[Informationen über Burkhard Schröder] [Suchmaschinen] [Medien im Internet] [Antifa, Nazi-Links] [Kryptographie und Steganographie] [Interessante Links] [Infos zu HTML] [SF-Krimi I] [SF-Krimi II] [Tron - Tod eines Hackers] [Internet-Literatur] [Journalistische Recherche im Internet] [E-Mail] [Startseite] [Sidemap]
.
Dieser Artikel
erschien am
11.08.1999
im Berliner
Stadtmagazin
Zitty
.Nazis sind Pop
  - Volkssturm der Subkultur - Rechte Ideologien und Nazi-Ikonen fliessen in die Populärkultur ein
Früher, als das Wünschen noch geholfen hat, trug man Leder. Die Lederjacke oder der Ledermantel als Ikone der Revolte, das gegerbte Fell des wilden Tieres statt grauem Büroflanell – so phantasiert und stilisiert sich der Mann zum Outlaw. Joseph Goebbels, Walter Ulbricht, Marlon Brando, James Dean: den Kragen hochgestellt, die Schultern gegen den Wind des Mainstreams gestemmt, und fertig ist der Revoluzzer im Stahlgewitter, böse oder gut, zumindest in der Projektion der Stinknormalen.

Vorbilder sind immer abschreckend und anziehend zugleich. Der Outsider als Kultfigur schreckt den Bürger und spiegelt gleichzeitig dessen heimliche Wünsche wider. Bohèmien, Tramp, Hippie, Junkie, Skinhead: Wer sich vom Mainstream abheben will, muss das äusserlich dokumentieren, damit seine Botschaft mediengerecht vermarktet werden kann. Che Guevara wurde Popkultur, weil die Message und ihr Abbild nicht identisch sein müssen. Che wollte die Revolution in Bolivien; wer seinen Kopf über das IKEA-Regal hängte, wollte oft nur die Revolution im elterlichen Wohnzimmer. Ein Symbol bedeutet an sich nichts. Es wird zur Projektionsfläche, weil eine Gruppe von Menschen sich darauf einigt, beim Anblick desselben ähnliche Gefühle zu erzeugen. Dafür sind sie da. Symbole der Subkultur dienen als Mittel zur Kommunikation, vergleichbar mit dem Telefon, nur nonverbal. Viele gereckte Fäuste einer ungeordneten Menschenmasse, kombiniert mit rhythmischem Gebrüll (hoch die, nieder mit): Das ist eine redundante öffentliche Botschaft: Wir sind viele, und wir gehören zusammen. Wir zweifeln daran, deswegen sagen wir es uns und euch immer wieder.

So funktionieren Fahnen, das klassische Palästinensertuch, Plakate von Männerköpfen, die brennende amerikanische Flagge, Springerstiefel, Glatze und Bomberjacke und die heiligen Hämmer der Freimaurer. Der Sinn der Ikonen ist flüchtig. Wechselt der Kontext, muss neu erzeugt werden, was sie bedeuten sollen. Wird etwas Pop, hat es schon die Milieugrenzen übersprungen. Der ursprüngliche Zusammenhang fällt weg: nicht mehr Subkultur, sondern Kultur. Reggae war eine Mischung aus Oral History in Jamaika und der Message der Rastafari-Sekte. Bob Marley machte die Musik kompatibel für diejenigen, die von beidem nichts wussten und wollten. Auch Rap ist Pop. Gangsta-Rap kokettiert mit dem Sozialcharakter des Outlaws, so wie sich ein Sparkassen-Filialleiter den Strassenkampf vorstellt.

Wer wirklich etwas bewegen will, muss zu den Herrschenden gehören. Die selbstbewusste Elite will die Ungleichheit, die den Status quo definiert, beibehalten, weil das angenehm ist. Oder man bewegt etwas, indem man den Wunsch vehement äussert und ihn umsetzt, sich an deren Stelle zu etablieren. Das wäre Revolution – den Spiess umzudrehen. Ihr da oben, wir da unten, mal andersherum. Das Gegenteil ist auch eine Nachahmung, sagte schon Lichtenberg, deswegen funktioniert Revolution so nicht. Die ernstgemeinte Revoluzzer-Attitude ist heute ausgestorben. Der Kapitalismus gibt sich alt und gelassen wie ein buddhistischer Mönch: Er besticht routiniert alle Aufständischen, indem er ihnen ein Stück vom Kuchen abgibt.

