Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil 2]

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[Fortsetzung der Rezension des Buchs von Armin Eich Die römische Kaiserzeit: Die Legionen und das Imperium.]

Ich muss die althistorisch interessieren Leserinnen und die der Antike aus marxistischer Sicht kundigen Leser um Nachsicht und Geduld bitten: Je mehr ich zum Thema recherchiere, um so komplizierter wird es. Das Folgende ist also eher ein Exzerpt mit Notizen und work in progress.

Zum Erinnern: Die Eigentümer der villae waren die dominante soziale Klasse des Imperiums. (…) Die Gesamtzahl (…) ist auf etwa 200.000 bis 250.000 Personen geschätzt worden. Diese lokale Grundbesitzeraristokratie profitierte von der Schaffung des imperialen Friedensraumes, der einen weitgehend ungestörten Handelsverkehr zwischen weit auseinanderliegenden Regionen ermöglichte.

Die Zeitspanne, die Armin Eich behandelt, umfasst mehr als 250 Jahre, von der Machtergreifung des Imperators Augustus bis zum letzten Soldatenkaiser Marcus Aurelius Carus, kurz vor der Diocletianischen Ära.

Will man langfristige Tendenzen analysieren, steht man vor dem Problem, dass es natürlich niemals einen „Masterplan“ der jeweiligen Vertreters der herrschenden Klasse gab, was zu geschehen hätte. Man kann ebensowenig behaupten, dass Bismarck hätte vorhersehen oder gar planen können, wie der Kapitalismus ein Jahrhundert nach seinem Tod aussehen würde.

Zwei Dinge kann man aber unstrittig feststellen:

– Die Produktionsverhältnisse blieben unverändert; genauso funktionierte die Verwaltung inklusive der Steuern ungeachtet dessen, ob gerade eine Marionette des Senats Kaiser war wie der 13-jährige Severus Alexander, oder ob die Kaiser so schnell wechselten, dass in den entfernten Provinzen des Kaiser niemand wer wusste, wer in Rom das Sagen hatte, oder ob der Kaisertitel an den Meistbietenden verhökert wurde – wie an Didius Julianus.

– Die soziologische Zusammensetzung der herrschenden Klasse änderte sich: Waren in Zeiten der Republik und noch in der Ära des Augustus die Senatoren, also die Großgrundbesitzer, die auch politisch bestimmenden Funktionsträger, wurden die Klassenschranken zunehmend löchrig: nicht nur die Ritter konnten höchste Ämter – wie etwa Präfekt einer reichen Provinz – erreichen, sondern auch Emporkömmlinge und sogar freigelassene Sklaven.

…banden die Imperatoren die Sklaven und Freigelassenen ihres privaten Haushalts großzügig in Regierungsaufgaben ein. Sehr früh wird das bei den Rechnungsleitern des kaiserlichen Haushaltes, den a rationibus, deutlich. Die öffentlichen Kassen, von dem zentralen aerarium in Rom bis zu den Provinzialfisci, hatte Augustus unter der Leitung senatorischer oder ritterlicher Geschäftsträger belassen. Doch das System dieser öffentlichen Kassen hatte stets darunter gelitten, dass es keine Gesamtbilanz und keine zentrale Buchhaltungsstelle gab. Die Gesamtberechnung des staatlichen Haushalts konnte Augustus daher leicht an sich ziehen und übertrug sie den spezialisierten Freigelassenen und Sklaven seines eigenen Haushalts. Dies war die Keimzelle eines eigenständigen Finanzressorts.

Die Kaiser bauten ihre Macht und die ihres eigenen Apparats politisch und ökonomisch immer weiter aus – mit Hilfe der eigenen Klientel, strukturell vergleichbar etwa mit den feudalen Ministerialen. Kaiser Aurelian setzte durch, dass nur der Imperator Münzen prägen durfte (mit wenigen Ausnahmen). Ein im Ansatz „modernes“ Steuersystem bekam das Römische Reich aber erst unter Diocletian – mit der Capitatio-Iugatio im Jahr 287 n. Chr..

Exkurs:
Von Geoffrey Ernest Maurice de Ste. Croix hatte ich bis jetzt noch nie etwas gehört.

