23. April 1944

Weststrasse Hamm

Gestern sagte meine Mutter (94 Jahre alt): „Was am 23. April 1944 war, weiß niemand mehr, und es will auch niemand wissen.“ Damals war der erste Großangriff auf die Stadt Hamm. Meine Mutter arbeitete dort in einem Laden in der Weststraße (vgl. Foto oben, damals und heute). Das Bombardement hat sie im Bunker überstanden. Sie sagte, sie haben drei Tage danach im Bett gelegen, weil sie nichts mehr hörte und extrem Kopfschmerzen gehabt habe. Danach sei es nicht mehr möglich gewesen, von Bönen, wo sie wohnte, nach Hamm zu kommen.

Das mag aus der Sicht von heute und viel schlimmeren Kriegsfolgen belanglos erscheinen. Wenn man das aber von einer noch lebenden Augenzeugin erfährt, geht es einem nahe.

Unter Einsatz von 750 Bombern und einigen hundert Jagdflugzeugen wurden 8000 Spreng- und 3500 Brandbomben abgeworfen. Innerhalb einer knappen Stunde war die Stadt in ein Flammenmeer und eine Trümmerwüste verwandelt. Der Verschiebebahnhof, der Güterbahnhof sowie Wohnviertel im südlichen und westlichen Stadtgebiet wurden besonders schwer getroffen. Etwa 240 Gebäude wurden völlig zerstört, weitere 350 schwer beschädigt. Mit weit über 200 Todesopfern forderte dieser Angriff die meisten Menschenleben, die je einem Luftangriff auf die Stadt Hamm während des Krieges zum Opfer fielen.

Am 05.06.2019 schrieb ich:
„Von der schönen Stadt Hamm ist nichts mehr übrig geblieben. Das Foto unten zeigt die Innenstadt bei Kriegsende – der Westentorbunker steht im linken oberen Viertel. Für mich ist es kaum vorstellbar, dass meine Mutter da durchlaufen musste, oft sogar zu Fuß zehn Kilometer bis Bönen, wo meine Großeltern wohnten, weil die Züge nicht mehr fuhren, einmal sogar unter Tieffliegerbeschuss, zusammen mit einer Arbeitskollegin, wie sie erzählte. Dass ich existiere, ist eigentlich ein glücklicher Zufall.“