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Dieser Artikel
erschien leicht gekürzt in der
Deutschen Lehrerzeitung
vom 10.10.1998
.Lonsdale wie NS
   Warum tragen Schüler ein T-Shirt mit der Aufschrift "Lonsdale"? Läßt man die Jacke vorn offen, sind nur die Buchstaben "NS" zu sehen. Ein Lehrer, der nicht weiß, daß es sich um ein Zeichen der rechten Szene handelt, wird schnell in den Ruf geraten, naiv oder gar unpolitisch zu sein. Ein Schüler, der eine "88" auf der Brust trägt, gibt sich damit den "Eingeweihten" als Hitler-Fan zu erkennen (H ist der achte Buchstabe des Alphabets, 88 bedeutet "Heil Hitler"). Ein Lehrer sollte auch davon gehört haben, daß weibliche Skinheads "Renees" heißen (ausgesprochen: Rienies): sie tragen extrem kurze Haare, lassen aber lange Strähnen in die Stirn fallen. Wer das nicht weiß, ist nicht nur ahnungslos, sondern zeigt den Schülern, daß er sich für die Ikonen der Cliquenbildung unter Jugendlichen nicht interessiert. Ein Pädagoge jedoch, der den Unterschied zwischen "Kante", "Scheitel" und Glatze bei männlichen Schüler kennte oder der weiß, welche Sorte Musik die Bands "Saccara", "No Remorse", "Social Desease" oder gar "Screwdriver" spielen, würde in der rechten Szene als "cooler" Experte gehandelt, bei dem man vorsichtig sein muß, was man sagt.
   Zeichen dienen der Kommunikation unter Gleichgesinnten und sind gleichzeitig ein Mittel, Andersdenkende visuell auszugrenzen. Wer das im Unterricht ignoriert, schließt sich selbst aus. Natürlich ist ein Schüler, der wie der klassische Typus des "Skinheads" aussieht, nur selten ein Neonazi. Springerstiefel, hochgekrempelte Jeans, eventuell Hosenträger und "Holzfällerhemden" der Marke "Fred Perry" (ein englischer Arbeitersportler) sind ursprünglich die Arbeitskleidung englischer Bergleute. Als Ikonen der Skinhead-Subkultur betonen sie deren proletarische Herkunft und suggerieren ein Lebensgefühl, das sich den "Spießern" verweigert, in Kleidung und Musikgeschmack. Rebellion ist Sinn und Selbstzweck. Die Bomberjacke und die Farbe der Schnürsenkel jedoch sind politische Zeichen und werden auch so verstanden. Wer weiße Schnürsenkel trägt, begreift sich als "Bonehead" (Knochenkopf) und ist ultrarechts. Rote Schnürsenkel provozieren die rechte Szene, weil sie linke Skinheads tragen oder gar die SHARP-Skins (Skinheads against racial prejudices - Skinheads gegen rassistische Vorurteile). Die Mehrheit der "Glatzen" ist eher unpolitisch. Oi-Skins lieben "Fun", wozu auch Prügeleien gehören, und "Koma-Saufen", die gesellige Alkoholvernichtung als Männlichkeitsritual wie beim dörflichen Schützenfest.
   Der Schlachtruf "oi" ist auch eine Verballhornung der Band "Strength through Joy", "Kraft durch Freude", ein Wortspiel, das ursprünglich ironisch gemeint war und von der rechten Musikszene dankbar aufgenommen wurde. Skinhead-Musik ist attraktiv, weil sie nicht im Radio gespielt wird und nicht kommerzialisiert ist. In England spielen noch viele Bands, die sowohl aus Punks als auch aus "Glatzen" bestehen und die sich der Wurzeln des musikalischen Stils bewußt sind: Skin-Musik stammt aus dem jamaicanischen Raggae und dessen schneller Variante, dem Ska. Ein Musiklehrer, der diese Entwicklung zu thematisieren weiß, wird unter Schülern, die meinen, "Glatze" sein rechts, cool und angesagt, höchstes Erstaunen hervorrufen.
   Es wäre ein fataler Fehler, die Inzenierung der politischen Meinung durch Kleidung, Frisur und Habitus nicht ernst zu nehmen. Provokante, insbesondere verbotene Zeichen sollen Aufmerksamkeit erregen und Grenzen austesten. In der Schule und im Kollegium muß Konsens darüber bestehen, daß illegale Aufkleber, Aufnäher und andere Zeichen nicht geduldet werden können. Pädagogen in den neuen Bundesländern neigen oft dazu, rassistische Einstellungen von Schülern zu verharmlosen: Es handelte sich "nur" um Protest, man dürfe das nicht überbewerten. Für die potentiellen Opfer rechter Gewalt, also Schüler, die in den Augen der Rechten als "Zecken" gelten, Afrodeutsche oder Menschen "südländischen" Aussehens, ist es aber ganz gleich, ob die Täter ein gefestigtes Weltbild haben oder ihre Gewaltbereitschaft a posteriori politisch legitimieren. Ein Ansammlung Jugendlicher in Bomberjacken ist eine politische Provokation und soll Andersdenkende einschüchtern. Ein Punk hingegen will niemanden einschüchtern oder terrorisieren. Ein Lehrer sollte sich im Unterricht dazu eindeutig und ablehnend äußern, auch wenn wir wissen, daß man dadurch nichts oder nicht viel ändert und erreicht.

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