Sein Standardwerk der marxistischer Geschichtswissenschaft Class Struggle in the Ancient Greek World – „From the Archaic Age to the Arab Conquests“ erschien 1981. class struggle

Das Buch wurde bis jetzt nicht in Deutsche übersetzt. Das ist vermutlich kein Zufall: St. Croix‘ Interpretation der Geschichte entspricht nicht der offiziellen Parteidoktrin im Ostblock, und hierzulande ignoriert man grundsätzlich alles, was auch nur nach Marx riecht. Im Vergleich etwa zu Frankreich oder Großbritannien geht Deutschland damit einen lächerlichen Sonderweg, der nur beweist, dass hierzulande die Wissenschaft eben nicht „frei“ ist, obwohl nicht direkt zensiert wird. Der gewünschte Mainstream setzt sich automatisch durch.

Wer an einer deutschen Universität marxistisch argumentiert, darf sicher sein, keinen Job zu bekommen – und schon gar keine Professur. Das steht nirgendwo so geschrieben, ist aber dennoch wahr.

Armin Eich etwa hat sicher seinen Marx gelesen – das merkt man an manchen Stellen, auch am Titel seiner leider nicht erhältlichen Monografie „Die politische Ökonomie des antiken Griechenland“, hütet sich aber, Einschlägiges zu zitieren. Sein Buch ist dennoch hervorragend und wäre von Marx sicher über alle Maßen gelobt worden.

Die römischen Bürger hatten immer steuerliche und strafrechtliche Vorteile genossen. Das änderte sich, nachdem der Imperator Caracalla 212 n. Chr. fast der gesamten Bevölkerung des Reiches das römische Bürgerrecht verlieh. Danach bedeutete dieser Status immer weniger. Stattdessen trat die im Strafrecht verankerte Unterscheidung zwischen „ehrenwerten“ (honestiores) und „geringeren“ (humiliores) Bürgern stärker in den Vordergrund. (…) Ein humilior war nicht einmal vor dem Verlust der Freizügigkeit geschü+tzt und konnte beispielsweise gezwungen werden, nach Abschluss eines Pachtvertrages, lebenslang in dem betreffenden Pachtverhältnis zubleiben und seine Pachtstelle nicht zu verlassen.

Paradoxerweise führte die Verleihung des Bürgerrechts an mehrere Millionen Menschen dazu, dass die weniger Vermögenden und Armen immer ärmer wurden und immer weniger Rechte besaßen. Der schon zu Zeiten der Republik tobende Klassenkampf zwischen Großgrundbesitzern und kleinen Bauern verschärfte sich noch, weil immer mehr kleinere Landwirte sich verschuldeten oder sogar ihr Land verlassen mussten und sich unter die Herrschaft eines Großgrundbesitzers begeben mussten (vgl. Kolonat.) Das ist immer und überall so, sogar im Kapitalismus: Je mehr in Landwirtschaft investiert werden muss, um einen ausreichenden Ertrag zu erzielen, der das Subsistenzminimum überschreitet, also auf dem Markt, um so mehr dünnt sich die untere Schicht aus, um so mehr konzentriert sich der Profit bei den Besitzern der großen Güter.

Ich schrieb 2016: „Die „Produktivkäfte“ bedeuten am Ende der Republik: Die Bauern wurden ruiniert zugunsten der Großgrundbesitzer mit deren Latifundien. Die Produktion für den immer größer werdenden städtischen Markt verlangte nach „industrieller“ Massenproduktion. Dafür setzte man immer mehr und öfter Sklaven ein; gleichzeitig wanderten ruinierte Bauern und Landlose in die Städte ab.“

römische Kaiser
Credits: Daniel Voshart/medium.com (Photoreal Roman Emperor Project)

Der Klassenkampf der Sklaven war zwar immer präsent, aber seit Spartacus im 1. Jh. vor Chr. erreichte er nie Ausmaße, die die herrschende Klasse gefährdeten. Es gab aber andere, wegen der desolaten Quellenlage weitgehend unerforschte Aufstände vor allem von landlosen Bauern, aber auch entflohenen Sklaven, die immer wieder ein geballtes militärisches Eingreifen nach sich zogen. Im 3. Jahrhundert zog der „Räuberhauptmann“ Felix Bulla durch Italien, zu dessen Gefolgschaft auch ehemalige Sklaven gehörten. Viel bedrohlicher waren zur gleichen Zeit und bis in die Zeit des Konstantin die Bagaudae, bewaffnete Bauern und Hirten („peasant insurgents“ laut Wikipedia) in Gallien und Hispanien.

