Tell es-Sultan, zehn Jahrtausende

Jericho
Blick von der Seilbahn, die zum „Berg der Versuchung“ führt, auf Jericho. Rechts kann man einen Teil des Ausgrabungsgeländes Tell es-Sultan erkennen, hinter der kreisförmigen Palmenstruktur – innerhalb des Hügels – ist der Turm von Jericho.

Tell es-Sultan (arabisch تل السلطان, DMG Tall as-Sulṭān) ist eine archäologische Grabungsstätte in Jericho in Judäa. Angeblich ist Jericho die älteste Stadt der Welt, die man kennt – durchgängig besiedelt war sie aber nicht. Wir wollen jedoch nicht die dortige Tourismusindustrie, die eh fast zum Erliegen gekommen ist, noch mehr ruinieren.

Tell es-Sultan
Kaffee vom Pförtner am Eingang des Tell el-Sultan, vermutlich nur für very important Besucher wie mich…

Der „Pförtner“ textete mich in holprigem Englisch voll, er suchte wohl Gesellschaft. Ich musste unbedingt seinen selbstgebrauten Kaffee trinken, weil, wie er lang und breit erörterte, Kaffee das beste Getränk bei der brüllenden Hitze sei. Ich legte also auf die zehn Schekel (rund 2,50 Euro) Eintritt noch mal zehn für den Kaffee drauf.

Tell es-Sultan

Da blies das volck mit drometen / Und da das volck die drometen höret / hub es ein groſs geschrey auff / Da fiele die maur vnter sich / vnd das volck zoge hin auff ein jglicher fur sich hin / vnd gewannen die stad. (Josua 6,20)

Nur für die hier mitlesenden Kaltduscher: Das ist so nie passiert, und eine Landnahme der Israeliten sowie die Eroberung Jerichos durch eben dieselben sind ein frommes Märchen – according to science.

Aber: Spätbronzezeit I: Zerstörung der Stadt und Stadtmauer wahrscheinlich durch ein Erdbeben um etwa 1550 v. Chr.. Daran wird sich die Oral History erinnert haben.

Tell es-Sultan

Außer mir war dort nur eine kleine christliche Gruppe aus den Niederlanden, die aber das Gelände verließ, als ich ankam.

Tell es-Sultan

Das Gelände ist nur klein, in zehn Minuten hat man alles gesehen, wenn man die Schilder nicht lesen will. Schatten existiert auch nicht bis auf einen shelter. Bei 37 Grad ist man – Überraschung!- nicht besonders hochmotiviert, vor den Steinen stundenlang herumzustehen.

Was gibt es dort zu sehen?

Tell es-Sultan
Der Turm von Jericho – gut acht Meter hoch, erbaut zwischen 8300 und 7800 v. Chr., und die älteste Treppe der Welt.

„Die Fundstelle bildet einen 21 Meter hohen Tell: Übereinander liegende Fundschichten aus 11.500 Jahren – insgesamt sind es 23 – bilden einen Hügel aus zeitlich aufeinander folgenden Resten einer Siedlung, die immer wieder zerstört und auf deren Zerstörungsschicht die Siedlung neu errichtet wurde. In der 4 Hektar großen Siedlung wurde um etwa 8050 v. Chr. der älteste heute bekannte Steinturm (Turm von Jericho) errichtet, Bestandteil der Stadtbefestigung, und darin die älteste bekannte Treppe (20 Stufen) der Welt nachgewiesen.“

Tell es-Sultan

Die aktuellen Steine haben natürlich nicht die Araber, die dort wohnen, allein ausgegraben, sondern die Engländer, Deutschen und die Italiener, vgl. History of Archaeological Exploration at Tell es-Sultan/Jericho.

Tell es-Sultan

„In 1997 the Department of Antiquities and Cultural Heritage of the Ministry of Tourism and Antiquities (MOTA_DACH) of the Palestinian National Authority started a new project of exploration and reevaluation of Tell es-Sultan in cooperation with Rome „La Sapienza“ University (1997-2015), mainly focusing on the Bronze Age city fortifications and residential quarters. The basic contribution of the Italian–Palestinian expedition was to put forward an overall periodization of the site, reexamining and matching the data produced by all the previous expeditions.“

(Der URL auf dem Schaubild funktioniert heute nur noch mit archive.org.)

Tell es-Sultan

ChatGPT: Klima und Umwelt damals

„Während des frühen Holozäns (ca. 10.000–6.000 v. Chr.) herrschte im gesamten Nahen Osten ein wärmeres und deutlich feuchteres Klima als heute.
Die heutigen Wüstenzonen des Jordangrabens waren damals Savannen- oder Buschlandschaften mit reichlich Wild und Wasserquellen.
Jericho war besonders begünstigt durch die mächtige Quelle ʿAin es-Sultan, die bis heute am Tell entspringt und den Ort zu einer Oase machte.
→ Daher war die Gegend nicht Wüste, sondern eine wasserreiche Niederung mit Feldern und Vegetation.“

– Bar-Matthews, M. et al. (2003): Paleoclimate reconstruction from speleothems, Israel. Quaternary Science Reviews.
– Kenyon, K. M. (1957): Digging up Jericho. London.
– Enzel, Y., et al. (2003): Late Quaternary Environments of the Dead Sea Region.
– Garfinkel, Y. (2010): The Pre-Pottery Neolithic of the Southern Levant.
– Frumkin, A. & Stein, M. (2004): The Holocene climatic record of the Dead Sea.

