Was ist drin in Griechenland? (Teil 4)

greek revolution

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Hatte ich schon angemerkt, dass ich prominente Mitglieder der griechischen linken für gnadenlos naiv halte? Ja, aber das ist kein Vorwurf. Ich empfehle dringend, das Interview mit Yanis Varoufakis anzusehen. Varoufakis‘ Ansicht über Schäubles Pläne sind erhellend. Beide wussten offenbar genau, was sie wollten. Und beide hatte aus ihrer Sicht recht. (Das Interview hat meine Meinung zu einigen Dingen geändert, was selten vorkommt.)

Griechenland und dessen Wirtschaft sind für den europäischen Kapitalismus also known as „Eurozone“ irrelevant. Nur deshalb war und ist Schäuble für den Grexit (für den er aber kein Mandat hatte). Varoufakis: Der Grexit wäre eine Katastrophe für Griechenland und Europa.

Wer ist die griechische Linke? Zum Beispiel die maoistische Kommunistische Organisation Griechenlands, die trotzkistische Internationalistische Werktätige Linke, die Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie, die links-ökologischen Ökosozialisten Griechenlands, die eurokommunistische und ökologische Erneuernde Kommunistische und Ökologische Linke. Und jetzt gibt es die griechische Unidad Popular, die auf Deutsch übersetzt leider „Volkseinheit“ heißt. Die Synaspismos Rizospastikis Aristeras (Koalition der radikalen Linken) wäre in Deutschland also eine Koalition aus der „Linken“, Teilen der Grünen, der MLPD, der DKP, der KPD (Ost), des Revolutionären Sozialistischen Bunds/Vierte Internationale, vermutlich auch der Bergpartei und vielen anderen mehr. Wäre das hierzulande denkbar? Eher fließt der Rhein von Norden nach Süden. Die historische Leistung der heillos zerstrittenen griechischen Linken ist also, eine Koalition geschaffen zu haben, die von der Mehrheit an die Regierung gebracht wurde.

Jetzt die schlechte Nachricht: Die Linke hatte leider keinen Plan. Was steht im Programm? „Dazu soll ein Kreditabkommen einseitig gekündigt und die jüngsten Privatisierungen gestoppt bzw. rückgängig gemacht werden. Der Staat soll die entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung übernehmen und das Bankensystem verstaatlicht werden. (…) Die Europäische Union lehnt SYRIZA diesem Programm nach ‚in ihrer gegenwärtigen Form‘ ebenso ab wie die bisherige Architektur des Euro und die ’neoliberale Logik‘ der Eurozone. Der Befriedigung sozialer Bedürfnisse räumt der beschlossene Text ‚absolute Priorität‘ vor den von der damaligen Regierung eingegangenen Verpflichtungen ein. (…) Privatkliniken sollen verstaatlicht und die private Beteiligung am Gesundheitswesen beendet werden.“ Auch zu der geplanten Arbeitspolitik der Syriza kann man nur heftig kopfnicken.

Um das umzusetzen, braucht man aber dreierlei, und diese drei Dinge waren nicht vorhanden: Man braucht Geld, um das bezahlen zu können, man braucht einen Plan, um das umzusetzen, und man muss es wollen. Ich wiederhole es: Daran fehlte es. Varoufakis sagt im Interview, nach dem Kassensturz im Finanzministerium habe man gemerkt, dass nur noch Geld für zwei Wochen da gewesen sei, um zum Beispiel die Renten zu bezahlen. Aber hallo?! Das weiß ich doch vorher! Und ich kann doch nicht ernsthaft annehmen, vernünftige Argumente, Probleme zu lösen, interessierten jemanden in Brüssel? Das sind Helfershelfer der Interessen des Kapitals, also Charaktermasken, Getriebene ohne einen eigenen Willen. Auch das hätte ein kluger Mann wie Varoufakis, der Marx gelesen hat, vorhersehen können.

