wäre vorsichtig, falls ich mich auf „historische“ Ereignisse bezöge, wenn die Quellen nicht die Archäologie und Fakten, sondern heilige Bücher sind.
Die Wurzeln des Volkes Israel beruhen auf der Geschichte zweier Königreiche und nicht wie bisher immer angenommen eines Königreiches, des Nordreiches Israel und des Südreiches Juda. Fundamentale Wahrheiten wie der Auszug aus Ägypten, die Einnahme Kanaans die Bedeutung des Reiches Salomons (fragliche Existenz des Tempels und Palastes) werden nicht nur in Frage gestellt, sondern negiert. (…) Das Buch zeichnet sich durch absolute Professionalität aus. (Rezension)

Königsberg muss nicht deutsch bleiben, und Neapel auch nicht.

Politics: Der Schockwellenreiter schreibt ganz richtig: „Die Linke ist im Liegen umgefallen“. Vielleicht liegt das eher an dem typisch Deutschen. Ich muss zur Frage „Was ist typisch Deutsch?“ hier vorgreifen. Das beste und unterhaltsamste Buch, das ich in den letzten 20 Jahren gelesen habe, beantwortet diese Frage – und man kann und sollte es nur im englischen Original lesen (leichtes und verständliches Englisch), weil u.a. der Sprachwitz im Deutschen verloren ginge. (Rezension demnächst – aber Vorsicht, ich habe bei Tenenbom in der U-Bahn mehrfach laut losgeprustet, so dass die Leute mich erstaunt ansahen – und ich kann mich normalerweise beherrschen.)

By the way: Teneboms Kommentar über Trump ist köstlich und wahr.
Wenn Sie aufhören würden, Zeitung zu lesen, den Fernseher ausschalteten, Google vergessen und alle Ihre blinkenden internetfähigen Endgeräte beiseite lassen würden, könnten Sie eine Wirklichkeit entdecken, die Sie schockieren würde.

Postscriptum: Dank an die edle Spenderin aus Schöneberg!

Ich muss jetzt meine Türen, die Spüle und vieles andere reparieren und umbauen.




Spartacus, revisited

spartacusspartacus
spartacusspartacusspartacusspartacus

Warum und zu welchem Ende befassen wir uns mit Spartacus? Gegenfrage: Warum gibt es trotz der Präsenz der Figur des Spartacus in Filmen, in Romanen, in der Kunst, in Computerspielen und Fernsehserien und nicht zuletzt in Namen revolutionärer Organisationen kaum ein wissenschaftliches Werk, das sich mit der historischen Person befasst? Jeder kennt Spartacus – er ist die Ikone für den Satz: „Du hast keine Chance, aber nutze sie“. Nur deutsche Historiker möchten nichts von ihm wissen. Das macht neugierig. Man lernt mehr über den diskursiven Mainstream und über Propaganda, wenn man nachschaut, was weggelassen wird.

Ich sagte hier schon:
S.L. Utschenko schreibt 1958 im Vorwort zu A. W. Mischulins: Spartacus – Abriß der Geschichte des großen Sklavenaufstandes (1936) : „Dieses Thema hatten die bürgerlichen Geschichtsschreiber bewußt mit Stillschweigen übergangen, denn sie waren nicht daran interessiert, die Aufmerksamkeit auf geschichtliche Ereignisse zu lenken, die vom Kampf der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdrücker Zeugnis ablegen. In Westeuropa ist die wissenschaftliche Literatur über Spartacus und seine Führung des Sklavenaufstands äußerst dürftig.“

Mischulin ist insofern noch immer ein Standardwerk, als dass er alle antiken Quellen berücksichtigt. Mehr sind nicht dazugekommen. Man kann ihn aber nicht empfehlen: Zu Stalins Zeit wurde bekanntlich die Geschichtsschreibung auf Geheiß der Partei bewusst verfälscht, um „passende“ Resultate zu bekommen: Der Sklavenaufstand wurde zu einer Revolution umgedeutet, die an den Grundfesten der römischen Sklavenhaltergesellschaft rüttelte, also eine Alternative zur herrschenden Ökonomie und dem System, diese zu organisieren, angeboten hätte. Dem war mitnichten so, und die Quellen geben das auch nicht her. (In der DDR war es nicht viel besser. Für Experten: Man denke nur an das vergleichbare Konstrukt „frühbürgerliche Revolution„.)