Nebenaspekt: Im 3. Jahrhundert wurde das Christentum eine staatlich geförderte Religion.

Achim Eich dazu: „Christen sollten, nach den Vorstellungen des Paulus, so in der Welt leben, „als ob sie nicht in ihr lebten“*, d.h. die Institutionen des Staates und seiner Untergliederungen sollten gegenüber den neuen, „kirchlichen“ keine ernsthafte Bedeutung haben. Demgegenüber hat die bekannte Formel des Römerbriefs, dass jede Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, lediglich pazifizierenden Charakter: Sie entspricht der allgemeinen Tendenz der frühen Kirchenlehrer, sozialrevolutionären Bestrebungen innerhalb der jungen Bewegung durch Ermahnungen vorzubeugen.“

Das Christentum änderte also nichts an den Produktionsverhältnissen oder minderte auch nicht die Zahl der Kriege. Der Monotheismus der christlichen Art blieb (trotz Julian) diejenige Religion, die der herrschenden Klasse am meisten nützte, sowohl in der so genannten „Spätantike“ und besonders im Feudalismus. Ein Aspekt ist sicher, dass die potenziell sozialrevolutionäre Sehnsucht nach „Erlösung“ sozusagen „verstaatlicht“ und somit vorab unschädlich gemacht wurde.**

Eich dazu: „Die von Decius, Valerian und später Diocletian (284-305 n. Chr.) angestrebte religiöse Gleichschaltung der Reichsbevölkerung wurde mit nachhaltiger Konsequenz erst von den Nachfolgern Konstantins vorangetrieben, paradoxerweise doch unter christlichen Vorzeichen.“

Ich schrieb im ersten Teil über die „klassische imperialistische Eroberungsstrategie und anschließend die fiskalische Erschließung der neuen Territorien“: „Die Römer wollten also auch ihre Produktionsordnung per Gewalt exportieren.“ Diese Strategie, von der die Besitzer der villae profitierten – solange keine Niederlagen drohten – konnte im 3. Jahrhundert, während der so genannten „Reichskrise“, nicht mehr effektiv verfolgt werden. Ein Grund ist sehr einfach: Die „Barbaren“ hatten die römische Militärtechnik adaptiert, die Parther und später die Sassaniden waren der römischen Infantrie mit den Kataphrakten – der Vorform mittelalterlicher Panzerreiter – sogar überlegen gewesen, so dass die Römer ihrerseits die Form der Kriegsführung übernahmen. Auch wurden die Legionen, vor allem seit dem 4. Jahrhundert, ständig verkleinert, von gut 5.000 Mann bis zu nur noch 1.000. Das machte natürlich Sinn, falls wieder mal eine Heeresabteilung auf die Idee gekommen wäre, ihren Kommandeur zum Gegenkaiser auszurufen. Um 214 v. Chr. gab es keine Provinz mehr, in der mehr als zwei Legionen stationiert waren.

Ich kann und will mich nicht mit der Frage befassen, warum das Römische Reich untergegangen ist. Vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig: Viel interessanter ist, dass die Arbeit unfreier Bauern bzw. Kolonen effektiver war als die von Sklaven auf Latifundien. Die Dreifelderwirtschaft zum Beispiel, die sich erst im 12. Jahrhundert durchsetzte, war effektiver als die römische Landwirtschaft. Die Römer haben auch das Kummet nicht erfunden und spannten Ochsen statt Pferde vor den Pflug, was weniger effektiv war. Die Sklavenhaltergesellschaft war kein Erfolgsmodell mehr, vielleicht auch, weil mit dem Zusammenbruch der überregionalen Märkte des Mittelmeerraums und der Städte die vorindustrielle Massenproduktion nicht mehr gefordert war.

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* Ein Phänomen, das auch vom aktuellen Islam in kapitalistischen Ländern zu beobachten ist.
** Da der Islam keine Kirche kennt, konnten sich in der Geschichte oft Klassenkämpfe und Rebellionen der buntscheckigsten Art mit dem Islam leichter kostümieren, zum Beispiel beim Mahdi-Aufstand im heutigen Sudan.