Was also hätte man tun können? Die revolutionäre Linke sollte Niccolò Machiavelli lernen: „Gute Grausamkeiten sind die, die einmalig und möglichst zu Nutzen des Volkes geschehen. Schlecht sind ständige Grausamkeiten. Beim Raub eines Staates muß man sich also alle nötigen Schandtaten vorher überlegen und auf einen Schlag ausführen, um sie nicht mehr wiederholen zu müssen. Durch Wohltaten kann er dann versuchen, das Volk für sich zu gewinnen.“

Genau so: Schon in der ersten Woche nach Übernahme der Regierung hätten die Banken verstaatlicht werden müssen. Dazu muss man das Militär auf seiner Seite haben – deshalb war es nicht falsch, die rechtpopulistische ANEL einzubinden. Notfalls muss man die Militär bestechen – die politische Macht kommt immer aus den Gewehrläufen! (Alte Maoisten-Weisheit) Bestochene Leute sind erpressbar, das kann man dann später als Druckmittel einsetzen.

Auch wenn es vielleicht gar nicht stimmt: Der angebliche Plan, eine Parallelwährung einzuführen war richtig und vernünftig. „Sollten die griechischen Banken schließen müssen, weil die EZB den Geldfluss an die Finanzhäuser unterbricht, sollte das Parallelwährungssystem die Wirtschaft am Laufen halten und Finanzgeschäfte weiter ermöglichen.“

Nach einer Revolution, die das Volk gewollt hat, muss auch auch sofort die großen Unternehmen verstaatlichen, die entweder für die Infrastruktur wichtig sind oder Geld einbringen – wie etwa Reedereien. Und das muss man vorher sagen, dann kann sich hinterher niemand beklagen. Spiegel online schreibt: Laut Zahlen der Großbank UBS gibt es 565 Griechen mit einem persönlichen Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar – im Bankerjargon heißt diese Kategorie ‚Ultra High Net Worth Individuals‘. Man könnte sie auch Multimillionäre nennen. (…) Damit entspricht ihr Reichtum fast einem Drittel der jährlichen griechischen Wirtschaftsleistung. “ Sofort enteignen, wenn diese nicht die Pläne der Regierung unterstützen! Laut griechischer Verfassung ist das möglich. Und wenn ich sage „sofort“, dann meint das wenige Stunden nach einem Wahlsieg der radikalen Linken. Warum ist das nicht geschehen? Kein Plan, kein Wollen – wie ich schon sagte.

Noch mal zu Mitschreiben: Man muss den Wählern nicht nur sagen, was man will, sondern genau vorher ankündigen, wie man es umsetzen wird. Das machen aber alle diese Pseudo-Revolutionäre nicht, und deshalb werden sowohl Jeremy Corbyn kläglich scheitern als auch die spanische Podemos-Bewegung wie auch alle anderen naiven Reparaturvorschläge, den Kapitalismus betreffend. (Ich wollte eigentlich nicht die Attitude Lenins annehmen, aber so ähnlich hat der das vor der russischen Revolution auch schon formuliert. Und die war bekanntlich zeitweise erfolgreich – nach Kronstadt, um historisch herumzumäandern, begann aber schon der politische Abstieg.)

Die neue griechische Unidad Popular fordert, die „strategische Sektoren der Wirtschaft ‚unter gesellschaftliche Kontrolle‘ zu bringen und beim Bankensystem damit zu beginnen. Auch soll Griechenland aus der NATO austreten und der Großteil der griechischen Schulden annulliert und sofort mit der Tilgung der Verbindlichkeiten aufgehört werden.“

Schön, dass wird Schäuble freuen, weil er das laut Varoufakis auch wollte. Dafür wird es aber keine Mehrheit geben. Und ich wüŕde zu gerne sehen, wie die sich die „gesellschaftliche Kontrolle“ vorstellen.

Ich prophezeie also eine Art sozialdemokratischer „Technokraten“-Regierung in Griechenland, die von der „marktliberalen“ Nea Dimokratia angeführt werden wird – oder einen verkappten Militärputsch. Die Syriza wird die Regierungsmehrheit verlieren.

Schön, dass wir über die griechische Linke geredet haben.