Was ist eigentlich das Problem? Die bürgerliche Geschichtsschreibung hat immer leugnen müssen und wollen, dass es eine Epoche der „Sklavenhaltergesellschaft“ gab, auch wenn sie dabei die Fakten genauso verbiegen mussten wie auf der anderen Seite Stalin. Slavenhaltergesellschaft meint: Für die herrschende Klasse war es ab einem bestimmten Zeitpunkt am effektivsten und profitabelsten, die gesellschaftliche Arbeit von rechtlosen Menschen, also Sklaven machen zu lassen. Das ist ganz pragmatisch gemeint und hat mit Moral nichts zu tun. Für freie Römer war es unehrenhaft, körperlich zu arbeiten. Die Moral folgt immer der Ökonomie und nicht umgekehrt.

„Ab einem gewissen Zeitpunkt“ heißt: Die Römische Republik war ursprünglich ein Modell, das freie Bauern zu einem Staat organisierte, inklusive Ämterrotation und Volksversammlungen. Die Ökonomie (Produktivkräfte) machten diesem Modell (Produktionsverhältnisse und deren Überbau) aber den Garaus,

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.

Die „Produktivkäfte“ bedeuten am Ende der Republik: Die Bauern wurden ruiniert zugunsten der Großgrundbesitzer mit deren Latifundien. Die Produktion für den immer größer werdenden städtischen Markt verlangte nach „industrieller“ Massenproduktion. Dafür setzte man immer mehr und öfter Sklaven ein; gleichzeitig wanderten ruinierte Bauern und Landlose in die Städte ab.

Wer sich hierzu kurz, aber hervorragend informieren will, der lese Werner Raith: Spartacus (1992). Raith ist das beste Buch zum Thema. Raith fasst auch die marxistische Diskussion zum Thema kritisch zusammen. (Das ist wichtig, weil es keine „Diskussion“ über Spartacus in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft gibt – die Fragen stellen sich für die gar nicht.) Rigobert Günther: Der Aufstand des Spartacus (DDR) ist damit überholt.

Das Problem ist: Wie haben die zahlreichen Aufstände der Sklaven gewirkt? Was haben sie verändert? Der Aufstand des Spartacus war der größte, der am besten organisierte, aber bei weitem nicht der einzige – auch nach der Niederlage kämpften einzelne Gruppen noch jahrelang weiter. Mehr dazu hat Brent D. Shaw: Spartacus and the Slave Wars: A Brief History with Documents (2001) (leider in Englisch – aber man kann sich die von ihm zitierten Quellen in deutscher Übersetzung besorgen).

Werner Raiths These: Angesichts der Sklavenaufstände wurde es für die herrschenden Klassen Roms ineffektiv und zu gefährlich, in relevanten Segmenten der Ökonomie Sklaven einzusetzen. Das lässt sich auch durch die Quellen belegen.
Wie die Römer trotz des Sieges über die Sklaven die Sklavenhaltung aufgeben mußten. Bilanz des Sklavenkrieges – Zunehmende Unrentabilität der Sklavenhaltung – Kein Nachschub mehr – Vermehrte „freie“ Arbeit – Weitere Aufstände von Sklaven und Unfreien – Zunahme der Nichtrömer im Römischen Reich – Abbröckeln der römischen Macht – Das Christentum breitet sich als Sklavenreligion aus, behindert aber bald die Sklavenbefreiung – Absterben der Sklavenhaltung im Übergang zum Mittelalter.

Das System der Sklavenhaltergesellschaft als vorherrschende Produktionsform wurde aus vielen Gründen abgeschafft, nicht nur aus Angst vor neuen Aufständen. Man könnte aber die These aufstellen, dass der Wandel des „Überbaus“ von der Republik zur Diktatur des Kaiserreichs durch den Klassenkampf der Sklaven verursacht wurde. (Bürgerliche Historiker können hier leider nicht mitreden, weil für die Klassen und Klassenkämpfe gar nicht existieren bzw. stattfinden.)