Revolte und Pop(ulärkultur) waren immer zwei Seiten einer Medaille. Pop heisst, die Trendscouts loszuschicken: Was machen die unten? Wenn wir es gefunden haben, verkaufen wir es in kleinen, harmlosen Stücken an die da oben. Punk hiess früher: am Arsch lecken. Jetzt ist die dazu passende Hartfaser-Frisur schon kompatibel für Prinzessinnen von und zu Thurn und Taxis. Grufties: Der Weltschmerz als psychisches Biotop, lasst mich in Frieden auf dem Sofa ruhen. Aber bitte mit Staatsknete. Skinheads: mit proletarischen Ikonen ausstaffierte Körper, die die verlorenen Ideale des Arbeitermilieus konservieren sollen wie Bernstein eine Fliege. Die Abwesenheit von Frisur als heimliche Reminiszenz an das Soldatische; die Metaphorik ist stark homoerotisch aufgeladen und taucht als Zitat in der Techno-Kultur wieder auf.

Die Subkulturen fransen aus. In der Wirtschaft nennt man das Diversifizierung. Segmente machen sich selbständig, Ikonen werden anders arrangiert und erklären symbolisch die Dinge neu. Jeder Code eines jeden einzelnen Milieus kriegt Ende des Jahrtausends auch eine Nazi-Abteilung: Grufties, Rocker, Techno, Skinheads sowieso. Das ist gut und schlecht zugleich. Gut: Die Ikonen der – oft fiktiven – Gruppenzugehörigkeit bedeuten nicht mehr viel, sie können experimentiell variiert werden. Ein Milieu ist nicht mehr Schicksal. Wer heute wie ein Heavy-Metal-Fan aussieht, kann morgen schon Raver sein. Wer wie ein Punk aussieht, kann in Wahrheit ein Edeka-Filialleiter sein – als Raver verkleidet.

Schlecht: Rassismus und Antisemitismus werden Teil der Popkultur und somit nicht mehr geächtet. Der Kapitalismus ist wertneutral, er verkauft alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Wenn es eine Nachfrage gibt, wird sie kommerziell bedient. Nazi-Rock ist Mainstream, jeder kennt die einschlägigen Bands, auch wenn die Platten nur unter dem Ladentisch verkauft werden. Der Verkauf verbotener rassistischer Musik funktioniert nach den Gesetzen des Marktes und des Drogenhandels: der Schwund, falls etwas beschlagnahmt wird, wird schon bei der Kalkulation berücksichtigt.

Die postmoderne Gesellschaft nimmt die Wut und die Sehnsucht der Armen und verhökert sie an die unruhigen Jugendlichen der Mittelklassen. Auch der Hooligan ist ein Trendscout für mögliches Verhalten. Gewalt war das, was die oben von denen unten fürchteten. Wenn behütete Jungs aus Lehrerfamilien andere Leute zusammendreschen, just for fun, ist das unproblematisch, weil nicht mehr zielgerichtet. Hooligans haben vergessen, was wirklich gefährlich an Gewalt ist. Sie sind der Volkssturm der Erinnerung an die Zeit, als die Macht noch aus den Gewehrläufen kam.

Die neuen Nazis klauben die vergangenen Ikonen der Revolte auf, obwohl sie die Inkarnation des verklemmten Spiessers sind. Nur im Osten haben sie damit partiell Erfolg. Sie nutzen die enttäuschte Wut des abgewiesenen Liebhabers: Wir Ossis wollten alles und sofort und den totalen Konsum und kriegten Wessis mit Buschzulage. Die Sehnsucht: Wir sehen die Futternäpfe, aber kommen nicht heran. Die Demokraten sagen: Ihr müsst euch brav an die Regeln halten, keine Gewalt, keine AsylbewerberInnenfeindlichkeit, dann habt ihr eine Chance. Die Nazis sagen: am Arsch lecken.

Das ist weder Punk noch Revolte, sondern das Gegenteil: Rassismus gilt als attraktive weltanschauliche Option gerade bei denen, die die kapitalistische Ethik ernst nehmen. Das Motto: Du kannst etwas erreichen, wenn du dich anstrengst, hart arbeitest und die Regeln verinnerlichst. Das trifft sich mit dem typischen Erziehungsideal von Lehrern, Sozialarbeitern und Suchttherapeuten. Trainiere Frustrationstoleranz, warte lange genug, dann kommt die Belohnung für den zeitweiligen Verzicht. Soziologen nennen das: Gratifikationsaufschub der Mittelschichten. Lebe nicht in den Tag hinein, sondern lerne das zu tun, was dir unangenehm ist.

