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Online-SF-Krimis von
Burkhard Schröder

Links zur Internet-Literatur

Thesen zur Internet Literatur

. Literatur online von Burkhard Schröder
Links zur Internet-Literatur
Last update der Links: 11.11.2007
Thesen zur Internet-Literatur
  Literatur im Internet - das ist ungefähr so spannend wie das Wort zum Sonntag. Texte - womöglich mit Einheitsgrau unterlegt - igitt! Da suchen wir den erstbesten Link und zappen uns weg. Länger als zehn Sekunden auf dieselbe Seite starren? Bin ich etwa Godot? Welt weit warten und lesen? Warum zappeln die Buchstaben nicht? Noch nie etwas von Java gehört, Beckett?

  Literatur für die Hardcore-Fraktion: die "Buddenbrooks" digital und online. Oder 500 MByte gezipt zum Download. "Projekt Lutherbibel"im World Wide Web, inklusive Volltextsuche für den Pfarrer am PC. Mit Links zum hebräischen, altaramäischen und griechischem Urtext, diverse Plug-ins benötigt. Henry Miller online, "Im Wendekreis des Krebses" inklusive "oral.midi", loop=infinite. Konsalik und die Panzerschlacht bei Kursk, bgsound src="stalinorgel.wav". Das "Geisterhaus", wahlweise in HTML oder VRML, garantiert virtuell begehbar. Gratis für den allseitig informierten Leser: Marcel Reich-Ranitzki als GIF-Animation, Karasek als Java-Applet. Am unteren Rand des Monitors und der Buchseite ein Banner deutscher Verlage, gesponsort von N-TV. Haben wir uns so Web-Literatur im Jahr 2005 vorzustellen?

  Literatur im Internet - gibt es das? Ja, vorerst als eine Kette von Mißverständnissen. Das Netz ist jung und bunt, und seine Benutzer spielen immer noch begeistert mit den Hyperlinks und den schrillen Bildchen. Ein Text mit Verweisen auf andere Texte ist jedoch nichts anderes als ein klassisches Buch mit einem Hinweis auf andere Bücher, die man innerhalb einer gut sortierten Bibliothek in derselben Zeit erreichen kann, wie sich eine Web-Seite mittels eines langsamen Modems aufbaut. Und bebilderte Bücher sind immer noch mehrere Klassen besser, griffiger, und sinnlicher als die größte digitale Fotoausstellung im Web. Da man einen Computer besitzen muß, um sich im Internet bewegen zu können, sind Bücher sogar billiger.

  Manche Vorteile sind unstrittig, aber rein technischer Natur. Das deutsche Projekt Gutenberg zum Beispiel will "traditionelle" Literatur aus mehreren Jahrhunderten online und weltweit zur Verfügung stellen. Ein Germanistik-Student aus Ulan Bator oder Harare kann über Hans Sachs und Peter Handke Referate schreiben, ohne je ein deutsches Buch in der Hand gehabt zu haben. Bald jedoch wird alles, was geschrieben steht, auch auf CD-ROM erscheinen und das Internet für klassische Literatur weitgehend überflüssig sein. Ein Buch kann man auch auf der Toilette und in der U-Bahn lesen, ein Laptop ist da weitaus umständlicher.

  Noch steckt "richtige" Web-Literatur in den Kinderschuhen. Der Grund: Viele Literaten kokettieren mit Technik-Abstinenz, weil sie irrigerweise meinen, gute Texte kämen nur aus dem Bauch, und dazu brauche man keinen PC. Schreiben kann man jedoch erlernen wie ein ehrbares Handwerk - also wie den HTML-Code oder eine Frame-Struktur. Wenn man dann noch etwas zu sagen hat: "Oh, damit kommt man weit!" wie Karl Kraus bissig formulierte.

  Internet-Literatur ist unstrittig nur eine Differenzierung dessen, was schon vorhanden ist. Der Reiz des Exotischen wird sich verflüchtigen. Noch entstammen viele Texte der Informatik, sind mit revolutionärem Pathos aufgeladen und, wie Sven Stillich vom Projekt "Softmoderne" schreibt, "mit populären Sequenzen postmoderner Stars und Starlet verkocht" worden. Die selbstdefinierte Elite literarisch beflissener Programmierer oder Autodidakten wird dann ihren Wissensvorspung eingebüßt haben, wenn Software verfügbar ist, die RTFM überflüssig macht.

  Texte im Cyberspace stehen zu Unrecht im Geruch des Trivialen, sind für Literaten eine Mischung aus Groschenheften und Science Fiction, wie "Idoru" von William Gibson. Das ist nicht das Problem des Internets, sondern eines der Cyberspace-Autoren, die noch wenig zu sagen haben. Hier chatte ich, ich kann nicht anders - lyrisches Gestammel oder Betroffenheits-Gefasel. Alle Verlage verkennen mein Genie - aber es gibt ja noch die Mutter aller Netze. "Wer aber nicht eine Million Leser erwartet," schrieb der Geheimrat Goethe an Eckermann, "sollte keine Zeile schreiben". Das gilt für Netzliteraten und Computer-Zeitschriften gleichermaßen.