Ein schönes Beispiel für eine beschränkte Perspektive ist Markus Schauer: Der Gallische Krieg: Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk. Schauer kann man denjenigen empfehlen, die Bellum Gallicum im Original haben lesen müssen (wie ich) und die über ein solides marxistisches Grundwissen über die Antike verfügen. Er bleibt ausschließlich in der wolkigen Sphäre des Überbaus: Was wer warum wohl dachte und was die herrschende Klasse über sich meinte, analysiert das unterhaltsam und treffend und entlarvt Caesars Werk als schlichte Propaganda, die mitnichten über die historischen Fakten informiert. Aber mehr auch nicht.

Nic Fields fehlt uns noch: Spartacus and the Slave War 73-71 BC: A gladiator rebels against Rome (2009). So ungefähr müsste ein aktuelles Werk zum Thema aussehen. Auch Fields ist ein Marxist, der im wesentlichen so argumentiert wie Raith, aber zahllose Bilder, auch über archäologische Funde, machen das Buch unterhaltsam. Leider ist es auch in Englisch und für die Nachgeborenen vermutlich zu schwierig zu lesen.

Fazit für die, die etwas über Spartacus wissen wollen: Raith kostet rund einen Euro. Kaufen, solang der Vorrat reicht!




Kampf der Klassen, revisited

teehra

Nein, ich habe gerade keine Lust, die politischen Weltläufte zu kommentieren. Ich lese gerade A. W. Mischulins: Spartacus – Abriß der Geschichte des großen Sklavenaufstandes (1936) , parallel dazu Werner Raiths: Spartacus (1992) sowie Brent D. Shaws: Spartacus and the Slave Wars: A Brief History with Documents (2001) und Nic Fields: Spartacus and the Slave War 73-71 BC: A gladiator rebels against Rome (2009). Mehr Bücher zum Thema, die dem Massenpublikum zugänglich sind, gibt es nicht. Hätten Sie’s gewusst?

S.L. Utschenko schreibt 1958 im Vorwort zu Mischulins „Spartacus“: „Dieses Thema hatten die bürgerlichen Geschichtsschreiber bewußt mit Stillschweigen übergangen, denn sie waren nicht daran interessiert, die Aufmerksamkeit auf geschichtliche Ereignisse zu lenken, die vom Kampf der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdrücker Zeugnis ablegen. In Westeuropa ist die wissenschaftliche Literatur über Spartacus und seine Führung des Sklavenaufstands äußerst dürftig.“

Es ist unfassbar, dass dieses Verdikt heute noch zutrifft, trotz der Präsenz der Figur in zahlreichen Hollywood-Filmen. Die oben genannten Bücher sind übrigens alles lesenswert. Werner Raith und Nic Fields schreiben aus marxistischer Sicht, Brent D. Shaw bereitet die Quellen auf (in Englisch). Ich werde die Bücher noch einzeln vorstellen.

Apropos Hauen und Stechen: Oben verhandelt mein Avatar (2. von rechts, mit weißer Kapuze), begleitet von einem schwer bewaffneten Bodygard (rechts), mit Anführern der Oase Teehra am Fayeen-Fluss am Rand der Tahari-Wüste von Gor.




Diodori Siculi Bibliotheca historica

diodor

Neu in meiner Bibliothek: Diodoros Historische Bibliothek, rund 1600 Seiten und die wichtigste Quelle zum Thema Spartacus.