Nationalsozialismus bejahte immer das System, ja trieb es auf die Spitze: Der Förster vom Silberwald verkleidet sich als Robin Hood. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen – das ist Kapitalismus pur, ohne Sozialschnickschnack. Arbeit macht frei. Massenmord industriell gemanagt, der Holocaust als gesellschaftlich organisiertes Pogrom mit exakten Durchführungsbestimmungen. Faschismus ist nicht nur Priesterbetrug und Verführung, sondern produziert die Realität neu. Wer nach unten strampelt wie ein Fahrradfahrer, der erklärt sich das wie Martin Luther: Hier trete ich, ich kann nicht anders. Die anderen sind schuld. Die Nazis wollen nicht Sub, sondern Kultur sein. Wir bestimmen, was normal ist. Normal in einer „National Befreiten Zone“ ist, dass ein Afrodeutscher keine blonde Freundin haben kann. Da die Rechten in der Disko sind, kann der Betreiber nicht dafür garantierten, dass es keinen Ärger gibt. Deshalb müssen „Neger“ leider draussen bleiben, wie jüngst in Cottbus.

Der Reiz, zur „Kameradschaft“ der Pseudo-Outlaws der Glatzen und Neonazis zu gehören, liegt im Stachel des erlaubten Tabubruchs. Du darfst den Gegner vernichten, ausmerzen, aber der Preis dafür ist hoch. Die Verbote und Regeln, an die sich die Stinknormalen halten, gelten zwar punktuell nicht, aber der „Kamerad“ gehört nur dazu, wenn er das System des bedingungslosen Gehorsams akzeptiert, wenn er sich der Willkür unterordnet. Strammstehen, sich beherrschen, Opfer bringen fürs Vaterland, du, der Einzelne, bist nichts wert. Aber wenn wir erst an der Macht sind, dann zeigen wir’s ihnen.

Die Rechte oder das „nationale Lager“, wie sie sich selbst gern sieht, arbeitet wie eine einzige grosse Fabrik für Opportunismus. Der Befehlsempfänger als Kultfigur – das ist so paradox wie der Bock als Gärtner. Sich der Volksgemeinschaft, dem Kollektiv anpassen, den Anweisungen unterordnen, in die Kameradschaft einfügen, der Führer denkt für dich, nicht anders sein als die anderen, gebt mir eine Uniform. Von Revolte also keine Spur. Bei uns, sagen die Rechten, sind die sekundären deutschen Geschlechtsmerkmale noch besser ausgebildet: Ordnung, Disziplin, Sauberkeit, Fleiss.

Nazis sind Pop. Rechts sein bedeutet nicht mehr, einem Milieu zuzugehören, das sich durch subkulturelle Zeichen vom Mainstream abgrenzt. Nazi-Pop kann heissen: Techno-Frisur, Skinhead-Musik, im Urlaub Ballermann, PDS wählen, mit den Juden hatten wir schon immer ein Problem. Oder: Façon-, wahlweise Vokuhila-Frisur, Böhse Onkelz, Abenteuerurlaub auf Rügen, Opel Manta, wählen gehen ist Scheisse. Oder: Glatze, Nazi-Troubadix Rennicke, Esoterik-Urlaub in Stonehenge, Bolko Hoffmann und die deutsche Mark. Oder: Matte samt Pferdeschwanz, Death Metal, Kirchen anzünden in Norwegen, Hitler war Satan und ultraböse, und das ist hip.
Der klassische Nazi ist ausgestorben und strampelt nur noch als Karikatur herum. Der Kapitalismus hat die Nazis besiegt und besiegt sie, wie in den USA, immer wieder. Er baut aber ihre Reste, Ideologie und Ikonen, in die Populärkultur ein, nicht als Revolte, sondern als Anleitung, den Mainstream einzufordern. Man muss sich dem deutschen Volkstum anpassen. Das kann auch Techno sein. Oder Blut- und Boden-Esoterik. Vegetarisch essen, aber am Holocaust ist das schlechte Karma schuld, das die Juden in ihrem vorherigen Leben gesammelt haben. Definitionen von innen und aussen sind immer Fiktion und reine Willkür wie schon die Nürnberger Rassengesetze. Rassismus und Antisemitismus lauern als Optionen, die unabhängig von dem, was politisch und ökonomisch gerade angesagt ist, aufgerufen werden können. Die Privilegierten kompensieren ihr Versagen, die ganz oben herauszufordern, indem sie sich an den Entrechteten schadlos halten und sie ausgrenzen. Das sind die neuen Nazis.
< < zurück©Burkhard Schröder