[Informationen über Burkhard Schröder] [Suchmaschinen] [Medien im Internet] [Antifa, Nazi-Links] [Kryptographie und Steganographie] [Interessante Links] [Infos zu HTML] [SF-Krimi I] [SF-Krimi II] [Tron - Tod eines Hackers] [Internet-Literatur] [Journalistische Recherche im Internet] [E-Mail] [Startseite] [Sidemap]
.
Dieser Artikel
erschien leicht gekürzt in der
Deutschen Lehrerzeitung
vom 10.10.1998
.Der "Judenstuhl"
  - schlimmer als ein rechter Lehrer ist ein Lehrer ohne Meinung
   Wissen Sie, was ein "Judenstuhl" ist? Ein Judenstuhl, so antworten Schüler auf dem Schulhof einer Realschule im brandenburgischen Fürstenwalde, ist ein wackliger Stuhl, der bald zu Bruch gehen wird. Warum? Weil der Begriff "Jude" bei ihnen negativ besetzt ist. Natürlich kennt kein Schüler, der beiläufig antisemitische Parolen zum Besten gibt, irgendeinen Juden, aber das ist unerheblich für die Existenz eines Vorurteils. Rechtsextemismus im Unterricht: Viele Pädagogen machen lieber einen großen Bogen um dieses Thema, anstatt es offensiv anzugehen. Wer aber, wenn nicht die Schule, soll sich dem annehmen? Während und nach der Pubertät stellen sich die Weichen für die spätere politische Orientierung. Nur hier kann man noch korrigierend eingreifen. Häufig genug sind Pädagogen die einzigen ernstzunehmenden Ansprechpartner für Schüler, weniger noch als die Eltern. Wie aber kann man Einstellungen im Unterricht ändern, wie kann man informieren, ohne für rechtes Gedankengut zu werben?
   Vorurteile lassen nicht nicht ändern, indem man scheinbar "vernünftige" Argumente gegen sie anführt. Wer glaubt, Farbige seien weniger intelligent als Weiße oder Einwanderer seien krimineller als Deutsche, wird sich durch Statistiken, daß dem nicht so sei, kaum eines Besseren belehren lassen. Vorurteile erklären die Welt schlüssig und hinreichend, dazu sind sie da. Rassismus ist eine falsche, emotional stark besetzte, aber durchaus funktionierende Methode, die Gesellschaft zu deuten.
   Die Schule steht in direkter Konkurrenz zu anderen Informationsquellen, die die Jugendlichen nutzen: die Meinungsführer ihrer Clique, Medien (wichtig: VIVA und MTV, immer häufiger auch das Internet), die Eltern. Ihre Einstellungen etwa zur Gewalt wird vornehmlich durch das geprägt, was sie in ihrer Familie erlebt haben. Erfahren sie dort Ohnmacht, werden sie dazu neigen, ein autoritäres Verständnis der Gesellschaft zu übernehmen: Der Stärkste setzt sich durch - mit den Mitteln, die ihm jeweils zur Verfügung stehen.
   Das müssen Lehrer ernst nehmen: Die Frage, was die Schüler unter "Gewalt" verstehen, beantwortet zumeist schon, welche individuellen Erfahrungen sie selbst damit gemacht haben. Ein Mädchen der neunten Klasse, die Balett-Unterricht nimmt, wird "Gewalt" anders definieren als ein gleichaltriger Junge, der aus einem sozial schwachen Elternhaus stammt und für den "richtige" Gewalt erst bei schwerer Körperverletzung beginnt. Wer den Plot eines Films mit zahlreichen Gewaltdarstellungen von verschiedenen Schülern beschreiben läßt, verblüfft sie mit der Tatsache, daß jeder Gewalt anders begreift. Das Frage, warum das so ist, kann Ausgangspunkt dafür sein, das eigene Verhältnis dazu kritisch zu beurteilen.
   Vorurteile, die später zu politischen Urteilen werden, lassen sich nur durch gezielte Irritationen "knacken". Hilfreich ist die sogenannte "kognitive Dissonanz" : Die Schüler werden mit unerwarteten Aussagen konfrontiert. "Wir sind uns alle einig, daß wir nur wenige Ausländer in Deutschland haben wollen." Das aus dem Munde eines Pädagogen, der sonst keine Sympathien für rassistische Ideen hat, läßt aufhorchen. "Menschen, die einwandern wollen, sollen schnell einen deutschen Paß bekommen. Dann sind sie keine Ausländer mehr." Rechtsextremisten oder Schüler, die von Kadern der Nazi-Szene informell beeinflußt werden, müsse dann zugeben, daß es ihnen nicht um "Ausländer" geht, sondern daß ihnen auch Afrodeutsche nicht gefallen. Somit läge das Thema "Rassismus" auf dem Tisch.