  Internet-Literatur vermag aber mehr als traditionelle Texte, die jemand digitalisiert hat. Sie kann den Jargon der Computer-Freaks aufgreifen und ihn popularisieren - wie Raimund Chandler den Straßenslang der amerikanischen Großstädte auf litararisches Niveau gehoben hat. Sie nimmt das neue Medium ernst, indem sie es imitiert und ironisiert.

  Web-Literatur ködert den Leser heute mit zwei Angeboten: Man könne selbst weiterschreiben, Lyrik, Essay, Roman (zutreffendes bitte ankreuzen). Aller Anfang ist schwer. Wofür gibt es schließlich Schriftsteller! Den Rest schaffen die Leser, interaktiv, kreativ. Trau dich! wie es im Projekt Missing Link von Claudia Klinger heißt. Auch wenn du den Unterschied zwischen ; und , nicht kennst. Das ist aber nichts anderes als die virtuelle Variante des beliebten Kinderspiels "Onkel Otto sitzt plätschernd in der Badewanne" - jeder darf ein Wort hinzufügen, ohne Ansicht dessen, was die anderen schon geschrieben haben. Ergebnis etwa: "Tante Detlef kracht pupsend auf dem Papagei." Zum Totlachen. Das Niveau diverser "Literaturprojekte" im Internet ist vergleichbar - der kleinste gemeinsame intellektuelle Nenner. Und den kann man sich nicht klein genug vorstellen.

  Oder der Computer generiert etwas. Die Literaturmaschine online - Texte in Legoform, Ergebnis zwischen DADA und da da da dam. Das mag lustig sein, aber nur beim eesten Mal. Für Fortgeschrittene: Der Autor simuliert, daß ein Computer simuliert. Peter Berlich, Preisträger des Internet-Literatur-Wettbewerbes, verschaukelt den Leser mit "CORE" [Zugriff zur Zeit nicht möglich], einem Computer, der scheinbar auf Befehl des Lesers Fragmente von "Casablanca" neu zusammensetzt. Der Benutzer bildet sich ein, er steuerte die Maschine. Das ist ein Trugschluß, fast wie im richtigen Leben. Creating characters. Please wait. Und alles endet im Wahnsinn.

  Das ist genial, weil es Gewohnheiten ad absurdum führt. Literatur simuliert Kommunikation - die Leute reden und reden, wie bei Dostojewski. Internet-Literatur simuliert Internet-Kommunikation: Newsgroup statt Wohnzimmer, Chat-Room statt literarischer Salon. Wer antwortet, weiß man nicht. Ist der Gesprächspartner real oder nur eine künstliche Intelligenz, die sich hinter einem Pseudo verbirgt? Die Authentizität der Information garantiert niemand. Das Netz erzieht zur informellen Kompetenz: Die Tagesschau im Web kann auch eine Simulation sein, das gewohnte Ambiente ein Fake, der PC nur ein intelligent gebautes Java-Applet. Wie würden Sie entscheiden?

  "Das Selbstmördertreffen von Skoliossa" von Martin Auer: Eine alltägliche Nachricht, die so solide einherkommt wie die Webseite der ARD. Aber alles ist erfunden und erlogen: Es gab keinen Massenselbstmord, keine unterschlagene Fakten, keine Verschwörung, keine unterdrückten Nachrichten - Dinge, woran die Netzgemeinde liebend gern glaubt. Gibt es Sie wirklich, Sabine Christiansen?

  Internet-Literatur macht mißtrauisch. "Ankunft auf einem Stern" [Zugriff zur Zeit nicht möglich] von einem Autor mit dem Pseudo Bazazza: Der erste Link führt zu einem Spiel - Internet gewinnen! Wie auf der Startseite großer Provider: Gewinnen Sie ein Highspeed-Modem - und werden Sie in Zukunft von Werbemüll überschüttet. Zuerst muß man eine Literaturlizenzvereinbarung lesen - als sei man in einem Support-Forum von Microsoft. Und beim Mausklick auf "ich bekenne" ist das Game over. Kein Eintrag in die Highscore-Liste. Bazazza zwingt zur Entscheidung, ob man sich als Neuling, als jemand ansieht, der sich ein wenig auskennt oder als Profi definiert, was Internet-Literatur angeht. Amüsant wäre es zu erfahren, wie oft die einzelnen Buttons angeklickt werden. Für das Ergebnis spielt die Selbsteinschätzung keine Rolle - auch fast wie im richtigen Leben. Bazazza nimmt den durchschnittlichen User ernst und auf die Schippe: Wir wollen Brot, Sex und Spiele. Das liefert uns Internet-Literatur, wenn sie gut ist. Und läßt uns irritiert zurück, weil sich die realen Wünsche, die geweckt wurden, im Cyberspace verflüchtigen.

Geschrieben 1997. Letzte Aktualisierung des Artikels: 23.04.2001

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