Tell es-Sultan

Ich schrieb am 05.01.2022: „Es geht auch hier um die Dialektik aus Zufall und Notwendigkeit ganz nebenbei um die Frage, warum sich ausgerechnet in Mesopotamien, also im so genannten „fruchtbaren Halbmond“, die ersten Zivilisation aus der Urgesellschaft entwickelte.“

sfruchtbarer halbmond

Zehn Jahrtausende vor unter Zeitrechnung? Was war da hierzulande los? Lebte man noch auf Bäumen?

– Die Weichsel-Kaltzeit (die letzte Eiszeit) ging gerade zu Ende.
– Große Teile Norddeutschlands waren noch von Tundra oder Steppe bedeckt.
– Die Gletscher hatten sich weitgehend zurückgezogen, aber:
– In Skandinavien lagen noch mächtige Eisschilde.
– Die Ostsee war damals ein Süßwassersee (Ancylussee).

Das heutige Nordseegebiet war kein Meer, sondern eine riesige, fruchtbare Steppe: die sogenannte Doggerland-Ebene, die Großbritannien mit dem europäischen Festland verband. Es gab Rentiere, Wildpferde, Wollnashörner und Mammut, Riesenhirsche, Auerochsen, Wisente, Bären, Wölfe, Luchse und Füchse.

Tell es-Sultan

Städtebau war also nicht vorhanden. Das Klima war schuld. Wir sind noch in der Altsteinzeit.

Zu dieser Zeit: die spätpaläolithische Kultur (z. B. Ahrensburger Kultur, ca. 11.000–9.500 v. Chr.). Verbreitungsgebiet: Norddeutschland, Dänemark, Südskandinavien. Typisch: Mikrolithen (kleine Feuersteinspitzen), Pfeil und Bogen, Elch- und Rentierjagd. In Süddeutschland Übergang zur spätpaläolithischen Federmessergruppe (Rhein-Main, Neckar, Schwabenalb).

Tell es-Sultan

Wann man das alles weiß, wird der Blick in die ausgegrabenen „Löcher“ ein bisschen interessanter. Die bauten schon Türme und Treppen in Jericho, als in Mitteleuropa Wollnashörner und Mammute gejagt wurden?

Tell es-Sultan

Vnd er kam hinein vnd gieng durch Jericho. Vnd siehe, da war ein Man, genannt mit namen Zachäus, der war ein Oberster unter den Zöllnern, vnd war reich. Vnd er begehrte Jesum zu sehen, wer er wäre, vnd kundte nicht vor dem Volck, denn er war klein von Person.
Vnd er lieff hinauff voran, vnd stieg auff einen Maulbeerbaum [aka Sykomore des Zachäus ], auff daß er ihn sähe; denn er sollte durch denselbigen Weg kommen. Vnd da Jesus kam an denselbigen Ort, sahe er auff, vnd sprach zu ihm: Zachäe, steige eilend herab; denn ich muß heute in deinem Hause einkehren. Vnd er steigte eilend herab, vnd nahm ihn auf mit Freuden.
Da sie das sahen, murreten sie alle, vnd sprachen: Er ist eingekehrt, bey einem Sünder zu herbergen.
Zachäus aber trat hin, vnd sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen; vnd so ich jemand habe betrogen, das gebe ich vierfältig wider. (Lukas 19-1-10)

Tell es-Sultan

Einem archäologischen Laien sagen die Ruinen nicht viel. Aber sie und ihre Ausgrabungsgeschichte sind ein lehrbuchmäßiges Beispiel für eine Archäologie, die die Bibel für einen historischen Bericht hält und nach dem Prinzip „self-fulfilling prophecy“ dann angeblich das findet, was man gesucht hat. Nein, alles, wofür „Jericho“ in der Bibel steht, ist Fake News und genau so wahr wie das Märchen vom Eisenhans.

Aber spannend ist es trotzdem.

Tell es-Sultan

Die paar uralten Steinchen in Jericho sorgen auch innerhalb von Israel für politischen Zoff. Die NGO zum Beispiel Emek Shaveh ist eine typisch pseudo“linke“ Organisation, auf deren Website man sofort erkennt, dass man in Wokistan ist, mit dem gesamten Quatsch, der dazugehört – nur dass Gendersprache im Englischen nur schwer umzusetzen ist.

While Emek Shaveh claims that it “oppose[s] attempts to use archaeological finds to legitimize acts that harm disadvantaged communities,” it promotes distorted facts and unsubstantiated positions that promote the Palestinian narrative of victimization and sole Israeli aggression.
Despite claims that Emek Shaveh is “working to defend cultural heritage rights and to protect ancient sites as public assets that belong to members of all communities, faiths and peoples,” its publications exclusively criticize Israel and Israeli institutions.

Maintains: “If Palestinians and Israelis are ever to enter a serious dialogue on a future of coexistence and mutual respect, Israeli archaeology must end its involvement in the battle of identities, promoting understanding between cultures rather than ethnic exceptionalism. It must broaden its horizons and become much more than a prop to given histories.” This statement altogether omits the Palestinian role.

Das reaktionäre Konzept des „Kampfes der Kulturen“ könnte auch von den deutschen GrünInnen stammen.

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Fazit: Vermutlich ist es noch interessanter, die in Jericho gefundenen Artefakte anzusehen. Aber die sind leider nicht in Israel, sondern, was zu erwarten war, im British Museum („one of the the oldest human remains in the British Museum collection, the Jericho skull“), im Oriental Museum Durham [UK], im Jordan Museum in Amman und im Jordan Archaelogical Museum.

Tell es-Sultan

Vielleicht sollte ich das nächste Mal einen Abstecher nach Jordanien machen, davor wird nicht gewarnt – im Gegensatz zu Reisen nach Judäa und Samaria.