   Häufig bestärkt die Konfrontation mit denen, gegen die Jugendliche Vorurteile haben, nur die schon vorhandene Meinung. Gut gemeinte Versuche, zum Beispiel mit sogenannten "multikulturellen" Festen und anderen Schulveranstaltungen Vorurteile abzubauen, sind nur bei denen erfolgreich, die ohnehin mit Menschen nichtdeutscher Herkunft keine Probleme haben: Wer Afrikaner immer nur musizieren sieht (wie bei Straßenfesten üblich), hat keine Chance zu begreifen, daß jemand mit dunkler Hautfarbe sowohl Deutscher sein kann als auch Mathematik-Lehrer. "Ein Tutsi in Leipzig", der dort durch die Schulen tingelt, wird vielleicht höflich akzeptiert. Aber rassistische Vorurteile bauen sich dadurch nicht ab, der Afrikaner ist und bleibt Ausländer und somit kein Mensch, der die gleichen Pflichen und Rechte wie ein eingeborener Deutscher hat. Selbst in Berlin-Kreuzberg sagen Jugendliche: "mein bester Freund heißt Ali, aber die Türken, die ich nicht kenne, sind mir unsympathisch."
   Leider gibt es in Deutschland keine Rassismus-Forschung, somit auch nur wenig Curricula, die sich des Themas qualifiziert annehmen. In England etwa arbeiten Pädagogen mit speziellen Programmen, um verschiedene Berufsgruppen, etwa Polizei, aber auch Lehrer, in die Lage zu versetzen, mit rassistischen Vorurteilen - auch den eigenen - umzugehen. Hierzulande kreist der öffentliche Diskurs um das Thema "Ausländer" - wobei man verschweigt, daß die wesentliche Klammer rechtsextremer Ideologien seit jeher der Antisemitismus war, und das Rassismus nicht nach der Staatsangehörigkeit fragt, sondern scheinbar eindeutige biologische Merkmale von Menschen fremder Herkunft dazu benutzt, sie zu klassifizieren und endlich zu diskriminieren.
   Kein Pädagoge wird die eigene politische Meinung zu brisanten Themen verbergen können. Wer das meint tun zu müssen, heuchelt. Schüler brauchen eine Reibungsfläche, überspitzt formuliert: eine nachvollziehbare und ethisch begründete Entscheidung des Pädagogen, kein Rechtsextremist zu sein. Schlimmer als ein rechter Lehrer ist ein Lehrer ohne Meinung. Wer den Schülern durch die eigene Person das Gefühl vermittelt, man strebe danach, ein guter Mensch zu sein, nur weil die Gesellschaft das belohnt, hat kein hinreichendes Motiv, um als Vorbild zu gelten. Gewaltprophylaxe ist an Schulen deshalb so beliebt, weil sie garantiert ein hohes Prestige verschafft, aber man den Erfolg nicht kontrollieren kann. Das gilt auch für die häufig nur unterschwellig vermittelte Haltung, gut sein zu wollen, weil man nicht den Mut hat, böse zu sein. In der Skinhead-Subkultur mit ihren Überschneidungen zum organisierten Neonazismus gilt der Wille, sich dem ästhetischen und moralischen Mainstream zu verweigern, als Zeichen der Charakterstärke. Ich bin böse und unmoralisch, und ich stehe dazu. Diese Haltung ist keineswegs nur bei Jugendlichen attraktiv.
   Wer bekennende Rechtsextremisten in der Schule zu Wort kommen läßt, vermittelt den Schülern das Gefühlt, deren politische Meinung sei eine von mehreren, unter denen auszuwählen sich jeder frei entscheiden müßte. Schüler der zehnten Klasse, die im Umfeld der organsierten Rechten verkehren, sind oft schon weltanschaulich gefestigt und haben die einschlägige Propaganda zur Kenntnis genommen. Ein Lehrer, der nicht weiß, wer Fred Leuchter ist, kann im Gemeinschafts- oder Geschichtsunterricht sehr schnell rhetorisch übervorteilt werden, wenn der betreffende Schüler ein halbes Dutzend "Kameradschaftsabende" besucht hat.
   Lehrer neigen, wie auch Sozialarbeiter, ihre Klientel zu unterschätzen. Soziale und familiärer Probleme der Schüler, etwa fehlende Lehrstellen oder drohende Arbeitslosigkeit, sind keine Erklärung für rassistische oder gar antisemitische Einstellungen. Rechtsextremismus ist weniger ein soziales als ein politisches Problem. Auch Schüler ab der zehnten Klasse, die als strebsam und unauffällig gelten, können organisierte Neonazis sein, auch wenn sie die Ikonen der Szene nicht nach außen dokumentieren. Gerade Jugendliche mit hoher Leistungsbereitschaft haben eine Affinität zu einem Gesellschaftsverständnis, daß den Fleißigen belohnt, den Faulen aber bestraft und den Erbkranken als "lebensunwert" einstuft. Wer meint, Orientierungslosigkeit sei eine Ursache des Rechtsextremismus, leistet sich ein bequemes Vorurteil, was mit der Realität nur wenig zu tun hat. Die diffus organisierte Ultrarechte besteht nur zu einem geringen Teil aus arbeitslosen Jugendlichen, sondern mehrheitlich aus Lehrlingen und Facharbeitern. Diese stehen in direkter Konkurrenz zur Schule und versuchen, dieselbe Klientel wie die Lehrer in ihrem Sinne zu beeinflussen.

< < zurück©Burkhard Schröder