Wikipedia: „Diodors auf Griechisch verfasstes Geschichtswerk trägt den Namen Βιβλιοθήκη Ἱστορική ‚Bibliothéke historiké‘ (vollständig: Διόδωρου Σικελιώτου Βιβλιοθήκη Ἱστορική, lateinisch Diodori Siculi Bibliotheca historica) und ist eine Universalgeschichte in 40 Büchern, von denen uns die Bücher 1–5 sowie 11–16 und 18–20 erhalten sind. Das 17. Buch hat einige kleine Lücken. Die Bücher 6–10 und 21–40 sind nur fragmentarisch überliefert, vor allem durch Zitate byzantinischer Autoren. Die Darstellung reicht von der sagenhaften Vorzeit (wobei er auch mythologische Erzählungen verarbeitete) bis in die Zeit Caesars (wohl bis in das Jahr 60/59 v. Chr., als Caesar das Consulat bekleidete). Es ist damit, soweit man weiß, das umfassendste Geschichtswerk, das von einem Griechen in der Antike verfasst wurde….“

Kann niemand behaupten, ich hätte nicht genug Lesestoff.




Der famose Kerl Spartacus

spartacus

Szene aus Spartacus: War of the Damned.

Neulich habe ich mal einfach so herumrecherchiert. Der Anlass waren die Spartacus-Serien, die ich allesamt besitze und auch angesehen habe. Softporn, jede Menge nackte Ärsche und Brüste, zahllose Hauereien in Slow Motion, gefühlt 1000 Hektoliter Kunstblut und Charaktere wie im Comic Strip – trotzdem unterhaltsam. Man darf nur kein gelernter Historiker sein, und schon gar kein linker Historiker: Man ärgert sich. Was für eine Verschwendung eines unglaublich spannenden Plots! Was wirklich geschehen ist und warum, kommt nicht vor.

Immerhin ist das historische Kostüm – Namen, Waffen, Architektur, Frisuren usw. – einigermaßen korrekt. Aber warum macht sich ein Filmemacher solche Mühe und endet dann mit einem Plot, der aus Psycho-Kitsch besteht? Die Elite der Gladiatoren hat entweder die große Liebe verloren oder sucht sie noch. Wie langweilig. Daily Soap als Sandalenfilm. Von Politik keine Spur – als wäre das Absicht.

Historisch korrekt ist vermutlich, dass schwule Paare selbstverständlich waren, auch bei den aufständischen Sklaven. Waffenstarrende Amazonen im Pseudo-Bikini im Gefolge des historischen Spartacus – wie in den Filmen – halte ich für unwahrscheinlich, lasse mich aber gern belehren.

Wussten die gelehrten Leserinnen und gebildeten Leser, dass das bekannte Marx’sche Zitat über Spartacus gar nicht so gemeint ist? Welt online: „‚Spartacus erscheint als der famoseste Kerl, den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat. Großer General … nobler Charakter, real representative des antiken Proletariats.‘ Das erkannte kein Geringerer als Karl Marx.“ Gar nicht wahr. Marx las natürlich seine Quellen im Original (im Gegensatz zu heutigen Journalisten), und hier war es der römische Historiker Appian, dessen Sicht auf Spartacus Marx referiert (in einem Brief an Engels vom 27. Februar 1861). Was Marx selbst darüber dachte, wissen wir nicht.

Was mich am meisten erstaunte während der Recherche, ist die Tatsache, dass es fast gar keine ernst zu nehmenden aktuellen wissenschaftlichen Publikationen über Spartacus gibt. Auch in meiner nicht kleinen Bibliothek über römische Geschichte ist nichts Relevantes zum Thema. Quod erat demonstrandum. Interessiert offenbar niemanden.

Der Untergang der DDR hat für uns einen großen Vorteil: Die historischen Bücher der DDR waren fast alle um Klassen besser als die aus dem Westen, und man kann heute sich preiswert eindecken. Während die bürgerliche Geschichtswissenschaft immer noch fast ausschließlich auf die Sicht der jeweiligen herrschenden Klassen rekurriert und diese sich zu eigen macht, interessieren mich eher die Klassenkämpfe, soziale Konflikte, Aufstände und die Ökonomie, die für alles den Rahmen bestimmt. Ich habe mich erst einmal einschlägig eingedeckt, werde aber auch die deutschen Übersetzungen der römischen Quellen studieren (auch die sind nicht einfach zu finden).

spartacusspartacus

Die Links gegen zu Amazon.

Ich werde mehr zu dem Thema schreiben (vgl. die neue Kategorie „Spartacus“). Und wäre das nicht ein wunderbares Thema für ein Buch?